Leitsatz (redaktionell)
Arbeitsstelle im Sinne des BAT § 15 Abs 7 und MTB 2 § 15 Abs 7 ist die räumliche Einheit eines Betriebes bzw einer Dienststelle.
Orientierungssatz
1. Für den Geltungsbereich des BAT und des MTB 2, ferner für Tarifverträge die diese Bestimmungen für global anwendbar halten, gilt mit Ausnahme von Sonderregelungen folgendes: die Arbeitszeit beginnt und endet mit Betreten bzw Verlassen des räumlich einheitlichen Betriebsgeländes.
2. Allgemeine rechtliche Regelungen zu dieser Frage bestehen nicht.
Normenkette
BAT § 15 Abs. 7; MTB § 15 Abs. 7; MTB 2 § 15 Abs. 7; BetrVG § 80 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 20.03.1979; Aktenzeichen 19 TaBV 32/78) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 02.05.1978; Aktenzeichen 10 BV 10/78) |
Gründe
I. Die Antragsgegnerin, die die Tarifverträge für Angestellte und Arbeiter der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. vom 6. Mai bzw. 6. Juni 1980 (MTV Ang-DFVLR und MTV Arb-DFVLR) abgeschlossen hat, betreibt u.a. das Forschungszentrum in Köln mit 1.200 Mitarbeitern. Es umfaßt mehrere Institutsgebäude, die durch einen Zaun umschlossen sind. Die Entfernung vom Eingang des Betriebsgeländes bis zum entferntesten Gebäude beträgt rund einen Kilometer.
Die Beteiligten schlossen eine Betriebsvereinbarung zur Einführung der gleitenden Arbeitszeit. Danach sollte die tägliche Anwesenheit der Mitarbeiter durch Uhrendruck auf Zeiterfassungskarten festgehalten werden. Bisher wurden keine Zeiterfassungsgeräte aufgestellt. Die Betriebsvereinbarung gestattet den Mitarbeitern, ihre Arbeitszeit handschriftlich in die Zeiterfassungskarten einzutragen.
Am 4. Januar 1978 richtete die Antragsgegnerin folgendes Rundschreiben an alle Arbeitnehmer:
"Nach § 15 BAT/§ 15 MTB beginnt und endet die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle.
Bei der Auslegung des Begriffs "Arbeitsstelle" gab es insbesondere im Zusammenhang mit der beabsichtigten Aufstellung von Zeiterfassungsgeräten mit dem Betriebsrat Meinungsverschiedenheiten.
Nach dem Tarifvertrag und der im öffentlichen Dienst geübten Praxis ist die Arbeitsstelle der Betriebsteil, in dem sich der ständige Arbeitsplatz des Arbeitnehmers befindet. Das ist in der DFVLR das jeweilige Instituts- oder Verwaltungsgebäude, die Werkstatt, das Laborgebäude, o.ä. Die Arbeitszeit beginnt oder endet mit Betreten bzw. Verlassen dieses Betriebsteils.
Wir bitten bei den Eintragungen in die Arbeitszeitkarten um Beachtung dieses Grundsatzes."
Die Antragsgegnerin beabsichtigt, Zeiterfassungsgeräte in den einzelnen Gebäuden anzubringen. Nach der Vorstellung des Antragstellers sollen diese Geräte am Eingang zum Betriebsgelände aufgestellt werden. Er ist der Auffassung, die Arbeitszeit beginne und ende bei Betreten bzw. Verlassen des Betriebsgeländes.
Der Antragsteller hat beantragt festzustellen, daß das Schreiben der Antragsgegnerin vom 4. Januar 1978 gegen den Tarifvertrag verstößt, hilfsweise festzustellen, daß die tägliche Arbeitszeit beginnt und endet mit Betreten bzw. Verlassen des Betriebsgeländes.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Anträge zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller seine erstinstanzlichen Anträge weiter.
II. Das Rechtsschutzinteresse für die begehrte Feststellung liegt vor. Da der Betriebsrat gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG über die Einhaltung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Tarifverträge zu wachen hat, besteht ein fortdauerndes rechtliches Interesse an der Klärung, ob das Rundschreiben der Antragsgegnerin gegen Tarifnormen verstößt.
III. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Schreiben der Antragsgegnerin vom 4. Januar 1978, wonach die Arbeitszeit der Arbeitnehmer mit Betreten bzw. Verlassen der einzelnen Institutsgebäude beginnt bzw. endet und dementsprechend die Eintragungen in die Arbeitszeitkarten zu erfolgen haben, verstößt gegen § 2 Satz 1 MTV Ang-DFVLR i.V. mit § 15 Abs. 7 BAT und § 2 Satz 1 MTV Arb-DFVLR i.V. mit § 15 Abs. 7 MTB II. Die Firmentarifverträge erklären die Bestimmungen des BAT bzw. des MTB II global für anwendbar.
Nach diesen wortgleichen Vorschriften beginnt und endet die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle. Nach der dazu vereinbarten Protokollnotiz ist der Begriff der "Arbeitsstelle" weiter als der Begriff des Arbeitsplatzes. Er umfaßt danach z.B. die Dienststelle oder den Betrieb, während unter Arbeitsplatz der Platz zu verstehen ist, an dem der Angestellte bzw. Arbeiter tatsächlich arbeitet.
Hieraus läßt sich zunächst entnehmen, daß die Arbeitszeit nicht erst mit Betreten und Verlassen des Arbeitsplatzes beginnt und endet. Denn der Begriff der Arbeitsstelle soll weiter als der Begriff des Arbeitsplatzes sein. Wenn die Protokollnotiz weiter davon ausgeht, daß der Begriff der Arbeitsstelle "z. B." die Dienststelle oder den Betrieb umfaßt, so soll es erkennbar auch nicht darauf ankommen, wann ein einzelnes Gebäude betreten und verlassen wird, in dem sich der Arbeitsplatz befindet. In anderen Fällen ist eine Regelung über Wegezeiten innerhalb des Betriebsgeländes getroffen worden (vgl. unter Ziff. 2 b). Da eine entsprechende tarifliche Regelung hier nicht besteht, ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts davon auszugehen, daß in der Regel die räumliche Einheit des Betriebes die Arbeitsstelle ist (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, Kommentar zum BAT 1981, § 15 Rz 20; Böhm/Spiertz, Die Dienstverhältnisse der Angestellten bei öffentlichen Verwaltungen und Betrieben, § 15 Rz 23). Wenn daher ein räumlich weit ausgedehnter Betrieb einen oder mehrere Zugänge besitzt, beginnt die Arbeitszeit beim Durchschreiten des für den Arbeitsplatz bestimmten Eingangs (Böhm/Spiertz, aaO). Befinden sich auf einem eingefriedeten Betriebsgelände mehrere Gebäude, beginnt die Arbeit mit dem Betreten und sie endet mit dem Verlassen des Betriebsgeländes.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gilt diese Auslegung der Tarifnormen auch dann, wenn ein großflächiger Betrieb (Dienststelle) auf einem Gelände mit räumlich und funktionell selbständigen Einrichtungen besteht. Die Antragsgegnerin hat die für den öffentlichen Dienst bestehenden Tarifverträge in Kenntnis ihrer besonderen Verhältnisse übernommen.
a) Ein anderer Inhalt dieser tariflichen Vorschriften läßt sich nicht mit dem Rückgriff auf etwaige allgemeine arbeitsrechtliche Regelungen bestimmen. Diese gibt es nicht. Nach § 2 Abs. 1 Arbeitszeitordnung (AZO) ist Arbeitszeit die Zeit von Beginn bis Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. Wann die Arbeit beginnt und endet, ist nur für den Steinkohlenbergbau in § 2 Abs. 2 AZO gesetzlich geregelt. Das Schrifttum stellt auf das Betreten und Verlassen der "Arbeitsstätte", das An- und Abschalten von Maschinen (Denecke/Neumann, AZO, 9. Aufl., § 2 Rz 12), auf die Ankunft am Arbeitsplatz oder die Aufnahme der Arbeit ab (Meisel/Hiersemann, AZO, 2. Aufl., § 2 Rz 50 ff.; Zmarzlik, AZO, § 2 Rz 13). Ungeregelt ist auch, ob die Wegezeit innerhalb des Betriebes der Arbeitszeit zugerechnet werden kann (vgl. Zmarzlik, aaO; Meisel/Hiersemann, aaO; Denecke/Neumann, aaO). Fehlt aber eine allgemeine tarifvertragliche oder gesetzliche Definition der Arbeitsstelle, so kann entgegen der Antragsgegnerin auch aus den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (AP Nr. 37 und 46 zu §§ 22, 23 BAT) zum Begriff der "großen Arbeitsstätte" i.S. der VergGr. VI b BAT kein Anhaltspunkt für eine Auslegung der hier maßgebenden tariflichen Vorschriften gewonnen werden. Hier geht es um Fragen der Arbeitszeit, nicht der Eingruppierung.
b) Dieses Ergebnis wird durch die von den Tarifpartnern des öffentlichen Dienstes vereinbarten Sonderregelungen für weiträumige Betriebe und Dienststellen bestätigt. Soweit der Grundsatz "Arbeitsstelle gleich Betrieb" wegen der Größe eines Betriebes oder einer Dienststelle nicht gelten soll, haben diese Tarifpartner ausdrücklich Sonderregeln vereinbart. So beginnt und endet z.B. nach Nr. 4 der Sonderregelung für die Angestellten im Bereich des Bundesministers der Verteidigung (SR 2 e I BAT) für Angestellte in Versorgungs- und Instandsetzungseinrichtungen sowie auf Flug-, Schieß- und Übungsplätzen die Arbeitszeit grundsätzlich erst am jeweils vorgeschriebenen Arbeitsplatz.
Diese Sonderregelung ist nur dann verständlich, wenn man annimmt, daß in allen nicht besonders geregelten Fällen für den öffentlichen Dienst Betrieb bzw. Dienststelle und Arbeitsstelle jedenfalls auf einem umschlossenen Gelände tariflich gleichbedeutend sind, mag der Betrieb räumlich noch so ausgedehnt sein. Sonst wäre diese Sonderregelung überflüssig. Eine der Nr. 4 SR 2 e I BAT entsprechende Sonderregelung haben aber die Parteien der Firmentarifverträge für die Antragsgegnerin nicht getroffen.
Dr. Auffarth Dr. Jobs Dr. Leinemann Spiegelhalter Rose
Fundstellen
Haufe-Index 440559 |
BB 1983, 1280-1280 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BB 1983, 1280-1282 Friesen, Juliane |
DB 1982, 2469-2470 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BetrR 1982, 368-371 (Leitsatz 1 und Gründe) |
USK, 8246 (red. Leitsatz 1 und Gründe) |
AP § 15 BAT (Leitsatz 1 und Gründe), Nr 4 |
AP BAT § 15, Nr. 4 Clemens |
EzA § 2 AZO, Nr 1 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzBAT § 15 BAT, Nr 1 (Leitsatz 1 und Gründe) |
PersV 1984, 301-302 (Leitsatz 1 und Gründe) |