Entscheidungsstichwort (Thema)
Inlandsbezug in § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht
Leitsatz (redaktionell)
- Die Auffassung, Reinvestitionsgüter i. S. des § 6b EStG müssten im Inland belegen sein, wird vom Wortlaut der gesetzlichen Regelung nicht gedeckt. Auch WG im Ausland können aufgrund wirtschaftlich-funktionaler Gesichtspunkte zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehören.
- § 6b Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 EStG erfordert keine Zugehörigkeit des Reinvestitionsguts zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte, sondern zu einer Betriebsstätte im Gemeinschaftsgebiet.
- Der Inlandsbezug in § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG beschränkt die freie Wahl der Niederlassung.
Normenkette
EStG § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Streitjahr(e)
2008
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin eine in ihrer deutschen Betriebsstätte nach § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) gebildete Rücklage (6b-Rücklage) auf ein in den Niederlanden gelegenes Grundstück übertragen kann.
Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz und Geschäftsleitung in den Niederlanden. Sie führt ein Unternehmen, dessen Gegenstand der Abbau von Torf auf verschiedenen, von der Klägerin jeweils zu diesem Zweck erworbenen Grundstücken ist. Zurzeit übt die Klägerin ihren Geschäftsbetrieb ausschließlich in deutschen Betriebsstätten in H., G. und T. aus; die den Betriebsstätten zuzuordnenden Grundstücke liegen in W., G. und S..
Im Jahr 2006 erzielte die Klägerin aus der Veräußerung eines in Deutschland gelegenen Grundstücks einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 3.643.373 EUR, den sie in der Bilanz zum 31. Dezember 2006 in eine Rücklage gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG einstellte.
Da die Klägerin nach eigenen Angaben mangels geeigneter Torfgrundstücke in Deutschland beabsichtigt, ihren Geschäftsbetrieb in der Zukunft wieder in die Niederlande zu verlegen, erwarb sie im Jahr 2008 ein in den Niederlanden in der Gemeinde S. gelegenes unbebautes Grundstück zum Kaufpreis von 176.365 EUR. Nach Angaben der Klägerin stehe das Grundstück in keinem betriebsfunktionalen Zusammenhang mit den Betriebsstätten in Deutschland. Das betreffende Grundstück sei zurzeit an einen niederländischen Landwirt verpachtet. Es sei der niederländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen.
Im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2008 erfasste die Klägerin das Grundstück in den Niederlanden als Zugang im Anlagevermögen bei den Betriebsgrundstücken mit den Anschaffungskosten in Höhe von 176.365 EUR. Allerdings löste sie in selbiger Höhe die nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG gebildete Rücklage auf und zog von den Anschaffungskosten des niederländischen Grundstücks einen entsprechenden Betrag nach § 6b Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 6b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG ab. Im Ergebnis ermittelte die Klägerin einen Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) für 2008 in Höhe von 30.432 EUR, den sie auch in der Körperschaft- und Gewerbesteuererklärung für 2008 gegenüber dem Beklagten erklärte.
Der Beklagte folgte zunächst den Angaben der Klägerin und setzte für 2008 die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag durch Bescheide, jeweils vom 10. September 2009 unter Berücksichtigung eines Gewinns in Höhe von 30.432 EUR fest. Diese Bescheide ergingen jeweils unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
Schließlich vertrat der Beklagte aber die Ansicht, dass ein Abzug des Rücklagenbetrags von den Anschaffungskosten des Grundstücks nach § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht in Betracht komme, da das Grundstück nicht zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehöre. Dementsprechend änderte der Beklagte die Festsetzungen der Körperschaftsteuer und des Gewerbesteuermessbetrags mit Bescheiden, jeweils vom 15. Oktober 2009 dahingehend, dass es statt einer Übertragung eine gewinnerhöhende Auflösung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 Satz 4 EStG in Höhe vom 176.365 EUR berücksichtigte und den Gewinn der Klägerin entsprechend erhöhte. Diesen Gewinn erhöhte der Beklagte außerdem gemäß § 6b Abs. 7 EStG um einen Zuschlag von 21.163 EUR (6 v.H. des aufgelösten Rücklagebetrages für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat). Die Bescheidänderungen stützte der Beklagte dabei auf § 164 Abs. 2 AO.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer ohne Vorverfahren am 18. November 2009 erhobenen und am 1. Dezember 2009 dem Beklagten zugestellten Sprungklage, der der Beklagte am 21. Dezember 2009 zugestimmt hat. Zur Begründung trägt sie vor:
Ziel der Begünstigungsvorschrift des § 6b EStG sei es, der gewerblichen Wirtschaft eine ökonomisch sinnvolle Anpassung an strukturelle Veränderungen zu ermöglichen, indem dem einzelnen Steuerpflichtigen gestattet sei, die bei der Veräußerung eines Wirtschaftsguts aufgedeckten stillen Reserven nicht sofort zu versteuern, sondern auf ei...