Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg: Klage einer ehemaligen Zwangsarbeiterin
Leitsatz (amtlich)
Ehemalige Zwangsarbeiter, die gegen ihren Willen nach Deutschland verbracht und ohne vertragliche Grundlage zur Arbeit herangezogen wurden, können Entschädigungsansprüche gegen deutsche Unternehmen gerichtlich geltend machen.
Hierfür ist nicht der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen, sondern zu den ordentlichen Gerichten eröffnet (§ 13 1. Alt. GVG).
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, d, § 5 Abs. 1; GVG §§ 13, 17a; BGB § 611; GG Art. 12a Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts München vom 29. November 1999 – 5 Ta 352/99 – aufgehoben.
2. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des Arbeitsgerichts München vom 22. Juli 1999 – 8 Ca 4661/99 – abgeändert:
- Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist unzulässig.
- Der Rechtsstreit wird an das Landgericht München I verwiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten der sofortigen Beschwerde und der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
Gründe
I. Die Klägerin fordert Entschädigung für Zwangsarbeit, Freiheitsentziehung und Unterernährung.
Die Klägerin wurde im September 1925 in der Ukraine/Sowjetunion geboren. Im Jahr 1942 wurde sie von der deutschen Arbeitsverwaltung in einem Sammeltransport aus ihrer Heimat nach Deutschland verbracht. Die Klägerin wurde einem Betrieb der Beklagten zugeführt. Dort arbeitete sie bis zum Kriegsende und bis zu ihrer Rückkehr in die Sowjetunion 36 Monate.
Die Klägerin war in einem umzäunten und bewachten Lager untergebracht. Sie hatte von montags bis samstags täglich zwölf Stunden zu arbeiten. Sie unterstand den Weisungen der Beklagten, die über ihren konkreten Einsatz, die Art ihrer Unterbringung, ihre Verpflegung und ihre Einkleidung entschied. Ein Entgelt erhielt sie nicht.
Mit ihrer im April 1999 beim Arbeitsgericht erhobenen Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten eine Entschädigung für die unter Zwang erbrachte Arbeit. Deren Höhe errechnet sie auf der Basis des seinerzeit für deutsche Arbeiter üblichen Monatslohns von 240,00 RM auf heute 39.272,72 DM. Weitere 6.000,00 DM macht sie als „pauschale Entschädigung” für Freiheitsentziehung und Unterernährung wegen „deliktischer Verletzung des Arbeitsvertrages” geltend.
Im Beschwerdeverfahren streiten die Parteien über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs. Die Klägerin hält die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für gegeben. Sie vertritt die Auffassung, zwischen den Parteien sei ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen, zumindest habe ein faktisches Arbeitsverhältnis bestanden. Die Beklagte hält die Gerichte für Arbeitssachen für unzuständig. Ein Arbeitsverhältnis habe nicht bestanden. Dazu habe es auf seiten der Klägerin an der erforderlichen Freiwilligkeit gefehlt. Im übrigen handele es sich bei den geltend gemachten Ansprüchen in Wirklichkeit um Reparationszahlungen, die individuell nicht klagbar seien.
Die Vorinstanzen haben die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bejaht. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde möchte die Beklagte erreichen, daß der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig erklärt wird.
II. Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten ist begründet. Die Gerichte für Arbeitssachen sind für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht zuständig. Zwar handelt es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit. Die Klägerin war jedoch keine Arbeitnehmerin der Beklagten. Es bestand kein Arbeitsverhältnis der Parteien. Ebensowenig war die Klägerin arbeitnehmerähnliche Person.
1. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts ist nicht deshalb entbehrlich, weil, wie die Beklagte meint, für den Streitgegenstand generell ein Rechtsweg nicht eröffnet wäre. Gegen die Justiziabilität wird vorgebracht, bei den erhobenen Ansprüchen handele es sich um Reparationsforderungen im Zusammenhang mit Kriegsereignissen. Solche Forderungen seien nur einem völkerrechtlichen Ausgleich von Staat zu Staat zugänglich und nicht als Individualansprüche klagbar. Der einzelne Geschädigte sei darauf angewiesen, daß sein Heimatstaat, soweit er Reparationen erhalten habe, diese an ihn weiterleite. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, daß dieses Grundprinzip des diplomatischen Schutzes Ansprüche nicht ausschließe, die das nationale Recht des verletzenden Staates dem Geschädigten außerhalb völkerrechtlicher Verpflichtungen gewähre und die neben die völkerrechtlichen Ansprüche des Heimatstaates träten. Das gelte insbesondere dann, wenn in der staatlichen Verletzungshandlung sowohl ein Bruch des Völkerrechts als auch des nationalen Rechts liege. In Ansehung von Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs bestehe diese Anspruchsparallelität, falls nationale Vorschriften einen Ausgleichsanspruch gewährten. Werde ein solcher Anspruch zudem nicht aus dem Sonderrecht für Kriegsfolgen oder Verfolgungsschäden, sondern aus allgemeinen Vorschriften abgeleitet, greife eine völkerrechtliche Ausschlußnorm noch weniger ein als bei Zuordnung zum Wiedergutmachungsrecht. Außerdem, so das Bundesverfassungsgericht, gebe es keine Regel des Völkergewohnheitsrechts, nach der Entschädigungsregelungen im Zusammenhang mit Kriegsfolgen „exklusiv” nur im Rahmen von völkerrechtlichen Verträgen getroffen werden könnten (BVerfG 13. Mai 1996 – 2 BvL 33/93 – BVerfGE 94, 315, 330 ff. = NJW 1996, 2717, 2719). Das Bundesverfassungsgericht hat sich allerdings nicht dazu erklärt, ob Individualansprüche aus nationalem Recht zur Entschädigung von Zwangsarbeit bestehen. Aus seiner Entscheidung folgt aber, daß dies jedenfalls eine Frage der Begründetheit der Klage und nicht der Klagbarkeit der Ansprüche ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland als die Rechtsnachfolgerin des Verletzerstaates oder gegen Privatpersonen gerichtet werden. Alle bislang mit der Entschädigung für Zwangsarbeit befaßten Gerichte haben im übrigen die Justiziabilität der erhobenen Ansprüche bejaht (vgl. neuerdings LG Stuttgart 24. November 1999 – 24 O 192/99 – unter A II der Entscheidungsgründe).
2. Über den zulässigen Rechtsweg ist nach der heutigen Rechtslage zu entscheiden. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen bestimmt sich allein nach § 2 und § 2 a ArbGG. Die dortigen Aufzählungen sind abschließend. Im Streitfall kommt nur eine Zuständigkeit aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a und d ArbGG in Frage. Danach sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und unerlaubten Handlungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Die dafür nötigen Merkmale liegen im Streitfall nicht vor. Es handelt sich allerdings um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, so daß der Rechtsstreit an die Zivilgerichte zu verweisen ist (§ 13 GVG).
a) Eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit ist gegeben, wenn der Streitgegenstand eine unmittelbare Rechtsfolge des Zivilrechts darstellt (BAG 22. September 1999 – 5 AZB 27/99 – NZA 2000, 55, 56). Dafür ist die Natur des Rechtsverhältnisses entscheidend, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes 10. April 1986 – BGHZ 97, 312, 313). Maßgeblich ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen oder des öffentlichen Rechts geprägt wird. Dabei ist es Aufgabe der Gerichte, darüber zu entscheiden, ob und ggf. welche Anspruchstatbestände aufgrund des ermittelten Sachverhalts erfüllt sind. Die Auswahl der anzuwendenden Anspruchsgrundlage ist nicht Sache der klagenden oder der beklagten Partei.
Im Streitfall ist nicht die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs die beklagte Partei. Die Beklagte ist eine juristische Person des Privatrechts. Die Rechtsbeziehungen zwischen Privatrechtssubjekten werden grundsätzlich von Normen des Privatrechts bestimmt. Damit eine Rechtsbeziehung dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist, muß an ihr regelmäßig zumindest ein Träger öffentlicher Verwaltung beteiligt sein. Das gilt nach allen zur Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht vertretenen Theorien (vgl. dazu Ehlers in: Erichsen (Hrsg), Allgemeines Verwaltungsrecht 11. Aufl. § 2 Rn. 14 ff.). Diese Theorien unterscheiden sich zwar bei der Antwort auf die Frage, wann trotz Beteiligung eines Hoheitsträgers ein Rechtsverhältnis vom Privatrecht bestimmt wird. Sie alle nehmen aber an, daß auf Rechtsbeziehungen zwischen Privaten grundsätzlich nur Privatrecht Anwendung finden kann.
Ausnahmsweise kann die Rechtsbeziehung zwischen Privaten dann dem öffentlichen Recht zugeordnet werden, wenn eines der Privatrechtssubjekte seinerseits als Teil der öffentlichen Verwaltung zu betrachten ist oder jedenfalls auf die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten in Anspruch genommen wird. Das ist der Fall, wenn der Private entweder damit betraut ist, im Außenverhältnis Staatsaufgaben eigenständig wahrzunehmen (Beliehener), oder er unselbständige Hilfstätigkeiten im Auftrag und nach Weisung der Behörde ausübt (Verwaltungshelfer). Wird der Private aus der Tätigkeit als Beliehener oder Verwaltungshelfer in Anspruch genommen, kann es sich – ungeachtet der Passivlegitimation und einer evtl. besonderen Rechtswegzuweisung – um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handeln. Eine öffentlich-rechtliche Pflicht erfüllt ein Arbeitgeber gegenüber einem Arbeitnehmer beispielsweise mit der Zahlung eines Zuschusses nach § 405 RVO bzw. § 257 SGB V (GmS-OGB in BSGE 37, 292; BAG 1. Juni 1999 – 5 AZB 34/98 – NZA 1999, S 1174).
Die Beklagte war im Verhältnis zur Klägerin weder als Beliehene noch als Verwaltungshelferin tätig. Indem die Beklagte über die Arbeitskraft der Klägerin verfügte, nahm sie keine ihr von staatlicher Seite übertragene Hoheitsaufgabe wahr. In Betracht kämen allenfalls die Aufrechterhaltung einer zur Fortsetzung des Krieges notwendigen Produktion und die Bewachung von Zwangsarbeitern. Diese Aufgaben hätten der Beklagten durch Beleihung übertragen werden müssen. Dazu ist im Streitfall nichts vorgetragen. Ebensowenig handelte die Beklagte bei der Inanspruchnahme der Klägerin als unselbständige Verwaltungshelferin. Ihr Verhalten stellte keine Hilfstätigkeit nach staatlicher Weisung zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben dar. Zu einer solchen Abhängigkeit von staatlichen Stellen ist nichts vorgetragen. Auch davon, daß die Beklagte ihrerseits staatlichem Zwang unterlegen und aus diesem Grunde nur als Werkzeug der Verwaltung gehandelt hätte, kann nicht ausgegangen werden. Sie selbst hat das nicht behauptet. Entsprechende Erklärungen einzelner anderer Wirtschaftsunternehmen werden in der Forschung als widerlegt angesehen (vgl. Brozik, Die Entschädigung von nationalsozialistischer Zwangsarbeit durch deutsche Firmen in: Barwig/Saathoff/Weyde (Hrsg), Entschädigung für NS-Zwangsarbeit, Baden-Baden 1998, S 33, 37 mwN; Frauendorf, ZRP 1999, 1, 2 mwN; Schröder, Jura 1994, 61, 72 mwN).
Die Beklagte wird von der Klägerin auch nicht auf Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten in Anspruch genommen.
Die Rechtsbeziehung der Parteien wird darum von Sätzen des Privatrechts bestimmt. Der Umstand, daß die Klägerin sich seinerzeit zugleich in einem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis zum Deutschen Reich befand, steht dazu nicht im Widerspruch. Die Dreiecksbeziehung der Beteiligten erweist sich im Ergebnis als öffentlich-rechtlich organisierte Dienstverschaffung zugunsten privater Unternehmen. Dabei unterliegt das Verhältnis zwischen den Unternehmen und den zur Arbeit Gezwungenen dem bürgerlichen Recht.
b) Obwohl eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, sind die Arbeitsgerichte für den Rechtsstreit der Parteien nicht zuständig. Die Klägerin war nicht Arbeitnehmerin der Beklagten. Sie macht keine Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis geltend.
aa) Gemäß § 5 Abs. 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter, Angestellte und die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Eine genauere Definition enthält die Vorschrift nicht. Für die Auslegung und Begriffsbestimmung muß auf den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff zurückgegriffen werden. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (BAG 3. Juni 1975 – 1 ABR 98/74 – BAGE 27, 163; BAG 10. April 1991 – 4 AZR 467/90 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 54 = EzA BGB § 611Arbeitnehmerbegriff Nr. 39; BAG 6. Juli 1995 – 5 AZB 9/93 – BAGE 80, 256 jeweils mwN).
bb) Im Streitfall stehen eine vollständige Weisungsabhängigkeit und Fremdbestimmtheit und damit eine umfassende persönliche Abhängigkeit der Klägerin außer Frage. Dagegen fehlt es nach dem Vortrag beider Parteien am Abschluß eines Vertrages. Die Klägerin hat nicht aufgrund rechtsgeschäftlich eingegangener Verpflichtung für die Beklagte gearbeitet. Weder sie noch die Beklagte haben entsprechende Willenserklärungen abgegeben. Dies deckt sich mit den Ergebnissen der historischen Forschung. Danach beruhte jedenfalls die von Bürgern östlicher Staaten ab Beginn des Jahres 1942 in den Betrieben deutscher Unternehmen erbrachte Arbeit generell nicht mehr auf vertraglicher Grundlage (vgl. die Darstellungen bei Mommsen/Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996, S 516 ff., 566 ff. und Roth, Die Daimler-Benz-AG im Krieg 1939 – 1945 in: Das Daimler-Benz-Buch, herausgegeben von der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Nördlingen 1987, S 216, 242 ff.).
Eine auf Zwang und der Androhung von Gewalt beruhende Leistung fremdnütziger Arbeit begründet keinen Arbeitnehmerstatus im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes und des materiellen Arbeitsrechts. Selbst die Eingliederungstheorie verzichtete nicht auf den Vertragsschluß als Grundlage für den Arbeitnehmerstatus (vgl. Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage 1944, S 81). Sie ließ lediglich den Vertragsschluß allein für die Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht ausreichen.
Das Bundesarbeitsgericht hat das Erfordernis einer vertraglichen Begründung der Arbeitspflicht als Voraussetzung des Arbeitnehmerstatus auch zum Zwecke der Rechtswegbestimmung stets für unverzichtbar gehalten (BAG 14. Dezember 1988 – 5 AZR 661/86 – nv. unter I 4 der Gründe; BAG 14. Januar 1987 – 5 AZR 166/85 – nv. unter I 5 der Gründe). Für faktische Arbeitsverhältnisse besteht insoweit keine Ausnahme. Die Grundsätze über das faktische Arbeitsverhältnis dienen der Regelung der Rechtsfolgen eines übereinstimmend in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrags. Ihre Anwendung und damit die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte setzt immer voraus, daß die Arbeit einvernehmlich erbracht worden ist. Erforderlich ist eine zunächst von beiden Parteien gewollte Beschäftigung des Arbeitnehmers (vgl. BAG 30. April 1997 – 7 AZR 122/96 – AP BGB § 812 Nr. 20 = EzA BGB § 812 Nr. 3). Mag sich die vertragliche Grundlage auch als nichtig oder fehlerhaft erweisen, so muß doch stets jedenfalls dem Tatbestand nach ein Vertragsschluß vorgelegen haben (BAG 19. Juli 1973 – 5 AZR 46/73 – AP BGB § 611 Faktisches Arbeitsverhältnis Nr. 19 = EzA BGB § 611 Nr. 14; BAG 14. Januar 1987 – 5 AZR 166/85 – nv. aaO).
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Sie entspricht dem feststehenden Sinn des Begriffs „Arbeitnehmer” in § 2 Abs. 1 Nr. 3 und § 5 Abs. 1 ArbGG. Der Gesetzgeber, der diesen Begriff verwendet, um mit ihm die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte von der der Zivilgerichte abzugrenzen, setzt das allgemeine Wortverständnis voraus. Im Sinne der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit bei der Bestimmung des zulässigen Rechtswegs kann davon nicht abgewichen werden.
cc) Auf einen Vertragsschluß kann allein dann verzichtet werden, wenn Arbeitsverhältnisse durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes begründet worden sind. Vorgesehen ist dies etwa in Art. 12 a Abs. 3 Satz 1 GG iVm. § 10 Arbeitssicherstellungsgesetz vom 9. Juli 1968 (BGBl. I S 787) oder in § 10 AÜG. Hier wird der Vertragsschluß unter engen, verfassungsrechtlich zulässigen und gerichtlich überprüfbaren Voraussetzungen (§ 27 Abs. 1 ASiG) durch Hoheitsakt oder vom Gesetz selbst ersetzt. Die dadurch entstehende Privatrechtsbeziehung wird gesetzlich ausdrücklich als Arbeitsverhältnis bezeichnet. Im Streitfall ist aber auch auf diese Weise kein Arbeitsverhältnis begründet worden. Zwar wurden in den Jahren ab 1939, nicht zuletzt im Interesse der Propaganda und der Außendarstellung des Regimes, Verordnungen erlassen, die „Einsatzbedingungen der Ostarbeiter” zum Gegenstand hatten. Zum einen wurden diese jedoch als „nationalsozialistisches Recht” durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 1 S 3 ff.) aufgehoben. Zum anderen enthielten sie auch seinerzeit keine Grundlage für die Annahme, es sollten durch sie Arbeitsverhältnisse begründet werden. Vielmehr gingen die Verordnungen „über die Besteuerung und die arbeitsrechtliche Behandlung der Arbeitskräfte aus den neu besetzten Ostgebieten” vom 20. Januar 1942 (RGBl. I S 41), „über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter” vom 30. Juni 1942 (RGBl. I S 419) und „zur Durchführung und Änderung der Verordnung über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter” vom 5. April 1943 (RGBl. I S 181) gerade davon aus, daß es sich um „Beschäftigungsverhältnisse eigener Art” handele. Bestimmungen über deren Zustandekommen enthielten die Verordnungen nicht.
c) Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des Senats zu den sog. sic-non-Fällen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Tatsachen sind nicht doppelrelevant. Die erhobenen Ansprüche können auch dann begründet sein, wenn die Klägerin nicht Arbeitnehmerin war.
d) Das Landesarbeitsgericht hat einen „arbeitsrechtlichen Vergütungsanspruch aus Treu und Glauben” ohne arbeitsvertragliche Grundlage für möglich gehalten, um die Verletzung der Menschenwürde und der Grundrechte der Klägerin auszugleichen. Ob ein solcher Anspruch bestehen kann, bedarf im Rechtswegbestimmungsverfahren keiner Entscheidung. Der Grundrechtsschutz als solcher eröffnet nicht den Rechtsweg zu einer bestimmten Fachgerichtsbarkeit. Die Zulassung eines „quasi – arbeitsrechtlichen” Vergütungsanspruchs als Voraussetzung für die Eröffnung des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen würde zu einer unzulässigen Erweiterung des Zuständigkeitskatalogs der §§ 2 ff. ArbGG führen.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Eine Diskriminierung (Art. 3 Abs. 3 GG) der Zwangsarbeiter liegt nicht darin, daß über ihre Ansprüche nicht die Gerichte für Arbeitssachen, sondern die Gerichte einer anderen Gerichtsbarkeit entscheiden.
e) Daß die Zwangsarbeiter aus Anlaß ihrer Tätigkeit der Versicherungspflicht in der Sozialversicherung unterlagen, begründet allein kein Arbeitsverhältnis.
f) Die Klägerin war keine arbeitnehmerähnliche Person iSv. § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer persönlichen Abhängigkeit, nicht hinsichtlich der Notwendigkeit einer vertraglichen Grundlage ihrer Tätigkeit.
III. Gem. § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG ist der Rechtsstreit an das zuständige Landgericht München I (§ 17 ZPO) zu verweisen.
Unterschriften
Griebeling, Müller-Glöge, Kreft, Dittrich, Dombrowsky
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.02.2000 durch Metze, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436431 |
BAGE, 310 |
DB 2000, 777 |
NJW 2000, 1438 |
FA 2000, 193 |
JR 2001, 44 |
NZA 2000, 385 |
SAE 2000, 310 |
ZAP 2000, 719 |
AP, 0 |
AuA 2000, 388 |
MDR 2000, 719 |
PERSONAL 2001, 326 |