Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtbetriebsvereinbarung über Mehrarbeitsvergütung. Tarifvorrang. Wiedereinsetzung – Fristenkontrolle, Anwaltsverschulden. Prozeßrecht
Orientierungssatz
- Ein Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nicht unterzeichnen und zurückgeben, ohne daß in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, daß sie im Fristenkalender notiert wurde.
- Wird die Notierung einer Rechtsmittelfrist nur durch mündliche Anweisung des Rechtsanwalts veranlaßt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, daß die Anweisung in Vergessenheit gerät und die konkrete Fristeintragung unterbleibt.
- Werden dem Rechtsanwalt die Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt, muß er spätestens bei Beginn der Sachbearbeitung eigenverantwortlich die laufenden Fristen überprüfen.
- Zur Schlüssigkeit eines Gesuchs um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gehört es, daß der Antragsteller einen Verfahrensablauf vorträgt, der ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten zweifelsfrei ausschließt.
Normenkette
ZPO §§ 233-234
Verfahrensgang
Tenor
- Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Revision wird zurückgewiesen.
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27. September 2001 – 8 Sa 453/01 – wird als unzulässig verworfen.
- Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 463,75 Euro festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über die Höhe einer tariflichen Sonderzahlung für das Jahr 1999. Gestützt auf die Regelungen in einer Gesamtbetriebsvereinbarung aus dem Jahre 1996 hat der Kläger die Auffassung vertreten, bei der Bestimmung des für die Berechnung maßgeblichen Monatseinkommens sei auch eine Mehrarbeitsvergütung zu berücksichtigen. Demgegenüber hat die Beklagte die Gesamtbetriebsvereinbarung wegen des Vorrangs des einschlägigen Tarifvertrags gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG für unwirksam gehalten. Zudem habe sie die Gesamtbetriebsvereinbarung wirksam gekündigt; diese wirke auch nicht nach.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts wurde den Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 28. Dezember 2001 zugestellt. Gegen das Urteil hat der Kläger mit einem am 1. Februar 2002 – einem Freitag – beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Revision eingelegt und diese innerhalb des folgenden Monats begründet. Am 4. Juni 2002 erhielt der Kläger die gerichtliche Mitteilung, daß die Revision nach Ablauf der Monatsfrist eingelegt wurde. Mit Telefaxschreiben vom 17. Juni 2002 hat er beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat er unter Vorlage eidesstattlicher Versicherungen vorgebracht, die Fristversäumnis beruhe auf dem Verschulden einer bei seinem Prozeßbevollmächtigten beschäftigten, regelmäßig kontrollierten und bislang zuverlässig und beanstandungsfrei tätigen Rechtsanwalts- und Notarsgehilfin.
Entscheidungsgründe
II. Der gemäß §§ 234, 236 ZPO zulässige Antrag ist nicht begründet. Nach § 233 ZPO ist einer Partei ua. hinsichtlich der Einhaltung einer Notfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zu wahren. Wegen § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt W…, hat es an der zur Fristwahrung erforderlichen Sorgfalt fehlen lassen.
Unterschriften
Wissmann, Linsenmaier, Kreft
Fundstellen
Haufe-Index 893423 |
NJW 2003, 1269 |
JR 2005, 44 |
NZA 2003, 397 |
EzA |
KammerForum 2003, 278 |