Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde wegen Gehörsverletzung. Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage
Leitsatz (amtlich)
Allein der Umstand, dass sich die Gründe einer Entscheidung mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinander setzen, rechtfertigt nicht die Annahme, das Landesarbeitsgericht habe den Gesichtspunkt unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör übergangen. Hierzu bedarf es besonderer Anhaltspunkte.
Orientierungssatz
- Will ein Beschwerdeführer gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. ArbGG (nF) geltend machen, das Landesarbeitsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es bei seiner Entscheidung wesentliches Vorbringen übergangen habe, muss er dies konkret dartun.
- Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht ein Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu behandeln. Für die Annahme, ein Gericht habe ein entscheidungserhebliches Vorbringen nicht erwogen, bedarf es besonderer Umstände.
- Durch das Anhörungsrügengesetz vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3220) ist die nach § 92a Satz 1 ArbGG (aF) für Beschlussverfahren geltende Beschränkung der Grundsatzbeschwerde auf Streitigkeiten über die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung entfallen.
- Eine auf die grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage gestützte Nichtzulassungsbeschwerde setzt voraus, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt.
Normenkette
ArbGG n.F. § 72 Abs. 2 Nr. 3; ArbGG (in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung) § 72 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 72a Abs. 3 S. 2 Nr. 3, § 92a; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 313 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 19. November 2004 – 8 TaBV 1670/04 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Versetzung von drei Arbeitnehmerinnen, welche die Arbeitgeberin vorgenommen hat, obwohl der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert hatte. Der Betriebsrat hatte dies damit begründet, dass in den betriebsinternen Ausschreibungen die Gehaltsgruppen der zu besetzenden Stellen nicht mitgeteilt worden seien. Die Arbeitgeberin hat die Zustimmungsverweigerung für rechtsmissbräuchlich erachtet. Die Vorinstanzen haben ihr – entsprechend dem Antrag des Betriebsrats – aufgegeben, die Versetzungen aufzuheben, und ihre im Wesentlichen auf die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats gerichteten Wideranträge abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Landesarbeitsgericht wendet sich die Arbeitgeberin mit der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die auf Divergenz, grundsätzliche Bedeutung und auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist insgesamt unbegründet.
1. Die Arbeitgeberin hat keine entscheidungserhebliche Divergenz iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG dargetan.
a) Gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 iVm. § 92a ArbGG ist im Beschlussverfahren eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz dann begründet, wenn in der anzufechtenden Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt wird, der von einem abstrakten Rechtssatz eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte zur selben Rechtsfrage abweicht und die anzufechtende Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Eine lediglich fehlerhafte oder den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entsprechende Rechtsanwendung vermag eine rechtserhebliche Divergenz nicht zu begründen (vgl. etwa BAG 23. Juli 1996 – 1 ABN 18/96 – AP ArbGG 1979 § 72a Divergenz Nr. 33 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 76, zu II 1 der Gründe mwN). Ein abstrakter Rechtssatz liegt nur vor, wenn durch fallübergreifende Ausführungen ein Grundsatz aufgestellt wird, der für eine Vielzahl von gleich gelagerten Fällen Geltung beansprucht. Er kann auch in scheinbar einzelfallbezogenen Ausführungen enthalten sein. Jedoch müssen sich die voneinander abweichenden abstrakten Rechtssätze aus der anzufechtenden und den angezogenen Entscheidungen unmittelbar ergeben und so deutlich ablesbar sein, dass nicht zweifelhaft bleibt, welche abstrakten Rechtssätze die Entscheidungen jeweils aufgestellt haben (vgl. etwa BAG 26. Juli 1994 – 1 AZN 324/94 – NZA 1995, 807, zu II 1 der Gründe mwN). Die anzufechtende Entscheidung beruht auf dem abstrakten Rechtssatz, wenn das Beschwerdegericht auf der Grundlage des in der angezogenen Entscheidung enthaltenen Rechtssatzes möglicherweise eine andere, für den Nichtzulassungsbeschwerdeführer günstigere Entscheidung getroffen hätte (BAG 23. Juli 1996 aaO). Hinsichtlich der Divergenzbeschwerde ist durch das Anhörungsrügengesetz vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3220) keine Änderung eingetreten.
b) Hiernach rechtfertigt das Vorbringen der Arbeitgeberin eine Rechtsbeschwerde wegen Divergenz nicht. Nach der Behauptung der Arbeitgeberin soll das Landesarbeitsgericht folgenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt haben:
“Es ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Betriebsrat die Zustimmung zu gleich gelagerten personellen Maßnahmen wiederholt unter Berufung auf § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG mit der Begründung verweigert, dass eine innerbetriebliche Stellenausschreibung die Tarifgruppe der zu besetzenden Stelle nicht nennt und deshalb als unterblieben gilt, da nicht allgemein anerkannt ist, dass diese Begründung zur Verweigerung der Zustimmung nicht berechtigt. Allgemein anerkannt ist, was obergerichtlich entschieden ist.”
Die Arbeitgeberin behauptet, damit habe das Landesarbeitsgericht den Rechtssatz aufgestellt, es sei nicht allgemein anerkannt, dass die Zustimmungsverweigerung wegen der fehlenden Tarifgruppe in Stellenausschreibungen unberechtigt sei.
Ausdrücklich formuliert hat das Landesarbeitsgericht diese Rechtssätze nicht. Ob sie sich der anzufechtenden Entscheidung zwingend entnehmen lassen, kann dahinstehen. Auch kommt es nicht darauf an, ob das Bundesarbeitsgericht in den Entscheidungen vom 27. Mai 1982 (– 6 ABR 105/79 –), vom 31. Mai 1983 (– 1 ABR 6/80 –), vom 31. Januar 1984 (– 1 ABR 63/81 –), vom 14. Januar 1986 (– 1 ABR 82/83 –) und vom 23. Februar 1988 (– 1 ABR 82/86 –), das Hessische Landesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 21. Dezember 1982 (– 4 TaBV 70/82 –) sowie das Landesarbeitsgericht Berlin in der Entscheidung vom 12. November 2004 (– 2 TaBV 1772/04 –) die auf den Seiten 9 und 10 der Beschwerdebegründung angeführten Rechtssätze aufgestellt haben. Denn jedenfalls liegt keine Divergenz zwischen den angeführten Rechtssätzen aus der anzufechtenden und den angezogenen Entscheidungen vor. Die Rechtssätze aus den angezogenen Entscheidungen verhalten sich anders als die behaupteten Rechtssätze aus der anzufechtenden Entscheidung weder zu der Frage, wann die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats rechtsmissbräuchlich ist, noch dazu, was “allgemein anerkannt” ist. Der Sache nach rügt die Arbeitgeberin die nach ihrer Auffassung unrichtige Rechtsanwendung durch das Landesarbeitsgericht. Dies vermag die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht zu rechtfertigen.
2. Die Beschwerde ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung begründet. Dabei wird zu Gunsten der Beschwerdeführerin davon ausgegangen, dass auf die nach dem 1. Januar 2005 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde gegen die vor dem 1. Januar 2005 ergangene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bereits das am 1. Januar 2005 ohne Übergangsregelung in Kraft getretene Anhörungsrügengesetz anzuwenden ist und dementsprechend die in § 92a Satz 1 ArbGG (aF) enthaltene Beschränkung der Grundsatzbeschwerde auf Streitigkeiten über die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung nicht mehr gilt.
a) Nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 92a ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (vgl. etwa BAG 28. September 1989 – 6 AZN 303/89 – BAGE 63, 58, 62, zu II 1 der Gründe; 15. November 1995 – 4 AZN 580/95 – AP ArbGG 1979 § 72a Grundsatz Nr. 49 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 72, zu II 2a der Gründe; 26. September 2000 – 3 AZN 181/00 – BAGE 95, 372, 375, zu II 2 der Gründe). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage, wenn sie in der Rechtsbeschwerdeinstanz beantwortet werden kann. Klärungsbedürftig ist sie, wenn sie höchstrichterlich noch nicht entschieden (vgl. etwa BAG 16. September 1997 – 9 AZN 133/97 – AP ArbGG 1979 § 72a Grundsatz Nr. 54 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 82, zu II 1 der Gründe mwN) und ihre Beantwortung nicht offenkundig ist (vgl. BAG 25. Oktober 1989 – 2 AZN 401/89 – AP ArbGG 1979 § 72a Grundsatz Nr. 39 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 56, zu I 2c der Gründe mwN). Entscheidungserheblich ist sie, wenn die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts von ihr abhing.
b) Hiernach kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hing nicht von einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage ab. Das Landesarbeitsgericht hat seine Beurteilung, eine rechtsmissbräuchliche Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats liege im Streitfall nicht vor, im Wesentlichen damit begründet, dass ein geltend gemachter Zustimmungsverweigerungsgrund jedenfalls dann nicht als “allgemein nicht anerkannt” erachtet werden könne, wenn es dazu keine obergerichtliche Entscheidung gebe und das Schrifttum uneinheitlich sei. Diese rechtliche Würdigung stellt keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dar. Sie ist vielmehr offenkundig zutreffend. Jedenfalls in rechtlich nicht eindeutigen Fällen, in denen es weder eine gefestigte Rechtsprechung noch ein einheitliches Schrifttum gibt, kann nicht davon gesprochen werden, eine bestimmte Rechtsauffassung sei “allgemein anerkannt”.
3. Ohne Erfolg macht die Beschwerdeführerin auch geltend, sie sei durch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Auch insoweit wird zu Gunsten der Beschwerdeführerin von der Anwendbarkeit des ArbGG in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung ausgegangen. Nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage vermochte eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör die Zulassung der Revision ohnehin nicht zu rechtfertigen (BVerfG 4. August 1995 – 1 BvR 606/94 – NZA 1995, 1222 mwN).
a) Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG (nF) eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, muss nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG (nF) die Beschwerdebegründung die Darlegung der Verletzung dieses Anspruchs und deren Entscheidungserheblichkeit enthalten. Will der Beschwerdeführer geltend machen, das Landesarbeitsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es seine Ausführungen nicht berücksichtigt habe, muss er konkret dartun, welches wesentliche Vorbringen das Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung übergangen haben soll. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu behandeln (vgl. etwa BVerfG 8. Oktober 2003 – 2 BvR 949/02 – RdL 2004, 68, zu II 1a der Gründe; BGH 27. März 2003 – V ZR 291/02 – BGHZ 154, 288, 300, zu 3b bb (3) der Gründe). Nach § 313 Abs. 3 ZPO sollen die Entscheidungsgründe eine “kurze Zusammenfassung” der Erwägungen enthalten, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Allein der Umstand, dass sich die Gründe einer Entscheidung mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinander setzen, rechtfertigt daher nicht die Annahme, das Gericht habe diesen Gesichtspunkt bei seiner Entscheidung nicht erwogen. Vielmehr bedarf es hierzu besonderer Umstände (vgl. BVerfG 8. Oktober 2003, aaO; BGH 27. März 2003 – VI ZR 291/02 – aaO). Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer die Entscheidungserheblichkeit der Gehörsverletzung darzutun. Hierzu muss nachvollziehbar dargelegt werden, dass das Landesarbeitsgericht nach seiner Argumentationslinie unter Berücksichtigung des entsprechenden Gesichtspunkts möglicherweise anders entschieden hätte.
b) Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Zu Unrecht rügt die Arbeitgeberin, das Landesarbeitsgericht habe nicht den Aspekt berücksichtigt, dass eine Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats sich als rechtsmissbräuchlich und daher unbeachtlich erweisen könne, wenn ihr eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle vorausgegangen sei, ohne dass der Betriebsrat Überlegungen und Versuche zur Vermeidung zahlreicher Zustimmungsersetzungsverfahren angestellt hätte. Zwar hat sich das Landesarbeitsgericht mit diesem Argument nicht ausdrücklich auseinander gesetzt. Es hat jedoch die Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit der Zustimmungsverweigerung ausführlich geprüft. Besondere Umstände für die Annahme, dass es den von der Arbeitgeberin in diesem Zusammenhang auch geltend gemachten Aspekt überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hätte, sind nicht dargetan. Im Übrigen ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das Landesarbeitsgericht bei ausdrücklicher Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts anders entschieden hätte.
Unterschriften
Schmidt, Frischholz, Linsenmaier, Kreft, Inge Leising
Fundstellen
Haufe-Index 1341827 |
BAGE 2006, 157 |
BB 2005, 1688 |
DB 2005, 1012 |
FA 2005, 212 |
FA 2005, 256 |
NZA 2005, 652 |
SAE 2005, 260 |
AnwBl 2005, 63 |
EzA |
MDR 2005, 1008 |
AUR 2005, 238 |
ArbRB 2005, 161 |
ArbRB 2005, 207 |
NJW-Spezial 2005, 277 |
BAGReport 2005, 303 |