Entscheidungsstichwort (Thema)
Einigungsstellenspruch über Jahressondervergütung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Spruch der Einigungsstelle über die Regelung einer zusätzlichen Jahressondervergütung muß die Frage, in welchem Verhältnis die Vergütungen der einzelnen Arbeitnehmer zueinander stehen sollen, jedenfalls insoweit selbst regeln, daß die Festsetzung unterschiedlich hoher Jahressondervergütungen sich an bestimmten Kriterien zu orientieren hat (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 17. Oktober 1989 1 ABR 31/87 (B), BAGE 63, 140 = AP Nr 39 zu § 76 BetrVG 1972).
2. Zu den Verfahrensgrundsätzen, die die Einigungsstelle zu beachten hat, gehört die Gewährung des rechtlichen Gehörs. Dieses bezieht sich aber nur auf die Mitglieder der Einigungsstelle. Die Zurückverweisung eines Antrags auf Vertagung zu dem Zweck, Rücksprache mit einer Betriebspartei (hier dem Gesamtbetriebsrat) zu nehmen, verletzt nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör der Mitglieder der Einigungsstelle.
3. Will der Arbeitgeber eine freiwillige Leistung nur unternehmenseinheitlich gewähren, so begründet schon diese mitbestimmungsfreie Zweckbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten hinsichtlich des Verteilungsplanes.
Verfahrensgang
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Spruchs der Einigungsstelle vom 20. November 1989, durch den die zusätzliche Jahressondervergütung für das Jahr 1989 geregelt worden ist.
Der Arbeitgeber befaßt sich mit der Entwicklung und Anwendung von Datensystemen sowie der Software-Schulung. Der Sitz des Unternehmens ist Bremen, die Hauptverwaltung befindet sich in Essen. Für die Betriebe in Bremen und in Essen sind Betriebsräte gewählt worden, die einen Gesamtbetriebsrat errichtet haben.
Mit Beschluß des Arbeitsgerichts Essen vom 16. März 1989 (3 BV 9/89) wurde auf Antrag des Betriebsrats in Essen eine Einigungsstelle für die Regelung der Jahressonderzahlung 1988 für AT-Angestellte eingesetzt. Die drei Beisitzer der Arbeitnehmerseite waren Mitglieder des Gesamtbetriebsrats. In der Sitzung am 29. September 1989 verkündete die Einigungsstelle einen Spruch, der u.a. für zukünftige zusätzliche Jahressonderzahlungen unter Ziff. 2 folgende Verfahrensregelung vorsah:
"Beabsichtigt der Arbeitgeber, zukünftig den AT-Angestellten eine zusätzliche Vergütung zu zahlen, so ist zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Vereinbarung über die Maßstäbe, nach denen die Zahlung erfolgt, zu treffen. Diese sind ergebnisorientiert unter Berücksichtigung besonderer externer Einflüsse, leistungsorientiert und verantwortungsbezogen. Für den Fall, daß zwischen den Beteiligten eine einverständliche Lösung nicht gefunden wird, entscheidet die Einigungsstelle in gleicher Besetzung ohne besonderes gerichtliches Bestellungsverfahren. Eine Auszahlung der zusätzlichen Zahlung erfolgt erst nach Abschluß der Vereinbarung bzw. nach Beendigung des Einigungsstellenverfahrens."
Für den Gesamtbetriebsrat erklärte der Beisitzer R. einen Rechtsmittelverzicht.
Gesamtbetriebsrat und Arbeitgeber verhandelten zwar über eine Regelung der Jahressondervergütung für 1989, fanden aber wiederum nicht zu einer Einigung. Aus diesem Grunde beschloß der Gesamtbetriebsrat, die Einigungsstelle anzurufen. Diese trat am 20. November 1989 aufgrund der Verfahrensregelung vom 29. September 1989 in derselben personellen Besetzung zusammen. Im Protokoll der Sitzung der Einigungsstelle vom 20. November 1989 wurde zu Beginn ausdrücklich festgestellt:
"Im Einvernehmen mit den Beteiligten der Einigungsstelle wurde vom Vorsitzenden festgehalten, daß sich die Einigungsstelle ordnungsgemäß konstituierte."
In der Sitzung der Einigungsstelle vom 20. November 1989 erzielte weder ein von der Arbeitgeberseite noch ein von der Arbeitnehmerseite vorgelegter Vorschlag die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder der Einigungsstelle. Daraufhin legte der Vorsitzende der Einigungsstelle seinerseits einen Entwurf einer Betriebsvereinbarung vor, der sich strukturell an den Vorschlag des Arbeitgebers anlehnte, aber eine Reihe von Modifikationen aufwies. Zwei Anträge der Arbeitnehmerseite, das Verfahren zu vertagen, um den vorgelegten Entwurf des Vorsitzenden der Einigungsstelle mit dem Gesamtbetriebsrat zu beraten, wurden von der Mehrheit der Mitglieder der Einigungsstelle abgelehnt. Die Beisitzer der Arbeitnehmerseite machten eingehend rechtliche Bedenken gegen den Vorschlag des Vorsitzenden der Einigungsstelle geltend, insbesondere wegen der Ermessensspielräume, die dem Arbeitgeber verbleiben sollten. Zu Beginn der Sitzung hatten die Mitglieder der Arbeitnehmerseite bereits gegenüber dem Vorschlag des Arbeitgebers auf ähnliche Bedenken hingewiesen.
Der von dem Vorsitzenden der Einigungsstelle vorgelegte Entwurf einer Betriebsvereinbarung über zusätzliche Jahressondervergütungen für 1989 wurde von der Mehrheit der Mitglieder der Einigungsstelle gegen die Stimmen der Beisitzer des Gesamtbetriebsrats angenommen. Der Spruch enthält, soweit hier von Interesse, folgende Regelung:
"...
6. An die Tarifangestellten wird eine Sonderzahlung in Höhe von 65 % (zzgl. zu dem tariflichen Anspruch von 72 % Urlaubsgeld) gezahlt.
...
7. Die Zahlungen gem. Ziffern 4 und 5 erfolgen nach folgender Formel:
a) Gruppe Hauptabteilungsleiter = 210 bis 225 % bei negativem Ergebnis *)
= 240 bis 225 % bei positivem Ergebnis *)
b) Gruppe Handlungsbevollmächtigter = 175 bis 187,5 % bei negativem Ergebnis *)
= 200 bis 212,5 % bei positivem Ergebnis *)
c) Gruppe Abteilungsleiter = 140 bis 150 % bei negativem Ergebnis *)
= 160 bis 170 % bei positivem Ergebnis *)
d) Gruppe Sonstige AT = 140 %
Querschnittsbereiche (Controlling, Personalwirtschaft, Recht) = HAL 240 %
= HBV 200 %
= AL 160 %
Bei den Gruppen a) bis c) ist der Arbeitgeber berechtigt, im Rahmen der ausgewiesenen Spannweiten den Faktor für den einzelnen anspruchsberechtigten Angestellten individuell festzusetzen. Die Festsetzung erfolgt nach Maßgabe ergebnisorientierter Umsätze unter Berücksichtigung besonderer externer Leistungseinflüsse und leistungsbezogener Gesichtspunkte.
*) Es handelt sich um das voraussichtliche, bereichsbezogene Jahresergebnis."
Der Spruch der Einigungsstelle wurde vom Vorsitzenden mit Schreiben vom 15. Dezember 1989 dem Gesamtbetriebsrat am 18. Dezember 1989 zugestellt.
Der Gesamtbetriebsrat hat den Spruch am 2. Januar 1990 angefochten. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Spruch sei unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten unwirksam. Das Arbeitsgericht Essen habe mit Beschluß vom 16. März 1989 eine Einigungsstelle eingesetzt, die vom Betriebsrat des Betriebes in Essen beantragt worden sei. Der Spruch vom 29. September 1989 habe jedoch auch die Arbeitnehmer des Betriebes in Bremen betroffen. Außerdem sei der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, da der Antrag der Beisitzer der Arbeitnehmerseite auf Vertagung zurückgewiesen worden sei. Schließlich habe die Einigungsstelle das ihr nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG eingeräumte Ermessen überschritten. Der Spruch vom 20. November 1989 halte sich nicht an die im Spruch der Einigungsstelle vom 29. September 1989 aufgestellten allgemeinen Grundsätze, sondern knüpfe vorrangig an hierarchische Strukturen des Betriebes an. Zum anderen seien dem Arbeitgeber durch die Spannweiten Freiräume eingeräumt, innerhalb derer er willkürlich bestimmte Prozentsätze für die Sondervergütungsberechnung festlegen könne. Dies komme einem mitbestimmungsfreien Zustand nahe, der dem Sinn und Zweck des von der Einigungsstelle zu beachtenden § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG widerspreche.
Der Gesamtbetriebsrat hat beantragt festzustellen, daß der Spruch der Einigungsstelle betreffend die zusätzliche Jahressondervergütung für 1989 vom 20. November 1989 unwirksam ist.
Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Spruch vom 20. November 1989 sei nicht unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten unwirksam. Insbesondere sei der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht verletzt worden. Die Beisitzer der Arbeitnehmerseite hätten während der 7,5 Stunden dauernden Sitzung genügend Gelegenheit zur Erörterung aller rechtlichen und tatsächlichen Fragen gehabt. Auch eine Überschreitung des Ermessens der Einigungsstelle liege nicht vor. Es sei vorliegend abwegig, von einer Nichtausübung des Ermessens durch die Einigungsstelle zu sprechen, da dem Arbeitgeber nur in sehr engen Grenzen unter Vorgabe bestimmter Kriterien eine Entscheidungsbandbreite zugebilligt worden sei. Im wesentlichen habe die Einigungsstelle selbst die Voraussetzungen für die Zahlung der Jahressondervergütung geregelt.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Auf die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats hat das Landesarbeitsgericht den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, daß der Spruch der Einigungsstelle betreffend die zusätzliche Jahressondervergütung für 1989 vom 20. November 1989 in Ziff. 7 Buchst. a) bis c) unwirksam ist und im übrigen die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber seinen Antrag auf Abweisung des Antrags weiter, während der Gesamtbetriebsrat bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Auf die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers war der Beschluß des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts zurückzuweisen.
I. Die Rechtsbeschwerde ist nicht schon deshalb begründet, weil der Antrag des Gesamtbetriebsrats festzustellen, daß der Spruch der Einigungsstelle betreffend die zusätzliche Jahressondervergütung für 1989 vom 20. November 1989 unwirksam ist, unzulässig wäre.
1. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Wirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle vom 20. November 1989 und damit die Regelung über die zusätzliche Jahressondervergütung des Jahres 1989 für alle Arbeitnehmer. Diese Frage betrifft ein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis. Von der Beantwortung der Frage hängt ab, ob Mitbestimmungsrechte des Gesamtbetriebsrats oder der Einzelbetriebsräte hinsichtlich der Verteilung des Gesamtvolumens für die Jahressondervergütung für 1989 noch bestehen oder bereits wahrgenommen worden sind.
2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Rechtsschutzinteresse des Betriebsrats auch nicht deshalb entfallen, weil der Arbeitgeber den Spruch der Einigungsstelle durchgeführt und die Jahressondervergütung für 1989 ausgezahlt hat. Ist der Spruch der Einigungsstelle unwirksam - sei es, daß der Gesamtbetriebsrat nicht zuständig gewesen wäre, sei es, daß die Einigungsstelle ihr Ermessen nicht ausgeübt und die Regelung einseitig auf den Arbeitgeber übertragen hätte -, könnte und müßte auch heute noch eine mitbestimmte Regelung für die zusätzliche Jahressondervergütung vereinbart werden (vgl. Senatsbeschluß vom 18. Oktober 1988, BAGE 60, 48, 56 = AP Nr. 10 zu § 81 ArbGG 1979, zu B III 2 der Gründe). In einem solchen Falle müßte möglicherweise ein Teil der Jahressonderzahlungen zurückgewährt werden, während andere Arbeitnehmer eine Nachzahlung erhielten. Allein wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten entfällt aber nicht das Rechtsschutzinteresse des Gesamtbetriebsrats.
II. Der Antrag des Gesamtbetriebsrats ist nicht begründet. 1. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, der Gesamtbetriebsrat sei nach § 50 Abs. 1 BetrVG für die Regelung im Spruch vom 20. November 1989 zuständig gewesen.
Nach § 50 Abs. 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Danach ist der Gesamtbetriebsrat überhaupt nur zuständig, wenn eine Angelegenheit das Gesamtunternehmen oder zumindest mehrere Betriebe betrifft. Dies ist vorliegend der Fall, weil der Arbeitgeber die zusätzliche Jahressondervergütung allen Arbeitnehmern des gesamten Unternehmens zukommen lassen wollte. Auch in diesen Fällen ist der Gesamtbetriebsrat aber nur zuständig, wenn eine Beteiligungsangelegenheit nicht durch die Einzelbetriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden kann. Damit sind nicht nur Angelegenheiten gemeint, deren Regelung den Einzelbetriebsräten objektiv unmöglich ist. Vielmehr erfaßt § 50 Abs. 1 BetrVG auch die subjektive Unmöglichkeit (Senatsbeschluß vom 6. Dezember 1988, BAGE 60, 244 = AP Nr. 37 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Kreutz, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 50 Rz 28). Vorliegend konnte das Mitbestimmungsrecht von den Einzelbetriebsräten nicht wahrgenommen werden, weil es sich bei der zusätzlichen Jahressonderzahlung um eine freiwillige über- bzw. außertarifliche Leistung handelt, bei der der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei darüber entscheidet, welches Gesamtvolumen er an welchen Adressatenkreis verteilen will. Nur die Verteilung unterliegt dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Erklärt der Arbeitgeber - wie vorliegend -, er wolle eine zusätzliche Jahressondervergütung nur zahlen, wenn eine einheitliche Regelung für das Gesamtunternehmen zustande komme, kann nur der Gesamtbetriebsrat das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wahrnehmen. Soweit der Arbeitgeber die Zahlung einer übertariflichen Leistung von einer betriebsübergreifenden Lohnregelung abhängig macht, entsteht ein Abstimmungsbedarf zwischen den Interessen der Einzelbelegschaften, der eine sachgerechte Ausübung des Mitbestimmungsrechts auf einzelbetrieblicher Ebene ausschließt (vgl. Reuter, Anm. zu BAG AP Nr. 37 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).
2. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht angenommen, die Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle ergebe sich nicht aus Verfahrensfehlern.
a) Dem Landesarbeitsgericht ist darin zu folgen, daß die am 20. November 1989 zusammengetretene Einigungsstelle ordnungsgemäß für die den Gesamtbetriebsrat betreffende Angelegenheit gebildet worden ist.
Zwischen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat wurde über eine Regelung für eine zusätzliche Jahressonderzahlung für 1989 verhandelt, aber keine Einigung erzielt. Aus diesem Grunde beschloß der Gesamtbetriebsrat, die Einigungsstelle anzurufen. Daß die Einigungsstelle, die am 20. November 1989 tagte, in derselben Besetzung zusammentrat wie die Einigungsstelle, die auf Antrag des Einzelbetriebsrats Essen am 29. September 1989 getagt hatte, ist nach § 76 Abs. 2 BetrVG unschädlich. Die Einigungsstelle bestand aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern, die vom Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat bestellt wurden. Auf die Person des Vorsitzenden hatten sich die Betriebsparteien auch geeinigt. Mehr verlangt § 76 Abs. 2 BetrVG nicht.
b) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht weiterhin angenommen, ein Verstoß gegen den in Art. 103 GG festgelegten rechtsstaatlichen Grundsatz des rechtlichen Gehörs liege nicht vor. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet es, allen Beteiligten der Einigungsstelle ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und damit auch Lösungsvorschläge zu unterbreiten (Fitting/ Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 76 Rz 25). Bei der Beantwortung der Frage, ob der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt ist, ist zu berücksichtigen, daß § 76 Abs. 3 und 4 BetrVG nur wenige Grundsätze des Verfahrens regeln, im übrigen Inhalt und Ablauf des Einigungsstellenverfahrens vom Vorsitzenden der Einigungsstelle im Interesse einer effektiven Schlichtung nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt wird (Senatsbeschluß vom 18. April 1989, BAGE 61, 305 = AP Nr. 34 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). So liegt es auch im pflichtgemäßen Ermessen des Einigungsstellenvorsitzenden, zu welchem Zeitpunkt er einen eigenen Einigungsvorschlag vorlegt, sofern die Beteiligten die Möglichkeit zur Stellungnahme und Erwiderung haben. Für die Arbeitnehmerseite bestand durch ihre Beisitzer vorliegend ausreichend Gelegenheit, auf rechtliche Bedenken hinzuweisen. Davon haben die Beisitzer der Arbeitnehmerseite auch Gebrauch gemacht. Der Vorsitzende der Einigungsstelle hat den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, daß er zusammen mit den Beisitzern der Arbeitgeberseite zwei Vertagungsanträge der Arbeitnehmerseite zurückgewiesen hat, die damit begründet wurden, man wolle den Vorschlag des Vorsitzenden der Einigungsstelle mit dem Gesamtbetriebsrat beraten. Das rechtliche Gehör ist nur den Mitgliedern der Einigungsstelle zu gewähren, nicht jedoch den Betriebspartnern selbst. Diese werden gerade durch ihre Beisitzer in der Einigungsstelle vertreten. Deshalb hat der Vorsitzende der Einigungsstelle den Antrag auf Vertagung zurückweisen dürfen, der nur dazu dienen sollte, eine Beratung der Beisitzer der Arbeitnehmerseite mit dem Gesamtbetriebsrat zu ermöglichen.
3. Rechtsfehlerhaft ist aber die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Einigungsstelle habe mit dem Spruch vom 20. November 1989 die Grenzen ihres Ermessens überschritten, indem sie bei der Regelung von Ziff. 7 a) bis c) des Spruchs von ihrem Ermessen nur teilweise Gebrauch gemacht habe.
a) Zu Recht geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß dem Gesamtbetriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG für die Regelung der zusätzlichen Jahressondervergütung für 1989 zugestanden hat. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Vorliegend hat der Arbeitgeber für die Zahlung einer zusätzlichen Jahressondervergütung für 1989 ein Gesamtvolumen zur Verfügung gestellt, das auf die Arbeitnehmer des Unternehmens zu verteilen ist. Zweck des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Ausgestaltung eines Entlohnungssystems ist die Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit und die Durchsichtigkeit und Einsehbarkeit des jeweiligen Entlohnungssystems (Senatsbeschluß vom 17. Oktober 1989, BAGE 63, 140 = AP Nr. 39 zu § 76 BetrVG 1972, mit weiteren Nachweisen).
b) Das Landesarbeitsgericht ist auch zutreffend von der Rechtsprechung des Senats ausgegangen, daß die Ermessensüberprüfung eines Einigungsstellenspruchs die Frage zum Gegenstand hat, ob die durch den Spruch getroffene Regelung als solche die Belange des Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt und zu einem billigen Ausgleich bringt, wobei diese Belange und auch diejenigen tatsächlichen Umstände, die das jeweilige Gewicht dieser Belange begründen, festzustellen sind (BAGE 40, 107 = AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit sowie Senatsbeschluß vom 17. Oktober 1989, aaO). Zutreffend ist auch der weiter vom Landesarbeitsgericht herangezogene Gesichtspunkt, daß bei dieser Überprüfung auch der Zweck des jeweiligen Mitbestimmungsrechts zu beachten ist, d.h. daß die getroffene Regelung in ihrem Ergebnis auch denjenigen Interessen Rechnung tragen muß, um derentwillen dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht.
c) Ausgehend von diesen Überlegungen ist das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß die im Spruch der Einigungsstelle dem Arbeitgeber eingeräumte Möglichkeit, für drei in sich geschlossene Gruppen von AT-Angestellten bei der Höhe der Jahressonderzuwendung innerhalb bestimmter Bandbreiten nach bestimmten Kriterien zu differenzieren, dem Zweck des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats widerspricht. Da der Arbeitgeber berechtigt sei, im Rahmen der ausgewiesenen Spannweiten für die Gruppe der Hauptabteilungsleiter, die Gruppe der Handlungsbevollmächtigten und die Gruppe der Abteilungsleiter den Faktor für den einzelnen anspruchsberechtigten Angestellten individuell festzusetzen, ermögliche die Regelung gerade nicht die dem Zweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG entsprechende Transparenz des Entlohnungssystems. Daran ändere nichts, daß der Arbeitgeber bei der Festsetzung des Faktors nach ergebnisorientierten Umsätzen unter Berücksichtigung besonderer externer Leistungseinflüsse und leistungsbezogener Gesichtspunkte differenzieren müsse.
aa) Richtig ist der Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, daß ein Spruch der Einigungsstelle über die Ausgestaltung eines Entlohnungssystems die entscheidenden Kriterien für die Verteilung nicht dem Arbeitgeber allein überlassen darf. Ein solcher Spruch würde die Zielvorstellung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Ausgestaltung eines Entlohnungssystems verfehlen. Richtig ist auch, daß die Einigungsstelle nicht jede Regelung treffen kann, die die Betriebspartner einvernehmlich treffen können, da die Einigungsstelle im Verhältnis zu den Betriebspartnern "Dritter" ist und deshalb über das Mitbestimmungsrecht nicht in derselben Weise verfügen kann wie der Betriebsrat selbst. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG, wonach die Einigungsstelle ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer zu fassen hat.
Das bedeutet aber nicht, daß jeder Spruch einer Einigungsstelle, der dem Arbeitgeber auch nur etwas Spielraum läßt, ermessensfehlerhaft ist. Der Senat hat vielmehr wiederholt ausgeführt, daß auch der Spruch der Einigungsstelle dem Arbeitgeber eine gewisse Freiheit einräumen kann, wenn die Einigungsstelle nur selbst den Regelungsgegenstand gestaltet hat (BAGE 38, 96 = AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; 51, 217 = AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; 63, 140 = AP Nr. 39 zu § 76 BetrVG 1972).
bb) Vorliegend hat die Einigungsstelle ihr Regelungsermessen nicht einfach auf den Arbeitgeber übertragen, sondern eine eigene Regelung getroffen, die dem Arbeitgeber bei allen Tarifangestellten und einem Teil der AT-Angestellten keinerlei einseitiges Bestimmungsrecht läßt, sondern jeweils eine zusätzliche Jahressondervergütung in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes vom Bruttomonatsgehalt ausweist. Insoweit hält auch das Landesarbeitsgericht den Spruch nicht für ermessensfehlerhaft. Dieser Teil der Gesamtregelung ist aber auch zu berücksichtigen, wenn die Frage beantwortet werden soll, ob der vorliegende Spruch in Ziff. 7 a) bis c) ermessensfehlerhaft ist. Auch hier gestaltet die Einigungsstelle selbst das System für die Verteilung der Jahressonderzahlung, indem sie je nach bereichsbezogenem Jahresergebnis einen Mindest- und einen Höchstprozentsatz vom Bruttomonatsgehalt für die Jahressonderzahlung festlegt, die den betreffenden Arbeitnehmern gewährt werden muß. Nur innerhalb einer Bandbreite von 15 % des Bruttomonatsgehalts bei Hauptabteilungsleitern, 12,5 % bei Handlungsbevollmächtigten und 10 % bei Abteilungsleitern hat der Arbeitgeber aufgrund des Spruchs Differenzierungsmöglichkeiten, von denen er aber nicht willkürlich Gebrauch machen darf, sondern nur unter Berücksichtigung ergebnisorientierter Umsätze und leistungsbezogener Gesichtspunkte. Nur unter Berücksichtigung dieser Kriterien darf der Arbeitgeber in den engen Bandbreiten der Ziff. 7 a) bis c) des Einigungsstellenspruchs differenzieren.
Rechtlich problematisch ist die Regelung der Ziff. 7 a) bis c) allerdings deshalb, weil die Kriterien für die Differenzierung wegen ihrer Unbestimmtheit kaum überprüfbar sind und deshalb insoweit das Ziel des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, eine Transparenz der betrieblichen Entgeltordnung herzustellen, nur sehr unvollkommen erreicht wird. Bei der Regelung der Ziff. 7 a) bis c) handelt es sich deshalb um einen Grenzfall; sie ist nicht unwirksam, weil die Einigungsstelle für die Jahressondervergütung von AT-Angestellten nach dem Ausmaß der Verantwortung Gruppen gebildet und auch den Höchst- und Mindestabstand der Vergütung zwischen diesen Gruppen festgelegt hat. Differenzieren kann der Arbeitgeber nur innerhalb enger Bandbreiten - ungefähr 7 % der Jahressondervergütung - und nur nach zwei Kriterien. Hierin unterscheidet sich die Regelung von dem der Senatsentscheidung vom 17. Oktober 1989 (BAGE 63, 140 = AP Nr. 39 zu § 76 BetrVG 1972) zugrunde liegenden Sachverhalt; dort war dem Arbeitgeber die Festsetzung unterschiedlicher Provisionssätze übertragen worden, ohne daß diese sich an bestimmten Kriterien zu orientieren hatten. Der Arbeitgeber konnte aufgrund dieser Regelung für ein und dasselbe Arbeitsergebnis Provisionssätze festlegen, die um 66 % differierten. Deshalb hat der Senat in jenem Falle den Spruch der Einigungsstelle aufgehoben, weil die Einigungsstelle im Kern die Regelungsangelegenheit dem Arbeitgeber zur einseitigen Bestimmung übertragen hatte. Im vorliegenden Fall dagegen hat die Einigungsstelle im wesentlichen die Grundsätze für die Verteilung der Jahressondervergütung selber gestaltet. Von einer Übertragung des Gestaltungsermessens und einem Ermessensfehler durch Unterlassen einer eigenen Ermessensentscheidung kann nicht gesprochen werden.
Dementsprechend ist der Antrag des Gesamtbetriebsrats nicht begründet, so daß auf die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers der Beschluß des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts zurückzuweisen war.
Matthes Dr. Weller Dörner
Dr. Federlin Dr. Wohlgemuth
Fundstellen
Haufe-Index 519026 |
DB 1992, 1730-1732 (LT1-3) |
BetrVG, (9) (LT1-3) |
EWiR 1992, 743 (L) |
NZA 1992, 702 |
NZA 1992, 702-705 (LT1-3) |
RdA 1992, 223 |
AP § 76 BetrVG 1972 (LT1-3), Nr 50 |
AR-Blattei, ES 630 Nr 51 (LT1-3) |
EzA § 76 BetrVG 1972, Nr 60 (LT1-3) |
VersR 1993, 382 (L) |