Entscheidungsstichwort (Thema)
Büro- und Praxisräume im Wohnhaus als Betriebsstätte oder häusliches Arbeitszimmer. Begriff eines häuslichen Arbeitszimmers. Steuerliche Anerkennung eines Mietverhältnisses unter nahen Angehörigen. Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung wegen der im Wege einer Ortsbesichtigung gewonnenen neuen Erkenntnisse. Einkommensteuer 1996
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Frage, ob Büro- oder Praxisräume als Betriebstätte oder als häusliches Arbeitszimmer anzusehen sind, können folgende Abgrenzungsmerkmale von Bedeutung sein:
- räumliche Integration in die Wohnung
- Verhältnis der beruflich genutzten Fläche zur Wohnfläche
- Bewertungsrechtliche Einstufung des Gebäudes
- Ausstattung der beruflichen Räume
- Art der beruflichen Nutzung
- Beschäftigung fremder Arbeitnehmer in den Räumen
- Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit.
2. Hier: Beurteilung der im Keller eines Wohnhauses befindlichen Notfallpraxis und des im Erdgeschoss gelegenen Büros einer Ärztin, die den überwiegenden Teil ihrer Tätigkeit in der vom Wohnhaus getrennten Gemeinschaftspraxis ausübt, als häusliches Arbeitszimmer.
3. Ein „häusliches” Arbeitszimmer liegt vor, wenn die Arbeitsräume nach dem Gesamtbild der Verhältnisse räumlich eng in die private Lebenssphäre in der Weise eingebunden sind, dass sie einer finanzamtlichen Überprüfung ihrer tatsächlichen Nutzung nicht bzw. nur schwer zugänglich sind. Eine derartige Einbindung in die häusliche Privatsphäre besteht nicht nur, wenn der Arbeitsraum baulich in den eigentlichen Wohnbereich integriert ist, sondern auch, wenn er –unabhängig von den jeweiligen baulichen Gegebenheiten– wegen seiner räumlichen Nähe nach dem Gesamtbild des äußeren Eindrucks zum Wohnhaus/Wohnung gehört, wobei es entscheidend auf den Umfang des häuslichen Machtbereichs ankommt.
4. Einem zwischen Eheleuten und einem nahen Angehörigen abgeschlossenen Mietvertrag über sich im Wohnhaus der Eheleute befindende und in deren Wohnbereich eingegliederte, nicht genau bezeichnete einzelne Räume ist die steuerliche Anerkennung zu versagen.
5. Das FA kann einen Einkommensteuerbescheid auch noch nach der Aufhebung des wegen der Beurteilung des Vorliegens der Einkünfteerzielungsabsicht bei den Vermietungseinkünften verfügten Vorbehalts der Nachprüfung aufgrund der im Rahmen einer Ortsbesichtigung des fraglichen Gebäudes nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen ändern, wenn sich nach der Aktenlage, insbesondere auch der unter Mitwirkung eines Steuerberaters angefertigten Steuererklärung keine – weitere Ermittlungsmaßnahmen bedingenden – Zweifel aufdrängten.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b, Abs. 4, § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 12 Nr. 1, § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 6; AO 1977 § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, §§ 88, 164
Nachgehend
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid 1996 vom 13. Mai 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 1998 in der Fassung des geänderten Einkommensteuerbescheids 1996 vom 1. April 1999 wird geändert und die Einkommensteuer 1996 unter Berücksichtigung von weiteren Betriebsausgaben in Höhe von 2.969,75 DM bei den Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit der Klägerin neu festgesetzt.
Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderte Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen und der Klägerin das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mitzuteilen. Nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung hat der Beklagte den geänderten Einkommensteuerbescheid neu bekannt zu geben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob und inwieweit der Beklagte einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung geänderten Bescheid erlassen durfte, ob anteilige Aufwendungen für beruflich genutzte Räume im Wohnhaus der Klägerin unbeschränkt abzugsfähig sind, weil es sich als ärztliche Praxisräume um eine Betriebsstätte handelt oder ob die Abzugsbeschränkungen für häusliche Arbeitszimmer gelten und ferner ob ein Mietverhältnis unter nahen Angehörigen anzuerkennen ist.
Die Klägerin übt als Allgemeinmedizinerin eine selbstständige Tätigkeit in den Räumen einer Gemeinschaftspraxis in ihrem Wohnort Astadt aus, die räumlich von dem Wohnhaus getrennt liegt. Die Klägerin errichtete zusammen mit ihrem Ehemann im Jahr 1994 ein Wohnhaus in Astadt mit Herstellungskosten in Höhe von 542.991,32 DM. Unter dem 27. Dezember 1994 schlossen die Eheleute mit der Mutter des Ehemanns der Klägerin einen Vertrag über die Vermietung von Räumen im Anwesen der Eheleute in Astadt, Hauptweg (vgl. Blatt 64 der Verfahrensakte des Beklagten betreffend Einkommensteuer 1994 und 1995). Der Mietgegenstand wurde in § 1 des Mietvertrags nicht näher bestimmt, vielmehr war nach § 5 des Mietvertrages der Zustand der Räume der Mieterin bekannt. Das Mietverhältnis sollte am 1. Januar 1995 beginnen und auf unbestimmte Zeit laufen. Der Mietzins sollte monatlich 471 DM be...