Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Berufung - Anfrage wegen Divergenz
Leitsatz (amtlich)
I. Im Verfahren der Revisionsbeschwerde entscheidet ein Senat des Bundesarbeitsgerichts auch dann in der nach § 77 Satz 2 ArbGG vorgeschriebenen Besetzung, wenn er bei einem anderen Senat gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG anfragt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält. § 45 Abs. 3 Satz 3 ArbGG ist nicht anzuwenden, soweit er die Beschlußfassung in der für Urteile erforderlichen Besetzung vorschreibt.
II.1. Der Sechste Senat möchte die Auffassung vertreten, daß eine Zulassung der Berufung in den nicht verkündeten Entscheidungsgründen wirksam ist, ohne daß es darauf ankommt, ob die Verkündung nur versehentlich unterblieben ist. Er folgt damit dem Ersten Senat, der dies für die nach denselben Grundsätzen zu beurteilende Revisionszulassung angenommen hat (vgl. BAG Urteil vom 31. Oktober 1995 - 1 AZR 372/95 - AP Nr. 29 zu § 72 ArbGG 1979).
2. Der Sechste Senat weicht dadurch von der Rechtsprechung des Vierten Senats ab, nach der an dem Grundsatz festzuhalten ist, daß die Zulassung einer Revision zu ihrer Wirksamkeit der Verkündung im Urteil bedarf und nur ausnahmsweise auch dann wirksam ist, wenn sie vom Gericht beschlossen, aber versehentlich nicht verkündet und dies in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck gebracht worden ist (vgl. Urteil vom 23. November 1994 BAGE 78, 294 ff. = AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG 1979; Urteil vom 10. Juli 1996 - 4 AZR 139/95 - AP Nr. 29 zu §§ 22, 23 BAT Sozialarbeiter; Urteil vom 9. Juli 1997 - 4 AZR 780/95 - AP Nr. 39 zu §§ 22, 23 BAT Sozialarbeiter). Dieser Auffassung hat sich der Siebte Senat angeschlossen (vgl. Urteil vom 26. April 1995 - 7 AZR 984/93 - AP Nr. 6 zu § 41 SGB VI).
3. Der Sechste Senat fragt gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG 1979 an, ob der Vierte und der Siebte Senat an ihrer Rechtsauffassung festhalten.
Normenkette
ArbGG 1979 § 64 Abs. 2, § 45 Abs. 2-3, § 77; GVG § 132
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Zwischenurteil vom 20.11.1997; Aktenzeichen 11 Sa 842/96) |
ArbG Mainz (Urteil vom 22.05.1996; Aktenzeichen 4 Ca 3413/95) |
Nachgehend
Tenor
1. Der Sechste Senat möchte die Auffassung vertreten, daß eine Zulassung der Berufung in den nicht verkündeten Entscheidungsgründen wirksam ist, ohne daß es darauf ankommt, ob die Verkündung nur versehentlich unterblieben ist. Er folgt damit dem Ersten Senat, der dies für die nach denselben Grundsätzen zu beurteilende Revisionszulassung angenommen hat (vgl. BAG Urteil vom 31. Oktober 1995 - 1 AZR 372/95 - AP Nr. 29 zu § 72 ArbGG 1979).
2. Der Sechste Senat weicht dadurch von der Rechtsprechung des Vierten Senats ab, nach der an dem Grundsatz festzuhalten ist, daß die Zulassung einer Revision zu ihrer Wirksamkeit der Verkündung im Urteil bedarf und nur ausnahmsweise auch dann wirksam ist, wenn sie vom Gericht beschlossen, aber versehentlich nicht verkündet und dies in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck gebracht worden ist (vgl. Urteil vom 23. November 1994 BAGE 78, 294 ff. = AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG 1979; Urteil vom 10. Juli 1996 - 4 AZR 139/95 - AP Nr. 29 zu §§ 22, 23 BAT Sozialarbeiter; Urteil vom 9. Juli 1997 - 4 AZR 780/95 - AP Nr. 39 zu §§ 22, 23 BAT Sozialarbeiter). Dieser Auffassung hat sich der Siebte Senat angeschlossen (vgl. Urteil vom 26. April 1995 - 7 AZR 984/93 - AP Nr. 6 zu § 41 SGB VI).
3. Der Sechste Senat fragt gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG 1979 an, ob der Vierte und der Siebte Senat an ihrer Rechtsauffassung festhalten.
Gründe
A. Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeiter der Länder (MTL II) verpflichtet ist, dem Kläger zusätzlich zu dem bezahlten Freizeitausgleich einen Zeitzuschlag für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden während der Rufbereitschaft zu zahlen. Das Arbeitsgericht hat am 22. Mai 1996, dem Tag der Kammerverhandlung, in Abwesenheit der Parteien und der ehrenamtlichen Richter folgendes Urteil verkündet:
"1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten.
3. Der Streitwert wird auf DM 500,-- festgesetzt."
Bei Verkündung lag nur dieser vom Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern unterzeichnete Urteilstenor vor. Auch das am 24. Juni 1996 zur Geschäftsstelle gelangte Urteil enthält im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen keinen Hinweis auf die Zulassung der Berufung. Die Rechtsmittelbelehrung, die sich ebenso wie Tatbestand und Entscheidungsgründe über der Unterschrift des Vorsitzenden befindet, beginnt jedoch mit folgendem Eingangssatz:
"Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger Berufung eingelegt werden nach § 64 ArbGG, da der Rechtsstreit einen landesweit geltenden Tarifvertrag betrifft."
Das Landesarbeitsgericht hat die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers durch Beschluß vom 20. November 1997 als unzulässig verworfen, weil sie unstatthaft sei, da das Arbeitsgericht sie nicht ordnungsgemäß zugelassen habe. Es habe die Entscheidung über die Zulassung der Berufung weder verkündet noch habe es sich bei Bekanntgabe der Berufungszulassung in den nicht verkündeten Urteilsgründen darauf berufen, daß die von der Kammer beschlossene Berufungszulassung versehentlich nicht verkündet worden sei.
Gegen diesen Beschluß wendet sich der Kläger mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.
B. Der Sechste Senat möchte der sofortigen Beschwerde stattgeben, weil er der Auffassung ist, daß das Arbeitsgericht die Berufung wirksam zugelassen hat. Er folgt damit der Auffassung des Ersten Senats, wonach eine Rechtsmittelzulassung in den Entscheidungsgründen wirksam ist, ohne daß es darauf ankommt, ob die Verkündung nur versehentlich unterblieben ist (vgl. BAG Urteil vom 31. Oktober 1995 -1 AZR 372/95 - AP Nr. 29 zu § 72 ArbGG 1979), weicht aber von der Meinung des Vierten Senats ab, nach der an dem Grundsatz festzuhalten ist, daß die Zulassung eines Rechtsmittels zu ihrer Wirksamkeit der Verkündung im Urteil bedarf und nur ausnahmsweise auch dann wirksam ist, wenn sie vom Gericht beschlossen, aber versehentlich nicht verkündet und dies in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck gebracht worden ist (vgl. Urteil vom 23. November 1994 - 4 AZR 528/92 - BAGE 78, 294 = AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG 1979; Urteil vom 10. Juli 1996 - 4 AZR 139/95 - AP Nr. 29 zu §§ 22, 23 BAT Sozialarbeiter, zu A der Gründe; Urteil vom 9. Juli 1997 - 4 AZR 780/95 - AP Nr. 39 zu §§ 22, 23 BAT Sozialarbeiter, zu I der Gründe), einer Auffassung, der sich der Siebte Senat angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 26. April 1995 - 7 AZR 984/93 - BAGE 80, 37, 40 f. = AP Nr. 6 zu § 41 SGB VI, zu I 3 der Gründe).
Der Sechste Senat fragt deshalb an, ob der Vierte und der Siebte Senat an ihrer Rechtsauffassung festhalten.
I. Für die Entscheidung über die Revisionsbeschwerde kommt es tragend darauf an, ob der Rechtsauffassung des Ersten Senats oder derjenigen des Vierten und des Siebten Senats zu folgen ist.
1. Die Zulassung der Berufung wurde vom Arbeitsgericht nicht verkündet. Aus dem Sitzungsprotokoll ergibt sich, daß die Entscheidungsgründe bei Verkündung nicht mitgeteilt wurden. Dies war auch entbehrlich, da die Parteien nicht anwesend waren (§ 60 Abs. 2 ArbGG). Dem vollständig abgefaßten Urteil des Arbeitsgerichts läßt sich nicht entnehmen, ob die Verkündung der Rechtsmittelzulassung nur versehentlich unterblieben ist. Auch liegt keine sonstige Verlautbarung des Arbeitsgerichts gegenüber den Parteien über eine versehentlich nicht verkündete Zulassung der Berufung vor.
Folgt man der Auffassung des Vierten und Siebten Senats, ist die Zulassung der Berufung nicht wirksam erfolgt, da das Arbeitsgericht nicht zum Ausdruck gebracht hat, daß die Zulassung der Berufung zwar beschlossen, aber nur versehentlich nicht verkündet wurde. Schließt man sich hingegen der Ansicht des Ersten Senats an, liegt eine ordnungsgemäße Berufungszulassung vor.
2. Die zwischen dem Ersten Senat einerseits und dem Vierten und Siebten Senat andererseits streitige Rechtsfrage ist für die Entscheidung des anfragenden Senats nicht deshalb unerheblich, weil die Zulassungsentscheidung nicht in die Entscheidungsgründe, sondern in die Rechtsmittelbelehrung des arbeitsgerichtlichen Urteils aufgenommen wurde, oder weil dieses allein vom Vorsitzenden unterzeichnet ist, nicht aber auch von den ehrenamtlichen Richtern, die in der mündlichen Verhandlung mitgewirkt und nur den Urteilstenor mitunterschrieben haben.
a) § 9 Abs. 5 Satz 1 ArbGG besagt, daß die Rechtsmittelbelehrung in der Entscheidung enthalten sein muß. Dies ist sie dann, wenn sie von dem erkennenden Gericht unterschrieben ist (BAG Urteil vom 6. März 1980 - 3 AZR 7/80 - BAGE 33, 63 = AP Nr. 1 zu § 9 ArbGG 1979; BAG Beschluß vom 15. Mai 1984, NZA 1984- 1 AZR 532/80 -, 98). So liegt der Fall hier. Unter dem Urteil des Arbeitsgerichts befindet sich die auch die Rechtsmittelbelehrung umfassende Unterschrift nach § 60 Abs. 4 Satz 1 ArbGG.
Es besteht somit kein Grund, die in der Rechtsmittelbelehrung enthaltene Berufungszulassung als unwirksam anzusehen, weil diese sich nicht an einer anderen Stelle der Entscheidung befindet. Der anfragende Senat folgt damit dem Dritten Senat insoweit, als dieser auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Rechtsmittelzulassung in einer verkündeten Rechtsmittelbelehrung einer Rechtsmittelzulassung in verkündeten Entscheidungsgründen gleichgestellt hat (vgl. BAGE 66, 1, 4 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Unverfallbarkeit, zu A der Gründe).
b) Das Landesarbeitsgericht meint, der Rechtsprechung des Vierten und des Siebten Senats sei jedenfalls im hier gegebenen Fall der Rechtsmittelzulassung durch arbeitsgerichtliches Urteil zu folgen. Zwischen dieser und der nicht verkündeten Revisionszulassung durch das Landesarbeitsgericht bestünden gravierende Unterschiede, weil im Gegensatz zum Berufungsurteil (§ 69 Satz 1 ArbGG) daserstinstanzliche Urteil nicht von sämtlichen Mitgliedern der Kammer, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen sei. Enthalte die vom Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern unterzeichnete Urteilsformel (§ 60 Abs. 3 Satz 2 ArbGG) keine Berufungszulassung, könne der Vorsitzende der Kammer ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter in den Entscheidungsgründen die Berufung nicht wirksam zulassen, ohne sich ausdrücklich darauf zu berufen, daß die Zulassung zwar von der Kammer beschlossen, aber versehentlich nicht mit dem Urteil verkündet worden sei. Dem ist nicht zu folgen.
Die durch § 46 Abs. 2 ArbGG in Verb. mit § 495 und § 315 Abs. 1 ZPO vorgeschriebene Unterzeichnung des Urteils durch die bei der Entscheidung mitwirkenden Richter bezweckt einmal eine interne Kontrolle, durch die überprüft wird, ob die schriftliche Fassung des Urteils mit der von den Richtern beschlossenen Entscheidung übereinstimmt, zum anderen wird durch die Unterschriften auch nach außen erkennbar gemacht, daß die von den Richtern unterschriebene Fassung mit dem von ihnen gefällten Urteil identisch ist (vgl. MünchKommZPO-Musielak, § 315 Rz 1 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien; vgl. auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 315 Rz 1). Das Landesarbeitsgericht verkennt, daß mangels anderweitiger gesetzlicher Anhaltspunkte auch die Unterzeichnung des arbeitsgerichtlichen Urteils nach § 64 Satz 1 ArbGG durch den Vorsitzenden diese Funktionen erfüllt. Die Unterscheidung danach, ob ein Rechtsmittel in den Entscheidungsgründen des arbeitsgerichtlichen Urteils oder des Berufungsurteils zugelassen wurde, verbietet sich somit.
II. Die Auffassung des anfragenden Senats beruht auf folgenden rechtlichen Erwägungen:
1. Das Bundesarbeitsgericht nahm früher an, die Rechtsmittelzulassung habe grundsätzlich im Urteilstenor zu erfolgen, eine Zulassung in den Entscheidungsgründen genüge nur, wenn diese mitverkündet worden seien. Wegen des Gebots der Rechtsmittelklarheit und Rechtssicherheit müsse im arbeitsgerichtlichen Verfahren schon bei Verkündung des Urteils offenbar sein, in welchem Umfang die Entscheidung mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Grundsätzlich sei es auch nicht zulässig, die zwar beschlossene, aber versehentlich nicht verkündete Rechtsmittelzulassung durch Berichtigungsbeschluß gemäß § 319 ZPO nachzuholen, es sei denn, daß sich aus dem Urteil selbst oder aus den Umständen bei Verkündung auch für Außenstehende ergebe, daß das Rechtsmittel zugelassen, aber diese Entscheidung versehentlich nicht verkündet wurde (BAG Urteile vom 5. Mai 1960 - 2 AZR 511/58 - AP Nr. 4 zu § 319 ZPO; vom 9. März 1968 - 5 AZR 252/67 - AP Nr. 14 zu § 319 ZPO; vom 4. Juni 1969 - 4 AZR 418/68 - AP Nr. 15 zu § 319 ZPO; vom 19. Januar 1973 - 2 AZR 551/72 - BAGE 25, 9 = AP Nr. 2 zu § 566 ZPO; vom 23. Mai 1973 - 4 AZR 364/72 - AP Nr. 17 zu § 319 ZPO; Beschluß vom 21. März 1974 - 1 ABR 19/74 - AP Nr. 13 zu § 92 ArbGG 1953; Urteile vom 24. März 1982 - 5 AZR 1183/79 - n.v.; vom 19. November 1985 - 1 AZR 1154/79 - n.v.; Beschluß vom 21. März 1986 - 5 AZB 19/85 - n.v.; Urteile vom 2. April 1986 - 2 AZR 288/85 - n.v.; vom 25. Juni 1986 - 4 AZR 206/85 - BAGE 52, 242 = AP Nr. 122 zu §§ 22, 23 BAT 1975; Beschluß vom 19. August 1986 - 4 AZB 15/86 - BAGE 52, 375 = AP Nr. 20 zu § 319 ZPO; Urteil vom 30. September 1987 - 4 AZR 233/87 - BAGE 56, 179 = AP Nr. 33 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag).
2. Diese Rechtsprechung wurde vom Bundesverfassungsgericht beanstandet (BVerfG Beschlüsse vom 15. Januar 1992 - 1 BvR 1140/86 - BB 1992, 644 und- 1 BvR 1184/86 - AP Nr. 16 zu § 64 ArbGG 1979). Es hat zwar die Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts an die Wirksamkeit einer Rechtsmittelzulassung für sich genommen als verfassungsrechtlich nicht bedenklich bezeichnet. Mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der fairen Verfahrensgestaltung nicht mehr vereinbar sei jedoch der gleichzeitige Ausschluß jeglicher Korrekturmöglichkeit für den Fall einer versehentlich unterbliebenen Verkündung der Zulassungsentscheidung. Dadurch werde den Rechtsuchenden ein gesetzlich vorgesehenes Rechtsmittel versagt, obwohl ihnen das Gericht selbst den Weg in die nächste Instanz habe eröffnen wollen. Dies sei mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Grundsatz der fairen Prozeßgestaltung nicht zu vereinbaren. Bei verfassungskonformer Auslegung der Verfahrensvorschriften könne ein solches rechtsstaatswidriges Ergebnis vermieden werden. Auf welchem Wege dies am besten zu geschehen habe, schreibe das Verfassungsrecht nicht vor.
3. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts führten zu einer Änderung der Rechtsprechung. Die Senate des Bundesarbeitsgerichts haben jedoch nicht einheitlich entschieden. Die bisher ergangenen Entscheidungen befassen sich zwar ausschließlich mit der Zulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts nach § 72 Abs. 1 ArbGG. Die hierzu aufgestellten Grundsätze gelten aber wegen der insoweit gleichen gesetzlichen Regelung in § 64 Abs. 2 ArbGG auch für die Zulassung der Berufung in dem Urteil des Arbeitsgerichts. Auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die die Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bewirkt haben, betrafen die Zulassung der Berufung.
a) Einigkeit besteht darüber, daß das vom Bundesverfassungsgericht als rechtsstaatswidrig beanstandete Ergebnis entweder durch die vollständige oder teilweise Aufgabe des Verkündungserfordernisses der Zulassungsentscheidung oder durch eine Lockerung der Voraussetzungen einer nachträglichen Korrektur von Irrtümern vermieden werden kann.
Eine Erweiterung der Möglichkeit der Urteilsberichtigung gemäß § 319 ZPO auf den Fall, daß das Gericht die Zulassung zwar beschlossen hat, dies aber weder aus dem Zusammenhang des verkündeten Urteils noch aus den Umständen bei der Verkündung für Außenstehende erkennbar geworden ist, wird vom Vierten wie vom Ersten Senat abgelehnt. Der Vierte Senat meint, daß ein gerichtsintern gebliebener Vorgang nicht als "offenbare Unrichtigkeit" im Sinne des § 319 ZPO bezeichnet werden könne, da er für Außenstehende nicht erkennbar sei (vgl. Urteil vom 23. November 1994 - 4 AZR 528/92 - BAGE 78, 294 = AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG 1979). Der Erste Senat weist darauf hin, daß die zeitlich unbefristete Korrekturmöglichkeit gemäß § 319 ZPO nur deswegen verständlich und den Parteien zumutbar sei, weil Fehler, die offensichtlich und damit auch Außenstehenden erkennbar seien, keinen Vertrauensschutz begründen könnten, sondern jederzeit mit der Berichtigung gerechnet werden müsse. Daraus folge, daß Irrtümer und Versehen, die nur die beteiligten Richter kennen, nicht nachträglich berichtigt werden könnten. Anderenfalls könne die Rechtsmittelfähigkeit einer Entscheidung durch bloßen Berichtigungsbeschluß zeitlich unbegrenzt nachgeholt werden, und zwar selbst dann, wenn die Parteien bereits auf die Rechtskraft des Urteils vertrauen durften. Dies widerspreche dem Zweck des § 319 ZPO (Urteil vom 31. Oktober 1995, - 1 AZR 372/95 - AP Nr. 29 zu § 72 ArbGG 1979).
b) Keine Übereinstimmung besteht darin, ob auf das Verkündungserfordernis der Zulassungsentscheidung gänzlich oder nur im Ausnahmefall zu verzichten ist.
aa) Der Vierte Senat hält an dem Grundsatz fest, daß die Zulassung der Revision zu ihrer Wirksamkeit der Verkündung bedarf. Nur ausnahmsweise könne die Zulassung in den Entscheidungsgründen des Urteils nachgeholt werden, wenn sie vom Gericht beschlossen, aber versehentlich nicht verkündet und dies in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck gebracht worden sei. Das Gebot der Rechtsmittelklarheit verlange, daß möglichst bei Urteilsverkündung Gewißheit über die Zulässigkeit eines Rechtsmittels bestehe. Von diesem Erfordernis sei nur insoweit abzurücken, wie es wegen fehlender Möglichkeit zur Korrektur einer versehentlich unterbliebenen Verkündung der Rechtsmittelzulassung mit dem Grundsatz der fairen Prozeßgestaltung kollidiere (Urteil vom 23. November 1994, aaO).
Dem hat sich der Siebte Senat angeschlossen (vgl. Urteil vom 26. April 1995 - 7 AZR 984/93 - AP Nr. 6 zu § 41 SGB VI).
bb) Demgegenüber hat der Erste Senat das Verkündungserfordernis der Rechtsmittelzulassung aufgegeben. Er ist der Ansicht, die Revisionszulassung in den Entscheidungsgründen sei zwar unsachgemäß, aber dennoch wirksam. Dem Wortlaut des § 72 Abs. 1 ArbGG sei nicht zu entnehmen, daß die vom Gericht beschlossene Revisionszulassung verkündet werden müsse. Auch die Zulassung durch das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde könne ohne mündliche Verhandlung und damit ohne Verkündung beschlossen werden. Das Interesse der Parteien daran, bereits bei Urteilsverkündung Kenntnis über die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels zu erlangen, müsse nicht uneingeschränkt geschützt werden. Dies ergebe sich bereits daraus, daß die obsiegende Partei stets mit einer Nichtzulassungsbeschwerde rechnen müsse, deren Erfolgsaussicht unter Umständen erst nach Vorliegen der Entscheidungsgründe erkennbar werde. Im übrigen sei es bereits nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig, die Revisionszulassung noch in den Entscheidungsgründen einzuschränken, was sich mit dem strengen Verkündungserfordernis nicht vereinbaren lasse. Zwar sei die Zulassung grundsätzlich zu verkünden, ihre Wirksamkeit hänge davon jedoch nicht ab. Eine Beschränkung der Wirksamkeit der Revisionszulassung in den nicht verkündeten Entscheidungsgründen auf den Fall, daß die Verkündung versehentlich unterblieben ist, sei abzulehnen. Das bloße Versehen eines Gerichts, das für die Parteien nicht erkennbar sei, könne kein taugliches Unterscheidungsmerkmal für Verfahrensgrundsätze sein, die der Rechtsmittelklarheit dienen sollen (Urteil vom 31. Oktober 1995, aaO).
cc) Das Schrifttum spricht sich einmütig dafür aus, auf das Verkündungserfordernis der Rechtsmittelzulassung gänzlich zu verzichten (vgl. Germelmann/ Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 72 Rz 27; Vollkommer/Schwaiger, Anmerkung zu EzA § 72 ArbGG 1979 Nr. 20; Dütz/Paur, Anmerkung zu AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG 1979; Brehm, Anmerkung zu EzA § 72 ArbGG 1979 Nr. 17; offengelassen von Bepler, AuR 1997, 421). Auch der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
Zu Recht haben Brehm (Anm. zu EzA § 72 ArbGG 1979 Nr. 17) und Dütz/Paur (Anm. zu AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG 1979) bereits in ihren Stellungnahmen zum Urteil des Vierten Senats vom 23. November 1994 (aaO) darauf hingewiesen, daß auch im Zivilprozeß trotz des dort ebenfalls bestehenden Interesses an Rechtsmittelklarheit keine Verkündung der Zulassungsentscheidung gefordert werde, es ungewöhnlich sei, wenn ein Versehen des Gerichts den angeblich nötigen Publizitätsakt der Verkündung ersetzen solle, und daß auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Rechtsmittelklarheit nicht vollständig gewährleiste, weil nach ihr Einschränkungen der Revisionszulassung auch in den Entscheidungsgründen wirksam erfolgen könnten und zudem wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde die Parteien erst nach Ablauf der Beschwerdefrist gemäß § 72 a Abs. 2 Satz 1 ArbGG wüßten, ob die Entscheidung in Rechtskraft erwächst. Vollkommer/Schwaiger (Anm. zu EzA § 72 ArbGG 1979 Nr. 20) haben in ihrer zustimmenden Stellungnahme zur Entscheidung des Ersten Senats vom 31. Oktober 1995 (aaO) zu Recht bemerkt, daß § 60 Abs. 2 ArbGG mit der im Verhältnis zu § 311 Abs. 2 ZPO erweiterten Verkündung die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Verkündung der Rechtsmittelzulassung nicht zu entnehmen und durch die Teillösung des Vierten Senats mehr Sicherheit nicht gewonnen sei, weil die Parteien zunächst bei unterbliebener Verkündung nicht wissen könnten, ob die Revisionszulassung nur versehentlich nicht verkündet wurde. Denn, daß das gerichtliche Versehen für die Parteien erkennbar sein müsse, verlangten der Vierte und der Siebte Senat nicht.
III. Der anfragende Senat hatte in der in § 77 Satz 2 ArbGG vorgeschriebenen Besetzung zu beschließen, also ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter. § 45 Abs. 3 Satz 3 ArbGG ist im Verfahren betreffend die Revisionsbeschwerde nicht anzuwenden.
Diese Bestimmung, die vorschreibt, daß über die Anfrage der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung entscheidet, hat ihre heutige, seit dem 1. Januar 1992 geltende Fassung durch Art. 3 Nr. 1 des Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2847) erhalten. Sie ist dem in Art. 2 Nr. 11 dieses Gesetzes ebenfalls neu gefaßten § 132 GVG nachgebildet, der in Abs. 3 Satz 3 für die Großen Senate des Bundesgerichtshofs eine dem § 45 Abs. 3 Satz 3 ArbGG entsprechende Regelung trifft. Aus der amtlichen Begründung (BT-Drucks. 11/3621 S. 54 und S. 56) ergibt sich, daß davon abgesehen wurde, dem § 132 Abs. 3 Satz 3 GVG und dem § 45 Abs. 3 Satz 3 ArbGG entsprechende Bestimmungen auch für die Vorlagen selbst zu erlassen. Begründet wurde dies damit, daß eine solche Bestimmung "nur wiedergeben würde, was geltende Praxis der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist". Dies macht deutlich, daß der Zweck von § 132 Abs. 3 Satz 3 GVG und § 45 Abs. 3 Satz 3 ArbGG darin besteht sicherzustellen, daß ein Senat bei der Anfrage in gleicher Besetzung tätig wird wie bei der Vorlage, die regelmäßig nach mündlicher Verhandlung und somit in der Urteilsbesetzung (§ 41 Abs. 2 ArbGG) erfolgt. Das Gericht soll also nach dem Willen des Gesetzgebers über Anfrage und Vorlage in der gleichen Besetzung entscheiden. Diesem Zweck würde es widersprechen, für die Anfrage die Urteilsbesetzung auch zu fordern, wenn für die Vorlage und die Entscheidung in der Sache ausnahmsweise eine andere Besetzung der Richterbank ausdrücklich vorgeschrieben ist. Dies ist in § 77 Satz 2 ArbGG geschehen, der bestimmt, daß das Bundesarbeitsgericht über die dort geregelte sofortige Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter entscheidet. Diese wirken somit auch nicht an der Entscheidung über die Anfrage nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG mit.
Unterschriften
Dr. Peifer Dr. Armbrüster Gräfl
Fundstellen