Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg – Organvertreter
Leitsatz (amtlich)
Begehrt ein Organvertreter iSv. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die Feststellung des Fortbestehens seines Arbeitsverhältnisses, ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nur dann eröffnet, wenn die Rechtsstreitigkeit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person nicht das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis, sondern eine weitere Rechtsbeziehung betrifft (Fortführung von Senat 6. Mai 1999 – 5 AZB 22/98 – AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 46 und Senat 19. Dezember 2000 – 5 AZB 16/00 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 52).
Normenkette
ArbGG § 5 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die weitere sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 8. Februar 2001 – 6 Ta 188/00 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 8.933,33 DM festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtsweges.
Der Beklagte ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er ist Rechtsnachfolger des Trink- und Abwasserzweckverbandes S. (TAZS), der aus dem S. Wasser- und Abwasserzweckverband (SWAZV) hervorgegangen ist. Der SWAZV wurde durch einen ehrenamtlichen Vorsitzenden vertreten.
Nach dem am 30. Dezember 1991 in Kraft getretenen Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit (GKG) in Brandenburg wird der Verband nach § 16 Abs. 2 Satz 1 GKG gerichtlich und außergerichtlich durch den zu wählenden Verbandsvorsteher vertreten. Auf bestehende Zweckverbände ist das GKG nach § 29 Abs. 1 GKG erst anzuwenden, wenn die Verbandssatzungen den Vorschriften des GKG angepaßt sind. Solange bleiben die Verbandssatzungen dieser Zweckverbände und die ihnen zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften in Kraft.
Am 24. Juni 1992 beschloß die Mitgliederversammlung des TAZS eine neue Verbandssatzung. Nach § 15 dieser Satzung führt ein hauptamtlich tätiger Verbandsvorsteher den Vorsitz im Vorstand. Gemäß § 9 Nr. 4 der Satzung wird der Verbandsvorsteher von der Verbandsversammlung für die Dauer von acht Jahren gewählt. Die Satzung trat nach ihrer Genehmigung und Veröffentlichung am 8. Oktober 1992 in Kraft.
Die Mitgliederversammlung wählte am 24. Juni 1992 den Kläger zum Verbandsvorsteher. Am 21. August 1992 wurde zwischen dem Kläger und dem TAZS ein mit „Arbeitsvertrag” überschriebenes Vertragswerk unterzeichnet. In dem vorformulierten Vertrag ist in § 1 als Tätigkeit des Klägers „Verbandsvorsteher” angegeben. Nach § 2 sollte die Tätigkeit am 1. September 1992 beginnen, die ersten sechs Monate wurden als Probezeit vereinbart. Die Vergütung richtete sich nach der VergGr. II BAT-O. Gemäß § 11 des Vertrags wurde dieser Vertrag für eine Dauer von acht Jahren geschlossen. In § 13 ist ergänzend vereinbart, daß die Bestimmungen der Satzung des Trink- und Abwasserzweckverbands vorrangig vor diesem Vertrag gelten sollen. Weiterhin ist bestimmt, daß dieser Vertrag durch einen Verbandsvorsteheranstellungsvertrag abgelöst werden soll.
Am 23. Juni 1993 vereinbarten der Kläger und der Beklagte in einem vorformulierten Vertrag, daß der Kläger ab 1. Juli 1993 als vollzeitbeschäftigter Angestellter beschäftigt wird und sich die Vergütung nach der VergGr. I BAT richtet.
Der Beklagte stellte den Kläger ab 5. Juni 2000 von der Arbeit frei. Mit Schreiben vom 29. Juni 2000 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, daß der bestehende Dienstvertrag am 31. August 2000 enden werde. Vorsorglich kündigte der Beklagte das Dienstverhältnis zum 30. September 2000. Der vorsorglichen Kündigung widersprach der Kläger mit Schreiben vom 3. Juli 2000 mit der Begründung, der Unterzeichner des Kündigungsschreibens sei nicht allein vertretungsberechtigt gewesen. Daraufhin sprach der Beklagte am 28. September 2000 eine weitere Kündigung aus.
Der Kläger macht geltend, die Befristung des Arbeitsvertrags sei unwirksam. Die Kündigungen seien wegen mangelnder Vertretungsmacht und fehlender sozialer Rechtfertigung unwirksam.
Der Kläger beantragt
festzustellen, daß die Befristung seines Arbeitsvertrags zum 30. August 2000 sowie die Kündigungen vom 29. Juni 2000 zum 30. September 2000 und vom 28. September 2000 zum 31. Dezember 2000 unwirksam sind und daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 31. Dezember 2000 hinaus fortbesteht.
Der Beklagte rügt die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Cottbus verwiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen und die weitere sofortige Beschwerde zugelassen. Mit dieser begehrt der Kläger, den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig zu erklären.
II. Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen verneint. Der Kläger gilt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht als Arbeitnehmer, weil er kraft Satzung zur Vertretung der beklagten Körperschaft des öffentlichen Rechts berufen ist.
1. Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte folgt nicht bereits aus der vom Kläger begehrten Feststellung des Fortbestehens eines Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten. Zwar ist nach der Senatsrechtsprechung mit diesem Antragsinhalt nicht nur Streitgegenstand die Frage, ob das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien durch die vom Beklagten erklärte Kündigung beendet worden ist. Streitgegenstand ist vielmehr auch, ob dieses Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis gewesen ist. Denn die beantragte Feststellung setzt voraus, daß im Zeitpunkt der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien tatsächlich bestanden hat. Andernfalls ist der Antrag schon deshalb unbegründet. Der Klageerfolg hängt bei dieser Antragstellung folglich auch von Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtsweges entscheidend sind. Wegen dieser Doppelrelevanz sind die Gerichte für Arbeitssachen grundsätzlich zur Entscheidung über einen Antrag, der auf die Feststellung des Fortbestehens eines Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, zuständig (vgl. Senat 19. Dezember 2000 – 5 AZB 16/00 – EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 52; Senat 7. März 2001 – 5 AZB 35/00 – nv.).
Diese Rechtsgrundsätze gelten, wenn zwischen den Parteien im Streit ist, ob der Kläger Arbeitnehmer oder Selbständiger, insbesondere selbständiger Gewerbetreibender im Sinne des HGB oder freier Mitarbeiter ist. Sie finden jedoch keine Anwendung, wenn der Kläger zu dem Personenkreis gehört, der nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht als Arbeitnehmer anzusehen ist. Denn die Fiktion greift unabhängig davon ein, ob sich das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis darstellt (Senat 13. Mai 1996 – 5 AZB 27/95 – sowie vom 6. Mai 1999 – 5 AZB 22/98 – AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 27 und 46).
§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG betrifft das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis. Dieses ist bei Vertretern juristischer Personen von der Organstellung zu unterscheiden. Die Bestellung und die Abberufung als Vertretungsorgan sind ausschließlich körperschaftliche Rechtsakte. Durch sie werden gesetzliche und satzungsmäßige Kompetenzen übertragen oder wieder entzogen. Dagegen ist die Anstellung zum Zwecke des Tätigwerdens als Vertretungsorgan ein schuldrechtlicher gegenseitiger Vertrag (vgl. Senat 16. September 1998 – 5 AZR 181/97 – BAGE 89, 376; Senat 6. Mai 1999 aaO).
Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gilt unabhängig davon, ob das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich ein freies Dienstverhältnis oder ein Anstellungsverhältnis ist. Auch wenn das Anstellungsverhältnis zwischen juristischer Person und Vertretungsorgan wegen starker interner Weisungsabhängigkeit als Arbeitsverhältnis anzusehen sein sollte und deshalb dem materiellen Arbeitsrecht unterliegt, sind zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten aus dieser Rechtsbeziehung wegen § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, § 13 GVG die ordentlichen Gerichte berufen. Nur dann, wenn die Rechtsstreitigkeit zwischen dem Mitglied des Vertretungsorgans und der juristischen Person nicht das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis, sondern eine weitere Rechtsbeziehung betrifft, greift die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht ein (vgl. Senat 6. Mai 1999 aaO). In den Fällen des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG fehlt es an der notwendigen Doppelrelevanz der Frage, ob das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist. Bei Organvertretern ist diese Frage für die Zulässigkeit des Rechtsweges unerheblich. Sie ist allein für die Begründetheit der Klage von Belang.
2. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht eröffnet ist. Die Auslegung des Vertrags vom 21. August 1992 ergibt, daß dieser Vertrag in Verbindung mit der Änderung vom 23. Juni 1993 die schuldrechtlichen Beziehungen der Parteien geregelt hat. Eine weitere Rechtsbeziehung der Vertragsparteien gab es nicht.
a) Der Kläger war als Verbandsvorsteher des Beklagten Vertretungsorgan iSv. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG. Der Organstellung lag der Arbeitsvertrag vom 21. August 1992 zugrunde. Dies folgt bereits aus der Bezeichnung der Tätigkeit des Klägers als „Verbandsvorsteher”. Der Vertrag wurde geschlossen, nachdem die Mitgliederversammlung nach Verabschiedung der Satzung den Kläger am 24. Juni 1992 zum Verbandsvorsteher gewählt hatte. Der im Arbeitsvertrag vom 21. August 1992 vereinbarte Beginn der Tätigkeit am 1. September 1992 stimmt mit dem unter TOP 4 der Mitgliederversammlung vom 24. Juni 1992 protokollierten Bemühen überein, den Verbandsvorsteher zum 1. September 1992 hauptamtlich einzusetzen. Daß dieser Arbeitsvertrag der Organstellung zugrunde liegen sollte, ergibt sich schließlich auch aus § 11 des Arbeitsvertrags, wonach der Vertrag für die Dauer von acht Jahren geschlossen wurde. Diese Laufzeit entspricht § 9 Nr. 4 der Satzung vom 24. Juni 1992, wonach der Verbandsvorsteher von der Verbandsversammlung für die Dauer von acht Jahren gewählt wird.
Der Vertrag vom 21. August 1992 wurde durch den Vertrag vom 23. Juni 1993 geändert. Der Kläger war danach ab 1. Juli 1993 nach der VergGr. I BAT und nicht mehr nach der VergGr. II BAT-O eingruppiert. Mit dieser Vereinbarung ist jedoch kein neues Arbeitsverhältnis begründet worden. Hierfür finden sich in dem Vertrag vom 23. Juni 1993 keine Anhaltspunkte.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist es unerheblich, daß die Satzung erst zum 8. Oktober 1992 in Kraft trat und er deshalb den Beklagten noch nicht wirksam als Verbandsvorsteher vertreten konnte. Das Wirksamwerden der Satzung betrifft lediglich die organschaftlichen Rechte und Pflichten des Klägers, die jedoch von dem zugrunde liegenden Anstellungsverhältnis zu trennen sind. Das spätere Inkrafttreten der Satzung bedeutete auch nicht, daß der Vertrag vom 21. August 1992 auf eine unmögliche Leistung gerichtet und deshalb nach § 306 BGB nichtig war. Bei verständiger Auslegung des Vertrags (§§ 133, 157 BGB) ergibt sich, daß der Kläger bis zum Wirksamwerden der Satzung ohne die organschaftlichen Befugnisse und mit Eintritt der rechtlichen Voraussetzungen als Vertretungsorgan tätig sein sollte.
b) Diesem Auslegungsergebnis steht nicht entgegen, daß in § 13 des Arbeitsvertrags vom 21. August 1992 vereinbart war, daß dieser Vertrag durch einen Verbandsvorsteheranstellungsvertrag abgelöst werden sollte und ein solcher nicht zustande gekommen ist. Entgegen der in der weiteren sofortigen Beschwerde geäußerten Rechtsauffassung des Klägers folgt daraus keineswegs „denkgesetzlich” eine Trennung der Rechtsbeziehungen vor dem Beginn der Organstellung und danach. Die Regelung in § 13 des Arbeitsvertrags vom 21. August 1992 macht lediglich deutlich, daß die Parteien beabsichtigt hatten, einen Verbandsvorsteheranstellungsvertrag zu schließen, der dann an die Stelle des Arbeitsvertrags vom 21. August 1992 treten sollte. Da ein solcher Verbandsvorsteheranstellungsvertrag nicht zustande kam, blieb es bei der Regelung aus dem Arbeitsvertrag vom 21. August 1992 als Grundlage der Organstellung des Klägers. Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß zum 8. Oktober 1992 mit dem Wirksamwerden der Satzung ein neuer mündlicher Dienstvertrag zustande kam.
Neben dem am 21. August 1992 vereinbarten Arbeitsverhältnis gibt es damit keine weitere Rechtsbeziehung zwischen den Parteien. Die Gerichte für Arbeitssachen sind damit für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht zuständig.
3. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
Unterschriften
Müller-Glöge, Kreft, Linck
Fundstellen
Haufe-Index 645044 |
BB 2001, 2328 |
BB 2001, 2535 |
DB 2001, 2660 |
ARST 2002, 69 |
FA 2001, 371 |
FA 2001, 374 |
NZA 2002, 52 |
SAE 2002, 201 |
AP, 0 |
EzA |
NJ 2002, 166 |