Entscheidungsstichwort (Thema)
Untertagezeit und Zusatzversorgung bei der VBL
Leitsatz (redaktionell)
Ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ist nicht verpflichtet, die unter Tage verbrachten Vordienstzeiten eines Bergmannsversorgungsscheininhabers bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder zu versichern (teilweise Abweichung von BAG 15.5.1984 - 3 AZR 400/82 = BAGE 46, 25, 34 = AP Nr 23 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW).
Orientierungssatz
Auslegung des § 2 Tarifvertrag über die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Arbeitnehmer der Länder vom 31. Juli 1955, 4. Februar 1957 und des § 5 des Tarifvertrages über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe vom 4. November 1966.
Normenkette
TVG § 1; BAT § 46; VBLSa §§ 26, 29, 41; BergVSG NW § 9 Fassung 1971-04-14; BergVSG NW § 9 Fassung 1983-12-20; BergVSG NW § 9 Fassung 1948-07-10; BergVSG NW § 9 Fassung 1954-06-14
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 06.11.1986; Aktenzeichen 8 Sa 591/86) |
ArbG Aachen (Entscheidung vom 07.05.1986; Aktenzeichen 3 Ca 221/86) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob das beklagte Land als Arbeitgeber Rentenausfälle ersetzen muß, die dadurch erwachsen, daß die VBL bei der Berechnung der Zusatzversorgung die von einem Bergmannsversorgungsscheininhaber unter Tage verbrachten Dienstzeiten nicht voll berücksichtigt.
Der im Jahre 1924 geborene Kläger war vom 7. Januar 1948 bis zum 16. September 1948 und vom 8. Mai 1949 bis zum 29. September 1965 im Lande Nordrhein-Westfalen im Bergbau unter Tage beschäftigt. Am 23. Februar 1956 erhielt er den Bergmannsversorgungsschein. Vom 1. Oktober 1965 bis zum 31. Dezember 1984 stand er als Fernschreiber in den Diensten des beklagten Landes. Sein Arbeitsverhältnis richtete sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den ihn jeweils ergänzenden Tarifverträgen. Während seiner Beschäftigungszeit bei dem beklagten Land war er bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zusatzversichert. Bei der Berechnung der Versorgungsrente legte die VBL nur die Zeiten voll zugrunde, für die Beiträge und Umlagen gezahlt worden sind. Dagegen berücksichtigte sie die im Bergbau unter Tage verbrachten Zeiten nicht entsprechend.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, nach § 9 Abs. 3 des Gesetzes über einen Bergmannsversorgungsschein im Land Nordrhein-Westfalen habe er Anspruch darauf, daß die unter Tage verbrachten Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Versorgungsrente berücksichtigt würden. Alsdann sei seine Versorgungsrente rd. 60,-- DM höher. Da die VBL sich weigere, seine Rente entsprechend zu erhöhen, müsse das beklagte Land dafür einstehen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das beklagte Land ver-
pflichtet ist, ihn so zu stellen, wie er
stehen würde, wenn die Zeit vom 7. Januar
1948 bis 16. September 1948 und vom 8.
Mai 1949 bis 29. September 1965 von der
VBL bei der Berechnung der Versorgungs-
rente als gesamtversorgungsfähige Zeit
voll berücksichtigt wird.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, daß es für die dem Kläger nachteilige Berechnung der Zusatzversorgung durch die VBL nicht einzustehen habe. Die VBL habe aber auch zu Recht die Berücksichtigung der Untertagedienstzeiten abgelehnt. Nach dem Versorgungstarifvertrag sei das beklagte Land als Arbeitgeber allein verpflichtet, den Kläger bei der VBL zu versichern. Diese Verpflichtung habe es erfüllt. Bei der Rentenberechnung würden nicht die Betriebszugehörigkeitszeiten und Vordienstzeiten berücksichtigt, sondern nur die Zeiten, die mit Beiträgen und Umlagen belegt seien. Eine Nachversicherung der Vordienstzeiten sei in der Satzung der VBL nicht vorgesehen und technisch nicht durchführbar. Im übrigen sei § 9 Abs. 3 BVSG NW verfassungswidrig. Das Land habe keine Gesetzgebungszuständigkeit für Fragen der betrieblichen Altersversorgung gehabt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine Revision, mit der es weiter die Abweisung der Klage anstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Der Kläger kann nicht verlangen, daß die unter Tage verbrachten Vordienstzeiten bei der Berechnung der Zusatzversorgung in vollem Umfang berücksichtigt werden.
I. Dem Kläger steht gegen das beklagte Land kein Anspruch auf Versicherung der unter Tage verbrachten Dienstzeiten zu.
1. Das beklagte Land hat die sich aus den Versorgungstarifverträgen ergebenden Verpflichtungen erfüllt.
a) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß sich das Arbeitsverhältnis des Klägers nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag und den ihn ergänzenden Tarifverträgen in ihrer jeweiligen Fassung richtet. Nach § 46 BAT in der Fassung vom 23. Februar 1961, der bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses galt, hat der Kläger Anspruch auf Versicherung unter eigener Beteiligung zum Zwecke einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe eines besonderen Tarifvertrages.
b) Sowohl nach dem Tarifvertrag über die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Arbeitnehmer der Länder vom 31. Juli 1955/4. Februar 1957 (VersTV 1955/57) als auch nach dem diesen Tarifvertrag ablösenden Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe vom 4. November 1966 (VersTV 1966) mit späteren Änderungen hat der Kläger allein Anspruch auf Abschluß einer Versicherung bei der VBL mit Begründung seines Arbeitsverhältnisses. Nach § 2 VersTV 1955/57 m. spät. Änd. waren Arbeitnehmer nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen bei der VBL zu versichern, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben und jährlich mindestens 1.115 Stunden beschäftigt sind. Nach § 5 VersTV 1966, der nach seinem zeitlichen Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis des Klägers ab 1. Januar 1967 erfaßt und zuletzt für den Kläger in der Fassung vom 21. Februar 1984 gegolten hat, ist ein Arbeitnehmer bei der VBL nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn er das 17. Lebensjahr vollendet hat und die arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden Vollbeschäftigten beträgt, sofern die Wartezeit nach der Satzung der VBL noch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres vollendet werden kann. In beiden Fällen ist für den Beginn der Versicherungspflicht auf die Satzung der VBL abzustellen. Nach § 25 der bis zum 31. Dezember 1966 geltenden VBL-Satzung beginnt die Versicherung mit dem Eintritt der Pflichtversicherungsvoraussetzungen und nach § 26 VBL- Satzung in der ab 1. Januar 1967 geltenden Fassung beginnt die Versicherung mit dem Zeitpunkt, der auf der Anmeldung als Versicherungsbeginn angegeben ist, jedoch nicht vor Beginn des Zeitraums, für den Beiträge entrichtet worden sind. Auch in der Folgezeit hat sich hieran nichts geändert. Durch Beschluß des Verwaltungsrats der VBL vom 3. März 1977 ist ab 1. Juli 1978 nicht mehr auf Beiträge, sondern auf Umlagen abzustellen, da inzwischen die Beitragspflicht entfallen war.
Diese Verpflichtung hat das beklagte Land erfüllt.
2. Weitergehende Verpflichtungen ergeben sich nicht aus § 9 Abs. 2 BVSG NW.
a) Das Gesetz über einen Bergmannsversorgungsschein im Land Nordrhein-Westfalen (Bergmannsversorgungsscheingesetz - BVSG NW) ist wegen der Anrechnung von Vordienstzeiten wiederholt geändert worden. § 9 Abs. 3 BVSG NW vom 10. Juli 1948 in der Fassung vom 14. Juni 1954 (GV NW, 215) sah allein vor, daß im neuen Beschäftigungsbetrieb bei der Bemessung des Urlaubs und des Tariflohns die im Bergbau unter Tage verbrachten Beschäftigungszeiten den Inhabern eines Bergmannsversorgungsscheins als gleichwertige Berufsjahre anzurechnen sind. Bei Begründung des Arbeitsverhältnisses des Klägers bestand mithin nur eine eingeschränkte Anrechnungsverpflichtung. Seit dem Inkrafttreten von § 9 Abs. 3 BVSG in der Fassung vom 14. April 1971 (GV NW, 124) sind im neuen Beschäftigungsbetrieb bei der Bemessung des Urlaubs, des Tariflohns und sonstiger Leistungen und Zuwendungen die im Bergbau unter Tage verbrachten Beschäftigungszeiten den Inhabern eines Bergmannsversorgungsscheins als gleichwertige Berufsjahre oder als gleichwertige Zeiten der Betriebszugehörigkeit anzurechnen. Diese Rechtslage ist auch durch § 9 Abs. 3 BVSG NW in der Fassung vom 20. Dezember 1983 (GV NW, 635) nicht mehr geändert worden.
b) Leistungen der betrieblichen Altersversorgung sind zwar "sonstige Leistungen" im Sinne von § 9 Abs. 3 BVSG NW. Der Arbeitgeber braucht die unter Tage verbrachten Zeiten eines Bergmannsversorgungsscheininhabers bei der Gewährung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung jedoch nur zu berücksichtigen, wenn die Entstehung oder die Höhe eines Versorgungsanspruchs von der Dauer der Betriebs- oder Berufszugehörigkeit abhängt (vgl. BAG Urteil des Senats vom 26. Oktober 1978 - 3 AZR 604/77 - AP Nr. 15 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW; BAGE 46, 25, 31 = AP Nr. 23, aa0). Die Verpflichtung des Arbeitgebers, eine Zusatzversicherung für den Arbeitnehmer abzuschließen und vom tatsächlich erzielten Verdienst Beiträge oder Umlagen abzuführen, hängt nicht von der Dauer der Betriebs- oder Berufszugehörigkeit ab. Die Dauer der Betriebs- oder Berufszugehörigkeit hat auf die Entstehung dieser Verpflichtungen keinen Einfluß. Die Verpflichtung knüpft an andere Tatbestandsmerkmale als an die der Betriebs- oder Berufszugehörigkeit.
Aus dem Zweck des Bergmannsversorgungsscheingesetzes Nordrhein-Westfalen läßt sich eine über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehende Verpflichtung des Arbeitgebers nicht herleiten. Zwar sollen durch die Berücksichtigung von Untertagedienstzeiten in Folgearbeitsverhältnissen für die an der Gesundheit geschädigten Arbeitnehmer Anreize geschaffen werden, aus dem Bergbau abzukehren und eine Beschäftigung in der übrigen Wirtschaft zu suchen. Die Verpflichtung der Folgearbeitgeber kann aber nicht so weit gehen, den Inhabern eines Bergmannsversorgungsscheins Ansprüche zu verschaffen, die gegenüber anderen vergleichbaren Arbeitnehmern nicht bestehen, und die nicht von der Dauer der Betriebs- oder Berufszugehörigkeit abhängen.
In einem ähnlich gelagerten Fall ist der Senat allerdings davon ausgegangen, daß der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes zur Anrechnung von Bergbauzeiten bei Berechnung der Versorgungsleistungen verpflichtet ist. Er hat einem Landesarbeitsgericht aufgegeben zu ermitteln, in welchem Umfang ein weiterer Folgearbeitgeber Versorgungsleistungen des Landes Nordrhein-Westfalen oder der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder bei Berechnung der Ruhegeldleistungen berücksichtigen darf (vgl. BAGE 46, 25, 34 = AP Nr. 23 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW, zu III 2 c der Gründe). An dieser Rechtsprechung kann der Senat nicht mehr festhalten. Leistungen der betrieblichen Altersversorgung knüpfen zwar häufig an die Dauer der Betriebs- oder Berufszugehörigkeit an. Bei der Verschaffung von Leistungen durch die VBL ist dies aber gerade nicht der Fall. Das hat der Senat in der erwähnten Entscheidung und in dem angegebenen Zusammenhang übersehen.
II. Das beklagte Land ist auch nicht verpflichtet, die Gewährleistung dafür zu übernehmen, daß die VBL die unter Tage verbrachten Dienstzeiten versichert. Zur Versicherung der unter Tage verbrachten Dienstzeiten ist die VBL nicht verpflichtet, so daß es auf die Möglichkeiten der Gewährleistung nicht mehr ankommt.
Die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst erfolgt im Wege privat-rechtlicher Versicherung durch Abschluß von Versicherungsverträgen durch den Arbeitgeber zugunsten seiner Arbeitnehmer und deren Hinterbliebenen (§ 2 VBL-Satzung). Nach Eintritt eines Versorgungsfalles wird eine Gesamtversorgung auf der Grundlage der gesamtversorgungsfähigen Zeit und des gesamtversorgungsfähigen Entgelts gezahlt (§ 41 Abs. 1 VBL-Satzung). Gesamtversorgungsfähige Zeiten sind die bis zum Beginn der Versorgungsrente zurückgelegten Beitrags- und Umlagemonate (§ 42 Abs. 1 VBL-Satzung). Umlagemonate sind solche Zeiten der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, in denen der Arbeitgeber eine monatliche Umlage nach Maßgabe des zusatzversorgungspflichtigen Entgeltes des versicherten Arbeitnehmers zu zahlen hat (§ 29 Abs. 1 VBL-Satzung). Im Rahmen der gesamtversorgungsfähigen Zeit sind bei einem Versorgungsrentenberechtigten, der eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält, solche Zeiten zu berücksichtigen, die der Ermittlung der in der gesetzlichen Rentenversicherung angerechneten Versicherungsjahre einschließlich der Zuschlagszeiten zugrunde liegen (§ 42 Abs. 2 lit. a VBL-Satzung). Insoweit erfolgt die Berücksichtigung zur Hälfte. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß die Zusatzversorgungsrente des Klägers nach diesen Grundsätzen berechnet worden ist.
Die VBL ist durch § 9 Abs. 3 BVSG NW in den verschiedenen Fassungen nicht gezwungen, unter Tage verbrachte Vordienstzeiten zu berücksichtigen. Auf sie ist § 9 Abs. 3 BVSG NW nicht anzuwenden, da sie nicht Arbeitgeber des Versorgungsberechtigten, sondern sein Versicherer ist.
Dr. Heither Schaub Griebeling
Fieberg Arntzen
Fundstellen
Haufe-Index 438408 |
BAGE 58, 359-364 (LT1) |
BAGE, 359 |
DB 1989, 933-933 (LT1) |
NZA 1989, 301-302 (LT1) |
RdA 1989, 67 |
ZTR 1989, 72-73 (LT1) |
AP § 9 BermannsVersorgScheinG NRW (LT1), Nr 27 |
AR-Blattei, Betriebliche Altersversorgung Entsch 209 (LT1) |
AR-Blattei, ES 460 Nr 209 (LT1) |
EzBAT § 46 BAT, Nr 11 (LT1) |