Entscheidungsstichwort (Thema)
Leiharbeit - Betrieb des Entleihers als erste Tätigkeitsstätte des Leiharbeitnehmers?
Leitsatz (redaktionell)
- Zum Begriff der ersten Tätigkeitsstätte.
- Die steuerrechtliche Zuordnung wird durch die dienst- und arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt.
- Von einer dauerhaften Zuordnung ist auszugehen, wenn der ArbN unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus, an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
- Die Zuweisung des Leiharbeitgebers an den ArbN, „bis auf weiteres” in einer betrieblichen Einrichtung des Entleihers tätig zu sein, kann nicht als unbefristet i. S. von § 9 Abs. 4 Satz 2 1. Alt. EStG 2014 beurteilt werden (gegen BMF-Schr. v. 24.10.2014, BStBl I 2014, 1412).
- Es kann offen bleiben, ob eine Umsetzung/Versetzung eines dauerhaft beschäftigten ArbN „bis auf weiteres” zu einem anderen Betriebsteil, Werk, Zweigstelle etc. seines ArbG/Dritten dazu führt, dass dieser dort unbefristet oder dauerhaft tätig ist. Bei Leiharbeitnehmern verbietet sich bereits aufgrund der Befristung des Leiharbeitsverhältnisses eine derartige Betrachtung.
- Ausnahmsweise ist eine Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen nur denkbar, wenn die Zuordnung für die gesamte Dauer zu einem bestimmten Betrieb des Entleihers bereits bei Beginn des Leiharbeitsverhältnisses erkennbar feststeht.
- Fehlt es an einer derartigen Dauerhaftigkeit der Zuordnung, kommt eine Einordnung als erste Tätigkeitsstätte auch bei Erfüllen der quantitativen Voraussetzungen von § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG 2014 nicht in Betracht.
Normenkette
AÜG § 1 Abs. 1 S. 2; EStG § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 3; StG § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 4
Streitjahr(e)
2014
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die betriebliche Einrichtung des Entleihers die erste Tätigkeitstätte des Leiharbeitnehmers darstellt.
Der Kläger ist im Streitjahr ledig und wird einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er ist seit dem 2. Mai 2012 bei der A. GmbH in W. als Helfer beschäftigt. Die A. GmbH ist ein Arbeitgeber, der über eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verfügt.
Unter § 3 des Arbeitsvertrags wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er an verschiedenen Orten bundesweit eingesetzt werden kann. Er musste arbeitsvertraglich sein Einverständnis erklären, dass er anderen Firmen zur Arbeitsleistung überlassen wird. Der Kläger wurde zudem darauf hingewiesen, dass der Verleiher sich vorbehält, aus betrieblichen Gründen Umsetzungen und Versetzungen vorzunehmen.
Das Leiharbeitsverhältnis war zunächst bis zum 30. November 2012 befristet.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die mit Schriftsatz vom 4. Mai 2016 eingereichte Kopie des Arbeitsvertrages Bezug genommen.
Jeweils mit Ablauf der Befristung erfolgte eine Verlängerung des Leiharbeitsverhältnisses (bis 31. Juli 2013 gemäß Vertragsänderung vom 2. November 2012; bis 31. Juli 2014 gemäß Vertragsänderung vom 26. Juni 2013; bis 1. Mai 2015 gemäß Vertragsänderung vom 19. Juni 2014).
Zunächst war der Kläger bis zum 30. Oktober 2012 bei der V. AG in H.-S. eingesetzt. Auf schriftliche Weisung des Leiharbeitgebers war er anschließend für die V. AG im Werk W. – in verschiedenen Arbeitsbereichen zum Abbau von Arbeitsspitzen – tätig, bis schließlich im Mai 2015 das Zeitarbeitsverhältnis in eine Festanstellung bei der V. AG mündete.
Am 27. September 2013 wurde der Kläger von seinem Arbeitgeber darüber unterrichtet, dass die V. AG und die A. GmbH den Geschäftsbereich Zeitarbeit auf das neu gegründete Unternehmen A. Zeitarbeit GmbH & Co. OHG übertragen werden und damit auch das Beschäftigungsverhältnis des Klägers zum 1. Januar 2014 – unter Fortgeltung der bislang gelten vertraglichen Vereinbarungen - auf die neue Gesellschaft übergeht.
Im Streitjahr 2014 wurde der Kläger ausschließlich als Helfer bei der V. AG in W. eingesetzt. Die V. AG ist damit im Streitjahr Entleiher im Rahmen der Leiharbeit.
Mit der Einkommensteuererklärung 2014 beantragte der Kläger die Berücksichtigung der Fahrtkosten zum Entleiher als Reisekosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit wie folgt:
209 Fahrten x 2 x 64 km x 0,30 EUR = 8.025,60 EUR.
Das beklagte Finanzamt berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 2014 vom 24. April 2015 die Fahrtkosten lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale mit insgesamt 4.012,80 EUR. Der Beklagte ging davon aus, dass keine Auswärtstätigkeit vorliegt. Der Kläger sei dem Entleihbetrieb dauerhaft zugeordnet gewesen.
Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 1. April 2016 Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger sein Begehren auf Abzug der erklärten Fahrtkosten weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen Folgendes vor: Der Kläger sei Leihar...