Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermögensteuerhinterziehung nach BVerfG 22.6.1995 2 BvL 37/91 (Verfassungswidrigkeit des VStG)?
Leitsatz (redaktionell)
- Nach dem das BVerfG mit Beschluss vom 22.06.1995 (2 BvL 37/91) erkannt hat, dass das Vermögensteuergesetz nicht verfassungskonform ist, bestehen ernstliche Zweifel, ob Vermögensteuer hinterzogen werden kann.
- Es bestehen bereits Zweifel, ob der Straftatbestand objektiv erfüllt ist, da das Vermögensteuergesetz trotz vorübergehender Weitergeltung aus fiskalischen Gründen ein verfassungswidriges Gesetz bleibt.
- Das Rückwirkungsverbot gem. § 2 Abs. 3 StGB spricht ebenfalls gegen eine Erfüllung des Straftatbestandes der Vermögensteuerhinterziehung.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3; EStG § 2 Abs. 3
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Hauptsache über die Frage, ob die Antragsteller (AS) Vermögensteuer hinterzogen haben und deshalb verlängerte Festsetzungsfristen für Veranlagungen zur Vermögensteuer gelten.
Die AS sind miteinander verheiratet. Sie wurden zunächst nicht zur Vermögensteuer veranlagt. Im Dezember 1998 gaben die AS Vermögensteuererklärungen auf den 1. Januar 1985 - 1. Januar 1996 ab. Darin erklärten sie neben Land- und Forstwirtschaftlichem Vermögen in kleinerem Umfang Bankguthaben in jährlich kontinuierlich anwachsender Höhe zwischen 740 TDM (Stand: 01.01.1985) und 2 Mio DM (Stand: 01.01.1996). Die Herkunft der Mittel ist nicht vollständig geklärt. Nach einem Aktenvermerk vom März 1999 (Bl. 19 der Gerichtsakten) gaben die AS in einem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren an, es handele sich dabei um angesparte Mittel aus dem Kreis der Familie, insbesondere von der betagten Mutter des AS, die einen .... betrieb unterhalte, in dem sie- die AS - als Arbeitnehmer beschäftigt seien.
Das Finanzamt (FA) folgte den Angaben in den Erklärungen und führte im Juli 1999 Hauptveranlagungen zur Vermögensteuer auf den 1. Januar 1986, 1. Januar 1989 und 1. Januar 1991 durch. Gegen die Veranlagungen haben die AS Einspruch eingelegt mit der Begründung, dass die Festsetzungsfrist für Veranlagungen im Jahre 1999 bereits abgelaufen gewesen sei. Die verlängerte Festsetzungsfrist des § 196 Abs. 2 S. 2 AO greife nicht ein, weil sie - die AS - keine Steuerhinterziehung begangen hätten. Das VStG sei vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erkannt worden. Gegenüber einem verfassungswidrigen Gesetz könne keine Steuerhinterziehung begangen werden. Das FA hat über den Einspruch bisher noch nicht entschieden. Das Einspruchsverfahren ruht gem. § 363 Abs. 2 S. 2 AO im Hinblick auf anhängige Verfahren vor dem BFH zur Frage der Hinterziehung von Vermögensteuer. Die gleichzeitig mit dem Einspruch beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Bescheide hat das FA jedoch abgelehnt. Der dagegen erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg. Die AS haben deshalb bei Gericht die AdV der angefochtenen Bescheide beantragt.
Entscheidungsgründe
Der Antrag hat Erfolg.
1. Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die AdV soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl. III 1967, 182; vom 18. Juni 1997 II B 33/97, BStBl. II 1997, 515).
2. Im Streitfall haften den angefochtenen Bescheiden derartige Unsicherheiten sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht an. Sie ergeben sich aus der Norm des § 169 Abs. 1 AO, nach der eine Steuerfestsetzung nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr zulässig ist. Im Streitfall war die Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 1 AO (4 Jahre) bei Erlass der Bescheide bereits abgelaufen. Die Annahme des FA, die AS hätten die VSt hinterzogen und deshalb greife die verlängerte Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 2 AO (10 Jahre) ein, stuft das Gericht als ernstlich zweifelhaft ein.
Eine Steuerhinterziehung setzt voraus, dass der Straftatbestand der §§ 369, 370 Abs. 1 Nr. 2 AO objektiv und subjektiv erfüllt ist. Ob das der Fall ist, bemisst sich, wie § 369 Abs. 2 AO ausdrücklich hervorhebt, nach den allgemeinen Gesetzen über das Strafrecht.
a) Der Senat hat bereits Bedenken, ob der Straftatbestand objektiv erfüllt ist. Sie resultieren aus der höchstrichterlich bisher nicht geklärten Rechtsfrage, ob eine Hinterzie...