Orientierungssatz
(Beginn der Ausschlußfrist des § 626 Abs 2 BGB; Kenntnis Dritter)
1. Nach ständiger Rechtsprechung reicht erst eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis des Kündigungssachverhalts für den Beginn der Zwei-Wochen-Frist aus.
2. Nach ihrem Wortlaut stellen § 626 Abs 2 S 2 BGB und § 54 Abs 2 S 2 BAT für den Fristbeginn ausschließlich auf die Kenntnis des Kündigungsberechtigten ab.
3. In solchen Fällen jedoch kann auch die Kenntnis eines Dritten genügen, der keine Entlassungsbefugnis hat. Ein solcher Ausnahmefall ist indessen nur gegeben, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Zum einen muß die Stellung des Dritten im Betrieb nach den Umständen des Einzelfalles erwarten lassen, er werde den Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt unterrichten; zum anderen darf sich der Kündigungsberechtigte nur dann nicht auf seine erst später erlangte Kenntnis berufen, wenn dies darauf beruht, daß die Organisation des Betriebes bzw der Verwaltung zu einer Verzögerung des Fristbeginn führt, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar wäre.
Normenkette
BAT § 54 Abs. 2; BGB § 626 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der 1925 geborene Kläger war seit dem 1. Juni 1955 in der Finanzverwaltung des beklagten Landes als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Ab Januar 1967 war er in der Lohnsteuerstelle des Finanzamtes Z tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der BAT Anwendung.
Am 12. Februar 1981 war der Vorsteher des Finanzamtes Z davon unterrichtet worden, ein Steuerpflichtiger habe am 11. Februar 1981 im Verlauf einer Unterredung eingeräumt, der Kläger habe für ihn den Antrag auf Lohnsteuerjahresausgleich ausgefüllt. Noch am selben Tag untersagte der Amtsvorsteher dem Kläger die weitere Annahme und Bearbeitung von Lohnsteuerjahresausgleichsanträgen und ordnete eine Untersuchung an. In der Folgezeit wurden die in der Abteilung des Klägers seit 1976 angefallenen Steuervorgänge daraufhin überprüft, ob der Kläger in weiteren Fällen unerlaubte Hilfe in Steuersachen geleistet habe. Dazu parallel war ein Steuerstrafverfahren gegen den Kläger eingeleitet und die Steuerfahndung eingeschaltet worden. Am 10. März 1981 durchsuchte die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts K die Wohnung des Klägers und stellte verschiedene Beweismaterialien sicher. Mit Schreiben vom 25. März 1981 teilte der Vorsteher des Finanzamts Z dem Kläger u.a. mit, nach dem bisher vorliegenden Ermittlungsergebnis habe er, zum Teil gegen Entgelt, unerlaubt Hilfe in Steuersachen geleistet, unzulässigerweise für Steuerbürger bestimmte Steuerbescheide diesen unmittelbar ausgehändigt und in einigen Lohnsteuerjahresausgleichsanträgen unrichtige Angaben und Bestätigungen aufgenommen. Zugleich wurde der Kläger zu einer Anhörung über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe am 1. April 1981 vorgeladen und ihm angekündigt, bei unentschuldigtem Ausbleiben des Klägers werde die Oberfinanzdirektion ohne eine Stellungnahme des Klägers unterrichtet. Bei dieser Anhörung bestritt der Kläger, entgeltlich Hilfe in Steuersachen geleistet zu haben. Unter dem 1. April 1981 teilte die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts K in zwei getrennten Schreiben dem Kläger mit, gegen ihn sei ein Bußgeld- sowie ein Strafverfahren eingeleitet worden; es werde ihm zu gegebener Zeit Gelegenheit gegeben, sich zu den Beschuldigungen zu äußern. Mit Schreiben des Finanzamts Z vom 6. April 1981 wurde der Kläger zu einer Schlußbesprechung am 15. April 1981 geladen, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu den Prüfungsfeststellungen zu äußern. Der Kläger nahm diesen Termin nicht wahr. Unter dem 24. April 1981 faßte der Amtsvorsteher das Ermittlungsergebnis in einem Bericht zusammen, der am 27. April 1981 bei der Oberfinanzdirektion einging. In diesem Bericht ist neben den bereits erwähnten Vorwürfen gegenüber dem Kläger, die mit der unerlaubten Hilfe in Steuersachen zusammenhängen, auf das Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung sowie auf zwei angebliche Verfehlungen des Klägers im außerdienstlichen Bereich hingewiesen. So soll der Kläger in der Nacht vom 12. auf den 13. März 1981 den Briefkasten des Finanzamts u.a. mit Sand, Steinen, Ästen und Laub gefüllt haben, so daß Post im Briefkasten beschmutzt worden sei. Auch soll der Kläger am 7. April 1981 unter erheblicher Alkoholeinwirkung einen Verkehrsunfall herbeigeführt und sich im Anschluß daran gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten des Widerstandes, der Körperverletzung und der Beleidig schuldig gemacht haben.
Nach Anhörung des zuständigen Bezirkspersonalrats, dem der Bericht vom 24. April 1981 vorlag, kündigte die Oberfinanzdirektion Koblenz mit Schreiben vom 5. Mai 1981, das dem Kläger am 6. Mai 1981 zuging, das Arbeitsverhältnis fristlos.
In einer Rundverfügung der Oberfinanzdirektion Koblenz vom 31. Mai 1977 heißt es unter Ziffer 2: "Die Leiter der örtlichen Dienststellen sind hiernach nicht befugt, Kündigungen selbst auszusprechen. Soll ein Arbeitsverhältnis gekündigt werden, so ist die Angelegenheit beschleunigt zur Entscheidung an die OFD heranzutragen ...".
Mit seiner am 8. Mai 1981 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, die außerordentliche Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil das beklagte Land die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten habe. Das beklagte Land müsse sich die Kenntnis des Amtsvorstehers, der eine arbeitgeberähnliche Stellung innegehabt habe und zur Feststellung des Kündigungssachverhalts verpflichtet gewesen sei, zurechnen lassen. Diesem sei aber spätestens nach der am 1. April 1981 durchgeführten Anhörung der maßgebliche Kündigungssachverhalt bekannt gewesen, so daß die ihm erst am 6. Mai 1981 zugegangene außerordentliche Kündigung verfristet sei.
Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten im Schreiben vom 5. Mai 1981 beendet worden ist.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Da die kündigungsberechtigte Oberfinanzdirektion erst am 27. April 1981 über den vollen Kündigungssachverhalt unterrichtet worden sei, sei die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Kenntnis eines Dritten von dem für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen könne dem Kündigungsberechtigten nur dann zugerechnet werden, wenn neben den vom Kläger aufgeführten Voraussetzungen die verzögerte Kenntnisnahme des Kündigungsberechtigten auf einer verzögernden Organisation beruhe, obwohl eine andere Organisation mit einem zügigen Ablauf sachgerecht und zumutbar wäre. Es sei auch zweifelhaft, ob diese vom Bundesarbeitsgericht bislang nur theoretisch entwickelten Voraussetzungen auf den öffentlichen Dienst mit seinen mehrfach gegliederten Behörden anwendbar seien. Jedenfalls stünden dem Vorsteher eines Finanzamts grundsätzlich keine Arbeitgeberbefugnisse zu, sondern er könne nur auf Weisungen der allein kündigungsberechtigten Oberfinanzdirektion handeln. Auch sei der Amtsvorsteher, dem zwar die Dienstaufsicht über die Mitarbeiter seines Amtes obläge, nicht zur Feststellung des Kündigungssachverhalts verpflichtet. Ebensowenig könne im Streitfall von einer verzögernden Organisation gesprochen werden, sondern nach Abschluß der im Rahmen der Dienstaufsicht von dem Amtsvorsteher geführten Ermittlungen sei dem Kläger unverzüglich gekündigt worden. Ein schnellerer Ablauf könne nur durch Übertragung der Kündigungsbefugnis an die Amtsvorsteher erreicht werden. Dies sei aber nicht sachgerecht, da nur eine Zusammenfassung der Arbeitgeberfunktionen bei der Mittelbehörde die im öffentlichen Dienst besonders wichtige Gleichbehandlung aller Einzelfälle gewährleisten könne.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die von der Rechtsprechung entwickelte Ausnahme, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch die Kenntnis eines zur Kündigung nicht berechtigten Dritten ausreiche, um die Ausschlußfrist nach § 626 Abs. 2 BGB in Gang zu setzen, sei auch im öffentlichen Dienst anwendbar, da die Delegation bestimmter Zuständigkeiten auch in der Privatwirtschaft aus organisatorischen Gründen geboten sei. Im Streitfall sei der Amtsvorsteher zur Feststellung des Kündigungssachverhalts zuständig gewesen. Schon nach der Anhörung des Klägers am 1. April 1981, spätestens aber nach der auf den 15. April 1981 anberaumten Schlußbesprechung hätte der Amtsvorsteher nach der Rundverfügung der Oberfinanzdirektion vom 31. Mai 1977 den Kündigungssachverhalt an die kündigungsberechtigte Mittelbehörde mitteilen müssen. Die Kenntnis des Amtsvorstehers müsse sich die Oberfinanzdirektion aber nach Treu und Glauben zurechnen lassen, da aus der Sicht des Klägers zu erwarten gewesen sei, spätestens innerhalb von zwei Wochen nach der "geplatzten" Schlußbesprechung werde eine Kündigung erfolgen. Auch hätte nach der Rundverfügung der Amtsvorsteher schon vor Abschluß der Ermittlungen die Oberfinanzdirektion über den Kündigungssachverhalt unterrichten können.
Die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht die Prüfung unterlassen, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB bzw. der hier anwendbaren wortgleichen Vorschrift des § 54 Abs. 1 BAT vorliegt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht geprüft, weil es in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht angenommen hat, das beklagte Land habe die Zwei- Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB und des § 54 Abs. 2 BAT versäumt. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht im wesentlichen ausgeführt, das beklagte Land könne die Kündigung nicht auf den nachgeschobenen Vorwurf der Steuerhinterziehung, sondern nur auf die im Kündigungsschreiben genannten Vorwürfe stützen. Diese seien indessen verfristet, weil die Zwei-Wochen-Frist spätestens wenige Tage nach dem 1. April 1981 zu laufen begonnen habe. Zwar habe die allein kündigungsberechtigte Oberfinanzdirektion von diesen Vorwürfen erst am 27. April 1981 Kenntnis erlangt. Jedoch müsse sich das beklagte Land die am 1. April 1981 vorhandene Kenntnis des Finanzamtsvorstehers zurechnen lassen. Denn eine zeitliche Grenze weiterer notwendiger Ermittlungen habe sich das beklagte Land durch das Schreiben des Finanzamtsvorstehers vom 25. März 1981 selbst gesetzt. Aufgrund der ausdrücklichen Mitteilung des Finanzamtsvorstehers, die Oberfinanzdirektion werde auch ohne eine Stellungnahme des Klägers informiert werden, habe der Kläger davon ausgehen müssen, daß die Kündigungsgründe unmittelbar nach seiner Anhörung vom 1. April 1981 an die Oberfinanzdirektion weitergeleitet würden und ihm deshalb alsbald die Entscheidung mitgeteilt werde, ob ihm gekündigt werde oder nicht. Wenn entgegen dieser Ankündigung die Unterrichtung der Oberfinanzdirektion - gleichgültig aus welchen Gründen - hinausgezögert worden sei, so falle dies auf die Arbeitgeberseite zurück. Denn weil der Finanzamtsvorsteher angesichts seiner Aufsichtsfunktion aus der Sicht des Arbeitnehmers ein der Arbeitgeberseite angenäherter Mitarbeiter gewesen sei, sei aufgrund des Schreibens des Finanzamtsvorstehers vom 25. März 1981 zu erwarten gewesen, daß die Oberfinanzdirektion unmittelbar nach dem 1. April 1981 von dessen Kenntnis unterrichtet werde. Wenn diese Unterrichtung trotzdem erst etwa vier Wochen später erfolgt sei, müsse sich das beklagte Land nach Treu und Glauben die Kenntnis des Aufsichtsbefugten zurechnen lassen. Ohne Bedeutung sei, ob die Organisation des beklagten Landes verbesserungsbedürftig erscheine oder eine bessere Organisation möglich sei. Denn auch wenn die Behördenorganisation ihre guten Gründe habe, dürften die damit zusammenhängenden Fristprobleme und Verzögerungen nicht dem Kündigungsempfänger aufgebürdet werden.
II. Dieser Würdigung kann sich der Senat nicht anschließen.
Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB und des § 54 Abs. 2 BAT versäumt, hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Auf der Grundlage der den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils, die allein kündigungsberechtigte Oberfinanzdirektion habe erst am 27. April 1981 vom Kündigungssachverhalt Kenntnis erlangt, wäre die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Zwei-Wochen-Frist habe spätestens wenige Tage nach dem 1. April 1981 zu laufen begonnen, allenfalls dann richtig, wenn der Finanzamtsvorsteher zu diesem Zeitpunkt den Kündigungssachverhalt mit einer für den Fristbeginn ausreichenden Sicherheit gekannt hätte und diese Kenntnis der Oberfinanzdirektion zuzurechnen wäre. Bereits das Vorliegen der ersten Voraussetzung ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung reicht erst eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis des Kündigungssachverhalts für den Beginn der Zwei-Wochen-Frist aus (vgl. z.B. BAG 23, 475 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Ausschlußfrist; BAG 24, 341 = AP Nr. 3 zu § 626 BGB Ausschlußfrist). Im Streitfalle gehört zum Kündigungssachverhalt auch der Vorwurf der Steuerhinterziehung, der vom beklagten Land im Rechtsstreit nachgeschoben wurde. Dieses Nachschieben war zulässig. Aus Gründen des individuellen Kündigungsrechts bestehen hiergegen keine Bedenken, weil es danach jedenfalls in aller Regel allein darauf ankommt, ob der Kündigungsgrund bereits vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung objektiv vorlag (BAG 14, 65 = AP Nr. 50 zu § 626 BGB; Urteil des Senats vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 260/78 - AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen). Auch aus Gründen des kollektiven Kündigungsrechts ist hier ein Nachschieben dieser Gründe möglich, weil sie ausweislich der vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Personalakten des Klägers dem Bezirkspersonalrat mitgeteilt worden sind (vgl. z.B. BAG 34, 309 und BAG 35, 190 = AP Nr. 22 und 23 zu § 102 BetrVG 1972).
Dieser Vorwurf der Steuerhinterziehung hat im vorliegenden Sachverhalt einen doppelten Inhalt. Zum einen soll der Kläger seine angeblichen Nebeneinkünfte aus unerlaubter Hilfeleistung in Steuersachen in seinen eigenen Steuererklärungen nicht angegeben haben. Zum anderen soll er in den Steuererklärungen anderer Personen, denen er behilflich gewesen sein soll, von sich aus falsche Angaben gemacht haben; auch hierin läge zumindest eine Teilnahme (Anstiftung, Beihilfe oder Mittäterschaft) an von anderen Personen begangenen Steuerstraftaten. Von diesen Sachverhalten hatte der Finanzamtsvorsteher jedenfalls Anfang April 1981 keine ausreichend vollständige und zuverlässige Kenntnis, wie sich schon aus der Ladung des Klägers zur "Schlußbesprechung" vom 15. April 1981 ergibt. Zu dieser Schlußbesprechung ist der Kläger dann nicht erschienen. Ersichtlich hat der Finanzamtsvorsteher deshalb seinen Bericht an die Oberfinanzdirektion vom 24. April 1981 ohne Rücksicht auf den Abschluß der Ermittlungen zum Komplex "Steuerhinterziehung" gefertigt. Von einer Kenntnis des Finanzamtsvorstehers vom gesamten Kündigungssachverhalt kann deshalb nicht ausgegangen werden.
2. Selbst wenn man aber mit dem Landesarbeitsgericht darauf abstellt, daß der Finanzamtsvorsteher durch sein Schreiben vom 25. März 1981 dem Kläger gegenüber in verbindlicher Weise zu erkennen gegeben habe, er halte die inzwischen erlangten Kenntnisse für ausreichend, um die Oberfinanzdirektion zu informieren, ist hiermit selbst dann, wenn diese Kenntnisse der Oberfinanzdirektion zuzurechnen wären, keine Grundlage für die rechtliche Würdigung gewonnen, auch die Oberfinanzdirektion habe nunmehr eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis im Sinne der angeführten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehabt.
Nach den Maßstäben dieser Rechtsprechung hätte für den Beginn der Zwei-Wochen-Frist nur eine solche Kenntnis der kündigungsberechtigten Oberfinanzdirektion ausgereicht, aufgrund derer sich die Oberfinanzdirektion zum einen schlüssig zu werden vermochte, ob sie das Ermittlungsergebnis ihrer Hilfspersonen übernehmen konnte, aufgrund derer sie ferner den Bezirkspersonalrat sachgerecht informieren konnte und aufgrund derer sie insbesondere entscheiden konnte, ob der Kündigungssachverhalt nach ihrer Würdigung - vor allem unter Berücksichtigung der Erfordernisse einer einheitlichen Verwaltungspraxis - für eine außerordentliche Kündigung ausreichte. Mit diesen Anforderungen läßt sich nicht vergleichen, was der - nicht kündigungsberechtigte - Finanzamtsvorsteher, der lediglich die Oberfinanzdirektion zu informieren hatte, als für seine Zwecke ausreichendes Ermittlungsergebnis ansehen durfte. Selbst wenn man mithin davon absieht, daß sich nicht "das beklagte Land", sondern lediglich der Finanzamtsvorsteher eine zeitliche Grenze weiterer notwendiger Ermittlungen selbst gesetzt hat und deshalb der Kläger allenfalls darauf vertrauen konnte, der Finanzamtsvorsteher werde nunmehr ohne weitere Verzögerung der Oberfinanzdirektion berichten, läßt sich aus dem Schreiben vom 25. März 1981 und dem sonstigen Verhalten des Finanzamtsvorstehers kein Anhalt für die rechtliche Würdigung gewinnen, die Oberfinanzdirektion sei so zu behandeln, als habe sie vor dem 27. April 1981 eine für ihre Zwecke ausreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt gehabt.
3. Das beklagte Land hätte deshalb die Zwei-Wochen-Frist selbst dann nicht versäumt, wenn der Oberfinanzdirektion die Kenntnis des Finanzamtsvorstehers zuzurechnen wäre. Indessen liegen auch die Voraussetzungen einer solchen Zurechnung im Entscheidungsfall nicht vor.
Nach ihrem Wortlaut stellen § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB und § 54 Abs. 2 Satz 2 BAT für den Fristbeginn ausschließlich auf die Kenntnis des Kündigungsberechtigten ab. Da im Entscheidungsfall die allein kündigungsberechtigte Oberfinanzdirektion erst am 27. April 1981 Kenntnis erhielt und die Kündigung am 6. Mai 1981 zuging, ist mithin insoweit die Zwei-Wochen-Frist gewahrt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, kann jedoch in seltenen Fällen auch die Kenntnis eines Dritten genügen, der keine Entlassungsbefugnis hat. Ein solcher Ausnahmefall ist indessen nur gegeben, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Zum einen muß die Stellung des Dritten im Betrieb nach den Umständen des Einzelfalles erwarten lassen, er werde den Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt unterrichten; zum anderen darf sich der Kündigungsberechtigte nur dann nicht auf seine erst später erlangte Kenntnis berufen, wenn dies darauf beruht, daß die Organisation des Betriebs bzw. der Verwaltung zu einer Verzögerung des Fristbeginns führt, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar wäre (BAG 23, 475, aaO; BAG 24, 341, aaO; BAG 29, 158 = AP Nr. 11 zu § 626 BGB Ausschlußfrist; unveröffentlichte Urteile vom 26. Juni 1980 - 2 AZR 533/78 - und vom 21. Januar 1982 - 2 AZR 761/79 -).
Im Entscheidungsfall liegt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die erste Voraussetzung vor, denn der Finanzamtsvorsteher hatte aufgrund seiner Aufsichtsbefugnisse die erforderliche hervorgehobene und der Funktion des Arbeitgebers angenäherte dienstliche Stellung. Indessen fehlt es an der zweiten Voraussetzung, der Ursächlichkeit der Organisation der Finanzverwaltung für die verzögerte Kenntniserlangung der Oberfinanzdirektion. Dabei kann noch dahinstehen, ob die Gerichte für Arbeitssachen diese Organisation überhaupt daraufhin überprüfen können, ob sie sachgerecht ist. Denn im vorliegenden Fragenkreis geht es nur darum, ob der Arbeitnehmer mit Risiken belastet werden darf, die auf der Organisation des Arbeitgebers beruhen und einer zügigen Unterrichtung des Kündigungsberechtigten entgegenstehen: Ein überflüssiges Organisationsrisiko darf der Arbeitgeber nicht auf den Arbeitnehmer abwälzen (KR-Hillebrecht, § 626 BGB Rz 251). Ein derartiges überflüssiges Organisationsrisiko liegt noch nicht allein darin, daß die Aufsichtsperson nicht zugleich kündigungsberechtigt ist, wie das Landesarbeitsgericht zu meinen scheint. Für die Verzögerung ursächlich müssen vielmehr Organisationsmaßnahmen sein, die den Informationsfluß zwischen Aufsichtsperson und Kündigungsberechtigtem behindern; ein derartiger Sachverhalt lag denn auch dem bisher einzigen Urteil des Bundesarbeitsgerichts zugrunde, in dem die Kenntnis eines Dritten dem Kündigungsberechtigten zugerechnet wurde (Urteil vom 26. Juni 1980 - 2 AZR 533/78 - unveröffentlicht). Im Entscheidungsfall war hingegen die Organisation des beklagten Landes auf zügige Information der Oberfinanzdirektion ausgerichtet; ursächlich für die Verzögerung war allein das Verhalten des Finanzamtsvorstehers. Schon denkgesetzlich läßt sich die Frage, ob die von einem Dritten verursachte Verzögerung dem Kündigungsberechtigten zuzurechnen ist, nicht allein damit beantworten, der Dritte habe schneller handeln müssen. Allein hierauf aber läuft die tragende Überlegung des Landesarbeitsgerichts hinaus, der Finanzamtsvorsteher habe aufgrund seines Schreibens vom 25. März 1981 spätestens einige Tage nach dem 1. April 1981 die Oberfinanzdirektion unterrichten müssen.
III. Im erneuten Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht mithin davon auszugehen, daß die Zwei-Wochen-Frist gewahrt ist. Bei der demnach erforderlichen Prüfung, ob ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gegeben ist, wird das Landesarbeitsgericht den gesamten Kündigungssachverhalt, soweit er dem Personalrat unterbreitet und von der Beklagten in den Rechtsstreit eingeführt wurde, zu würdigen haben. Sofern der Sachvortrag, der im erneuten Berufungsverfahren uneingeschränkt möglich ist, hierzu ausreicht, wird das Landesarbeitsgericht insbesondere auch den Vorwurf der Steuerhinterziehung mit seinem doppelten Inhalt prüfen müssen. Sollte das Landesarbeitsgericht den mit der unerlaubten Hilfe in Steuersachen zusammenhängenden Fragenbereich noch nicht als wichtigen Grund anerkennen, obwohl es diese Vorwürfe selbst als schwerwiegend angesehen hat, wird es auch zu beachten haben, daß bei der Frage der Zumutbarkeit für das beklagte Land, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fortzusetzen, erschwerend ins Gewicht fiele, wenn sich die Darstellung des beklagten Landes bestätigen sollte, der Kläger habe auch nach seiner Entdeckung die unerlaubte Hilfe in Steuersachen fortgesetzt. Denn dies ließe auf mangelnde Einsicht und damit fehlende Eignung für den öffentlichen Dienst schließen. Auch die erwähnten Vorfälle im außerdienstlichen Bereich können für die Berechtigung der Kündigung erheblich werden, sofern hierzu ausreichender Sachvortrag des beklagten Landes vorliegt. Denn der notwendige Bezug zum Arbeitsverhältnis wäre jedenfalls im Falle des verschmutzten Briefkastens gegeben, wenn es richtig sein sollte, daß sich der Kläger hierzu selbst dahingehend eingelassen hat, es habe sich um eine Reaktion auf die ihm gemachten Vorwürfe gehandelt.
Bichler Dr. Becker Dr. Steckhan
Wagner Bea
Fundstellen
Haufe-Index 441132 |
NZA 1984, 228-228 (ST1) |