Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Überblick
Der BFH hatte entschieden, dass ein (Bau-)Unternehmer, der Sicherheitseinbehalte erst nach Ablauf der Gewährleistungsfrist realisieren kann, im Moment der Steuerentstehung aus der Leistung gleichzeitig eine Berichtigung der Umsatzsteuer wegen Uneinbringlichkeit vornehmen kann. Die Finanzverwaltung wendet dieses Urteil jetzt in allen offenen Fällen an, wenn der Sicherheitseinbehalt nicht durch Bankbürgschaft abgelöst wird oder abgelöst werden kann.
Kommentar
Die rechtliche Problematik
Führt ein Unternehmer Leistungen aus, entsteht bei der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten die Umsatzsteuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistung ausgeführt worden ist. Unerheblich ist dabei grundsätzlich, wann der leistende Unternehmer das Entgelt vereinnahmen kann.
Insbesondere bei der Ausführung von Bauleistungen kommt es im Zusammenhang mit der üblichen Vereinbarung von Sicherheitseinbehalten dazu, dass der leistende Unternehmer Umsatzsteuerbeträge langfristig vorfinanzieren muss.
Die Problematik betrifft nur die Sicherheitseinbehalte bei Schlussrechnungen. Sicherheitseinbehalte bei Anzahlungsrechnungen führen umsatzsteuerrechtlich nicht zu Problemen, da die Umsatzsteuer in diesen Fällen – unabhängig davon, ob die Besteuerung nach vereinbarten oder vereinnahmten Entgelten erfolgt – erst mit Zahlungszufluss entsteht.
Der BFH hatte dem entgegen entschieden, dass ein Unternehmer nicht verpflichtet sein kann, Umsatzsteuerbeträge jahrelang vorzufinanzieren. Soweit ein der Sollversteuerung unterliegender Unternehmer seinen Entgeltanspruch aufgrund eines vertraglichen Sicherheitseinbehalts zur Absicherung von Gewährleistungsansprüchen über einen längeren Zeitraum nicht verwirklichen kann, ist er bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung zur Steuerberichtigung berechtigt.
Die Berichtigung der Umsatzsteuer erfolgt dann entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Wenn die Voraussetzungen vorliegen, bedeutet dies aber nicht nur, dass der leistende Unternehmer seine Steuerschuld verringern kann, der Leistungsempfänger ist dann auch nur insoweit zum Vorsteuerabzug berechtigt, wie der Steuerbetrag nicht auf den Sicherheitseinbehalt entfällt.
Die Anweisung des Bundesministeriums der Finanzen
Die Finanzverwaltung hat jetzt auf das Urteil des BFH reagiert und wendet es in allen offenen Fällen an. Allerdings setzt die Berichtigung des Steuerbetrags voraus, dass der leistende Unternehmer den vereinbarten Sicherheitseinbehalt
- nicht durch eine Bankbürgschaft abgelöst hat und
- auch nicht durch eine Bankbürgschaft ablösen konnte.
Der leistende Unternehmer muss nachweisen können, dass die Absicherung der Gewährleistungsansprüche nicht durch die Gestellung einer Bankbürgschaft möglich war. Alleine die Tatsache, dass der Sicherheitseinbehalt nicht durch Bankbürgschaft abgelöst wird, ist für die Uneinbringlichkeit nicht ausreichend.
Die Finanzverwaltung zieht aber – entsprechend dem Urteil des BFH – noch eine zeitliche Grenze: Die Berichtigung des Umsatzsteuerbetrags setzt voraus, dass der leistende Unternehmer das Entgelt i. H. des Sicherheitseinbehalts für einen Zeitraum von mehr als 2–5 Jahren nicht vereinnahmen kann.
Konsequenzen für die Praxis
Das Urteil des BFH hat zwar eine für die Praxis grundsätzlich positive Berichtigung der geschuldeten Umsatzsteuer ermöglicht, da dies aber voraussetzt, dass der leistende Unternehmer den Sicherheitseinbehalt weder durch eine Bankbürgschaft abgelöst hat, noch ablösen kann, werden sich die praktischen Auswirkungen in Grenzen halten. In der Praxis ist es üblich, eine Ablösung durch Bankbürgschaft vorzunehmen.
Kann der leistende Unternehmer den Sicherheitseinbehalt nicht durch Bankbürgschaft ablösen (z. B. weil sein Kreditinstitut nicht bereit ist, eine Bürgschaft zu stellen), kann nicht nur er seine geschuldete Umsatzsteuer berichtigen, auch der Leistungsempfänger muss seinen Vorsteuerabzug entsprechend verringern. Dabei wird es für den Leistungsempfänger schwer sein, festzustellen, ob der leistende Unternehmer freiwillig auf die Stellung einer Bankbürgschaft verzichtet (in diesem Fall ist keine Berichtigung von Umsatzsteuer und Vorsteuer geboten) oder ob er keine Bankbürgschaft erhalten kann (in diesem Fall wäre die Berichtigung von Umsatzsteuer und Vorsteuer geboten).
Der leistende Unternehmer ist nicht verpflichtet, dem Leistungsempfänger mitzuteilen, ob er eine Berichtigung seines Umsatzsteuerbetrags vorgenommen hat oder nicht. Das Finanzamt des leistenden Unternehmers kann aber dem Finanzamt des Leistungsempfängers eine Mitteilung über die Behandlung des Sicherheitseinbehalts beim leistenden Unternehmer zukommen lassen.
Wurde eine Berichtigung von Umsatzsteuer und Vorsteuer vorgenommen, muss nach Ablauf der Gewährleistungsfrist bei Auszahlung des Sicherheitseinbehalts darauf geachtet werden, dass dann eine erneute Korrektur der Steuerbeträge vorgenommen werden muss.
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