Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses
Orientierungssatz
Ist ein Verweisungsbeschluß den Parteien nicht zugestellt worden, so konnte das Gericht, an den der Rechtsstreit verweisen wurde, zu Recht die Übernahme des Rechtsstreits ablehnen, da der Verweisungsbeschluß noch nicht rechtskräftig war.
Verfahrensgang
ArbG Wilhelmshaven (Entscheidung vom 10.02.1993; Aktenzeichen 2 Ca 187/93) |
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten mit der Behauptung auf Schadenersatz in Anspruch, der Beklagte habe gegen die ihm als Geschäftsführer obliegende Verpflichtung, keine Geschäfte für eigene Rechnung zu tätigen und Geschäftschancen der Klägerin nicht für sich selbst zu verwerten, verstoßen und unerlaubte Provisionsgeschäfte vorgenommen. Sie hat ihre Klage zum Amtsgericht Jever erhoben. Dieses hat durch Versäumnisurteil vom 16. November 1992 nach Antrag gegen den Beklagten erkannt. Nach Einspruch des Beklagten hat das Amtsgericht sich durch Beschluß vom 11. Januar 1993 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten an das Arbeitsgericht Wilhelmshaven verwiesen. Der Beschluß enthält keine Begründung; er wurde den Parteien auch nicht zugestellt. Das Arbeitsgericht Wilhelmshaven lehnte die Übernahme des Rechtsstreits durch Beschluß vom 10. Februar 1993 ab. Es hat die Sache dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II. Zuständig ist derzeit das Amtsgericht Jever.
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Diese Vorschrift ist auch bei einem negativen Kompetenzkonflikt von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten anwendbar (BAGE 44, 246 = AP Nr. 34 zu § 36 ZPO). Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder durch ein Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist vorliegend für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in den Zuständigkeitsstreit zwischen dem Arbeitsgericht und dem Amtsgericht zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist (vgl. BAG Beschluß vom 29. September 1976 - 5 AR 232/76 - AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 1 der Gründe, m. w. N.; BGHZ 44, 14, 15).
Allerdings hat das Arbeitsgericht Wilhelmshaven die Übernahme des Rechtsstreits in erster Linie deshalb abgelehnt, weil es der Ansicht ist, der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts sei wegen fehlender Zustellung noch nicht rechtskräftig. Es hat sich damit also nur für zur Zeit unzuständig erklärt. Doch auch in diesem Sonderfall eines negativen Kompetenzkonfliktes ist § 36 Nr. 6 ZPO von seinem Sinn und Zweck her entsprechend anzuwenden, da die Ablehnung einer Entscheidung einer mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbaren Rechtsverweigerung gleichkäme (BAGE 23, 167, 169 = AP Nr. 8 zu § 36 ZPO).
2. Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Jever ist nicht rechtskräftig geworden.
a) Verweisungsbeschlüsse nach § 17 a GVG n. F. sind förmlich zuzustellen (§ 329 Abs. 3 ZPO).
b) Das abgebende Gericht darf die Akte nicht vor Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses an das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, übersenden (§ 17 b Abs. 1 GVG n. F.). Bei unterbliebener Zustellung von Verweisungsbeschlüssen ordentlicher Gerichte sind die §§ 516, 552 ZPO entsprechend anzuwenden. Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde beginnt dann fünf Monate nach der Verkündung oder - bei nicht verkündeten Beschlüssen - fünf Monate nach der formlosen Mitteilung des Verweisungsbeschlusses.
Das hat der Senat mit ausführlicher Begründung in seinem zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung und in der Fachpresse bestimmten Beschluß vom 1. Juli 1992 (- 5 AS 4/92 -) dargelegt. Hierauf wird verwiesen.
c) Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus folgendes: Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Jever vom 11. Januar 1993 ist den Parteien zu keiner Zeit formgerecht zugestellt worden. Eine Heilung dieses Mangels kommt nicht in Betracht (§ 187 Satz 2 ZPO). Das Amtsgericht Jever durfte daher die Akten dem Arbeitsgericht Wilhelmshaven weder sofort nach der Beschlußfassung noch später übersenden. Es hätte vielmehr seinen Beschluß begründen und die Zustellung veranlassen müssen. Erst nach Ablauf der Beschwerdefrist hätte es die Akten übersenden dürfen. Da der Verweisungsbeschluß noch nicht rechtskräftig war, die Voraussetzungen des § 17 b Abs. 1 Satz 1 GVG n. F. also noch nicht vorlagen, hat das Arbeitsgericht Wilhelmshaven die Übernahme des Rechtsstreits zu Recht abgelehnt. Es durfte die Akten daher ohne Verstoß gegen § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n. F., wonach Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das verwiesen worden ist, bindend sind, an das Amtsgericht zurücksenden.
3. Das Bundesarbeitsgericht kann das zuständige Gericht nicht endgültig bestimmen. § 36 Nr. 6 ZPO ist im vorliegenden Fall nur entsprechend anwendbar. Die Vorschrift kann nicht dazu führen, daß anstelle der in § 17 a Abs. 4 GVG vorgesehenen Instanzen das nach § 36 Nr. 6 ZPO zuständige Gericht entscheidet. Das Bundesarbeitsgericht kann also in diesem Fall nur klarstellen, daß der Rechtsstreit wegen fehlender Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses noch immer vor dem Amtsgericht Jever anhängig ist.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Reinecke
Fundstellen