Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinbarte Nachwirkung einer freiwilligen Betriebsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1. Freiwillige Betriebsvereinbarungen, die keinen Gegenstand der erzwingbaren Mitbestimmung regeln, wirken nach ihrer Beendigung nicht kraft Gesetzes nach. Die Betriebspartner können aber eine entsprechende Nachwirkung vereinbaren.
2. Eine solche Vereinbarung ist im Regelfall dahin auszulegen, daß die Nachwirkung auch gegen den Willen einer Seite beendet werden kann. Im Zweifel ist eine Konfliktlösungsmöglichkeit gewollt, die derjenigen bei der erzwingbaren Mitbestimmung entspricht. Scheitern die Bemühungen um eine einvernehmliche Neuregelung, kann danach von jedem Betriebspartner die Einigungsstelle angerufen werden, die verbindlich entscheidet.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 6, § 76 Abs. 6, § 102 Abs. 6
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats und die Anschlußrechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. Mai 1997 - 3 TaBV 89/96 - werden zurückgewiesen.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über die Nachwirkung einer freiwilligen Betriebsvereinbarung.
Die Arbeitgeberin produziert Spezialpreßbleche. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb in Viersen ca. 140 Arbeitnehmer. Antragsteller ist der dort gewählte Betriebsrat.
Am 19. August 1991 schlossen die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin und der Antragsteller eine "Betriebsvereinbarung zur Regelung des Verfahrens bei personellen Maßnahmen (§§ 99, 102 BetrVG)". Diese enthält neben Verfahrensregelungen über die Beteiligung des Betriebsrats bei Einstellungen, Eingruppierungen, Umgruppierungen und Versetzungen unter Ziff. VI auch folgende Regelung über die Beteiligung bei Entlassungen:
VI. Entlassungen
1. Kündigungen
Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören, auch wenn diese innerhalb der Probezeit ausgesprochen wird. Unter Kündigung ist jede Art der Kündigung des Arbeitgebers zu verstehen, die ordentliche und die außerordentliche.
2. Änderungskündigungen
Die Änderungskündigung stellt sich unbeschadet der Wahlmöglichkeit des Arbeitnehmers, von der es abhängt, ob das weitere Verfahren nach § 102 Abs. 2 ff oder § 99 Abs. 2 ff BetrVG bestimmt wird, von Seiten des Arbeitgebers aus auch als eine Kündigung dar, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen kann.
3. Anderweitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Unter anderweitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses versteht man z.B. den Zeitablauf bei zulässig befristeten Arbeitsverhältnissen, Beendigung der Tätigkeit eines Leiharbeitnehmers, Ruhen des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes (Wehr- oder Ersatzdienst) o.ä..
Zu den Nummern VI. 1 und 2 steht dem Betriebsrat das Mitbestimmungsrecht zu. Eine Kündigung ohne ordentliche Anhörung und ohne Zustimmung des Betriebsrates ist unwirksam.
Unter "IX. Schlußbestimmungen" ist vereinbart:
A
Diese Betriebsvereinbarung tritt mit ihrer Unterzeichnung in Kraft und kann mit einer Frist von 3 Monaten zum Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Die Kündigung einzelner Teile dieser Vereinbarung hat keinen Einfluß auf die Wirksamkeit der übrigen Betriebsvereinbarung. Diese Vereinbarung hat Nachwirkung bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung.
Die Betriebsvereinbarung wurde von der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 25. September 1991 fristlos, hilfsweise zum 31. Dezember 1991 gekündigt. Eine weitere Kündigung erfolgte zum 31. Dezember 1994. Im Zusammenhang mit der zum 1. September 1994 erfolgten Übernahme des Betriebs durch die jetzige Inhaberin vereinbarte der Betriebsrat mit der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin einen Interessenausgleich, der u.a. vorsah, daß die Rechte gemäß der Betriebsvereinbarung vom 19. August 1991 beachtet werden.
Ende 1994/Anfang 1995 kündigte die jetzige Arbeitgeberin die Betriebsvereinbarung vorsorglich erneut. Zu dem Abschluß einer ablösenden Vereinbarung kam es aber nicht. Bei personellen Maßnahmen wurde das vereinbarte Mitbestimmungsrecht unverändert beachtet. 1996 wurden Gespräche über eine neue Vereinbarung geführt, die jedoch keine Einigung brachten. Die Arbeitgeberin kündigte deshalb die einseitige Einleitung eines Einigungsstellenverfahrens zum Zwecke einer Neuregelung an.
Der Antragsteller hat daraufhin mit seinem am 19. September 1996 bei Gericht eingegangenen Antrag die Feststellung begehrt, daß die Betriebsvereinbarung nachwirkt und die Entscheidung der einseitig angerufenen Einigungsstelle diese Nachwirkung nicht beseitigen kann. Er hat sich auf Ziff. IX BV 1991 berufen und die Auffassung vertreten, eine solche freiwillige Vereinbarung sei zulässig. Sie führe dazu, daß nur eine einvernehmliche Neuregelung die nachwirkende Regelung ablösen könne. Den Beteiligten sei diese Konsequenz bei Abschluß der Betriebsvereinbarung klar gewesen, sie hätten sie auch gewollt. Dem Abschluß seien längere Verhandlungen vorausgegangen. Dabei habe man Einigkeit dahingehend erzielt, daß derjenige, der von der Betriebsvereinbarung abweichen wolle, den anderen Be-triebspartner von seinem Wunsch überzeugen müsse. Die Betriebsvereinbarung enthalte keine Lücke, die durch ein Entscheidungsrecht der Einigungsstelle ausgefüllt werden müsse. Eine Entscheidung der Einigungsstelle könne nur dann zu einer Beendigung der Nachwirkung führen, wenn sich beide Seiten dem Spruch ausdrücklich unterwürfen.
Der Betriebsrat hat beantragt
A
festzustellen, daß die Betriebsvereinbarung "Regelung des Verfahrens der personellen Maßnahmen (§§ 99, 102 BetrVG)" vom 19. August 1991 Nachwirkung bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung hat,
hilfsweise
festzustellen, daß die Betriebsvereinbarung zur Regelung des Verfahrens bei personellen Maßnahmen (§§ 99, 102 BetrVG) vom 19. August 1991 Nachwirkung hat, bis eine neue Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde oder der Spruch der Einigungsstelle die Einigung der Parteien ersetzt, nachdem beide Parteien mit dem Tätigwerden der Einigungsstelle einverstanden sind und sich dem Spruch im voraus unterworfen oder ihn nachträglich angenommen haben.
E
Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Betriebsvereinbarung wirke nicht nach. Die entsprechende Vereinbarung sei unzulässig, da sie bei fehlender Einigung über eine Neuregelung zu einer Perpetuierung der gekündigten Regelung führe. Das widerspreche aber der Übergangsfunktion einer Nachwirkung, die die Möglichkeit einer Ablösung voraussetze. Jedenfalls müsse eine Nachwirkungsvereinbarung dahin ausgelegt werden, daß bei Meinungsverschiedenheiten die Einigungsstelle verbindlich entscheide. Nur dies könne vernünftigerweise von den Betriebspartnern gewollt sein. Etwas anderes sei auch bei den Verhandlungen im Jahre 1991 nicht zum Ausdruck gekommen.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat dem Hilfsantrag des Betriebsrats eingeschränkt stattgegeben und festgestellt, daß eine Nachwirkung bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung bzw. - falls eine solche nicht zustande komme - bis zum Spruch der Einigungsstelle bestehe; im übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Betriebsrat verfolgt mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde seinen uneingeschränkten Antrag weiter, während die Arbeitgeberin mit der Anschlußrechtsbeschwerde begehrt, die Anträge des Betriebsrats insgesamt abzuweisen.
B. Sowohl die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wie auch die Anschlußrechtsbeschwerde der Arbeitgeberin waren zurückzuweisen. Die streitige Betriebsvereinbarung wirkt zwar kraft der zwischen den Betriebspartnern getroffenen Vereinbarung nach, diese Nachwirkung kann aber auch durch den Spruch einer Einigungsstelle beendet werden. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden.
I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.
1. Er bedarf allerdings der Auslegung. Der Betriebsrat hat vorinstanzlich einen "Haupt- und Hilfsantrag" gestellt. Mit dem Hauptantrag will er die nachwirkende Fortgeltung der Betriebsvereinbarung bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung festgestellt wissen, mit dem Hilfsantrag (gleichfalls) die Fortgeltung bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung, ferner bis zum Spruch einer Einigungsstelle, mit deren Tätigwerden beide Betriebspartner ausdrücklich einverstanden sind und deren Spruch sie sich nach Maßgabe des § 76 Abs. 6 BetrVG unterworfen haben.
Wortlaut und Begründung des Antrags sprechen gegen die Annahme eines prozessualen Haupt- und Hilfsverhältnisses. Daß der Spruch einer einvernehmlich tätig werdenden Einigungsstelle, dem sich beide Beteiligte im voraus unterworfen haben oder den sie nachträglich annehmen, verbindliche Wirkung hat, ist zwischen den Beteiligten gar nicht im Streit. Tatsächlich geht es dem Betriebsrat um die Feststellung, daß die Vereinbarung der Nachwirkung überhaupt zulässig ist und daß diese Nachwirkung nur durch eine einvernehmliche Neuregelung beendet werden kann, wobei dieses Einvernehmen auch in der Unterwerfung unter den Spruch einer freiwilligen Einigungsstelle im Sinne des § 76 Abs. 6 BetrVG liegen soll. In diesem Antrag enthalten ist das negative Feststellungsbegehren, daß die Einigungsstelle nicht einseitig angerufen werden kann.
In der Sache geht es also um ein einheitliches Begehren. Die Zulässigkeit der Nachwirkung ist Voraussetzung auch für den "Hilfsantrag"; ist die Nachwirkung nämlich ausgeschlossen, stellt sich nicht mehr die Frage, wie sie zu beenden ist. Das Landesarbeitsgericht ist vom gleichen Verständnis ausgegangen. Es hat dem Antrag teilweise stattgegeben, indem es - insoweit entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin - die Nachwirkung festgestellt hat. Entgegen dem weitergehenden Antrag des Betriebsrats hat es aber die Möglichkeit bejaht, diese Nachwirkung durch einen Spruch der Einigungsstelle zu beenden, ohne daß es dazu noch eines besonderen Einverständnisses der Gegenseite bedarf.
2. Der so verstandene Antrag ist bestimmt genug. Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, um welche Betriebsvereinbarung es geht. Die Nachwirkung dieser Betriebsvereinbarung wird von den Beteiligten und vom Landesarbeitsgericht allerdings nur problematisiert, soweit es um das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Kündigungen geht. Dies trägt aber dem Umstand Rechnung, daß allein diese Regelung und deren Nachwirkung Bedeutung hat. Alle anderen Regelungen umschreiben nur die gesetzlichen Beteiligungsrechte, wie sie dem Betriebsrat gem. §§ 99, 102 BetrVG ohnehin zustehen.
3. Der Betriebsrat hat an der begehrten Feststellung ein berechtigtes Interesse, § 256 ZPO. Die Frage, ob die Betriebsvereinbarung überhaupt nachwirkt und - falls ja - wie die Nachwirkung zwischen den Betriebspartnern zu beenden ist, berührt das aktuelle betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten. Wenn die Bestimmungen nachwirken, hat der Betriebsrat grundsätzlich auch das Recht, entsprechend den getroffenen Vereinbarungen bei Kündigungen beteiligt zu werden. Dieses Recht wird ihm von der Arbeitgeberin bestritten, so daß entsprechender Klärungsbedarf besteht.
II. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Antrag nur teilweise begründet ist. Die Betriebsvereinbarung wirkt zwar entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nach. Die Nachwirkung kann aber entgegen der Auffassung des Betriebsrats durch eine Entscheidung der Einigungsstelle beendet werden, und zwar auch gegen den Widerstand eines Betriebspartners.
1. Das Landesarbeitsgericht hat die gekündigte Betriebsvereinbarung als wirksam angesehen. Dies ist Voraussetzung dafür, daß überhaupt eine Nachwirkung in Betracht kommt. Eine nichtige Betriebsvereinbarung erzeugt keine Rechtswirkungen und kann daher auch nicht nachwirken.
Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zuzustimmen. Wie schon dargelegt, enthält die Betriebsvereinbarung eine echte Erweiterung der Mitbestimmungsrechte nur insoweit, als sie die Zustimmung des Betriebsrats zu Kündigungen verlangt. Eine solche Regelung ist zulässig. Gemäß § 102 Abs. 6 BetrVG können Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbaren, daß die Kündigung von Arbeitsverhältnissen der Zustimmung des Betriebsrats bedarf und daß bei Meinungsverschiedenheiten die Einigungsstelle entscheidet. Eine solche Erweiterung des Mitbestimmungsrechts bei Kündigungen ist gesetzlich ausdrücklich vorgesehen. Sie bedarf einer Betriebsvereinbarung, die freiwillig zustande kommen muß (vgl. nur KR-Etzel, 4. Aufl., § 102 Rz 243; MünchArbR/Matthes, § 349 Rz 2; zum Ganzen Rieble, AuR 1993, 39 ff.).
Problematisch könnte hier sein, daß die Betriebsvereinbarung von 1991 für den Fall der Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats nicht ausdrücklich eine Entscheidung der Einigungsstelle vorsieht. § 102 Abs. 6 BetrVG wird teilweise dahin verstanden, daß die Betriebspartner die Einschaltung der Einigungsstelle nicht ausschließen dürfen, weil das Gesetz die Überprüfung ablehnender Entscheidungen des Betriebsrats ermöglichen wolle. Eine Betriebsvereinbarung, die zwar die Zustimmung des Betriebsrats verlange, aber eine Überprüfung durch die Einigungsstelle ausschließe, sei daher unwirksam (vgl. etwa KR-Etzel, § 102 BetrVG Rz 254; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 102 Rz 71; Kraft, GK-BetrVG, 5. Aufl., § 102 Rz 199 - alle m.w.N.). Demgegenüber wird eingewandt, daß ein zwingendes Einigungsstellenverfahren dem Gesetz nicht zu entnehmen und daher auch nicht grundsätzlich geboten sei. Da der Arbeitgeber nicht gezwungen werden könne, eine derartige Betriebsvereinbarung abzuschließen, müsse er auch nicht daran gehindert werden, sein Kündigungsrecht so weit einzuschränken, daß er bei Verweigerung der Zustimmung durch den Betriebsrat eine beabsichtigte Kündigung nicht realisieren könne (vgl. MünchArbR/Matthes, § 349 Rz 5; für die ordentliche Kündigung auch Richardi, BetrVG, 7. Aufl., § 102 Rz 279; unklar Kittner in Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 308 ff.).
Die Frage bedarf für den vorliegenden Rechtsstreit keiner Entscheidung. Auch wenn man davon ausgeht, daß bei Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats die Entscheidung einer Einigungsstelle erreichbar sein muß, schließt die hier getroffene Regelung eine solche Konfliktlösung nicht aus. Die streitige Betriebsvereinbarung legt lediglich fest, daß Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen, enthält aber keine Bestimmung für den Fall einer ablehnenden Entscheidung. Eine derartige Vereinbarung ist im Regelfall dahin auszulegen, daß die Betriebspartner die in § 102 Abs. 6 BetrVG gesetzlich vorgesehene Erweiterung des Mitbestimmungsrechts übernehmen, also die Zustimmung der Einigungsstelle nicht ausschließen wollten (KR-Etzel, aaO, § 102 BetrVG Rz 255; Richardi, aaO, § 102 Rz 280).
Außer Streit steht, daß die Betriebsvereinbarung vom 19. August 1991 gekündigt worden ist. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, und zwar mit Verfahrensrügen nicht angegriffen und damit für den Senat bindend, daß die Arbeitgeberin nach der zum 1. September 1994 erfolgten Betriebsübernahme Ende 1994/Anfang 1995 die Betriebsvereinbarung vorsorglich erneut gekündigt hat. Daher kommt es auf die Frage nicht an, ob sie sich auf die vorangegangenen Kündigungen der Rechtsvorgängerin berufen kann. Der genaue Zeitpunkt der Kündigung und der davon abhängende Ablauf der vereinbarten Kündigungsfrist (drei Monate zum Ende eines Kalenderjahres) ist für den vorliegenden Rechtsstreit ebenfalls nicht erheblich. Die Betriebsvereinbarung ist spätestens zum 31. Dezember 1995 beendet worden, so daß sich jedenfalls ab 1. Januar 1996 die Frage der Nachwirkung stellt.
2. Die Vereinbarung der Nachwirkung einer freiwilligen Betriebsvereinbarung ist zulässig.
a) Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gelten in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, Regelungen einer Betriebsvereinbarung nach ihrem Ablauf weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Diese Vorschrift betrifft unmittelbar nur Betriebsvereinbarungen, die im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung abgeschlossen worden sind. Die Nachwirkung soll vor allem sicherstellen, daß in der Zeit bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung eine - wenn auch dispositive - Regelung bestehen bleibt (vgl. nur Kreutz, aaO, § 77 Rz 336, m.N.).
b) Bei der im vorliegenden Verfahren umstrittenen Betriebsvereinbarung geht es aber nicht um einen Tatbestand der erzwingbaren Mitbestimmung. Der Betriebsrat hat kein Recht darauf, daß sein Beteiligungsrecht nach Maßgabe des § 102 Abs. 6 BetrVG erweitert wird, der Arbeitgeber braucht sich auf ein entsprechendes Begehren nicht einzulassen. Die Betriebsvereinbarung ist freiwillig zustande gekommen. Für freiwillige Betriebsvereinbarungen sieht das Gesetz keine Nachwirkung vor (ständige Rechtsprechung, s. zuletzt Senatsurteil vom 26. Oktober 1993 - 1 AZR 46/93 - BAGE 75, 16 = AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung und Senatsbeschluß vom 17. Januar 1995 - 1 ABR 29/94 - AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 77 Rz 152; Kreutz, aaO, § 77 Rz 335). Im Streitfall haben die Betriebspartner die Nachwirkung der Betriebsvereinbarung jedoch wirksam vereinbart.
aa) Die Zulässigkeit einer derartigen Vereinbarung ist umstritten, wird aber überwiegend bejaht (LAG Düsseldorf Beschluß vom 23. Februar 1988 - 16 TaBV 13/88 - NZA 1988, 813; Hess. LAG Beschluß vom 22. März 1994 - 4 TaBV 134/93 - LAGE § 77 BetrVG 1972 Nr. 17; Hess. LAG Urteil vom 5. Mai 1994 - 3 Sa 1194/93 - LAGE § 77 BetrVG 1972 Nr. 18; Hess. LAG Beschluß vom 2. Februar 1995 - 5 TaBV 59/94 - LAGE § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung Nr. 2; LAG Sachsen-Anhalt Beschluß vom 19. Januar 1996 - 2 TaBV 6/95 - LAGE § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung Nr. 3; Berg in Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 6. Aufl., § 77 Rz 59; Etzel, Betriebsverfassungsrecht, 5. Aufl., Rz 1173; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 77 Rz 160; Löwisch, BetrVG, 4. Aufl., § 77 Rz 39; Stege/Weinspach, BetrVG, 7. Aufl., § 77 Rz 44; Hanau, NZA 1985, Beilage 2, S. 11; Heither, DB 1991, 700, 705; Hempelmann, Die freiwillige Betriebsvereinbarung in Vergangenheit und Gegenwart, 1997, S. 230; Leinemann, BB 1989, 1905, 1908; Loritz, DB 1997, 2074, 2075 ff.; Rech, Die Nachwirkung freiwilliger Betriebsvereinbarungen, 1997, S. 145 ff.; Schaub, BB 1995, 1639, 1641). Gegen die Zulässigkeit wird vor allem eingewandt, die vereinbarte Nachwirkung freiwilliger Betriebsvereinbarungen sei praktisch nicht mehr zu beenden, wenn ein Betriebspartner sich jeder Ablösung widersetze (v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, 3. Aufl., S. 223; ders., BB 1997, 1998, 2000 ff.; Schöne/Klaes, BB 1997, 2374; einschränkend auch Kreutz, aaO, § 77 Rz 340 - der aber eine befristete Nachwirkung zuläßt; dahingestellt von Misera, Anm. zu BAG AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972).
Der Senat hat die Frage in seinem Beschluß vom 18. Januar 1994 (- 1 ABR 44/93 - n.v.) offengelassen. Er hat jedoch schon damals zu erwägen gegeben, ob nicht der freiwilligen Vereinbarung einer Nachwirkung zumindest stillschweigend der Wille zugrunde liege, Konfliktfälle durch eine verbindliche Entscheidung der Einigungsstelle lösen zu lassen - im Ergebnis der Regelung des § 87 Abs. 2 BetrVG entsprechend; damit wäre die Gefahr einer von den Betriebspartnern vernünftigerweise nicht gewollten Perpetuierung ausgeschlossen. An dieser Auffassung, der sich auch das Landesarbeitsgericht im Streitfall angeschlossen hat, hält der Senat fest.
Wenn es den Betriebspartnern gestattet ist, freiwillige Betriebsvereinbarungen mit zwingender normativer Wirkung zu schaffen, ist diesem Recht grundsätzlich auch die Befugnis zu entnehmen, den Normen eine eingeschränkte Nachwirkung beizulegen und damit die Rechtslage zu übernehmen, die durch das Gesetz im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung ausdrücklich vorgesehen wird. Diese Möglichkeit hatte das Bundesarbeitsgericht bereits zum Betriebsverfassungsgesetz von 1952 ohne weiteres bejaht, obwohl damals eine gesetzliche Regelung der Nachwirkung fehlte (BAG, Großer Senat, Beschluß vom 16. März 1956 - GS 1/55 - BAGE 3, 1 = AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG; BAG Beschluß vom 15. Mai 1964 - 1 ABR 15/63 - BAGE 16, 31 = AP Nr. 5 zu § 56 BetrVG Akkord). Es ist nicht anzunehmen, daß das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 mit der (erstmaligen) Regelung einer Nachwirkung für Regelungen im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung die entsprechende Möglichkeit für freiwillige Betriebsvereinbarungen ausschließen wollte.
bb) Der hauptsächlich erhobene Einwand, die Nachwirkungsvereinbarung dürfe nicht zu einer Perpetuierung des nachwirkenden Zustandes führen, ist zwar beachtlich, schließt aber deren Zulässigkeit nicht generell aus. Richtig ist immerhin, daß gegen einseitig nicht mehr aufzulösende rechtliche Dauerbeziehungen grundsätzliche Bedenken bestehen, weil daraus unzumutbare Bindungen erwachsen können. Deshalb ist das Recht zur außerordentlichen Kündigung einer Betriebsvereinbarung nicht abdingbar (Senatsbeschluß vom 17. Januar 1995 - 1 ABR 29/94 - AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung). Die Bedenken gegen eine solche Dauerbindung werden auch nicht dadurch ausgeräumt, daß die nachwirkenden Bestimmungen nur noch dispositiv gelten, also abweichende Vereinbarungen einzelvertraglich geschlossen werden könnten (vgl. auch Kreutz, aaO, § 77 Rz 340). Der Senat braucht diese Frage aber nicht abschließend zu entscheiden, insbesondere auch nicht, ob die Folge einer Unzulässigkeit die gänzliche Unwirksamkeit der Vereinbarung wäre oder ob nur eine zeitliche Höchstgrenze oder ein besonderes Kündigungsrecht anzunehmen wären (s. dazu auch Rech, aaO, S. 150 ff.). Mit dem Landesarbeitsgericht ist nämlich davon auszugehen, daß hier eine Konfliktlösungsmöglichkeit besteht, die den Bedenken gegen eine Dauerbindung Rechnung trägt. Bei Scheitern einer einvernehmlichen Neuregelung kann die Einigungsstelle angerufen werden und verbindlich entscheiden. Das ergibt die am Wortlaut sowie am erkennbaren Sinn und Zweck der Vereinbarung orientierte Auslegung.
cc) Die Betriebspartner haben allerdings keine ausdrückliche Regelung dahin getroffen, daß im Konfliktfall die Einigungsstelle tätig werden soll. Sie haben aber nur von einer Nachwirkung bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung gesprochen. Bereits dies macht deutlich, daß sie nicht von einer "Dauernachwirkung" ausgingen, sondern nur von der Überbrückung des Zeitraums bis zu einer Neuregelung. Zugleich zeigt die Vereinbarung, daß die Betriebspartner ungeachtet der Freiwilligkeit des Regelungsgegenstandes davon ausgingen, nach Kündigung der Betriebsvereinbarung werde nicht ohne weiteres wieder der gesetzliche Normalzustand eintreten, sondern eine neue Einigung erforderlich - sei es auch in der Weise, daß einvernehmlich wieder zu den gesetzlichen Bestimmungen zurückgekehrt werde. Im Ergebnis haben die Betriebspartner also ihre Rechtsbeziehungen denjenigen bei erzwingbarer Mitbestimmung angeglichen. Eine derartige Vereinbarung muß im Zweifel so verstanden werden, daß dann auch hinsichtlich der Beendigung der Nachwirkung eine Konfliktlösungsmöglichkeit gewollt ist, die der erzwingbaren Mitbestimmung entspricht. Von verständigen Betriebspartnern kann nämlich nicht angenommen werden, daß sie eine Bindung schaffen wollten, die selbst im Falle einer ordnungsmäßigen Kündigung nicht mehr aufhebbar ist, wenn nur ein Vertragsteil an ihr festhalten will.
Im Regelfall ist daher eine freiwillige Betriebsvereinbarung, die eine § 77 Abs. 6 BetrVG entsprechende Nachwirkung vorsieht, ergänzend dahin auszulegen, daß die Einigungsstelle bei Scheitern der Verhandlungen über eine Neuregelung einseitig angerufen werden und verbindlich entscheiden kann (vgl. schon Senatsbeschluß vom 18. Januar 1994 - 1 ABR 44/93 - n.v.; LAG Düsseldorf Beschluß vom 23. Februar 1988 - 16 TaBV 13/88 - NZA 1988, 813; Hess. LAG Beschluß vom 22. März 1994 - 4 TaBV 134/93 - LAGE § 77 BetrVG 1972 Nr. 17; Hess. LAG Beschluß vom 2. Februar 1995 - 5 TaBV 59/94 - LAGE § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung Nr. 2; Berg in Däubler/Kittner/Klebe, aaO, § 77 Rz 59; Rech, aaO, S. 164). Es geht dabei nicht um eine analoge Anwendung des § 87 Abs. 2 BetrVG. Vielmehr eröffnet § 76 Abs. 6 BetrVG im Bereich der freiwilligen Betriebsvereinbarung die Möglichkeit, sich der verbindlichen Entscheidung der Einigungsstelle vorab zu unterwerfen und damit eine der erzwingbaren Mitbestimmung vergleichbare Lösung zu erzielen. Eine solche Einigung ist der getroffenen Vereinbarung zu entnehmen. Wollen Betriebs-partner eine andere Regelung, so ist zu erwarten, daß sie dies zum Ausdruck bringen - unbeschadet der Frage der Zulässigkeit einer solchen Regelung -.
Im vorliegenden Fall spricht nichts für eine abweichende Regelung. Das Landesarbeitsgericht hat zusätzlich durch Vernehmung des Betriebsratsvorsitzenden festgestellt, daß entsprechende weitergehende Vorstellungen bei Abschluß der Betriebsvereinbarung nicht bestanden haben. Dies ist mit Verfahrensrügen nicht angegriffen und damit für den Senat bindend. Es unterstreicht die Annahme, daß sich die Beteiligten an der gesetzlich geregelten Nachwirkung orientieren wollten.
Diese Auslegung liegt näher als die Annahme, die Nachwirkung sei konkludent befristet bis zum endgültigen Scheitern der Verhandlungen über eine neue Betriebsvereinbarung. Eine stillschweigende Befristung führte unter dem Aspekt der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu erheblichen Anwendungsschwierigkeiten, weil der genaue Zeitpunkt der Beendigung der Nachwirkung dann schwer zu bestimmen wäre. Es wäre mangels besonderer Anhaltspunkte auch nicht als sachgerecht anzusehen, eine nachwirkende Regelung nur deshalb ganz entfallen zu lassen, weil der Arbeitgeber keine neue Regelung wünscht (s. dazu aber Loritz, DB 1997, 2076; vgl. auch Hess. LAG Beschluß vom 2. Februar 1995 - 5 TaBV 59/94 - LAGE § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung Nr. 2). Wenn der Arbeitgeber sich freiwillig auf eine Nachwirkung einläßt, bindet er sich mindestens insoweit, als er die Rechtslage nach Ablauf der Betriebsvereinbarung für regelungsbedürftig erklärt. Dem trägt die Einschaltung der Einigungsstelle angemessen Rechnung. Diese kann zwar gleichfalls eine Neuregelung dahingehend vornehmen, daß die nachwirkende Regelung ersatzlos entfällt, das hängt dann aber von den im Einigungsstellenverfahren vorgetragenen Gründen ab. Richtig ist allerdings, daß die Betriebspartner auch eine zeitlich begrenzte Nachwirkung vereinbaren könnten, das müssen sie dann aber erkennbar zum Ausdruck bringen.
3. Das Landesarbeitsgericht hat demnach zu Recht angenommen, daß die Nachwirkung der Betriebsvereinbarung von 1991 durch den Spruch einer Einigungsstelle beendet werden kann. Wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist, soll es dazu keiner erneuten Zustimmung oder Unterwerfung des anderen Betriebspartners bedürfen. Nicht zu entscheiden war die Frage, wann die Einigungsstelle anzurufen ist. Nach dem erkennbaren Zweck der Regelung ist aber davon auszugehen, daß vorrangig eine einvernehmliche Einigung versucht werden soll und erst dann, wenn dieser Versuch scheitert, die Einigungsstelle eingeschaltet werden muß. Ob die zwischen den Beteiligten geführten Gespräche bereits genügen, um von einem entsprechenden Scheitern der Verhandlungen auszugehen, ist nicht geklärt, bedarf nach dem Streitgegenstand aber auch keiner Entscheidung.
Unterschriften
Dieterich Wißmann Rost Peter Berg Münzer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 28.04.1998 durch Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436315 |
BAGE, 298 |
BB 1998, 1057 |
BB 1998, 2315 |
DB 1998, 1040 |
DB 1998, 2423 |
EWiR 1999, 3 |
FA 1998, 223 |
FA 1998, 380 |
NZA 1998, 1348 |
RdA 1999, 223 |
ZTR 1999, 92 |
AP, 0 |
ArbuR 1998, 246 |
AuA 1998, 214 |
AuA 1999, 44 |