Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz
Leitsatz (amtlich)
Die Zulässigkeit einer Divergenzbeschwerde erfordert grundsätzlich die konkrete, fallbezogene Darlegung, dass die anzufechtende Entscheidung auf der behaupteten Divergenz beruht.
Normenkette
ArbGG § 72 Abs. 2, § 72a Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Tenor
Tatbestand
I. Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen seine Versetzung durch die Beklagte und die Auswirkungen dieser Versetzung auf sein Arbeitsverhältnis.
Der Kläger wurde am 27. August 1980 als Arbeiter beim Fernmeldeamt L… von der Deutschen Bundespost, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, eingestellt. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom selben Tage ist ua. vereinbart, dass “die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) und der sonstigen Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart gelten”. Nach Gründung der Beklagten am 1. Januar 1995 ging das Arbeitsverhältnis auf diese über. Im Januar 1998 fiel der Arbeitsplatz des Klägers infolge Rationalisierung weg. Er wurde vorübergehend bis zur Übertragung eines neuen Dauerarbeitsplatzes in das Ressort “Projektmanagement und Service” (PMS) versetzt. Im Jahr 2002 bildete die Beklagte zur Optimierung der Vermittlung von Beschäftigten, die von Rationalisierung betroffen wurden, die Personalserviceagentur (PSA) mit dem Arbeitstitel “VQE”, heute “Vivento”. Am 1. August 2002 trat der – einen früheren Rationalisierungstarifvertrag ablösende – “Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung” (TV Ratio) in Kraft. Nach der Protokollnotiz zu § 5 des TV Ratio sind “die zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens bei PMS ressortierten Beschäftigten … ab 01.08.2002 Beschäftigte der VQE”. Die wichtigsten Ziele des TV Ratio waren ua. die Sicherung von Arbeitsplätzen und die sozialverträgliche Absicherung der vielfältigen Maßnahmen. Ua. sind nach § 5 Abs. 3 TV Ratio der VQE gleich PSA ua. bis zur Weitervermittlung auf einen dauerhaften Arbeitsplatz “vorübergehende Beschäftigungen, auch in Form der Zeit- bzw. Leiharbeit iSd. AÜG innerhalb und außerhalb des Konzerns Deutsche Telekom” gestattet.
Der Kläger ist mit der Versetzung in die PSA nicht einverstanden. Er hält diese für unwirksam. Insbesondere macht er geltend, die Bezugnahmeklausel in seinem Arbeitsvertrag verweise nur auf die Tarifverträge der Deutschen Bundespost, nicht auf diejenigen der Beklagten. Zudem sei der TV Ratio wegen Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes unwirksam.
Der Kläger hat beantragt
- festzustellen, dass die mit Schreiben der Beklagten vom 13. Dezember 2002 gegenüber dem Kläger ausgesprochene Versetzung zur Personal-Service-Agentur der Beklagten zum 19. Dezember 2002 rechtsunwirksam ist,
- festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, den Kläger zum Zwecke der Leiharbeit im Sinne des Gesetzes zur Regelung der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) einzusetzen,
- festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, den Kläger ohne dessen ausdrücklichen Auftrag zur Begründung eines anderen Arbeitsverhältnisses an einen anderen Arbeitgeber zu vermitteln,
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den Bedingungen des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrages vom 25. Februar 1980 zu beschäftigen,
hilfsweise
festzustellen, dass sämtliche von der Beklagten und ihren Sozialpartnern abgeschlossenen Tarifverträge nicht von der Bezugnahmeklausel des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrages vom 25. August 1980 erfasst werden.
Das Arbeitsgericht hat dem Beschäftigungsantrag (Antrag Ziff. 4) stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das Urteil ist von beiden Parteien mit der Berufung angegriffen worden. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage vollen Umfangs abgewiesen, und zwar hinsichtlich des Antrages Ziff. 1 als unbegründet, im Übrigen als unzulässig, und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, denn ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat weder die Voraussetzungen der Grundsatzbeschwerde noch diejenigen der Divergenzbeschwerde dargelegt.
1. Soweit die Beschwerde auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt wird, ist sie unzulässig, denn der Kläger hat nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dargelegt, dass die Rechtssache eine Rechtsstreitigkeit über die Auslegung eines Tarifvertrags (§ 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG) betrifft.
1.1 Eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG iVm. § 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, die auf die fehlerhafte Auslegung eines Tarifvertrages gestützt wird, muss einen entscheidungserheblichen Rechtsbegriff aus einem Tarifvertrag bezeichnen. Hierzu muss der Beschwerdeführer darlegen, welche Interpretation tariflicher Rechtsbegriffe das Landesarbeitsgericht vorgenommen hat und dass diese fehlerhaft oder bei der Subsumtion wieder aufgegeben worden sei. Interpretation eines Tarifvertrages bedeutet in diesem Zusammenhang die fallübergreifende, abstrakte Auslegung der zur Tarifanwendung notwendigen Rechtsbegriffe (BAG 5. Dezember 1979 – 4 AZN 41/79 – BAGE 32, 203, 208 = AP ArbGG 1979 § 72a Grundsatz Nr. 1 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 4; 12. Dezember 1979 – 4 AZN 43/79 – BAGE 32, 228, 232 = AP ArbGG 1979 § 72a Grundsatz Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 9).
1.2 Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Der Kläger führt aus, in der vorliegenden Sache stehe die Verfassungs- und Rechtmäßigkeit der Tarifnormen §§ 5 und 7 TV Ratio in Frage. Da es sich hierbei um zentrale, den Tarifvertrag insgesamt dominierende Normen handele, sei die Wirksamkeit des Tarifvertrages überhaupt fraglich. “Diese Umstände” seien, “auch im Wege der Auslegung des Tarifvertrages durch die Arbeitsgerichtsbarkeit, von Amts wegen zu ermitteln”. Diese Ausführungen erfüllen nicht die Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an die Darlegung einer fehlerhaften Tarifauslegung. Denn der Kläger versäumt bereits die Bezeichnung des Rechtsbegriffs, dessen Auslegung durch das Landesarbeitsgericht er rügen will, und demzufolge auch die Darlegung, inwiefern dessen Auslegung durch das Landesarbeitsgericht fehlerhaft sei.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wegen angeblicher Divergenz ist ebenfalls unzulässig, denn der Kläger hat die Rechtserheblichkeit der von ihm behaupteten Divergenzen nicht hinreichend dargelegt.
2.1 Nach § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 72a Abs. 1 ArbGG ist die Revision vom Bundesarbeitsgericht zuzulassen, wenn das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder eines der anderen in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Dazu hat der Beschwerdeführer im Einzelnen darzulegen, welche divergierenden abstrakten, also fallübergreifenden Rechtssätze das anzufechtende wie das herangezogene Urteil aufgestellt haben und dass jedenfalls das anzufechtende Urteil auf dem abweichenden Rechtssatz beruht (st. Rspr. des BAG seit 9. Dezember 1980 – 7 AZN 374/80 – AP ArbGG 1979 § 72a Divergenz Nr. 3 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 23). Die Erfüllung der letztgenannten Anforderung ist grundsätzlich konkret, fallbezogen darzulegen (Senat 10. Juli 1996 – 4 AZN 34/96 – ZTR 1996, 420). Dadurch soll der bloß formelhaften Behauptung, die anzufechtende Entscheidung beruhe auf der/den behaupteten Divergenz(en) entgegengewirkt und eine Beschränkung des Rechtsstoffs im Beschwerdeverfahren erreicht werden. Der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers soll mit dieser Anforderung an eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung dazu angehalten werden, das angefochtene Urteil genau zu durchdenken und nur solche Divergenzen zu rügen, die die anzufechtende Entscheidung tragen. Von dem Grundsatz, dass das Beruhen der anzufechtenden Entscheidung auf der behaupteten Divergenz konkret fallbezogen darzulegen ist, kann nur dann eine Ausnahme gemacht werden, wenn im Einzelfall aus dem Inhalt der Beschwerdebegründung ohne Weiteres klar ersichtlich ist, dass auch diese Anforderung im Falle des Vorliegens der behaupteten Divergenz erfüllt wäre.
2.2 Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers nicht. Dieser lässt die konkrete fallbezogene Darlegung vermissen, dass die anzufechtende Entscheidung auf den von ihm behaupteten Divergenzen beruht. Der Kläger beschränkt sich bezüglich des Vorliegens dieser Voraussetzung einer erfolgreichen Divergenzbeschwerde auf den formelhaften Satz: “Auf den dargelegten divergierenden abstrakten Rechtssätzen beruht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch, da bei Beantwortung der Rechtsfragen im Sinne der dargelegten abstrakten Rechtssätze in den bezeichneten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts den Berufungsanträgen des Klägers stattzugeben gewesen wäre”. Dies ist unzureichend. Die formelhafte Behauptung der Erfüllung der hier behandelten Anforderung ist auch nicht ausnahmsweise deshalb ausreichend, weil ihr Vorliegen im Einzelfall nach dem Inhalt der Beschwerdebegründung ohne Weiteres klar ersichtlich ist. Denn die Klage hat insgesamt fünf Streitgegenstände, bezüglich derer der Kläger die Aufstellung insgesamt 11 angeblich divergierender Rechtssätze des Landesarbeitsgerichts behauptet, die von zahlreichen Rechtssätzen in einer Vielzahl der vom Kläger herangezogenen Entscheidungen, vorwiegend solcher des Bundesarbeitsgerichts, abweichen sollen. Zudem enthält die anzufechtende Entscheidung verschiedene Doppelbegründungen und ist bezüglich des Klageantrages zu 1) auf eine Gesamtwürdigung verschiedener Argumente gestützt, so dass erst mittels genauer Analyse der Gründe der anzufechtenden Entscheidung festgestellt werden kann, ob und bei welchem Streitgegenstand sie auf einer der vom Kläger behaupteten Divergenzen beruht. Dies darzulegen war Aufgabe der Beschwerdebegründung. Der Kläger hat diese Darlegung versäumt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO. Der festgesetzte Streitwert entspricht dem Betrag des dreifachen Bruttomonatsverdienstes des Klägers.
Unterschriften
Schmidt, Wolter, Bott, Ohnesorg, Rupprecht
Fundstellen
Haufe-Index 1288483 |
BAGE 2006, 35 |
FA 2004, 366 |
FA 2004, 382 |
NZA 2004, 1292 |
AP, 0 |
AUR 2004, 479 |
BAGReport 2005, 96 |
www.judicialis.de 2004 |