Entscheidungsstichwort (Thema)
Tendenzschutz und Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds nach § 103 BetrVG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kündigung eines als Tendenzträger beschäftigten Betriebsratsmitglieds aus tendenzbezogenen Gründen bedarf nicht der Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG. Der Betriebsrat ist nur nach § 102 BetrVG anzuhören.
2. Eine von einer politischen Partei getragene politische Stiftung ist auf Grund der von ihr verfolgten allgemeinen politischen Zielsetzung grundsätzlich als ein Tendenzunternehmen iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG anzusehen.
Orientierungssatz
1. Das Rechtsschutzinteresse für einen Feststellungsantrag des Arbeitgebers im Beschlussverfahren, eine Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 BetrVG sei nicht erforderlich, weil dem Betriebsratsmitglied und Tendenzträger aus tendenzbedingten Gründen gekündigt werden soll, bleibt auch nach Ausspruch der Kündigung bestehen, wenn die Beteiligten weiterhin über die Wirksamkeit der Kündigung und darüber streiten, ob für diese Kündigung überhaupt eine Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 BetrVG notwendig war.
2. Die Kündigung eines als Tendenzträger beschäftigten Betriebsratsmitglieds aus tendenzbezogenen Gründen bedarf nicht der Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG. Der Betriebsrat ist nur nach § 102 BetrVG anzuhören.
3. Eine von einer politischen Partei getragene politische Stiftung ist auf Grund der von ihr verfolgten allgemeinen politischen Zielsetzung grundsätzlich als ein Tendenzunternehmen iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG anzusehen.
4. Die Kündigung eines Tendenzträgers ist als solche noch keine tendenzbezogene Maßnahme. Es spricht keine tatsächliche Vermutung für die Annahme, die Kündigung eines Tendenzträgers erfolge stets aus tendenzbezogenen Gründen.
5. Bei „Mischtatbeständen”, dh. bei einem Kündigungsgrund, der sowohl tendenz- als auch nicht tendenzbezogene Aspekte aufweist, wird regelmäßig das Zustimmungserfordernis des Betriebsrats nicht zu verlangen sein. Ansonsten könnte die Tendenzverwirklichung erheblich beeinträchtigt werden.
Normenkette
BetrVG §§ 103, 118 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG München (Beschluss vom 01.03.2002; Aktenzeichen 10 TaBV 49/01) |
ArbG München (Beschluss vom 07.02.2001; Aktenzeichen 2a BV 110/00) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 1. März 2002 – 10 TaBV 49/01 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Erforderlichkeit der Zustimmung des Betriebsrats zu einer vom Arbeitgeber beabsichtigten fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds, hilfsweise über deren gerichtliche Ersetzung.
Der antragstellende Arbeitgeber (Beteiligter zu 1) ist eine politische Stiftung und in der Form eines eingetragenen Vereins organisiert. Nach seiner Satzung ist Zweck des Vereins:
„…
- die Förderung der demokratischen und staatsbürgerlichen Bildung des deutschen Volkes auf christlicher Grundlage,
- die Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung einschließlich der Studentenhilfe, insbesondere durch Erschließung des Zuganges zu einer wissenschaftlichen Ausbildung für begabte und charakterlich geeignete Menschen,
- die Förderung der Wissenschaft, insbesondere mittels Durchführung von wissenschaftlichen Untersuchungen,
- die Förderung der internationalen Gesinnung und Völkerverständigung sowie der europäischen Einigung, insbesondere durch Einladung ausländischer Gruppen und Unterstützung von Auslandsreisen,
- die Förderung kultureller Zwecke, insbesondere die Förderung der Pflege und Erhaltung von Kulturwerken sowie die Förderung der Denkmalpflege,
- die Förderung der Entwicklungshilfe.
…”
Organe des Vereins sind die Mitgliederversammlung und der Vorstand. Vorstandsmitglieder des Vereins sind ua. der bayerische Ministerpräsident, mehrere Staatsminister der bayerischen Landesregierung sowie die Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag.
Nach einer gemeinsamen Erklärung der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Friedrich-Naumann-Stifung, der Heinrich-Böll-Stiftung und des Antragstellers vom November 1998 tragen die parteinahen politischen Stiftungen mit der Wahrnehmung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben zur Gestaltung der Zukunft des Gemeinwesens bei. Ihre gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit, die Information und Politikberatung im In- und Ausland, die auf den Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufbauen und den Grundsätzen der Solidarität, Subsidiarität und gegenseitigen Toleranz verpflichtet sind, haben die Vermittlung der politischen Bildung, die Beschäftigung der Bürger mit politischen Fragen und die Förderung und Vertiefung des politischen Engagements zum Ziel.
Die politischen Stiftungen finanzieren ihre Tätigkeit hauptsächlich aus Zuwendungen des Bundes. Gefördert werden dabei Vorhaben der Gesellschafts- und Sozialstrukturpolitik, die im Einklang mit den entwicklungspolitischen Grundlinien der Bundesregierung stehen und darauf ausgerichtet sind, im Rahmen der durch die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen festgelegten Ziele in den Partnerländern einen nachhaltigen Beitrag zu leisten. Die Einzelheiten dazu ergeben sich aus Richtlinien für die Förderung von Maßnahmen der Gesellschafts- und Sozialstrukturpolitik des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Die Organisation, die allgemeinen dienstrechtlichen Vorschriften und der Geschäftsgang der Antragstellerin ergeben sich aus der Geschäftsordnung des Beklagten. Darin heißt es ua.:
„§ 4
Leiter der Abteilungen
1. Der Leiter einer Abteilung ist für die Angelegenheit seiner Abteilung verantwortlich, er lenkt und überwacht die Tätigkeit der zu seiner Abteilung gehörenden Referate, unterrichtet und unterstützt den Geschäftsführer.
2. Im Rahmen der laufenden Geschäfte der Abteilung ist er befugt, Verträge abzuschließen. Im Einvernehmen mit dem Geschäftsführer kann er Dienstanweisungen für seine Abteilung erlassen.
3. Soweit Entscheidungen des Geschäftsführers die Angelegenheit einer Abteilung berühren, ist der Leiter der Abteilung zu hören.
4. Der Leiter der Abteilung soll eine abgeschlossene wissenschaftliche Ausbildung oder aufgrund seiner Berufserfahrung eine gleichwertige Qualifikation nachweisen können.
§ 5
Referenten
1. Die Referenten sind dafür verantwortlich, daß die ihrem Referat zugewiesenen Aufgaben sachgerecht und rechtzeitig erfüllt werden.
In allen Angelegenheiten ihres Referats steht ihnen die erste Entscheidung zu.
2. Die Referenten haben die ihnen erteilten Anordnungen im Rahmen der Vorschriften auszuführen. Sie sollen ihre Vorgesetzten beraten und unterstützen und regelmäßig informieren.
3. Die Referenten sollen eine abgeschlossene wissenschaftliche Ausbildung oder aufgrund ihrer Berufserfahrung eine gleichwertige Qualifikation nachweisen können.
§ 6
Weitere Mitarbeiter
1. Den Referenten können weitere Mitarbeiter zugeteilt werden.
2. Die weiteren Mitarbeiter unterstützen den Referenten bei der Wahrnehmung der Aufgaben des Referats.
Sie sind für die sachgerechte und rechtzeitige Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben verantwortlich.
…”
Der am 22. August 1953 geborene und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Beteiligte zu 3) Wolfgang R. (im Folgenden: R.), ist Mitglied des beim Arbeitgeber gebildeten 7-köpfigen Betriebsrats, dem Beteiligten zu 2). R. ist Dipl. Soziologe und seit dem 1. April 1981 beim Arbeitgeber als Sachbearbeiter, stellvertretender Referent im Referat V/5 „Asien, Ozeanien” des Instituts für internationale Begegnungen und Zusammenarbeit beschäftigt und für die Bereiche „Südpazifik, Singapur, Vietnam, EG Batangas” zuständig. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist ein zwischen R. und dem Arbeitgeber am 31. März 1981 geschlossener Dienstvertrag der auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag Bezug nimmt. R. erzielte zuletzt eine monatliche Vergütung gemäß der VergGr. III BAT in Höhe von 7.166,65 DM brutto.
Nach seiner „Tätigkeitsdarstellung und -bewertung” gehören zu den Aufgaben R. die Projektbeantragung, die Projektdurchführung, die Besucherbetreuung, die Organisation von Bildungsveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland und die Vertretung des Referenten.
Am 2. März 2000 erließ der Arbeitgeber die Dienstanweisung Nr. 25 zur privaten E-Mail-Nutzung. Danach ist
„Die Kommunikationsmöglichkeit mittels E-Mail ist für dienstliche Zwecke eingerichtet und ausschließlich zu dieser Nutzung zur Verfügung gestellt worden.
Aus gegebener Veranlassung wird mit sofortiger Wirkung jeder privater E-Mail-Versand oder das Einspielen von E-Mails mit privatem Inhalt und deren Weiterleitung untersagt. Des weiteren sind von außen zugesandte nicht dienstliche Nachrichten umgehend zu entfernen.
Die Nichtbeachtung dieser Vorschrift zieht dienstrechtliche Konsequenzen nach sich.”
Am 4. April 2000 sandte R. von seinem Arbeitsplatz um 9.47 Uhr an Herrn F. bei der Firma M. eine E-Mail mit folgendem Inhalt:
„Von: R. (R.)
Hallo (…),
heut schick ich mal ein mail der HSSt.
Deine RA Propagandaoffensive ist über jeden Zweifel erhaben.
Neben namentlicher Nennung im
Wehrmachtsbericht
wirst du auch im Ehrenblatt des deutschen
Heeres erwähnt.
Die Nahkampfspange musst du dir im Kampf mit den brasilianischen Schnalln noch verdienen. RA Badges kriegst du noch ne Menge. Das mit dem Video werde ich G. sagen.
Wichtig wäre, dass du an das Abo denkst. Mit den IRA Videos lass dir mal Zeit.
Wie gesagt, versuch mich mal am Mittwoch Abend anzurufen.
Auf jeden Fall einen tierisch guten Trip und viel Spaß in Brasilien.
W.!
P.S. Auch wenn die Lage nicht einfach ist – denk immer daran: du bist PUNKENFÜHRER !!!!!
Front und Heimat stehen fest hinter dir!”
Von dieser E-Mail erhielt der Arbeitgeber am 7. April 2000 durch die E-Mail eines Herrn S. von der Firma M. Kenntnis. Eine daraufhin sofort eingeleitete Untersuchung des PC von R. ergab seit Februar 2000 den Versand und Erhalt von zahlreichen privaten E-Mails an seinem Arbeitsplatz.
Der Arbeitgeber suspendierte R. sofort von seiner Arbeit. Er befragte ihn unter Übergabe eines Fragenkatalogs am 14. April 2000 zu der Angelegenheit.
Mit Schreiben vom 14. April 2000 teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit, er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit R. fristlos, hilfsweise mit Auslauffrist zum 31. Dezember 2000, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2000 zu kündigen. Mit einem fast gleich lautenden Schreiben vom gleichen Tag bat er den Betriebsrat um Zustimmung zu den beabsichtigten personellen Maßnahmen.
Der Betriebsrat lehnte mit Schreiben vom 18. April 2000 die Zustimmung zur Kündigung ab.
Der Arbeitgeber kündigte mit Schreiben vom 19. April 2000 das Arbeitsverhältnis R. fristlos, hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 31. Dezember 2000, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2000. R. hat hiergegen vor dem Arbeitsgericht München Kündigungsschutzklage erhoben. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits ausgesetzt.
Mit dem am 19. April 2000 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Schriftsatz hat der Arbeitgeber die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist zum 31. Dezember 2000, hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 31. Dezember 2000 beantragt. Auch nach der Suspendierung R. sind unter dessen E-Mail-Adresse beim Arbeitgeber zahlreiche weitere private E-Mails eingegangen. Der Arbeitgeber bat mit Schreiben vom 9. Mai 2000 deshalb den Betriebsrat erneut um Zustimmung zur Kündigung unter Berücksichtigung der neuen Vorwürfe. Mit Schreiben vom 12. Mai 2000 lehnte der Betriebsrat wiederum seine Zustimmung zur Kündigung von R. ab.
Der Arbeitgeber trägt vor: Als politische Stiftung sei er ein Tendenzunternehmen. R. sei Tendenzträger. Dies folge bereits aus dessen Tätigkeitsbeschreibung. Er vertrete den Arbeitgeber im Rahmen der Tendenzverwirklichung nach außen. Er habe einen nicht unerheblichen eigenen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum. Die Kündigung sei aus tendenzbedingten Gründen erfolgt. An das Verhalten von Arbeitnehmern eines Tendenzbetriebes seien wegen der vom Arbeitgeber verfolgten Ziele innerhalb und auch außerhalb des Dienstes erhöhte Anforderungen zu stellen. Die Stiftung verkörpere und kommuniziere eine bestimmte politische Grundeinstellung und repräsentiere ein ganz bestimmtes Welt- und Menschenbild. R. habe sich hingegen in einer gesellschaftspolitischen Art und Weise engagiert, die mit der Tendenz der politischen Stiftung nicht in Einklang zu bringen sei. Er sei aktives Mitglied und überzeugter Anhänger der Punkszene. Er wirke ua. in der Punkband „Ra.” mit. Deren Liedertexte offenbarten eine Einstellung, die einer christlichen Weltanschauung diametral entgegenstünden. Es werde der Hass gepredigt, ein Verbrecher wie B. verehrt und mit einem P. -Song eine terroristische Vereinigung verherrlicht. In der am 2. Mai 2000 für R. eingegangenen E-Mail werde eine Finca auf den Balearen zum Kauf angeboten, die ideal für „exzessive Ballermann-Besäufnisse, Couch-Test-Castings, heimliche Sex-Orgien, Porno-Drehs, feuchte Doktorspiele oder blutige Folter-Happenings” sei. Der Arbeitgeber meint, für eine Kündigung von R. sei schon deshalb keine Zustimmung des Betriebsrats erforderlich.
Er meint weiter, eine außerordentliche Kündigung R. wäre auch gerechtfertigt und deshalb sei die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung ggf. zu ersetzen. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung folge aus dem Inhalt der E-Mail und dem umfassenden Eintreten R. für die Punkszene. Darüber hinaus habe er mehrfach gegen die ihm bekannte Dienstanweisung vom 2. März 2000 verstoßen. Er habe noch zweimal am 9. März sowie am 10. März, am 23. März, am 31. März und 4. April 2000 E-Mails versandt bzw. während der Arbeitszeit empfangen. Durch die Verwendung der Firmenadresse (Domain) auf den E-Mails werde der Vorstand der Stiftung mit dem Inhalt in Verbindung gebracht, was von ihm strikt abgelehnt werde. R. finde an den Inhalten der E-Mails nichts Anstößiges und habe sie verinnerlicht. Die Stiftung könne aber von ihm erwarten, dass er deren Tendenz auch aktiv voll mittrage und aus innerer Überzeugung die auf christlicher Grundlage formulierten Ziele vertrete und unterstütze. Wenn öffentlich bekannt würde, dass ein Mitarbeiter der Stiftung ausländische Frauen als „brasilianische Schnalln” bezeichne und den Verbrecher B. als sein Idol verehre, würde es zu einem riesigen Skandal in der Öffentlichkeit kommen.
Der Arbeitgeber hat zuletzt beantragt,
festzustellen, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur
- fristlosen Kündigung
- hilfsweise fristlosen Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist zum 31. Dezember 2000
des Betriebsratsmitglieds R. nicht erforderlich war bzw. ist,
hilfsweise,
die verweigerte Zustimmung des Antragsgegners zur
- fristlosen Kündigung
- hilfsweise fristlosen Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist
des Betriebsratsmitglieds R. zu ersetzen.
Der Betriebsrat und R. haben zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags im Wesentlichen ausgeführt: Eine Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung sei notwendig, weil die Stiftung gar kein Tendenzunternehmen sei. Es würden lediglich Mittel im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung verwaltet. R. sei kein Tendenzträger. Nach §§ 4, 5 der Geschäftsordnung träfen lediglich die Referenten oder sogar nur die Abteilungsleiter die Entscheidungen. R. übe nur eine vollziehende Tätigkeit iSd. § 6 der Geschäftsordnung aus. Tendenzbedingte Kündigungsgründe seien nicht ersichtlich. Von der E-Mail vom 4. April 2000 habe der Arbeitgeber nur unter Bruch des Fernmeldegeheimnisses erfahren. Die Einstellung R. zur Punkszene habe auf seine Tätigkeit keinen Einfluss. Die beanstandeten Liedertexte seien nicht von ihm. Gegen eingehende E-Mails könne er sich nicht wehren. Die behaupteten Verstöße gegen die Dienstanweisung vom 2. März 2000 rechtfertigten keine fristlose Kündigung, zumal R. die Dienstanweisung erst am 15. März 2000 erhalten habe. Der Inhalt der E-Mails sei nicht zu beanstanden und habe sich nicht auf seine Tätigkeit ausgewirkt. Während seiner 19-jährigen Beschäftigungszeit seien seine Arbeitsleistungen nicht beanstandet worden.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 7. Februar 2001 die Anträge des Arbeitgebers zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Arbeitgebers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
B. Auf die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers war der angefochtene Beschluss aufzuheben und das Verfahren an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat den Feststellungsantrag des Arbeitgebers, die Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung sei nicht erforderlich, als unzulässig zurückgewiesen. Es hat das erforderliche Rechtsschutzinteresse mit der Begründung verneint, der Arbeitgeber habe die Kündigung, die auch Gegenstand einer gesonderten Kündigungsschutzklage sei, bereits ausgesprochen. Für einen gesonderten Feststellungsantrag bestehe deshalb kein Bedürfnis mehr.
Den Zustimmungsersetzungsantrag hat das Beschwerdegericht als unbegründet zurückgewiesen. Es hat dahingestellt sein lassen, ob der Arbeitgeber einen Tendenzbetrieb betreibe und es sich bei dem Betriebsratsmitglied R. um einen Tendenzträger handele. Auf Grund der Gesamtumstände hat das Landesarbeitsgericht einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds R. verneint. Zwar liege in der Versendung von privaten E-Mails während der Arbeitszeit eine Arbeitspflichtverletzung. Eine außerordentliche Kündigung sei jedoch nicht gerechtfertigt; es fehle an einer notwendigen vorhergehenden Abmahnung. Eine solche Abmahnung sei in Anbetracht der langen Betriebszugehörigkeitsdauer R. nicht entbehrlich. R. Bekenntnis zur Punkszene sei arbeitsrechtlich irrelevant. R. habe weder Straftaten begangen noch seien ihm rechtsradikale Umtriebe anzulasten. Dies gelte selbst dann, wenn ihm auf Grund des Tendenzcharakters der Stiftung erhöhte Verhaltensanforderungen vergleichbar dem öffentlichen Dienst abverlangt werden könnten. Eine außerordentliche Kündigung sei nur gerechtfertigt, wenn das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt werde. Dies sei nur der Fall, wenn bei objektiver Betrachtung ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit und Eignung R. für die geschuldete Tätigkeit begründet wären. Er habe seine Tätigkeit aber seit 1981 ohne Beanstandungen ausgeübt. Der Arbeitgeber behaupte noch nicht einmal einen Verstoß R. bei seiner Tätigkeit gegen die geistig-ideelle Zielsetzung der Stiftung oder eine entsprechende Störung des Betriebsfriedens.
II. Dem folgt der Senat weder im Ergebnis noch in der Begründung.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet soweit sie den Hauptantrag betrifft. Sie führt zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO nF iVm. § 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG).
1. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der als Hauptantrag vom Arbeitgeber gestellte Feststellungsantrag zulässig.
a) Er ist nicht wegen einer anderweitigen Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 ZPO) unzulässig. Die Anträge im vorliegenden Beschlussverfahren und der Antrag R. im Kündigungsschutzprozess betreffen unterschiedliche Streitgegenstände.
b) Dem Hauptantrag fehlt nicht das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO entsprechend). Der Arbeitgeber hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, ob der Betriebsrat zur Kündigung R. seine Zustimmung erteilen musste oder er zu ihr nur anzuhören war. War der Betriebsrat zur außerordentlichen Kündigung R. nur anzuhören, konnte der Arbeitgeber die Kündigung – aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht – wirksam erklären. Er war dann nicht darauf angewiesen, die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung vom Gericht nach § 103 BetrVG ersetzen zu lassen bzw. kann ggf. erneut ohne Durchführung des Verfahrens nach § 103 BetrVG R. kündigen (zum besonderen Feststellungsinteresse in diesem Fall vgl. BAG 28. Januar 1986 – 1 ABR 10/84 – BAGE 51, 42).
Dies gilt vorliegend um so mehr, als der Arbeitgeber ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 103 BetrVG bestreitet und sich andererseits der Betriebsrat auf ein solches Beteiligungsrecht beruft (BAG 13. Oktober 1987 – 1 ABR 53/86 – EzA ArbGG 1979 § 81 Nr. 12).
c) Dem Hauptantrag fehlt weiterhin auch nicht das allgemeine Rechtsschutzinteresse, wie das Landesarbeitsgericht meint, weil der Arbeitgeber die – erste – Kündigung bereits ausgesprochen hat.
Zwar darf das Rechtsschutzinteresse nicht nur bei Einleitung des Verfahrens, sondern muss auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag vorliegen (BAG 13. Oktober 1987 – 1 ABR 53/86 – EzA ArbGG 1979 § 81 Nr. 12). Anders als in den Fällen, in denen das allgemeine Rechtsschutzinteresse für einen Zustimmungsersetzungsantrag entfällt, wenn während des laufenden Beschlussverfahrens das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsratsmitglied wirksam beendet worden ist (vgl. zuletzt Senat 27. Juni 2002 – 2 ABR 22/01 – AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 47 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 43), bleibt das Rechtsschutzinteresse für einen Feststellungsantrag bestehen, wenn die Beteiligten weiterhin über die Wirksamkeit der Kündigung und darüber streiten, ob für diese Kündigung überhaupt eine Zustimmung des Betriebsrats notwendig war bzw. bei der Verweigerung ihre Ersetzung durch das Arbeitsgericht erfolgen musste. Die Beteiligten können nicht auf den möglichen, nachfolgenden Kündigungsschutzprozess zwischen dem Betriebsratsmitglied und dem Arbeitgeber verwiesen werden. Damit würde zum einen eine rechtsverbindliche Klärung im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, der im Kündigungsschutzprozess nicht beteiligt ist, nicht erfolgen können. Da das Beteiligungsrecht nicht nur zum Schutz des Betriebsratsmitglieds, sondern auch zu dem des Betriebsrats als Kollektivorgan besteht, werden die Interessen des Betriebsrats unmittelbar betroffen. Diese können nur im Beschlussverfahren eine Klärung erfahren. Zum anderen würde der Arbeitnehmer die Möglichkeit verlieren, im Rahmen des Beschlussverfahrens unter den Bedingungen des Untersuchungsgrundsatzes eine umfassende Klärung der streitigen Fragen herbeizuführen (vgl. insbesondere Senat 18. September 1997 – 2 ABR 15/97 – BAGE 86, 298). Deshalb muss dem Arbeitgeber – schon im Hinblick auf zukünftige, vergleichbare Fälle – die Möglichkeit eingeräumt werden, im Verhältnis zum Betriebsrat eine verbindliche Klärung herbeiführen zu können. Dies gilt erst recht, wenn zwischen den Beteiligten streitig ist, ob der Arbeitgeber ein Tendenzunternehmen ist und es sich bei dem „Sachbearbeiter R.” um einen Tendenzträger und bei den Kündigungsgründen um eine tendenzbezogene Maßnahme handelt. Diese Fragen, vor allem die Eigenschaft des Arbeitgebers als Tendenzunternehmen, betreffen das grundsätzliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und rechtfertigen sowohl die Annahme eines besonderen Feststellungsinteresses (siehe auch BAG 21. Juli 1998 – 1 ABR 2/98 – BAGE 89, 228; zuletzt 23. Oktober 2002 – 7 ABR 59/01 – AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 72 = EzA BetrVG 2001 § 118 Nr. 1), als auch die Annahme eines besonderen Rechtsschutzinteresses.
Es kommen zwei weitere Aspekte hinzu. Der Arbeitgeber kann als Antragsteller eines Zustimmungsersetzungsantrags nach § 103 BetrVG im Laufe des Verfahrens vom Ersetzungsantrag auf einen Feststellungsantrag aus Gründen der Verfahrensökonomie und Rechtssicherheit übergehen, wenn erkennbar wird, dass es einer Zustimmung des Gerichts nicht (mehr) bedarf (vgl. Senat 18. September 1997 – 2 ABR 15/97 – BAGE 86, 298 mit Anm. Kraft). Eine nicht notwendige oder bereits erteilte (oder als erteilt geltende) Zustimmung kann nicht mehr vom Arbeitsgericht ersetzt werden. Gleichwohl bejaht das Bundesarbeitsgericht in solchen Fällen die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags, um im Verhältnis der Beteiligten die notwendige Rechtssicherheit herbeiführen zu können. Weiter hat das Bundesarbeitsgericht immer betont, dass der Streit der Betriebspartner, ob der Betriebsrat in einer bestimmten Angelegenheit ein Mitbestimmungsrecht hat (oder nicht) stets zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden kann (16. August 1983 – 1 ABR 11/82 – AP ArbGG 1979 § 81 Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 81 Nr. 3; 13. Oktober 1987 – 1 ABR 53/86 – EzA ArbGG 1979 § 81 Nr. 12; 17. Januar 1995 – 1 ABR 19/94 – BAGE 79, 96; 23. Juli 1996 – 1 ABR 17/96 – AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 26 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 55). Ein solches Feststellungsverfahren ist als sog. Vorabentscheidungsverfahren zulässig und steht in – anderen – Mitbestimmungsangelegenheiten anderen Verfahren – beispielsweise einem Einigungsstellenbestellungsverfahren oder dem Verfahren vor der Einigungsstelle selbst – nicht entgegen.
Handelt es sich vorliegend nicht um eine bereits abgeschlossene, nur in der Vergangenheit liegende Maßnahme, die im Entscheidungszeitpunkt keine Rechtswirkung mehr für das Verhältnis der Beteiligten untereinander entfaltet (BAG 17. Januar 1995 – 1 ABR 19/94 – BAGE 79, 96), muss deshalb das notwendige allgemeine Rechtsschutzinteresse bejaht werden. Die Beteiligten streiten nach wie vor über die Frage, ob bei der vom Arbeitgeber behaupteten tendenzbezogenen Kündigung des von ihm als Tendenzträger angesehenen R., der Betriebsratsmitglied im – gleichfalls streitig – Tendenzunternehmen des Arbeitgebers ist, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 103 BetrVG nicht zur Anwendung kommen können.
2. Da das Landesarbeitsgericht noch nicht über die Begründetheit des Hauptantrags entschieden hat, wird es dies nach einer neuen Verhandlung nachzuholen haben (§ 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG iVm. § 563 Abs. 1 ZPO nF).
Dabei wird es noch weitere Tatsachsenfeststellungen zu treffen und den Sachverhalt unter Berücksichtigung des nachfolgenden rechtlichen Rahmens zu würdigen haben.
a) Die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds stellt immer – auch in einem Tendenzbetrieb – einen erheblichen Eingriff in die Zusammensetzung des Betriebsratsgremiums dar, Hiervor will § 103 BetrVG primär schützen, um die Kontinuität in der Amtsführung des von der Belegschaft gewählten Betriebsverfassungsorgans zu gewährleisten (BAG 17. Februar 1983 – 2 AZR 481/81 – BAGE 41, 391; 18. September 1997 – 2 AZR 15/97 – BAGE 86, 298). Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG finden in Tendenzunternehmen und Tendenzbetrieben nach Nr. 1 oder Nr. 2 die Vorschriften des BetrVG aber keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Die „Eigenartklausel” begrenzt das Beteiligungsrecht des Betriebsrats. Diese gesetzliche Einschränkung der Beteiligungsrechte erfolgt, weil Tendenzunternehmen und -betriebe nicht ausschließlich erwerbswirtschaftliche Ziele verfolgen. Sie genießen auf Grund besonderer Grundrechts- oder anderer Verfassungsgarantien – wie hier durch Art. 21 GG – regelmäßig einen zusätzlichen Freiheitsschutz, der das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zurücktreten lässt. Die verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheiten des Unternehmensträgers eines Tendenzunternehmens oder -betriebes fordern letztlich, dass ihm das Letztentscheidungsrecht in tendenzbezogenen Fragen verbleibt. Mit § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG berücksichtigt der Gesetzgeber, dass die Zuerkennung von Tendenzschutz zur Zurückstellung von Belangen führt, deren Wahrnehmung dem Betriebsrat übertragen ist (vgl. zum Ganzen BVerfG 6. November 1979 – 1 BvR 81/76 – BVerfGE 52, 283; 29. April 2003 – 1 BvR 62/99 – AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 75 = EzA BetrVG 2001 § 118 Nr. 2; zusammenfassend Richardi/Thüsing 8. Aufl. BetrVG § 118 Rn. 117). Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats müssen aber von Verfassungs wegen nur soweit zurücktreten, als zu besorgen ist, dass die Freiheit, Tendenzentscheidungen unbeeinflusst zu treffen, eingeschränkt wird (BVerfG 29. April 2003, aaO).
Würde man deshalb in Tendenzbetrieben gegenüber einem Tendenzträger, der auch Betriebsratsmitglied ist, die außerordentliche fristlose Kündigung generell von der Zustimmung des Betriebsrats (oder des Arbeitsgerichts) abhängig machen, könnte dies zu einem verfassungswidrigen Eingriff in das genannte Letztentscheidungsrecht des Tendenzunternehmers führen. Der Betriebsrat (bzw. das Arbeitsgericht) würde darüber mitentscheiden, ob der Tendenzunternehmer überhaupt eine Kündigung aussprechen kann bzw. die tendenzbezogene Kündigung könnte erst wirksam werden, wenn die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung vom Arbeitsgericht – in einem (aufwendigen) Verfahren – ersetzt worden wäre. Deshalb sind mit der Sicherung der Zielsetzung von Tendenzbetrieben grundsätzlich solche Mitbestimmungsrechte unvereinbar, die ein Recht zur Mitentscheidung geben (Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 118 Rn. 122).
Dementsprechend ist die durch § 118 Abs. 1 BetrVG erfolgte gesetzliche Konkretisierung der Grundrechts- und Verfassungsgewährleistungen im Anwendungsbereich des § 103 BetrVG zu berücksichtigen. Hiernach kann einem als Tendenzträger beschäftigten Betriebsratsmitglied auch ohne Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG aus tendenzbedingten Gründen gekündigt werden. Der Betriebsrat ist in diesem Fall nur nach § 102 BetrVG anzuhören. Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Meinung in der Literatur (Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt BetrVG 21. Aufl. § 118 Rn. 40; GK-BetrVG/Fabricius/Weber 7. Aufl. § 118 Rn. 212; Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 103 Rn. 14 f. und § 118 Rn. 135; Löwisch/Kaiser BetrVG 5. Aufl. § 118 Rn. 36; HaKo-BetrVG/Lakies § 118 Rn. 36; Hanau BB 1973, 901, 907; Gerh. Müller ZfA 1982, 475, 496; Gerh. Müller in FS Hilger/Stumpf S. 508; offen gelassen von Bundesarbeitsgericht in den Entscheidungen vom 3. November 1982 – 7 AZA 5/81 – EzA KSchG § 15 Nr. 28; 14. September 1994 – 2 AZR 75/94 – EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 36; anderer Ansicht unter Hinweis auf die unverzichtbare Schutzfunktion des § 103 BetrVG und den lediglich kurzzeitigen Verzögerungen: LAG Hamm 1. Juli 1992 – 3 TaBV 30/92 – LAGE BetrVG 1972 § 118 Nr. 17; Däubler/Kittner/Klebe/Wedde BetrVG 8. Aufl. § 118 Rn. 100; MünchArbR/Matthes 2. Aufl. § 365 Rn. 31; HK-KSchG/Dorndorf 4. Aufl. § 15 Rn. 23; Fiebig/Gallner/Pfeiffer KSchG § 15 Rn. 15; Ihlefeld RdA 1977, 223, 226).
b) Ob die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Verfahrens nach § 103 BetrVG hier vorliegen, ist vom Landesarbeitsgericht noch näher zu ermitteln und zu klären.
aa) Das Landesarbeitsgericht wird zu berücksichtigen haben, dass es sich beim Arbeitgeber um ein Tendenzunternehmen iSv. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG handelt. Der Arbeitgeber betreibt in der Form eines Vereins ein Unternehmen, das unmittelbar und überwiegend politischen Bestimmungen dient. Die von den Parteien getragenen politischen Stiftungen sind nach ganz herrschender Auffassung wegen der von ihnen verfolgten allgemeinen politischen Zielsetzungen Tendenzunternehmen im Sinne der genannten Norm (Däubler/Kittner/Klebe/Wedde aaO § 118 Rn. 21; GK-BetrVG/Fabricius/Weber 7. Aufl. § 118 Rn. 21; Löwisch/Kaiser BetrVG 5. Aufl. § 118 Rn. 4; Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 118 Rn. 49; MünchArbR/Matthes 2. Aufl. § 364 Rn. 7; Kohte BB 1999, 1110; siehe auch BAG 21. Juli 1998 – 1 ABR 2/98 – BAGE 89, 228).
bb) Ob R. hingegen Tendenzträger ist, bedarf aber noch weiterer zusätzlicher Feststellungen und auch einer abschließenden rechtlichen Würdigung.
(1) Der Begriff des Tendenzträgers ist gesetzlich nicht definiert. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Tendenzträger in einem Tendenzunternehmen ein Arbeitnehmer, der tendenzbezogene Aufgaben wahrnimmt. Nicht zu den sog. Tendenzträgern zählen solche Arbeitnehmer eines Tendenzbetriebes, die keine tendenzbezogenen Aufgaben wahrzunehmen haben (Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 118 Rn. 123; siehe auch BAG 7. November 1975 – 1 ABR 78/74 – BAGE 27, 322, 328; 6. Dezember 1979 – 2 AZR 1055/77 – BAGE 32, 214, 218; 22. Mai 1979 – 1 ABR 100/77 – AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 13 = EzA BetrVG § 118 Nr. 22; 3. November 1982 – 7 AZR 5/81 – BAGE 40, 296; BVerfG 6. November 1979 – 1 BvR 81/76 – BVerfGE 52, 283).
Welche Arbeitnehmer Tendenzträger sind, hängt weitgehend von den Verhältnissen des einzelnen Tendenzbetriebes ab. Der Tendenzträger muss in verantwortlicher Stellung tätig sein und unmittelbar einen maßgeblichen Einfluss auf die Tendenzverwirklichung haben. Daran fehlt es, wenn sein Gestaltungsspielraum stark eingeschränkt ist. Unschädlich ist allerdings, wenn der Tendenzträger im Einzelfall nach vorgegebenen allgemeinen Richtlinien und Weisungen arbeiten muss (BAG 28. Oktober 1986 – 1 ABR 16/85 – BAGE 53, 237; Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 118 Rn. 30; ErfK/Hanau/Kania 4. Aufl. § 118 BetrVG Rn. 20). Nicht zu den Tendenzträgern zählen solche Mitarbeiter, die Tätigkeiten verrichten, die unabhängig von der Eigenart des Tendenzbetriebes in jedem Betrieb anfallen (zB Stenotypistinnen, Buchhalter, Bürogehilfen, Registrator, Lagerarbeiter; vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engels/ Schmidt BetrVG 21. Aufl. § 118 Rn. 34). Allgemein anerkannt ist, dass die Funktionsinhaber (hauptamtliche Funktionäre) bei den Parteien und Koalitionen Tendenzträger sind (BAG 6. Dezember 1979 – 2 AZR 1055/77 – BAGE 32, 214; ErfK/Hanau/Kania 4. Aufl. § 118 BetrVG Rn. 20; Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 118 Rn. 128; Hako-BetrVG/Lakies § 118 Rn. 27).
(2) In Anwendung dieses Maßstabs kann auf der Basis der bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilt werden, ob R. als Sachbearbeiter und stellvertretender Referent im Referat V/5 Tendenzträger ist.
Das Landesarbeitsgericht hat die Tendenzträgereigenschaft R. nicht festgestellt, sondern ausdrücklich darauf hingewiesen, sich nicht mit ihr befasst zu haben. Das Arbeitsgericht München hat weiter sogar ausdrücklich ausgeführt, R. sei kein Tendenzträger.
Auch aus den bisherigen Tatsachenfeststellungen im Beschluss des Landesarbeitsgerichts München ergeben sich keine sicheren Hinweise für eine Tendenzträgereigenschaft R.
Im Übrigen könnte gegen dessen Tendenzträgereigenschaft, was ua. auch das Arbeitsgericht als entscheidend angesehen hat, seine Einstufung als „weiterer Mitarbeiter” sprechen. Nach der Geschäftsordnung des Beklagten unterstützt er den Referenten bei der Wahrnehmung der Aufgaben des Referats (§ 6 Geschäftsordnung). Dem Referenten steht eine „erste Entscheidung” (§ 5 Geschäftsordnung) zu. Dieser Umstand könnte den Schluss nahe legen, R. übe keine solche verantwortliche Stellung aus, mit der ein unmittelbarer, maßgeblicher Einfluss auf die Tendenzverwirklichung des Arbeitgebers verbunden ist. Diesen notwendigen Einfluss könnte erst die Tätigkeit des Referenten haben, der entsprechende Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Tendenzwirkung treffen kann.
Auch aus der Stellenbeschreibung R. ergibt sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit eine unmittelbare und verantwortliche, den Tendenzbetrieb des Beklagten prägende Tätigkeit. Dies gilt beispielsweise für den Bereich der Projektbeantragung, in dem R. „überwiegend selbständig, jedoch immer in Abstimmung mit dem Referenten” handelt. Allein aus der Stellenbeschreibung wird nicht hinreichend erkennbar, wie und in welchem Umfang R. die Verhandlungen für den Arbeitgeber führt und ob und ggf. welche Entscheidungsspielräume er hat. Schließlich kann der Stellenbeschreibung nicht sicher entnommen werden, ob R. bei der Beantragung der Maßnahmen und bei deren Ausstattung nur vorbereitend tätig wird oder er sie abschließend und in eigener Verantwortung betreut. Ähnliches gilt für die Projektdurchführung. Für eine Tendenzträgereigenschaft mag sprechen, dass R. die Korrespondenz mit den Zuwendungsgebern, den beteiligten Bundesbehörden, den Landesvertretungen der Bundesrepublik in den Projektländern und denen der Projektländer in der Bundesrepublik sowie den Auslandsmitarbeitern und Projektpartnern führt. Ob er die Korrespondenz allerdings ggf. eigenverantwortlich oder sie nur in Abhängigkeit vom Referenten führt, beispielsweise weil sie stets oder überwiegend gegengezeichnet werden muss, ergibt sich aus der Tätigkeitsbeschreibung nicht. Ähnliches gilt für die „selbständige Leitung aller projektrelevanten Verhandlungen” sowie die „Personalsteuerung und -führung im zuständigen Auslandsbereich”. Die Tätigkeitsbeschreibung lässt insoweit offen, ob und welche Gestaltungsspielräume R. hat und ob er dadurch einen unmittelbaren und maßgeblichen Einfluss auf die Verhandlungen und Entscheidungen gewinnt. Für die Bewertung seiner Tendenzträgereigenschaft könnte dies von erheblicher Bedeutung sein. Ähnliches gilt für die Besucherbetreuung und die Organisation von Bildungsveranstaltungen in Deutschland. In welchem Umfang und mit welcher Intensität R. diese Aufgaben tatsächlich – und mit einem eigenen maßgeblichen Einfluss auf die Tendenzverwirklichung – ausübt und dabei zwingend die vom Arbeitgeber vorgegebenen Grundwerte repräsentieren und darstellen muss, ist weder aus der Stellenbeschreibung hinreichend erkennbar, noch vom Landesarbeitsgericht festgestellt worden. Schließlich fehlen jegliche Feststellungen, wie das Arbeitsverhältnis von den Arbeitsvertragsparteien tatsächlich inhaltlich durchgeführt wurde.
(3) Ob R. demnach Aufgaben in erheblichem Umfang tatsächlich wahrnimmt, die ihm einen unmittelbaren und maßgeblichen Einfluss auf die in der Satzung des Arbeitgebers niedergelegte Tendenzverwirklichung geben, wird das Landesarbeitsgericht deshalb noch abschließend zu ermitteln und zu beurteilen haben.
cc) Ferner wird das Landesarbeitsgericht klären müssen, ob die Kündigung aus tendenzbezogenen Gründen erfolgt ist.
(1) Dabei liegt in der Kündigung eines Tendenzträgers als solche noch keine ausreichende tendenzbezogene Maßnahme (so aber wohl Heß/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 118 Rn. 47; Mayer-Maly AR-Blattei Tendenzbetrieb I H III 3). Es spricht keine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Kündigung eines Tendenzträgers stets aus tendenzbezogenen Gründen erfolgt und deshalb eine tendenzbezogene Maßnahme ist. Dem widersprechen sowohl der Wortlaut als auch der Sinn und die Entstehungsgeschichte der Ausnahmeregelung des § 118 Abs. 1 BetrVG. Die Tendenzverwirklichung soll vor einer Beeinträchtigung durch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats abgeschirmt werden. Deshalb muss ein Zustimmungsrecht des Betriebsrats nach § 103 BetrVG nur insoweit zurücktreten, wie durch seine Ausübung die Freiheit des Tendenzunternehmers zur Tendenzbetätigung und -verwirklichung ernsthaft gefährdet werden kann (so schon BAG 7. November 1975 – 1 AZR 74/74 – BAGE 27, 316; 8. Mai 1990 – 1 ABR 33/89 – AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 46 = EzA BetrVG 1972 § 118 Nr. 52). Auch sind Kündigungen sowohl aus tendenzbedingten als auch aus tendenzneutralen Gründen denkbar. Deshalb ist bei einem nicht tendenzbedingten Kündigungsgrund, zB einem tendenzneutralen Leistungsmangel, die Zustimmung des Betriebsrats weiterhin erforderlich (BAG 3. November 1982 – 7 AZR 5/81 – BAGE 40, 296; Gerh. Müller in FS Hilger/Stumpf S. 509). Um nicht tendenzbezogene und damit tendenzneutrale Mängel- und Pflichtenverstöße handelt es sich, wenn der arbeitsvertragliche Pflichtenverstoß keinen unmittelbaren Bezug zum verfolgten Tendenzzweck hat (BAG 3. November 1982 – 7 AZR 5/81 – aaO). Bei „Mischtatbeständen”, also bei einem Kündigungsgrund, der tendenz- und nicht tendenzbezogene Aspekte aufweist, wird man hingegen vom Zustimmungserfordernis des Betriebsrats absehen müssen, ansonsten könnte die Tendenzverwirklichung erheblich beeinträchtigt werden (Gerh. Müller in FS Hilger/Stumpf S. 509).
(2) Ob R. tendenzbezogene arbeitsvertragliche Pflichten verletzt hat, steht auf Grund der bisherigen Tatsachenfeststellungen noch nicht fest. Das Landesarbeitsgericht wird insoweit den Sachverhalt weiter aufzuklären und zu würdigen haben.
Es hat die Frage, ob ein tendenzbedingter Kündigungsgrund gegeben ist, bisher nicht ausreichend ermittelt und gewürdigt. Es hat sich den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts angeschlossen (S. 20 des Beschlusses). Das Arbeitsgericht hatte R. aber schon nicht als Tendenzträger angesehen und deshalb auch die Frage eines tendenzbedingten Kündigungsgrundes nicht weiter thematisiert. Auch das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Würdigung gerade nicht eine Tendenzträgerschaft R. berücksichtigt. Es fehlen inhaltliche Ausführungen, welche Auswirkungen dies auf die Pflichtenstruktur des Arbeitsverhältnisses der Arbeitsvertragsparteien hätte. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Erörterung des wichtigen Grundes nur schlechthin auf den „Tendenzcharakter des Betriebes” abgestellt und geprüft, ob deshalb an R. erhöhte Verhaltensanforderungen zu stellen sind. Damit hat es jedoch den Prüfungsmaßstab verkannt. Hätte es stattdessen berücksichtigt, der Arbeitgeber sei Tendenzunternehmer und R. Tendenzträger, hätte es die entsprechenden – besonderen vertraglichen – Pflichten R. näher herausarbeiten und klären müssen, ob ein erheblicher arbeitsvertraglicher Pflichtenverstoß vorliegt. Ist R. nämlich Tendenzträger, so hat das Auswirkungen auf seine arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten. Ein Tendenzträger ist verpflichtet, sowohl bei seiner Arbeitsleistung als auch im außerbetrieblichen Bereich nicht gegen die Tendenz des Unternehmens zu verstoßen. Von ihm kann vor allem während seiner Tätigkeit eine gewisse Zurückhaltung bei solchen Betätigungen verlangt werden, die der Tendenz des Unternehmens nachhaltig zuwiderlaufen und damit betriebliche Interessen des Unternehmens erheblich berühren (KR-Fischermeier 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 121; APS/Dörner § 1 KSchG Rn. 822 ff.; ErfK/Müller-Glöge 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 124; Buchner ZfA 1979, 335, 347 f.; Dudenbostel/Klas AuR 1979, 296, 300). Bei einem Verstoß gegen die aus dem Arbeitsverhältnis fließenden Pflichten kann sowohl eine verhaltensbedingte als auch eine personenbedingte Kündigung wegen tendenzbezogener Leistungsmängel sozial gerechtfertigt sein (Däubler/Kittner/Zwanziger KSchR 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 152 und 247; KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 305 und 77; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 701 [verhaltensbedingte Kündigung]). Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Tendenz, insbesondere solchen, bei denen der Tendenzträger offensichtlich und erheblich gegen die der unternehmerischen Betätigung zu Grunde liegenden Grundrechts- und Verfassungswerte verstößt und deshalb nicht mit einer entsprechenden Billigung seiner Handlung durch den Tendenzarbeitgeber rechnen kann, kann ausnahmsweise auch eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund – auch ohne Abmahnung – in Betracht kommen (vgl. auch KR-Fischermeier 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 121 ff.). Demnach ist es notwendig, die vom Arbeitgeber verfolgte und von der Verfassung geschützte Tendenzgewährleistung und die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Arbeitsverhältnisse eines Tendenzträgers näher zu konkretisieren. Weiter wird das Beschwerdegericht prüfen müssen, ob den entsprechenden Tendenzanforderungen die von R. gelebte Überzeugung als „Punk” diametral entgegensteht und was die wesentlichen Merkmale des „Punk-sein” sind. Hierzu wird das Landesarbeitsgericht sowohl die Aktivitäten R. im Arbeitsverhältnis (Versenden der E-Mails mit entsprechendem Inhalt) als auch seine – zum Teil bestrittenen – außerbetrieblichen Aktivitäten (zB das Texten der entsprechenden Lieder für die Punk-Band „Rau.”) umfassend aufzuklären und zu würdigen haben. Nur wenn sich hieraus unüberbrückbare reale – und nicht verbal verbrämte – Gegensätze zur gelebten Tendenz des Arbeitgebers ergeben, wäre die Kündigung des (unterstellten) Tendenzträgers R. aus tendenzbedingten wichtigem Grund rechtlich zulässig.
(3) Nicht ausreichend für die Wertung als tendenzbezogener Kündigungsgrund wäre hingegen die – mehrfache – Vertragspflichtverletzung, die im bloßen Versenden von unerlaubten E-Mails – auch unter Benutzung der Domain des Arbeitgebers – liegt. Diese Pflichtverletzung wäre dann ggf. im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens zu würdigen.
III. Über den zulässigen (Eventual-) Hilfsantrag war noch nicht abschließend zu entscheiden, weil noch keine abschließende Entscheidung über den Hauptantrag möglich war.
Unterschriften
Rost, Rost für den wegen Urlaubs verhinderten Richter Schmitz-Scholemann, Eylert, Bühler, Pitsch
Fundstellen
Haufe-Index 1120460 |
BAGE 2005, 204 |
BB 2004, 724 |
DB 2004, 1156 |
EBE/BAG 2004, 4 |
FA 2004, 185 |
FA 2004, 251 |
NZA 2004, 501 |
SAE 2004, 163 |
AP, 0 |
AfP 2004, 463 |
EzA-SD 2004, 14 |
EzA |
ArbRB 2004, 143 |
BAGReport 2004, 161 |