Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsurlaub - Tarifliche Sonderzahlung
Leitsatz (redaktionell)
1. Beanspruchen eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer uneingeschränkt Erziehungsurlaub, so ruht das Arbeitsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien nicht kraft Gesetzes oder Vereinbarung im Sinne des § 2 Nr 6 Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976 nach dem Stand vom 3. Juli 1984 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens § 2, sondern aufgrund einer einseitigen Erklärung des berechtigten Arbeitnehmers.
2. Einseitige Erklärungen, die auf gesetzlicher Grundlage erfolgen, schließen den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung nicht aus (Bestätigung des Senatsurteils vom 10. Mai 1989, 6 AZR 660/87 = NZA 1989, 759; BB 1989, 2479).
Normenkette
TVG § 1; BErzGG §§ 17, 15-16
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 28.01.1988; Aktenzeichen 10 Sa 1293/87) |
ArbG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 23.04.1987; Aktenzeichen 3 Ca 669/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer tariflichen Sonderzahlung.
Die 1958 geborene Klägerin war in dem metallverarbeitenden Betrieb der Beklagten vom Mai 1982 bis Anfang Januar 1987 als Arbeiterin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis, auf das der Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976 nach dem Stand vom 3. Juli 1984 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens (TV 13. ME) kraft Tarifbindung Anwendung fand, endete aufgrund eines Aufhebungsvertrages der Parteien.
Der Tarifvertrag bestimmt in seinem § 2 u.a.:
"1. Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am
Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis bzw.
Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeit-
punkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate ange-
hört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch
auf betriebliche Sonderzahlungen.
Ausgenommen sind Arbeitnehmer und Auszubildende,
die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis
bzw. Ausbildungsverhältnis gekündigt haben.
2. Die Sonderzahlungen werden nach folgender Staffel
gezahlt:
nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit 20 %
nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit 30 %
nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit 40 %
nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit 50 %
eines Monatsverdienstes bzw. einer Monatsvergütung.
.....
6. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer bzw. Auszubildende,
deren Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis
im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht,
erhalten keine Leistungen. Ruht das Arbeitsverhältnis
bzw. das Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr teil-
weise, so erhalten sie eine anteilige Leistung."
Die Protokollnotiz zu § 2 Ziff. 6 lautet:
"Es besteht Einigkeit darüber, daß Anspruchs-
berechtigte, die unter das Mutterschutzgesetz
fallen und erkrankte Anspruchsberechtigte nicht
von § 2 Ziff. 6 Abs. 1 erfaßt werden."
Die Klägerin hat am 10. März 1986 entbunden und im Anschluß an die 8-wöchige Schutzfrist des § 6 Abs. 1 MuSchG bis zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses Erziehungsurlaub nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz vom 6. Dezember 1985 in Anspruch genommen. Die Beklagte gewährte der Klägerin für 1986 anstelle einer vollen Sonderzahlung einen Teilbetrag von 338,-- DM brutto. Dabei berücksichtigte sie die Zeiten des Erziehungsurlaubs anspruchsmindernd.
Die Klägerin hat gemeint, sie habe Anspruch auf die volle Jahressonderzahlung nach § 2 Nr. 1 und 2 TV 13. ME. Ihr Arbeitsverhältnis habe während des Erziehungsurlaubs nicht geruht.
Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
689,05 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem
sich ergebenden Nettobetrag seit dem 5. März
1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Klägerin habe nur Anspruch auf eine anteilige Sonderzahlung, weil ihr Arbeitsverhältnis während des Erziehungsurlaubs kraft Gesetzes oder Vereinbarung geruht habe. Die Klägerin könne sich nicht auf die Protokollnotiz zu § 2 Nr. 6 TV 13. ME berufen, weil sie während der Zeit des Erziehungsurlaubs nicht unter das Mutterschutzgesetz gefallen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage im wesentlichen entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat einen weiteren Anspruch auf tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 649,80 DM brutto.
A. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe während des Erziehungsurlaubs kraft Gesetzes und Vereinbarung im Sinne des § 2 Nr. 6 TV 13. ME geruht. Die Klägerin könne sich auch nicht auf die Protokollnotiz zu dieser Vorschrift berufen, weil sie für die Zeit des Erziehungsurlaubs nicht unter das Mutterschutzgesetz falle. Deshalb habe sie nur den bereits erfüllten Anspruch auf eine anteilige tarifliche Sonderzahlung.
B. Dieser der Entscheidung des Senats vom 10. Mai 1989 - 6 AZR 660/87 - (NZA 1989, 759) widersprechenden Auffassung des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat auch nach nochmaliger Prüfung der Rechtslage nicht zuzustimmen.
I. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für die volle tarifliche Sonderzahlung. Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 TV 13. ME sind gegeben. Die Klägerin stand am 1. Dezember 1986, dem Auszahlungstag gemäß § 3 Nr. 2 TV 13. ME, in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Sie gehörte zu dieser Zeit dem Betrieb ununterbrochen sechs Monate an. Sie hatte ihr Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt nicht gekündigt.
II. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Nr. 1 TV 13. ME erhalten dann keine Leistungen bzw. nur eine anteilige Leistung, wenn ihr Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr gemäß § 2 Nr. 6 TV 13. ME ganz oder teilweise kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben.
1. Die Bestimmung des § 2 Nr. 6 TV 13. ME ist als rechtshindernde Ausnahmevorschrift gegenüber der Grundnorm des § 2 Nr. 1 TV 13. ME zu verstehen und nicht als selbständige Anspruchsgrundlage. Sie enthält keinen eigenständigen Regelungsgehalt, sondern knüpft an die in § 2 Nr. 1 TV 13. ME geregelten Anspruchsvoraussetzungen an, bevor sie den so beschriebenen Anspruch des Arbeitnehmers ausschließt bzw. einschränkt.
2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Arbeitsverhältnis der Parteien während des Erziehungsurlaubs der Klägerin im Sinne des § 2 Nr. 6 TV 13. ME geruht. Der Senat verweist auf seine ausführliche Begründung in seiner Entscheidung vom 10. Mai 1989 - 6 AZR 660/87 - (NZA 1989, 759, zu B II 1 der Gründe). Die Revision hat keine neuen Gesichtspunkte gegen die bisherige Tarifauslegung durch den Senat zum Begriff des Ruhens vorgebracht. Insoweit ist dem Senat auch im jüngeren Schrifttum zugestimmt worden (vgl. Winterfeld, Anm. zum Senatsurteil vom 10. Mai 1989 - 6 AZR 660/87 -, SAE 1989, 256 ff., unter Aufgabe der von ihr zuvor in Neues Arbeitsrecht, Stand Mai 1987, Teil M, Rz 183 vertretenen Auffassung).
3. Der Senat hat in der bereits genannten Entscheidung vom 10. Mai 1989 - 6 AZR 660/87 - (aaO) angenommen, das Arbeitsverhältnis ruhe während des Erziehungsurlaubs weder kraft Gesetzes noch Vereinbarung. Denn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer, die die gesetzlichen Voraussetzungen des § 15 BErzGG erfüllten, seien nicht auf das Einverständnis des Arbeitgebers bei der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs angewiesen, sondern hätten das Alleinentscheidungsrecht, ob sie den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen wollten oder nicht. Seien die Anspruchsvoraussetzungen nach § 15 BErzGG erfüllt, so entstehe der Urlaubsanspruch, ohne daß ein Einverständnis des Arbeitgebers hierzu erforderlich sei. Der Arbeitgeber müsse das Fernbleiben des Arbeitnehmers von dem gewünschten Zeitpunkt ab hinnehmen. Demgegenüber setze eine Vereinbarung ein wenigstens zweiseitiges übereinstimmendes, regelmäßig rechtsgeschäftliches Handeln voraus (insoweit dem Senatsurteil zustimmend auch Winterfeld, aaO). Der Erziehungsurlaub werde wie früher der Mutterschaftsurlaub auch nicht kraft Gesetzes gewährt. Ihn erhalte der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin auf Verlangen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Damit trete auch der Zustand des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nicht kraft Gesetzes ein, sondern nach entsprechender Willensbetätigung des berechtigten Arbeitnehmers, wenn auch auf gesetzlicher Grundlage. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages werde die Arbeitnehmerin deshalb nicht von der Vorschrift des § 2 Nr. 6 TV 13. ME erfaßt. Die Bestimmung könne auch nicht dahin ausgelegt werden, die Voraussetzung kraft Gesetzes umfasse alle Fälle, in denen der Ruhenstatbestand aus der Geltendmachung gesetzlicher Ansprüche folge. Das verbiete sich aus systematischen und teleologischen Gründen. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung seien in der Grundnorm des § 2 Nr. 1 TV 13. ME geregelt, während in seiner Nr. 6 die Ausnahmen bestimmt seien. Ausnahmeregelungen seien aber restriktiv auszulegen. Auch der Charakter der Sonderzahlung als im wesentlichen Entlohnung für die vergangenen Dienste rechtfertige keine extensive Interpretation der Ausnahmebestimmung. Denn die Tarifvertragsparteien hätten den erkennbaren Grundsatz, nur für Zeiten eine Sonderzahlung zu gewähren, in denen gearbeitet worden sei, bereits für zwei weitreichende Fallgruppen aufgehoben, nämlich für die Zeiten von Mutterschutz und Krankheit. Insbesondere bei Ausfällen wegen Krankheit seien Fallgestaltungen denkbar, in denen Arbeitnehmer trotz fehlender Arbeitsleistung über eine lange Zeit hinweg eine Sonderzahlung beanspruchen könnten. Deshalb sei eine Auslegung zur Erhaltung des Grundsatzes nicht geboten. Letztlich führe eine extensive Interpretation des Tatbestandsmerkmals "kraft Gesetzes" zur Erfassung aller denkbaren Fälle des Ruhens, weil sie entweder auf Vereinbarung oder kraft Gesetzes zustande kämen. Damit entbehrte die einschränkende Formulierung in der Tarifvorschrift jeden Sinns, wovon der Senat nicht ausgehen kann. Wenn die Tarifvertragsparteien jeglichen Ruhenstatbestand hätten erfassen wollen, wäre diese Absicht besser zu erreichen gewesen, wenn sie lediglich vom Ruhen des Arbeitsverhältnisses ohne die kausale Verknüpfung mit den Worten "kraft Gesetzes oder Vereinbarung" gesprochen hätten. So könne auch nicht von einer Tariflücke ausgegangen werden.
4. Diese Tarifauslegung des Senats hat Kritik seitens der Beklagten und von Winterfeld (SAE 1989, 256 ff.) erfahren. Sie hat dem Senat nochmals Gelegenheit gegeben, seine Überlegungen zur Auslegung des § 2 Nr. 6 TV 13. ME zu überdenken, und - unter Beibehaltung seiner Rechtsprechung vom 10. Mai 1989 - zur bisherigen Begründung ergänzend auszuführen:
a) Bei der vorliegend notwendigen Tarifauslegung steht der Wille der Tarifvertragsparteien im Vordergrund. Es ist Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, deren Mitglieder weder beim Tarifabschluß zugegen waren noch schriftliche Materialien wie bei der Gesetzesauslegung zur Verfügung haben, anhand des Wortlauts und anderer Mittel, die die Methodenlehre zur Verfügung stellt, den Willen der Tarifvertragsparteien (genauer: der Mitglieder der den Tarifvertrag abschließenden Verhandlungsteilnehmer beider Seiten) zu erforschen. Angesichts dieser Aufgabe und der notwendigerweise unvollkommenen Mittel verbietet es sich, von einem bestimmten Willen der Tarifvertragsparteien ohne nähere Begründung auszugehen. Formulierungen wie "es kann zwanglos angenommen werden", "schlechthin unhaltbare Behauptung" oder gar "zweifelsfrei" sind jedenfalls keine methodisch erarbeiteten Begründungen. Sie offenbaren lediglich die voluntativ geprägten Vorstellungen der in dieser Weise Argumentierenden (vgl. Sendler, Deutsche Richterzeitung 1989, 453).
b) Statt dessen geht der Senat wie stets bei der Tarifauslegung vom Wortlaut des Tarifvertrages aus. Dabei kann nicht übersehen werden, daß die Tarifvertragsparteien die in § 2 Nr. 1 TV 13. ME genannten Ansprüche nicht schlichtweg für den Fall des Ruhens ausgeklammert haben, sondern den Ausnahmetatbestand mit Attributen versehen haben. Die Beklagte und Winterfeld (aaO) folgern daraus, die Tarifvertragsparteien hätten gerade damit alle denkbaren Ruhenstatbestände erfassen wollen. Begründet wird diese gegen den Wortlaut vertretene Auffassung nicht. Es ist wohl gedanklich möglich, daß die Tarifvertragsparteien die Worte "kraft Gesetzes oder Vereinbarung" nicht als Einschränkung, sondern als umfassende Erläuterung zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses gebraucht haben, und zwar um klarzustellen, daß nicht nur die vereinbarten Ruhenstatbestände, sondern sämtliche ruhenden Arbeitsverhältnisse erfaßt sein sollten (Winterfeld, aaO, S. 259). Einleuchtend ist diese Möglichkeit allerdings nicht, weil sie durch die einfache Formulierung ohne Attribute zu erreichen gewesen wäre. So ist aus der Wortwahl wenigstens der Schluß zu ziehen, die Tarifvertragsparteien haben nicht zwingend jeden Fall des Ruhens anspruchsausschließend behandelt. Es besteht vielmehr die Möglichkeit, daß sie Ruhenstatbestände nicht ausklammern wollten, die nicht kraft Gesetzes oder Vereinbarung, sondern auf drittem Weg entstehen. Nur davon geht der Senat aus. Er behauptet nicht, wie Winterfeld (aaO) meint, die Tarifvertragsparteien hätten nicht jeglichen Ruhenstatbestand erfassen wollen. Eine derartige Behauptung wäre ebensowenig zu belegen wie die Behauptung der Beklagten, die Tarifvertragsparteien hätten alle Ruhenstatbestände erfassen wollen. Soweit die Entscheidung vom 10. Mai 1989 den gegenteiligen Eindruck vermitteln sollte, stellt der Senat klar, daß ihn bereits die Erkenntnis, die Tarifvertragsparteien könnten eine einschränkende Regelung gewollt haben, daran hindert, ohne Beachtung der Tatbestandsmerkmale kraft Gesetzes oder Vereinbarung von einem allumfassenden Tatbestand auszugehen.
c) Die vorstehende Überlegung wäre nur dann nicht zutreffend, wenn die Tarifvertragsparteien bei Abschluß des Tarifvertrages im Jahre 1976 keinen dritten Weg gekannt hätten, der zum Ruhen eines Arbeitsverhältnisses führen konnte. Dann wäre davon auszugehen, daß mit dem Zusatz "kraft Gesetzes oder Vereinbarung" eine umfassende Benennung aller Ruhenstatbestände gewollt gewesen sei. Das ist entgegen der Auffassung der Beklagten und der Meinung Winterfelds (aaO) nicht der Fall, denen nur insoweit zuzustimmen ist, als der hier zu behandelnde Fall damals unbekannt war. Andere Ruhenstatbestände, die nicht kraft Gesetzes oder Vereinbarung entstehen konnten, waren aber nicht unbekannt. Bereits der Sachverhalt der Entscheidung des Ersten Senats vom 10. November 1959 - 1 AZR 29/56 - (AP Nr. 2 zu § 133 BGB) beschreibt das Ruhen der Hauptpflichten in einem Arbeitsverhältnis durch einseitige Suspendierung seitens einer Vertragspartei, die die andere Vertragspartei widerspruchslos hingenommen hat. Da dieser Art des Schweigens kaum der Wert einer Willenserklärung beigemessen werden konnte, lag keine Vereinbarung vor und damit bereits ein dritter Weg neben Gesetz und Vereinbarung. Unbekannt waren auch nicht die Ruhensfolgen, die durch die Teilnahme an einem Streik und durch eine vom Arbeitgeber verfügte suspendierende Aussperrung entstehen (BAGE 1, 291 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAGE 23, 292, 310 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu Teil III C der Gründe; BAG Urteil vom 9. Februar 1982 - 1 AZR 567/79 - AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 4. August 1987 - 1 AZR 488/86 - AP Nr. 89 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu 2 b der Gründe). Davon ausgehend, daß die Begriffe "Ruhen des Arbeitsverhältnisses, Ruhen der Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses, Suspendierung der Hauptpflichten oder Suspendierung des Arbeitsverhältnisses" synonym gebraucht werden (zutreffend insoweit Winterfeld, aaO, S. 257; vgl. dazu auch Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl., Vorbem. 21 zu §§ 3 - 8 und Vorbem. 20 zu §§ 8 a - 8 d), tritt der durch die Teilnahme am Arbeitskampf begründete Ruhenstatbestand nicht kraft Gesetzes ein (ausdrücklich offengelassen durch den Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 4. August 1987 - 1 AZR 488/86 -, aaO). Er ergibt sich nicht einmal aus einem Gesetz, sondern aus den von den Gerichten entwickelten Grundsätzen, denen keine Rechtsnormqualität zukommt (BAGE 33, 140, 159, 160 = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A II 4 der Gründe; BAGE 48, 195, 207 = AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 2 b der Gründe; Rüthers/Henssler in der Anmerkung zu AP Nr. 89 Art. 9 GG Arbeitskampf, m.w.N. zum Schrifttum). Die gesetzesvertretende Funktion, die dem sogenannten Richterrecht zugeschrieben wird, rechtfertigt keine Subsumtion unter den Begriff kraft Gesetzes (insoweit a.A. Rüthers/Henssler, aaO). Des weiteren bewirkt weder der gewerkschaftliche Streikaufruf noch der Aussperrungsbeschluß des Arbeitgeberverbandes die Suspendierung der einzelnen Arbeitsverhältnisse. Es muß eine Teilnahmehandlung des Arbeitnehmers bzw. Arbeitgebers hinzukommen, damit die Rechtsfolge des Ruhens eintritt. Es handelt sich um ein Ruhen kraft einseitiger Erklärung.
Daneben waren und sind andere einseitig statthafte Tatbestände denkbar, wie die das alte Arbeitsverhältnis suspendierende Abordnung an einen anderen Arbeitgeber z.B. im Rahmen einer konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung nach Art. 1 § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG (vgl. dazu BAG Urteil vom 5. Mai 1988 - 2 AZR 795/87 - AP Nr. 8 zu § 1 AÜG) und die für die gewerblichen Arbeitnehmer allerdings nicht einschlägige Bestellung eines angestellten Geschäftsführers zum GmbH-Geschäftsführer (BAGE 49, 81 = AP Nr. 3 zu § 5 ArbGG 1979).
5. Die Erkenntnis, die Tarifvertragsparteien könnten Ruhenstatbestände gesehen haben, die nicht kraft Gesetzes oder Vereinbarung entstehen, zwingt zur Beantwortung der Frage, ob die durch das Bundeserziehungsgeldgesetz vom 6. Dezember 1985 geschaffene Möglichkeit, durch einseitige Erklärung einen Ruhenstatbestand zu schaffen, außerhalb des tariflichen Regelungsbereichs liegt oder als Fall des Ruhens kraft Gesetzes oder Vereinbarung subsumiert werden kann.
a) Der Zustand des Ruhens des Arbeitsverhältnisses während des Erziehungsurlaubs ist nicht auf eine Vereinbarung zurückzuführen. Der Begründung des Senats vom 10. Mai 1989 - 6 AZR 660/87 - (aaO) ist nichts hinzuzufügen, zumal die Rechtsprechung insoweit Beifall gefunden hat und die Beklagte hiergegen keine neuen, im Urteil vom 10. Mai 1989 nicht behandelten Gesichtspunkte vorgetragen hat.
b) Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ruhte auch nicht kraft Gesetzes im Sinne des § 2 Nr. 6 TV 13. ME. Bereits sprachlich besteht ein Unterschied zwischen der Formulierung "kraft Gesetzes" und der (gedachten) Wendung "kraft einseitiger Willenserklärung aufgrund gesetzlicher Grundlage". Die von Winterfeld vorgenommenen Umformulierungen, die Worte "kraft Gesetzes" bedeuteten nichts anderes als "durch die Kraft des Gesetzes, d.h. weil das Gesetz es so anordne, also aufgrund gesetzlicher Rechtsfolgeanordnung", verwischen diesen sprachlichen Unterschied. Doch nicht nur die grammatikalische Interpretation des Tarifbegriffs rechtfertigt den Unterschied. Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift, der durch die von den Tarifvertragsparteien getroffene Wortwahl zum Ausdruck kommt, rechtfertigt es nicht, die unterschiedlich gelagerten Fälle gleichzubehandeln. Die Tarifvertragsparteien lassen mit ihrer Wortwahl erkennen, daß der Arbeitnehmer das 13. Monatsentgelt nicht oder nicht ungeschmälert bekommen soll, wenn die Suspendierung im Einvernehmen herbeigeführt worden ist oder das Ergebnis eines Sachverhalts ist, gegen den die Vertragsparteien wie im Fall des § 1 ArbPlSchG nichts unternehmen können (der verwaltungsrechtliche Rechtsschutz kann in diesem Zusammenhang unbeachtet bleiben). Mit dem daher im Zusammenhang zu lesenden und zu verstehenden Begriff "kraft Gesetzes oder Vereinbarung" beschreiben die Tarifvertragsparteien ein Zwangs- oder Konsensprinzip und schließen damit die Möglichkeit aus, durch einseitigen Akt einer der Vertragsparteien den Anspruch des Arbeitnehmers auf das 13. Monatsentgelt auszuschließen oder zu schmälern. Das Verbot, durch einseitige Maßnahmen den Anspruch auf das 13. Monatsentgelt zu schmälern oder auszuschließen, wird besonders sinnfällig bei Ruhenstatbeständen, die der Arbeitgeber einseitig veranlassen kann wie bei der suspendierenden Aussperrung. Unabhängig vom Umfang späterer Maßregelungsverbote (vgl. dazu BAG Urteil vom 4. August 1987 - 1 AZR 488/86 -, aaO) werden durch den Wortlaut des Tarifvertrages Arbeitnehmer vor anspruchsvernichtenden oder anspruchsmindernden Akten geschützt. Die Norm wirkt jedoch gleichermaßen bei einem berechtigten Verhalten des Arbeitnehmers, das zur Suspendierung der Hauptpflichten im Arbeitsverhältnis führt, wie die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik zeigt. In diesem Fall sichert die Vorschrift die Wahrnehmung arbeitskampflicher Rechte durch Beibehaltung eines tarifvertraglichen Anspruchs. Gleiches gilt für den später geschaffenen gesetzlichen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub bzw. Erziehungsurlaub. Seine Inanspruchnahme bleibt unberührt von Überlegungen, welche weiteren negativen finanziellen Folgen neben dem Verzicht auf Vergütung die gesellschaftspolitisch erwünschte Entscheidung für Kinder und deren elterliche Betreuung in den ersten Lebensmonaten haben könnte.
Erweist sich die Interpretation des Senates nicht nur vom Wortlaut gedeckt, sondern als eine dem Schutzzweck der Ausnahmenorm gerecht werdende Auslegung, die keineswegs als teleologische Reduktion gegen den Wortlaut der Norm anzusehen ist, so überzeugen die weiteren Argumente der Beklagten gegen die bisherige Senatsrechtsprechung nicht. Die Tatsache, daß auch in den Fällen des Arbeitsplatzschutzgesetzes das Ruhen nicht unmittelbar kraft Gesetzes eintritt, sondern durch vorgeschalteten Verwaltungsakt, ist angesichts der Einordnung dieses Falls unter das im Tarifvertrag genannte "Zwangsprinzip" ohne Bedeutung. Ob das für die Fälle der §§ 10, 16 a ArbPlSchG gleichermaßen gilt oder nur wegen deren Verweisung auf die entsprechende Anwendung des § 1 ArbPlSchG, mag dahingestellt bleiben. Der Vergleich mit den gesetzlichen Regelungen im Recht der Anfechtung und der Bürgschaft, nach denen eine Rechtsfolge kraft Gesetzes nach vorausgegangener rechtsgeschäftlicher Maßnahme eintritt, ist für die Tarifauslegung des § 2 Nr. 6 TV 13. ME ebensowenig ergiebig wie der Hinweis auf Bestimmungen der §§ 18, 19 BErzGG. Schließlich weist der Senat darauf hin, daß er mit seinem Hinweis auf die Fälle der Protokollnotiz keineswegs gemeint hat, mit der Erwähnung von Mutterschutz und Krankheit seien zwei wesentliche Fallgestaltungen des Ruhens von der Vorschrift des § 2 Nr. 6 TV 13. ME ausgenommen. Es entspricht der Auffassung des Senats, daß in diesen Fällen das Arbeitsverhältnis nicht ruht (vgl. Senatsurteil vom 7. September 1989 - 6 AZR 637/88 -, zur Veröffentlichung bestimmt) und mit der Erwähnung dieser Tatbestände lediglich fehlerhafter Tarifauslegung vorgebeugt werden sollte. Der Senat wollte daher mit seinem Hinweis nur verdeutlichen, daß die Tarifvertragsparteien kein generelles Prinzip des Inhalts normiert haben, ohne vollständige Arbeitsleistung gebe es keine ungeschmälerte Sonderzuwendung, was bei statthafter Ausklammerung von Arbeitsunfähigkeitszeiten erkennbar geworden wäre (vgl. dazu Senatsurteil vom 30. November 1989 - 6 AZR 808/87 -, nicht veröffentlicht).
6. Entgegen der Auffassung der Beklagten muß sich der Senat nicht mit der Frage der Feststellung und Ausfüllung einer Tariflücke beschäftigen. Die Auslegung des Senats schließt es aus, eine planwidrige Unvollständigkeit des Tarifvertrags und damit eine Norm- oder Regelungslücke anzunehmen, die sogar durch die Gerichte für Arbeitssachen zu schließen sei. Auch derjenige, der wie die Beklagte meint, der Fall des Ruhens kraft gesetzlicher Anordnung aufgrund rechtsgestaltender Willenserklärung werde vom Wortlaut "kraft Gesetzes" gemäß § 2 Nr. 6 TV 13. ME erfaßt, verneint wegen des umfassenden Charakters der Norm das Vorliegen einer Lücke. Eine Tariflücke könnte nur angenommen werden, wenn der Wille der Tarifvertragsparteien zu einer umfassenden Regelung festzustellen, aber bei der normativen Umsetzung verfehlt worden wäre. Davon ist wohl der Fünfte Senat in seiner Entscheidung vom 3. Juni 1987 (- 5 AZR 153/86 -, nicht veröffentlicht) ausgegangen. Dieser Auffassung vermochte der erkennende Senat aus den genannten Gründen nicht zuzustimmen. Eine Anrufung des Großen Senats kam entgegen der Auffassung Winterfelds (aaO) nicht in Betracht, weil der Sechste Senat für Fragen des Gratifikationsrechts und damit der Auslegung der umstrittenen Tarifvorschrift allein zuständig geworden ist.
7. Besteht somit der Anspruch der Klägerin nach § 2 Nr. 1 TV 13. ME, weil die Voraussetzungen der anspruchsbegrenzenden Ausnahmevorschrift des § 2 Nr. 6 TV 13. ME nicht gegeben sind, kommt es nicht darauf an, inwieweit die Klägerin ihren Anspruch auf die Protokollnotiz zu § 2 Nr. 6 TV 13. ME stützen kann und ob und inwieweit der Tarifvertrag gegen höherrangiges Recht wie die §§ 15, 16 BErzGG, § 10 Abs. 2 MuSchG und § 612 a BGB in Verbindung mit Art. 6 GG verstößt.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO.
Dr. Röhsler Schneider Dörner
Dr. Steinhäuser Schwarck
Fundstellen
Haufe-Index 440705 |
BAGE 63, 375-385 (LT1-2) |
BAGE, 375 |
BB 1990, 1200 |
BB 1990, 1200-1202 (LT1-2) |
DB 1990, 842-843 (LT1-2) |
EBE/BAG 1990, 62-64 (LT1-2) |
AiB 1990, 269-270 (LT1-2) |
EEK, III/093 (ST1-2) |
NZA 1990, 494-497 (LT1-2) |
RdA 1990, 188 |
ZAP, EN-Nr 387/90 (S) |
ZTR 1990, 382-383 (LT1-2) |
AP § 15 BErzGG (LT1-2), Nr 3 |
AR-Blattei, ES 680 Nr 4 (LT1-2) |
AR-Blattei, Erziehungsurlaub Entsch 4 (LT1-2) |
EzA § 4 TVG Metallindustrie, Nr 66 (LT1-2) |