Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
Rz. 396
Rechtsfolge des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik hinsichtlich der Veräußerung eines Wirtschaftsguts ist, dass eine fiktive Entnahme des Wirtschaftsguts angenommen wird. Als (fiktiven) Entnahmewert bestimmt das Gesetz den gemeinen Wert nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 EStG. Der Ansatz mit dem gemeinen Wert, also nach § 9 Abs. 2 BewG mit dem im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts zu erzielenden Preis, bedeutet, dass auch der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielende Gewinn anzusetzen ist. Durch Ergänzung des § 11 Abs. 2 BewG ist klargestellt, dass das Stuttgarter Verfahren für nicht notierte Anteile nicht anzuwenden ist; m. E. ist das gerechtfertigt, da zu bezweifeln ist, dass das Stuttgarter Verfahren einen realistischen, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielenden Wert ergibt.
Gegenüber dem Teilwert dürften sich bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens nur geringere Abweichungen ergeben. Die eigentliche Bedeutung des Ansatzes des gemeinen Werts liegt bei den Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens. Bei Waren enthält der Teilwert den Gewinnaufschlag nicht, da Teilwert die Wiederbeschaffungskosten bzw. die Wiederherstellungskosten sind. Dagegen wird der gemeine Wert durch den Weiterveräußerungspreis gebildet, enthält also auch den marktüblichen Gewinnaufschlag. Daher sind Waren mit einem Gewinnaufschlag anzusetzen. Der Ansatz mit dem gemeinen Wert führt bei der Überführung von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens dazu, dass die Bundesrepublik auch die Besteuerung des Liefergewinns für sich in Anspruch nimmt.
Der Ansatz mit dem gemeinen Wert gilt nach der Gesetzesbegründung auch für selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. § 4 Abs. 1 S. 3 EStG ist, wie auch die Entnahme nach § 4 Abs. 1 S. 2 EStG, ein Gewinnrealisierungstatbestand, der § 5 Abs. 2 EStG vorgeht (zum Firmenwert vgl. Rz. 400).
Rz. 397
Eine gewisse Gesetzeskonkurrenz könnte bei der Überführung von Wirtschaftsgütern mit § 6 Abs. 5 EStG eintreten. M. E. ist aber § 4 Abs. 1 S. 3 EStG vorrangig, und zwar einmal, weil es sich bei dieser Vorschrift um eine lex specialis handelt, dann aber auch, weil § 6 Abs. 5 EStG nur bei Überführung in ein anderes "Betriebsvermögen" vorliegt, dies aber bei Überführung in eine andere Betriebsstätte des gleichen Betriebs nicht vorliegt. Im Übrigen kollidieren die Vorschriften auch hinsichtlich der Rechtsfolgen nicht, weil § 6 Abs. 5 EStG mit dem Buchwertansatz nur gilt, wenn die Versteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Das ist in den Fällen der in Abs. 1 S. 3 erfassten Art aber gerade nicht der Fall. Ein Konkurrenzverhältnis kann sich daher praktisch nicht ergeben.
Rz. 398
Das Gesetz enthält keine Regelung über die Behandlung bei der aufnehmenden ausländischen Betriebsstätte. Aus deutscher Sicht, d. h. für die (inländische) steuerliche Betriebsstättenbuchführung muss eine Einlage des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert angenommen werden (vgl. auch die Regelung über die Steuerverstrickung, Rz. 424ff.). Das hat bei einer Betriebsstätte mit Anrechnungsmethode Bedeutung für die Ermittlung des im Inland zu erfassenden Gewinns (mit der Folge, dass durch die höhere Abschreibung ein niedrigerer im Inland zu erfassender Gewinn entsteht, was zu Anrechnungsüberhängen führen kann). Bei Anwendung der Freistellungsmethode können sich durch den niedrigeren ausländischen Betriebsstättengewinn in den Folgejahren Auswirkungen auf den Progressionsvorbehalt ergeben.
Für das ausländische Steuerrecht konnte eine entsprechende Regelung nicht getroffen werden, da dies außerhalb der Regelungshoheit der Bundesrepublik liegt. Es ist Aufgabe des ausländischen Rechts zu bestimmen, wie die Steuerverstrickung dieses Wirtschaftsguts zu behandeln ist. Ist nach dem Recht des ausländischen Staats der Buchwert fortzuführen, kommt es insoweit zu einer Doppelbesteuerung. Aus deutscher Sicht ist gedanklich von einer fiktiven Einlage auszugehen.
Konsequenterweise müsste der ausländische Staat die übertragenen Wirtschaftsgüter bei der empfangenden Betriebsstätte als fiktive Einlage ansehen, die Wirtschaftsgüter ebenfalls mit dem gemeinen Wert ansetzen und hiervon Abschreibungen zulassen. Es ist eine offene Frage, ob der ausländische Staat die daraus resultierende Minderung seines Steueraufkommens akzeptieren wird.
Rz. 399
Bilden die übertragenen Wirtschaftsgüter eine Sachgesamtheit in Form eines Betriebs oder Teilbetriebs, ist nach der Gesetzesbegründung der gemeine Wert dieser Sachgesamtheit anzusetzen. Die Bedeutung der Regelung ist insoweit fraglich. Ein Betrieb oder Teilbetrieb hat einen "Teilwert", aber keinen "gemeinen Wert". Der gemeine Wert ist ein Einzelveräußerungspreis, der von der Veräußerung der einzelnen Wirtschaftsgüter ausgeht. Dies kann dazu führen, dass bei der Verlagerung eines Betriebs oder Teilbetriebs der Mehrwert, der in dem Teilwertbegriff gegenüber den gemeinen Werten verkörpert ist, ni...