Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifaustritt - Tarifbindung nach Verbandsaustritt
Leitsatz (redaktionell)
Tritt ein Arbeitgeber aus dem einen Tarifvertrag abschließenden Verband aus, so bleibt seine Tarifbindung bis zur Beendigung des Tarifvertrages bestehen (§ 3 Abs. 3 TVG). Tritt während dieses Zeitraumes ein bei ihm beschäftigter Arbeitnehmer der den Tarifvertrag abschließenden Gewerkschaft bei, so erwächst eine beiderseitige Tarifbindung, so daß der Arbeitnehmer die tarifliche Vergütung fordern kann.
Normenkette
TVG § 3
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 30.04.1992; Aktenzeichen 13 Sa 113/91) |
ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 30.09.1991; Aktenzeichen 3 Ca 346/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin im Jahre 1991 tarifliche Ansprüche geltend machen kann, nachdem der Beklagte zum 31. Dezember 1990 aus dem tarifschließenden Arbeitgeberverband ausgetreten und die Klägerin erst seit Februar 1991 gewerkschaftlich organisiert ist.
Die Klägerin war vom 26. August 1990 bis zum 26. August 1991 bei dem Beklagten als Glasmalerin beschäftigt. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages war der Beklagte tarifgebunden, die Klägerin nicht. Im Arbeitsvertrag war ein Stundenlohn von 13,75 DM brutto vereinbart. Der tarifliche Stundenlohn belief sich auf 14,63 DM brutto.
Der Beklagte kündigte seine Mitgliedschaft in dem tarifschließenden Arbeitgeberverband wirksam zum 31. Dezember 1990. Die Klägerin trat ihrerseits erst im Februar 1991 der tarifschließenden Gewerkschaft bei.
Mit der am 27. August 1991 dem Beklagten zugestellten Klage hat die Klägerin den Unterschied zwischen effektiver und tariflicher Vergütung für die Zeit vom Februar bis Juli 1991 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 847,11 DM geltend gemacht. Darüber hinaus hat sie das tarifliche Urlaubsgeld für vier Urlaubstage aus dem Jahre 1990 und für 13 Urlaubstage aus dem Jahre 1991 i.H.v. rechnerisch ebenfalls unstreitigen 952,23 DM geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei trotz seines Ausscheidens aus der Innung zum 31. Dezember 1990 weiterhin tarifgebunden, da der Lohntarifvertrag frühestens zum 31. Dezember 1991 ende.
Die Klägerin hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin
847,11 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich
ergebenden Nettobetrag aus 135,52 DM seit dem
1. März 1991, aus dem sich ergebenden Nettobe-
trag aus 149,07 DM seit dem 1. April 1991, aus
dem sich ergebenden Nettobetrag aus 142,30 DM
seit dem 1. Mai 1991, aus dem sich ergebenden
Nettobetrag aus 155,85 DM seit dem 1. Juni
1991, aus dem sich ergebenden Nettobetrag aus
142,30 DM seit dem 1. Juli 1991, aus dem sich
ergebenden Nettobetrag aus 149,07 DM seit dem
1. August 1991 zu zahlen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin
952,23 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich
ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu
zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, die Klägerin könne keine Rechte aus dem Tarifvertrag geltend machen, da sie erst zu einem Zeitpunkt der Gewerkschaft beigetreten sei, als er nicht mehr tarifgebunden gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten bis auf einen Betrag i.H.v. 220,00 DM Urlaubsgeld für das Jahr 1990 zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt der Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat seit ihrem Beitritt zur tarifschließenden Gewerkschaft im Februar 1991 bis zu ihrem Ausscheiden Anspruch auf Vergütung in Höhe der tariflichen Sätze sowie auf das tarifliche Urlaubsgeld.
I. Der Beklagte schuldet, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, für das Jahr 1991 die von der Klägerin für die Zeit ab Februar 1991 geltend gemachten tariflichen Leistungen, weil seit diesem Monat beiderseitige Tarifbindung bestand.
1. Unstreitig ist die Klägerin zu diesem Zeitpunkt der Gewerkschaft Holz und Kunststoff beigetreten, die eine der Tarifvertragsparteien des ab 1. November 1990 gültigen Lohntarifvertrages und des Manteltarifvertrages ist, welcher die Regelung über das Urlaubsgeld enthält. Damit war die Klägerin aber nach § 3 Abs. 1 TVG ab diesem Zeitpunkt tarifgebunden.
2.a) Der Beklagte war ebenso unstreitig jedenfalls bis zum 31. Dezember 1990, solange er Mitglied der Glaserinnung K war, tarifgebunden, da diese ihrerseits Tarifvertragspartei der genannten Tarifverträge ist. Diese Tarifbindung ist jedoch durch den Austritt des Klägers zu dem genannten Zeitpunkt nicht beendet worden; vielmehr bleibt die Tarifgebundenheit bestehen, bis der Tarifvertrag endet (§ 3 Abs. 3 TVG). Nach dem Wortlaut der Gesetzesvorschrift ändert der Umstand, daß die Mitgliedschaft des Beklagten zu der für ihn zuständigen Tarifvertragspartei endete, bevor die Tarifbindung der Klägerin eintrat, an diesem Ergebnis nichts. Das Gesetz unterscheidet nicht die Fälle der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG, also der aktuellen Mitgliedschaft in einer Tarifvertragspartei, von den Fällen der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG, also denen der Fortdauer der Tarifbindung nach Verbandsaustritt bis zum Ende des Tarifvertrages. Vielmehr fingiert das Gesetz die fehlende Verbandsmitgliedschaft auf Zeit und stellt damit eine atypische Tarifgebundenheit für diesen Zeitraum her (Däubler, TVG, 3. Aufl., Rz 299; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl., § 3 Rz 23; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 3 Rz 32; Löwisch/Rieble, TVG, 1992, § 3 Rz 78 und Bauer/Diller DB 1993, 1085, unter II 2, b, bb).
b) Für die Auffassung der Revision, unter "Tarifgebundenheit" in § 3 Abs. 3 TVG sei nur die beiderseitige Tarifgebundenheit gemeint und deshalb sei diese Bestimmung nach ihrem Sinn und Zweck auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die Klägerin erst nach dem Austritt des Beklagten der tarifvertragschließenden Gewerkschaft beigetreten sei, gibt das Gesetz nichts her. Es mag zwar sein, daß Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift gewesen ist, die "Tarifflucht" eines Tarifgebundenen zu verhindern. Das Gesetz hat jedoch die Fortdauer der Tarifbindung nicht davon abhängig gemacht, daß im Zeitpunkt des Ausscheidens einer der Arbeitsvertragsparteien aus seinem tarifvertragsschließenden Verband beide Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden waren. Vielmehr hat es ausnahmslos angeordnet, daß die Tarifbindung eines aus einer Tarifvertragspartei ausscheidenden Mitglieds fortdauert, bis der Tarifvertrag endet. Damit war aber auch der Beklagte zum Zeitpunkt des Beitritts der Klägerin zur Gewerkschaft im Februar 1991 tarifgebunden, so daß diese Anspruch auf die tariflich vorgesehenen Leistungen hatte.
c) Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bestehen nicht. Ebenso wie der Gesetzgeber einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären kann, ohne damit gegen die Verfassung zu verstoßen (vgl. BVerfG Beschluß vom 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74 - AP Nr. 15 zu § 5 TVG; BAG Urteil vom 19. März 1975, BAGE 27, 78 = AP Nr. 14 zu § 5 TVG), kann er die Fortdauer der einmal wirksam durch Verbandsmitgliedschaft begründeten Tarifbindung über das Ende der Mitgliedschaft hinaus bis zum Ablauf des Tarifvertrages anordnen (Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 3 Rz 29; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl., § 3 Rz 21).
3. Die Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Leistungen ist von dem Beklagten rechnerisch nicht bestritten worden.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Schaub Dr. Wißmann Schneider
Dr. Knapp Kamm
Fundstellen
Haufe-Index 439385 |
BAGE 74, 41-44 (LT1) |
BAGE, 41 |
BB 1993, 2307 |
BB 1993, 2307 (LT1) |
DB 1994, 104 (LT1) |
DStR 1994, 260-260 (K) |
EBE/BAG 1993, 184 (LT1) |
BetrR 1994, 40-41 (LT1) |
DRsp, VI(638) 74 (LT1) |
NZA 1994, 34 |
NZA 1994, 34-35 (LT1) |
SAE 1994, 157-158 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 102/94 (S) |
ZTR 1994, 21 (LT1) |
AP § 3 TVG (LT1), Nr 15 |
AR-Blattei, ES 1550.3 Nr 6 (LT1) |
EzA § 3 TVG, Nr 7 (LT1) |
EzBAT § 1 BAT Allgemeiner Geltungsbereich, Nr 3 (LT1) |
MDR 1994, 73 (LT1) |