Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungsinteresse bei Verletzung des Mitbestimmungsrechts
Leitsatz (amtlich)
Die Absicht des Betriebsrats, ein auf die Unterlassung bestimmter Handlungen durch den Arbeitgeber gerichtetes Verfahren nach § 23 Abs. 3 BetrVG vorzubereiten, begründet nicht das nach § 256 ZPO erforderliche Interesse an der Feststellung, daß der Arbeitgeber mit solchen Handlungen in der Vergangenheit das Mitbestimmungsrecht verletzt habe.
Normenkette
ZPO §§ 256, 485 ff.; BetrVG §§ 99, 23 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 13. Oktober 1999 – 13 TaBV 106/98 – zu Nr. 2 aufgehoben, soweit in ihm den Anträgen des Betriebsrats stattgegeben worden ist.
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Emden vom 26. August 1998 – 1 BV 20/97- zu Nr. 2 abgeändert, soweit er auf die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Jörg R, M. S, Mohamed A, H, Andree F, Michaela R bezogen ist.
Insoweit wird der Feststellungsantrag des Betriebsrats abgewiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A. Die Beteiligten streiten in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch darüber, ob die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Einstellungen verletzt hat.
Die Arbeitgeberin befaßt sich mit Serviceleistungen für die Automobilindustrie. Beim Antragsteller handelt es sich um den für den Betrieb der Arbeitgeberin in Emden gebildeten Betriebsrat. Dort ist eine Stammbelegschaft von 70 gewerblichen und 12 kaufmännischen Mitarbeitern beschäftigt.
Am 17. Oktober 1997 erhielt die Arbeitgeberin einen Auftrag zum Aufkleben von Folien und Waschen von Fahrzeugen. Auftragsbeginn war der 22. Oktober 1997. Den zusätzlichen Arbeitskräftebedarf deckte sie durch Einstellung von 42 Arbeitnehmern befristet bis zum 31. Dezember 1997. Der Betriebsrat wurde mit Anhörungsformularen über die Einstellungen unterrichtet. In vier Fällen (Arbeitnehmer R, S, A, R) rügte er verspätete Anhörung. Im übrigen ist der Ablauf des Anhörungsverfahrens zwischen den Beteiligten streitig. Die Arbeitgeberin behauptet insoweit, sie habe den Betriebsrat am 17. Oktober 1997 über die Notwendigkeit der Einstellung informiert und um Zustimmung gebeten. Am 20. Oktober 1997 habe der Betriebsratsvorsitzende dem Betriebsleiter die Zustimmung zur Einstellung ohne weitere vorherige Anhörung des Betriebsrats erteilt und lediglich verlangt, im nachhinein über die Sozialdaten der Eingestellten informiert zu werden.
Die Arbeitgeberin beschäftigte die Leiharbeitnehmer F und H vom 3. November bis zum 12. November 1997 bzw. vom 4. November bis zum 12. Dezember 1997 ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats. Sie trägt vor, die Leiharbeitnehmer seien während der Abwesenheit der Betriebsleitung durch den Abteilungsleiter – den damaligen stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden – eigenmächtig angefordert und beschäftigt worden. Sie habe den Abteilungsleiter deshalb abgemahnt.
Mit der Antragsschrift vom 27. November 1997 hat der Betriebsrat zunächst begehrt, der Arbeitgeberin zu untersagen, die Einstellung der Mitarbeiter/innen R, S, A, R, F sowie H aufrechtzuerhalten. Nach dem Ausscheiden dieser Arbeitnehmer hat er im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht am 25. März 1998 den Antrag dahingehend umgestellt, es möge festgestellt werden, bei der Einstellung der Mitarbeiter/innen habe ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestanden. Im zweiten Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht am 26. August 1998 hat er den Antrag wiederum modifiziert. Er hat – soweit für die Rechtsbeschwerde von Interesse – beantragt festzustellen, daß bei Einstellung von Arbeitnehmern ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht.
Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, für den in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch streitigen Antrag fehle das Feststellungsinteresse.
Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag dahingehend stattgegeben, daß bei der Einstellung der aufgeführten Mitarbeiter/innen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestanden habe. Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme die Beschwerde der Arbeitgeberin, bezogen auf den Feststellungsantrag betreffend die sechs namentlich aufgeführten Arbeitnehmer/innen, zurückgewiesen.
Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendet sich die Arbeitgeberin zuletzt noch insoweit gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts. Der Betriebsrat bittet um die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hat Erfolg.
Zu Unrecht haben die Vorinstanzen dem Antrag des Betriebsrats insoweit stattgegeben, als festgestellt worden ist, daß bei der Einstellung der Mitarbeiter/innen Jörg R, M S, Mohamed A, H, Andree F und Michaela R ein Mitbestimmungsrecht bestand. Auch insoweit ist der Antrag des Betriebsrats ohne Erfolg und auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin unter Aufhebung des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts und Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts abzuweisen.
I. Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist nur noch der stattgebende Teil aus Nr. 2 des landesarbeitsgerichtlichen Beschlusses. Dem lag der genannte Antrag des Betriebsrats zugrunde. Diesen hat das Landesarbeitsgericht dahin ausgelegt, daß damit auch die Feststellung der Verletzung des reklamierten – aber unstreitigen – Mitbestimmungsrechts hinsichtlich dieser sechs Mitarbeiter begehrt wird.
II. Der Antrag des Betriebsrats ist unzulässig; das erforderliche Feststellungsinteresse ist nicht gegeben.
Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses möglich. Unter einem Rechtsverhältnis ist die aus einem konkreten Lebenssachverhalt entstandene rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu anderen Personen oder Gegenständen zu verstehen(st. Rspr. vgl. nur BAG 22. März 1990 – 6 AZR 270/87 – nv. und 10. Mai 1989 – 4 AZR 80/89 – BAGE 62, 44, 47; BGH 16. Oktober 1985 – IV a ZR 49/84 – NJW-RR 1986, 104). Eine solche Klage ist nur zulässig, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse hat, das Rechtsverhältnis durch gerichtliche Entscheidung alsbald feststellen zu lassen. Wird die Klage auf Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses gerichtet, ist sie nur zulässig, wenn sich aus der Feststellung noch Rechtsfolgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben(BAG 15. Dezember 1999 – 5 AZR 457/98 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 59 = EzA ZPO § 256 Nr. 2; 28. April 1998 – 1 ABR 63/97 – AP BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 22 = EzA BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 5; 24. September 1997 – 4 AZR 429/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Reichsbund Nr. 1 = EzA ZPO § 256 Nr. 48). § 256 ZPO ist auch im Beschlußverfahren anwendbar(BAG 15. Dezember 1998 – 1 ABR 9/98 – BAGE 90, 288, 293; 30. März 1994 – 7 ABR 45/93 – BAGE 76, 214, 228).
1. Hinsichtlich der beiden Leiharbeitnehmer F und H ergibt sich die Unzulässigkeit des Antrags bereits daraus, daß für diese weder das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts noch dessen Verletzung zwischen den Beteiligten streitig ist. Ein rechtliches Interesse an einer gerichtlichen Feststellung (§ 256 ZPO) besteht daher nicht.
Bezogen auf die vier befristet eingestellten Arbeitnehmer fehlt das Feststellungsinteresse ebenfalls. Die Beteiligten sind sich darin einig, daß ein Mitbestimmungsrecht bei den fraglichen Einstellungen bestand. Die Arbeitgeberin behauptet, sie habe es beachtet; unter Zugrundelegung der Behauptungen des Betriebsrats ist es dagegen verletzt worden. Damit begehrt der Betriebsrat die Feststellung von Tatsachen. Dies ist jedoch nach § 256 ZPO unzulässig(vgl. für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen Senat 27. Juni 1989 – 1 AZR 404/88 – BAGE 62, 171 und 12. September 1984 – 1 AZR 342/83 – BAGE 46, 322).
2. Das Landesarbeitsgericht hat für beide Konstellationen dennoch ein Feststellungsinteresse bejaht. Dieses folge zwar nicht aus klärungsbedürftigen Rechtsfragen mit Zukunftswirkung, wohl aber aus dem besonderen Interesse des Betriebsrats, Verstöße gegen das Mitbestimmungsrecht zu dokumentieren, um über diese Feststellung eine künftige Beachtung seiner Rechte zu sichern und ggf. ein Verfahren nach § 23 Abs. 3 BetrVG vorzubereiten. Dem kann nicht gefolgt werden. Das Landesarbeitsgericht verkennt den möglichen Inhalt eines Feststellungsbegehrens. Nach § 256 ZPO kann es sich nur auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses beziehen, nicht dagegen auf eine „Dokumentation” im Sinne einer Tatsachenfeststellung(Senat 27. Juni 1989 – 1 AZR 404/88 – BAGE 62, 171 und 17. Oktober 1989 – 1 ABR 100/88 – BAGE 63, 169; BGH 2. Oktober 1991 – VIII ZR 21/91 – NJW-RR 1992, 252). Eine Beweissicherung kennt die ZPO nur unter den Voraussetzungen und im Verfahren der §§ 485 ff. ZPO. Sollte der Betriebsrat den Verlust eines Beweismittels fürchten, wäre die Einleitung eines solchen selbständigen Beweisverfahrens die richtige Vorgehensweise.
Dies gilt auch für die Vorbereitung eines Verfahrens nach § 23 Abs. 3 BetrVG. Insoweit würde mit der begehrten Feststellung lediglich über Elemente des dann geltend zu machenden Unterlassungsanspruchs entschieden. Es ist nicht Aufgabe der Feststellungsklage, Einzelfragen eines künftigen Leistungsprozesses vorzuklären(BAG 3. Dezember 1987 – 6 AZR 485/85 – nv. und 19. Juni 1985 – 5 AZR 57/84 – AP BAT § 4 Nr. 11 = EzA BGB 315 Nr. 32; BGH 3. Mai 1977 – VI ZR 36/74 – BGHZ 68, 331 und 2. Oktober 1991 – VIII ZR 21/91 – NJW-RR 1992, 252).
Unterschriften
Wißmann, Rost, Hauck, Giese, Schneider
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 05.10.2000 durch Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 614673 |
BB 2001, 1908 |
DB 2001, 2056 |
ARST 2001, 215 |
FA 2001, 214 |
JR 2002, 220 |
AP, 0 |