Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifgerechte Eingruppierung von Filialleiterinnen
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 03.05.1983; Aktenzeichen 11 Ta BV 3/83) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 3. Mai 1983 – 11 Ta BV 3/83 – aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die tarifgerechte Eingruppierung der Filialleiterinnen Ursula Püschel und Angelika Kranz nach dem Entgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer des Buchhandels in Bayern/Baden-Württemberg vom 6./7. April 1981. Die Antragstellerin (Arbeitgeber) begehrt nach der vom Antragsgegner (Betriebsrat) verweigerten Zustimmung zur Eingruppierung der Filialleiterinnen deren Ersetzung durch das Arbeitsgericht (§ 99 Abs. 4 BetrVG 1972).
Die Antragstellerin betreibt ein Verlagsunternehmen mit Sitz in Stuttgart. Sie unterhält 104 Verkaufsfilialen im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlins, in denen neben Büchern Produkte aus dem Phono- und Fotobereich an vertraglich an die Antragstellerin gebundene Mitglieder verkauft werden. In der Zentrale in Stuttgart und in den Filialen beschäftigt die Antragstellerin jeweils ca. 500 Mitarbeiter.
1981 wurde für die Zentrale in Stuttgart und sämtliche Verkaufsstellen im gesamten Bundesgebiet einschließlich West-Berlins ein Betriebsrat gewählt, der aus 15 Mitgliedern besteht.
Nach dem Beitritt der Antragstellerin zum Verband der Verlage und Buchhandlungen in Baden-Württemberg e.V. einigten sich die Beteiligten nicht über die Eingruppierung der Filialleiter, der stellvertretenden Filialleiter und der Verkäufer in den Verkaufsstellen.
Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, die beiden Filialleiterinnen erfüllten die Tätigkeitsmerkmale der Tarifgruppe IV in § 2 des Entgelttarifvertrages. Nachdem der Antragsgegner dem nicht zugestimmt hat, hat die Antragstellerin beantragt, die Zustimmung des Antragsgegners zur Eingruppierung der Filialleiterinnen Püschel und Kranz in die Tarifgruppe IV des Entgelttarifvertrags zu ersetzen.
Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hält für beide Filialleiterinnen die Tätigkeitsmerkmale der Tarifgruppe V für erfüllt.
Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben den Antrag zurückgewiesen, da es an der Beteiligtenfähigkeit des Antragsgegners fehle. Die 1981 durchgeführte Betriebsratswahl sei wegen Einbeziehung aller Verkaufsstellen nichtig. Der Betrieb der Antragstellerin sei als betriebsratslos anzusehen.
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Antragstellerin die Aufhebung des zweitinstanzlichen Beschlusses sowie die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
Entscheidungsgründe
II. Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung.
1. Für den Antrag der Antragstellerin besteht das Feststellungsinteresse auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz. Durch die Neuwahl des Betriebsrats im Jahre 1984 ist die Zustimmungsverweigerung des früheren Betriebsrats nicht gegenstandslos geworden, denn der gegenwärtig amtierende Betriebsrat verweigert nach wie vor die Zustimmung zu den geplanten personellen Maßnahmen (vgl. BAG 35, 1, 3, sowie BAG Beschluß vom 25. April 1978 – 6 ABR 9/75 –, AP Nr. 11 zu § 80 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe).
2. In der Sache hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht angenommen, die Betriebsratswahl im Jahre 1981 sei nichtig gewesen, so daß die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG entfalle.
a) Das Landesarbeitsgericht geht, insoweit in Übereinstimmung mit der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Nichtigkeit einer Betriebsratswahl, davon aus, eine nichtige Betriebsratswahl sei nur bei so schwerwiegenden Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts gegeben, daß keine Wahl i. S. des Betriebsverfassungsgesetzes mehr vorliege (vgl. dazu zuletzt Beschlüsse des erkennenden Senats vom 11. April 1978 – 6 ABR 22/77 –, AP Nr. 8 zu § 19 BetrVG 1972 und 10. Juni 1983 – 6 ABR 50/82 –, AP Nr. 10 zu § 19 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzungen sind nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts im vorliegenden Fall deshalb gegeben, weil der Wahlvorstand den Betriebsbegriff gemäß §§ 1, 4 BetrVG offenkundig verkannt habe. Mindestens die in Norddeutschland und West-Berlin gelegenen Verkaufsstellen seien räumlich weit vom Hauptbetrieb der Zentrale der Antragstellerin in Stuttgart entfernt. Es sei daher ausgeschlossen, von einem einheitlichen Betrieb der Antragstellerin für das Bundesgebiet auszugehen. Die Verkennung des Betriebsbegriffs sei offenkundig und führe daher zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl.
b) Diese Erwägungen vermögen die angefochtene Entscheidung nicht zu tragen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Verkennung des Betriebsbegriffs gemäß §§ 1, 4 BetrVG nicht die Nichtigkeit, sondern bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 19 BetrVG nur die Anfechtbarkeit einer darauf beruhenden Betriebsratswahl zur Folge (vgl. ständige Rechtsprechung BAG 15, 235, 238; 30, 12, 19 und Beschluß vom 11. April 1978 – 6 ABR 22/77 –, aaO). Die Betriebsratswahl 1981 ist aber nicht angefochten worden. Kommt in einem Betrieb das Betriebsverfassungsgesetz zur Anwendung (vgl. dazu BAG 41, 5 = AP Nr. 24 zu § 118 BetrVG 1972) und wird eine Betriebsratswahl gemäß den gesetzlichen Wahlvorschriften eingeleitet und durchgeführt, so stellt die Verkennung des Betriebsbegriffs gemäß §§ 1, 4 BetrVG allein keinen schwerwiegenden Verstoß gegen das gesetzliche Wahlrecht dar, der zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führt. Genausowenig wie einzelne Verstöße gegen Vorschriften des Wahlverfahrens die Nichtigkeit der Betriebsratswahl begründen (vgl. BAG Urteil vom 27. April 1976 – 1 AZR 482/75 –, AP Nr. 4 zu § 19 BetrVG 1972), kann auch eine Verkennung des Betriebsbegriffs bei im übrigen ordnungsgemäßer Wahl zu deren Nichtigkeit führen. Bereits die erfolgreiche Anfechtung der Betriebsratswahl setzt einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren voraus. Nicht jeder Verstoß gegen die Wahlvorschriften im Betriebsverfassungsgesetz und der dazu ergangenen Wahlordnungen bietet deshalb einen Wahlanfechtungsgrund. Da selbst Verstöße gegen wesentliche Vorschriften die Wahlanfechtung nur innerhalb kurzer Frist und in einem bestimmten Verfahren ermöglichen, um schnell Klarheit über die Rechtsbeständigkeit der Wahl zu schaffen, sind für die Annahme einer nichtigen Wahl noch strengere Anforderungen zu stellen. Dies gilt um so mehr, als die Feststellung der Nichtigkeit anders als bei der Anfechtung nicht form- und fristgebunden ist und die Nichtigkeitsfolgen erheblich über die Wirkungen einer erfolgreichen Anfechtung der Betriebsratswahl hinausreichen. Bei nichtiger Betriebsratswahl ist der Betrieb von Anfang an als betriebsratslos zu behandeln, die vom Betriebsrat getroffenen Maßnahmen sind rechtsunwirksam, während eine erfolgreiche Anfechtung der Wahl nur für die Zukunft wirkt, aber bisher vorgenommene Handlungen des Betriebsrats wirksam bleiben (Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 19 Rz 30, m.w.N.).
c) Im übrigen berühren die Bestimmungen der §§ 1, 4 BetrVG für die Betriebsratswahl nur mittelbar Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren im Sinne des § 19 BetrVG. Das Betriebsverfassungsgesetz 1972 enthält keine Definition des Betriebsbegriffs, sondern setzt den in der Rechtsprechung und Rechtslehre ausgebildeten allgemeinen Betriebsbegriff voraus. Danach ist unter Betrieb im Sinne des Arbeitsrechts zu verstehen „die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte, arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen” (BAG 41, 403). Bei der Bestimmung des Betriebsbegriffs und seiner Anwendung auf die betriebliche Organisation sind eine Vielzahl von Gesichtspunkten zu beachten, die eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Entscheidung erfordern. Birgt aber die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung von Arbeitnehmern zu einem Betrieb schwierige Tat- und Rechtsfragen in sich und hat der Gesetzgeber deshalb dem Arbeitgeber, dem Betriebsrat, dem Wahlvorstand und den in den Betrieben vertretenen Gewerkschaften nach § 18 Abs. 2 BetrVG einen besonderen Weg zur gerichtlichen Klärung von derartigen Zweifelsfragen eröffnet, der ihnen jederzeit, also auch außerhalb des Wahlanfechtungsverfahrens, offensteht (BAG 14, 82, 86 und Beschluß vom 24. September 1968 – 1 ABR 4/68 –, AP Nr. 9 zu § 3 BetrVG), so kann nicht von der Nichtigkeit der Betriebsratswahl allein wegen Verkennung des Betriebsbegriffs nach §§ 1, 4 BetrVG ausgegangen werden. Zudem sieht auch § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG die Möglichkeit von Sonderregelungen durch Tarifvertrag vor.
3. Die Betriebsratswahl 1981 ist nicht angefochten worden. Es ist deshalb über die vom 1981 wirksam gewählten Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Eingruppierung der betroffenen Arbeitnehmer zu entscheiden. Da das Landesarbeitsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus bisher keine Veranlassung hatte, sich in der Sache mit der beantragten gerichtlichen Ersetzung der Zustimmung nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu befassen, muß es dies nunmehr nachholen. Die Sache war daher zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Auffarth, Dr. Jobs, Dr. Leinemann, Dr. Martin, Mayer
Fundstellen
Haufe-Index 662661 |
BAGE, 363 |
JR 1986, 132 |