Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsirrige Tarifanwendung im öffentlichen Dienst
Leitsatz (redaktionell)
Erbringt ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes übertarifliche oder außertarifliche Leistungen unter Berufung auf Vorschriften, die einen entsprechenden Anspruch in Wahrheit nicht vorsehen, so ist er trotz langjähriger Übung nicht gehindert, seinen Fehler zu korrigieren.
Normenkette
BAT § 49; BGB § 242
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Entscheidung vom 30.11.1979; Aktenzeichen 2 Sa 63/79) |
ArbG Würzburg (Entscheidung vom 29.05.1979; Aktenzeichen 1 Ca 107/79) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin für das Jahr 1978 vier Tage Zusatzurlaub zustehen.
Die Klägerin ist seit dem 1. Februar 1968 im Dienst des Beklagten als Telefonistin in einer Heilstätte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Aufgrund einer von der Heilstätte am 14. Mai 1963 erlassenen Verwaltungsanordnung wurde der Klägerin ein jährlicher Zusatzurlaub von vier Werktagen bewilligt. Die Anordnung hatte folgenden Wortlaut:
"Die Bestimmungen in § 6 Abs. 1 und 2 der Urlaubs-
verordnung vom 29. April 1963 (GVBl. 63 Nr. 8) über
den Zusatzurlaub für Beamte im Tuberkulosefürsorge-
dienst gelten mit Genehmigung der Verwaltung des
Bezirks auch für das Personal der Heilstätte Münner-
stadt, d.h. die Betriebsangehörigen der Heilstätte
Münnerstadt erhalten neben ihrem tariflichen Erho-
lungsurlaub ab 1.Januar 1963 jährlich einen Zusatz-
urlaub von 4 Werktagen. Im übrigen gilt § 49 BAT."
Im Juni 1978 teilte der Beklagte der Klägerin mit, daß der Zusatzurlaub nur solchen Beschäftigten zustehe, die überwiegend in der Tuberkulosefürsorge tätig seien, ihr Urlaubsanspruch reduziere sich daher um vier Urlaubstage.
Die Klägerin hat geltend gemacht, sie habe einen Rechtsanspruch auf den Zusatzurlaub. Dieser sei durch die langjährige Gewährung Gegenstand ihres Arbeitsvertrags geworden. Er könne nicht einseitig widerrufen werden, vielmehr bedürfe es dazu einer Änderungskündigung des Arbeitsvertrags. Da der Beklagte bisher eine Änderungskündigung nicht ausgesprochen habe, bestehe der Anspruch auf den Zusatzurlaub für das Jahr 1978 fort.
Die Klägerin hat beantragt, ihr für 1978 vier Tage Zusatzurlaub nachträglich zu gewähren.
Der Beklagte hat um Klageabweisung gebeten und vorgetragen, die Bezirksverwaltung habe der Klinik bereits im März 1978 mitgeteilt, daß weder das Verwaltungspersonal noch das Wirtschaftspersonal den in § 6 Abs. 1 UrlV genannten Zusatzurlaub erhalten könnten, da diese Beschäftigten weder mit infektiösem Material arbeiteten noch ansteckend Kranke ärztlich betreuten. Deswegen sei die Verwaltungsanordnung der Klinik widerrufen worden. Aus diesem Grunde stehe auch der Klägerin kein Anspruch auf Gewährung von Zusatzurlaub zu, da auch sie nicht überwiegend mit infektiösem Material arbeite und nicht überwiegend ansteckend Kranke betreue. Einer Änderung des Arbeitsvertrags habe es nicht bedurft, weil die Gewährung des Zusatzurlaubs zu keinem Zeitpunkt arbeitsvertraglich geregelt oder etwa durch Nebenabrede vereinbart worden sei.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der beklagte Bezirk seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den umstrittenen Zusatzurlaub.
1. Die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Gemäß § 49 Abs. 1 BAT in Verbindung mit § 6 der Verordnung über den Urlaub der bayerischen Beamten und Richter vom 29. April 1963 - GVBl Bayern 1963, 109 (UrlV) - setzt der Anspruch voraus, daß der Arbeitnehmer überwiegend mit infektiösem Material arbeitet oder überwiegend mit tuberkulösen oder infektiösen Kranken in Verbindung kommt. Daß dies für sie als Telefonistin zutreffe, hat die Klägerin selbst nicht behauptet.
2. Auch kraft betrieblicher Übung kann die Klägerin den Zusatzurlaub nicht verlangen.
a) Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, durch jahrelanges Gewähren sei der Anspruch Gegenstand des Arbeitsvertrages geworden und habe daher nicht einseitig wieder entzogen werden können. Es reiche aus, daß der Arbeitgeber den objektiven Tatbestand der betrieblichen Übung wissentlich gesetzt habe. Zudem liege ein Verpflichtungswille des Arbeitgebers vor, da sich die Verwaltungsanordnung der Klinik vom 14. Mai 1963 ausdrücklich auf eine entsprechende Genehmigung des Beklagten bezogen, der Beklagte also durch ausdrückliche Willenserklärung oder jahrelange Duldung die betriebliche Übung ausgelöst oder hingenommen habe. Unmaßgeblich sei, ob der Beklagte irrtümlich sämtliche Bedienstete der Heilstätte in den Geltungsbereich der Vorschrift über den Zusatzurlaub einbezogen habe. Ein Rechtsirrtum berühre nicht den Willen, die Norm anzuwenden. Jedenfalls müsse der Beklagte die willentliche Anwendung der Norm als Vertrauenstatbestand gegen sich gelten lassen. Es erscheine rechtsmißbräuchlich, wenn der Beklagte den hervorgerufenen Rechtsschein einer betrieblichen Übung wieder beseitigen wolle, indem er die bisherige Urlaubsgewährung widerrufe. Dieser Begründung kann der Senat nicht folgen.
b) Richtig ist, daß nach außen hin eine gleichförmige Handhabung vorlag, seit die Klinik allen ihren Bediensteten den Zusatzurlaub bewilligte, obwohl nach der geltenden Rechtsvorschrift nur der durch Infektionen gefährdete Teil der Mitarbeiter darauf Anspruch hatte. Diese "Übung" hat die Einrichtung der Beklagten nahezu 15 Jahre lang beibehalten. Die Bewilligung des Zusatzurlaubs beruhte jedoch erkennbar auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung der Urlaubsverordnung. Der Beklagte war trotz der langjährigen Gewährung nicht gehindert, seinen Irrtum zu korrigieren und künftig den Zusatzurlaub zu versagen.
Auch nach seiner Auseinandersetzung mit abweichenden Lösungsansätzen im Schrifttum hat der Senat daran festgehalten, daß eine betriebliche Übung die vertraglichen Rechte der Arbeitnehmer gestaltet, und zwar entweder aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung oder aufgrund eines Vertrauenstatbestandes (BAG 23, 213, 227 ff. = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung zu I der Gründe). Demgemäß hat der Senat auf die Sicht des Begünstigten abgestellt und geprüft, ob der Arbeitnehmer darauf vertrauen kann, daß ihm eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt wird (§§ 133, 157 BGB).
Bei der Frage, ob der Arbeitnehmer auf die Fortsetzung einer bisher geübten gleichförmigen Praxis des Arbeitgebers vertrauen kann, hat der Senat hinsichtlich der Angehörigen des öffentlichen Dienstes Einschränkungen gemacht. Der an Recht und Gesetz, insbesondere an die Festlegungen des Haushaltsplans gebundene öffentliche Arbeitgeber ist gehalten, bei der Vereinbarung von Arbeitsverträgen die Mindestbedingungen des Tarifrechts als Richtschnur zu beachten und demgemäß auch die Rechte der Arbeitnehmer nicht günstiger als tariflich vorgesehen zu gestalten. Daher ist im öffentlichen Dienst davon auszugehen, daß im Zweifel nur die tariflich vorgeschriebenen Leistungen erbracht werden sollen. Allein aus der Gewährung einer übertariflichen Leistung kann der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes noch nicht schließen, daß eine zusätzliche Vergünstigung auf Dauer zugesagt werden soll (BAG 39, 271 = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; Urteil vom 7. September 1982 - 3 AZR 5/80 - AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost).
c) Im Streitfall hat die Verwaltung der Klinik mit ihrer Anordnung vom 14. Mai 1963 auf die kraft tariflicher Verweisung anzuwendende Urlaubsverordnung hingewiesen. Damit wurde unzweideutig zum Ausdruck gebracht, daß den Bediensteten der Klinik Urlaub nur im Rahmen der allgemein geltenden Urlaubsregelung gewährt werden solle. Das bedeutet, daß nur die Rechtsnorm angewendet und nicht darüber hinaus auch den von der Regelung nicht betroffenen Bediensteten zusätzlich Urlaub bewilligt werden sollte. Ersichtlich verursachte die erstmalige Einbeziehung der Mitarbeiter der Heilstätte die irrige Vorstellung, der Zusatzurlaub komme allen Mitarbeitern zugute, weil es die Urlaubsverordnung so vorsehe. Die Klägerin konnte zwar ebenfalls diesem Irrtum unterliegen, sie konnte aber nur darauf vertrauen, daß die geltende rechtliche Regelung korrekt angewandt werde. Sie hatte keinen Anlaß anzunehmen, ihr Arbeitgeber werde ihr künftig ungeachtet der geltenden Rechtsvorschriften eine weitergehende Leistung gewähren, zu der er nicht verpflichtet wäre.
3. Die Erwägung des Berufungsgerichts, der Beklagte müsse sich an dem Rechtsschein einer betrieblichen Übung festhalten lassen, weshalb es rechtsmißbräuchlich sei, die langjährige Praxis wieder aufzugeben, vermag der Senat nicht zu billigen. Der Beklagte ist im Gegenteil gehalten, den erkannten Rechtsirrtum zu korrigieren und den maßgeblichen Rechtsvorschriften Geltung zu verschaffen.
Dr. Dieterich Dr. Gehring Griebling
Kunze Fieberg
Fundstellen
Haufe-Index 438521 |
DB 1985, 183-183 (LT1) |
BlStSozArbR 1985, 4-4 (T) |
NZA 1984, 256-257 (LT1) |
AP § 242 BGB Betriebliche Übung (LT1), Nr 16 |
AR-Blattei, Betriebsübung Entsch 12 (LT1) |
AR-Blattei, ES 510 Nr 12 (LT1) |
DÖD 1984, 293-293 (LT1) |
EzA § 242 BGB Betriebliche Übung, Nr 13 (LT1) |
EzBAT § 4 BAT Betriebliche Übung, Nr 1 (LT1) |
ZfA 1985, 593-593 (T) |