Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch für volljähriges, verheiratetes Kind ab 2012 unabhängig von den Einkünften und Bezügen des Ehepaars und unabhängig von einem Unterhaltsanspruch gegen den Ehegatten
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach Aufhebung des Jahresgrenzbetrages ab dem 1.1.2012 ist ein volljähriges, verheiratetes Kind unabhängig von seinen eigenen und den Einkünften und Bezügen des Ehegatten kindergeldrechtlich zu berücksichtigen.
2. Auf das Bestehen einer typischen Unterhaltssituation bzw. eines Unterhaltsanspruchs gegen den Ehegatten kommt es nicht mehr an.
Normenkette
EStG 2012 § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EStG 2007 § 32 Abs. 4 S. 2
Nachgehend
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 01.03.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.07.2012 verpflichtet, für den am 15.05.1988 geborenen Sohn der Klägerin C. Kindergeld ab Januar 2012 festzusetzen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob nach Aufhebung des Jahresgrenzbetrages ab dem 01.01.2012 ein volljähriges, verheiratetes Kind unabhängig von seinen eigenen und den Einkünften und Bezügen des Ehegatten kindergeldrechtlich zu berücksichtigen ist, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Einkommensteuergesetz 2012 – EStG – gegeben sind.
Der am 15.05.1988 geborene Sohn der Klägerin C. ist seit dem 23.07.2012 verheiratet. Er befindet sich seit dem 01.09.2011 in erstmaliger Berufsausbildung beim Aus- und Fortbildungsinstitut der Bereitschaftspolizei Sachsen, die voraussichtlich am 28.02.2014 endet. Mit Bescheid vom 01.03.2012 lehnte die Beklagte den Kindergeldantrag der Klägerin vom 17.01.2012 ab Januar 2012 ab, weil nicht die Eltern des Kindes, sondern dessen Ehegatte zum Unterhalt verpflichtet sei. Den dagegen gerichteten Einspruch vom 13.03.2012 wies er mit Einspruchsentscheidung vom 02.07.2012 als unbegründet zurück, weil die Einkünfte des Kindes über dem Jahresgrenzbetrag von 8.004,00 EUR lägen, so dass kein Mangelfall gegeben sei.
Am 03.08.2012 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie weist darauf hin, dass sich die Rechtslage zum 01.01.2012 geändert habe und eine Prüfung der Einkünfte und Bezüge nicht mehr in Betracht komme.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 01.03.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.07.2012 zu verpflichten, Kindergeld für C. ab Januar 2012 festzusetzen.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Der angefochtene Bescheid entspreche auch nach dem 31.12.2011 der aktuellen Weisungslage. Auf die Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (Stand 2012) – DAFamEStG – werde Bezug genommen. Da ab 2012 der Jahresgrenzbetrag weggefallen sei, stelle sich die Frage, ob es für die Beurteilung eines Kindergeldanspruchs der Eltern noch auf einen „Mangelfall” ankomme. Nach dem Wortlaut der BFH-Rechtsprechung sei ein Mangelfall anzunehmen, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen des Ehepartners niedriger seien als das steuerliche Existenzminimum. Als steuerfrei zu stellendes Existenzminimum sei der Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG anzusetzen, der auch nach neuer Rechtslage fortbestehe. Daher sei die Mangelfallprüfung auch nach neuer Rechtslage durchzuführen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
Der angefochtene Ablehnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 44 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – entsprechend) ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten; die Sache ist spruchreif (§ 101 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn C. nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 und § 32 Abs. 1 Nr. 1. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a und Satz 2 EStG.
Für verheiratete Kinder sieht das Gesetz keinerlei Einschränkungen vor. Nach Wegfall des Jahresgrenzbetrages zum 01.01.2012 findet keine Prüfung der Einkünfte und Bezüge des Kindes mehr statt, in deren Rahmen Unterhaltsleistungen des Ehegatten, die bei zusammenlebenden Eheleuten nur rechnerisch ermittelt werden konnten, zu berücksichtigen waren (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 22.12.2011 III R 8/08, BStBl. II 2012 340 m.w.N.).
Der Kindergeldanspruch setzt entgegen der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch keine „typische Unterhaltssituation” voraus. Nach diesem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal war ein Kindergeldanspruch nicht gegeben, wenn ein Kind verheiratet war und kein sog. „Mangelfall” vorlag (BFH-Urteile vom 19.4.2007 III R 65/06, BStBl. II 2008, 756) oder das Kind einer Vollzeitbesc...