Leitsatz (redaktionell)
Nimmt der Arbeitnehmer im Konkurs des Arbeitgebers Konkursausfallgeld in Anspruch, so kann er vom Arbeitgeber bzw. vom Konkursverwalter nicht Zahlung des Teiles des Bruttolohnes an sich verlangen, der als Lohnsteuer abzuführen gewesen wäre (Bestätigung von BAGE 48, 229 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Lohnanspruch).
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger nach der Inanspruchnahme von Konkursausfallgeld noch Anspruch auf Zahlung des Unterschiedsbetrages zwischen dem steuerlichen Netto- und Bruttolohn gegen den beklagten Konkursverwalter hat.
Der Kläger war seit dem 1. Februar 1995 bei der B GmbH & Co. KG als Konstruktionsingenieur beschäftigt. Die Arbeitgeberin erstellte für die Monate November und Dezember 1995 sowie Januar 1996 Lohnabrechnungen, zahlte aber weder die darin ausgewiesenen Nettobeträge an den Kläger aus noch führte sie die errechnete Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag an das Finanzamt ab. Am 1. Februar 1996 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt.
Auf Antrag des Klägers vom 6. Februar 1996 bewilligte das Arbeitsamt A mit Bescheid vom 13. Februar 1996 für die Zeit vom 1. November 1995 bis zum 31. Januar 1996 Konkursausfallgeld in Höhe von 15.053,97 DM.
Der Kläger hat geltend gemacht, der Beklagte sei verpflichtet, die in den Lohnabrechnungen für November 1995 bis Januar 1996 als Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag ausgewiesenen Beträge an ihn zu zahlen. Er hat vorgetragen: Seine Lohnansprüche für die Zeit vom 1. November 1995 bis zum 31. Januar 1996 seien nur in Höhe des geleisteten Konkursausfallgeldes auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen. In Höhe der ausgewiesenen Steuerbeträge bestehe sein Lohnanspruch gegen den Beklagten fort.
Der Kläger hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.586,93 DM nebst 10,5 % Zinsen seit dem 18. März 1996 zu zahlen,
hilfsweise
den Beklagten zu verurteilen, für ihn Lohnsteuer in Höhe von 5.197,50 DM und Solidaritätszuschlag in Höhe von 389,43 DM für den Zeitraum 1. November 1995 bis 31. Dezember 1995 an das zuständige Finanzamt abzuführen;
2. den Beklagten weiter zu verurteilen, an ihn 1.584,01 DM nebst 10,5 % Zinsen seit dem 1. Februar 1996 zu zahlen,
hilfsweise
den Beklagten zu verurteilen, für ihn Lohnsteuer in Höhe von 1.453,50 DM und Solidaritätszuschlag in Höhe von 110,51 DM für den Monat Januar 1996 an das zuständige Finanzamt abzuführen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, der Kläger habe keinen Anspruch auf die auf den Bruttolohnanspruch entfallende Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlägen. Nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG sei die Lohnsteuer erst abzuführen, wenn der Arbeitslohn tatsächlich gezahlt werde. Im Konkurs teile der als Lohnsteuer abzuführende Teil des Arbeitslohnes das Schicksal des an den Arbeitnehmer auszuzahlenden Nettolohnes. Solange dieser Anspruch nicht befriedigt werde, entstehe weder beim Arbeitnehmer eine Steuerschuld noch beim Arbeitgeber eine Haftungsschuld.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten weder einen Anspruch auf Auszahlung der in den Lohnabrechnungen für die Monate November 1995 bis Januar 1996 ausgewiesenen Lohnsteuer- und Solidaritätszuschlagsbeträge an sich noch einen Anspruch auf Abführung der genannten Beträge an das zuständige Finanzamt. Seine Vergütungsansprüche für die Zeit vom 1. November 1995 bis zum 31. Januar 1996 sind insoweit gem. § 141m Abs. 1 AFG mit Stellung des Antrags auf Konkursausfallgeld auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 17. April 1985 (- 5 AZR 74/84 - BAGE 48, 229 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Lohnanspruch) entschieden, daß der Arbeitnehmer, der im Konkurs des Arbeitgebers Konkursausfallgeld in Anspruch nimmt, vom Arbeitgeber oder Konkursverwalter nicht Zahlung des Differenzbetrages zwischen steuerlichem Brutto- und Nettolohn an sich verlangen kann. Daran ist festzuhalten.
1. Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen einklagbaren vollstreckbaren Anspruch auf Zahlung des Bruttolohnes gegen seinen Arbeitgeber, der unabhängig von einer eventuell bestehenden Steuerpflicht ist. Die in den Lohnabrechnungen als Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag ausgewiesenen Beträge sind Teil der Bruttovergütung. Allerdings erhält der Arbeitnehmer regelmäßig nur den Nettobetrag ausbezahlt, da der Arbeitgeber berechtigt ist, den vom Arbeitnehmer zu tragenden Teil des Gesamtversicherungsbeitrages abzuziehen (§ 28g SGB IV), und für Rechnung des Arbeitnehmers Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1, § 51a Abs. 1 EStG, § 1 SolZG 1995). Schuldner beider Steuern ist jedoch der Arbeitnehmer (§ 38 Abs. 2 Satz 1, § 51a EStG, § 1 SolZG). Der Arbeitgeber ist nur in das Einziehungsverfahren eingeschaltet. Mit dem Einbehalt und der Abführung der Steuer erfüllt der Arbeitgeber eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung. Diese läßt den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers unberührt. Wird die Lohnsteuer vom Arbeitgeber nicht abgeführt, etwa aufgrund falscher Berechnung der Steuer, darf der Arbeitgeber diesen Betrag nicht etwa einbehalten, sondern hat ihn an den Arbeitnehmer auszuzahlen.
2. Der Bruttolohnanspruch des Arbeitnehmers wird durch den Konkurs des Arbeitgebers nicht berührt. Der Arbeitnehmer kann nach der Eröffnung des Konkursverfahrens von dem Konkursverwalter die Bruttolohnforderung als Masseschuld nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO geltend machen und - bei weiter rückständigem Lohn - die Bruttolohnforderung als bevorrechtigte oder einfache Konkursforderung zur Konkurstabelle anmelden. Die lohnsteuerrechtlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers bleiben auch nach Eröffnung des Konkursverfahrens bestehen. Sie sind nunmehr vom Konkursverwalter wahrzunehmen (BAG, aaO).
3. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 17. April 1985 (aaO) ausgeführt hat, geht der Anspruch auf den dem ausgewiesenen Steueranteil entsprechenden Teil des Bruttolohnes durch Stellung des Antrages auf Konkursausfallgeld nicht unter. Eine entsprechende Rechtsfolge läßt sich nicht daraus herleiten, daß das Konkursausfallgeld gemäß § 3 Nr. 2 EStG steuerfrei ist. Das Konkursausfallgeld ist eine Lohnersatzleistung, keine Leistung auf das Arbeitsentgelt. Die Bundesanstalt gewährt damit eine eigenständige öffentlich-rechtliche Leistung, für die der Anspruch auf Arbeitsentgelt lediglich die Berechnungsgrundlage ist. Über die Steuerpflicht des Anspruchs auf Arbeitsentgelt sagt § 3 Nr. 2 EStG nichts aus.
Der Anspruch auf den im Bruttolohn enthaltenen Steueranteil ist auch nicht durch die Lohnsteuerrichtlinien (teilweise) zum Erlöschen gebracht worden. Abschnitt 4 Absatz 2 der Lohnsteuerrichtlinien 1996 besagt zwar, daß Leistungen des Konkursverwalters aufgrund von § 141m Abs. 1 AFG steuerfrei sind. Die Lohnsteuerrichtlinien sind aber keine Rechtsnormen, sondern Verwaltungsanweisungen und als solche nicht geeignet, den gesetzlich begründeten Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung des vollen Bruttolohnes untergehen zu lassen.
4. Der Senat hat in seinem Urteil vom 17. April 1985 (aaO) dahinstehen lassen, ob nach § 141m Abs. 1 AFG auch der als Lohnsteuer abzuführende Teil des Bruttolohnes auf die Bundesanstalt für Arbeit übergeht. Diese Frage ist entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung zu bejahen. § 141m Abs. 1 AFG, der erst am 1. Januar 1999 außer Kraft tritt (Art. 82 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom 24. März 1997, BGBl. I, 594, 721), lautet wie folgt:
"Die Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die den Anspruch auf Konkursausfallgeld begründen, gehen abweichend von § 115 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch bereits mit der Stellung des Antrages auf Konkursausfallgeld auf die Bundesanstalt über."
a) Der Wortlaut der Vorschrift ist nicht eindeutig.
Nach Auffassung der Revision geht nur der Nettolohnanspruch über. Aus dem Wortlaut ergebe sich, daß § 141m Abs. 1 AFG nur den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs eigenständig regeln wolle, § 115 SGB X aber im übrigen unberührt bleibe. Nach § 115 Abs. 1 SGB X gehen die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt auf den Leistungsträger nur "bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über".
Eine solche Auslegung ließe aber die Gesetzesgeschichte unberücksichtigt. In der ursprünglichen Fassung hatte § 141m Abs. 1 AFG folgenden Wortlaut:
"Die Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die den Anspruch auf Konkursausfallgeld begründen, gehen mit der Stellung des Antrages auf Konkursausfallgeld auf die Bundesanstalt für Arbeit über". (Gesetz über Konkursausfallgeld vom 17. Juli 1974, BGBl. I 1481)
Der Passus "abweichend von § 115... " wurde durch Art. II § 2 Ziff. 12 des Sozialgesetzbuches (SGB) vom 4. November 1982 (BGBl. I 1450) eingefügt. In der Begründung zum Entwurf des SGB (BTDrucks. 9/95 S. 29) heißt es dazu, die Änderung sei erforderlich "wegen X § 121 SGB" (entspricht dem jetzigen § 115 SGB X). Der Gesetzgeber hat sich somit entschlossen, § 141m Abs. 1 AFG als eigenständige Regelung neben § 115 SGB X bestehen zu lassen, obwohl er gleichzeitig eine Vielzahl im übrigen Sozialrecht verstreuter Einzelvorschriften, die den Anspruchsübergang entweder selbst anordneten oder auf eine entsprechende Vorschrift verwiesen, gestrichen hat. Eine Anpassung des § 141m Abs. 1 AFG an § 115 SGB war also nicht beabsichtigt.
Auch eine entsprechende Anwendung des § 115 Abs. 1 SGB X scheidet aus: Die Höhe der erbrachten Leistungen steht fest, die Höhe des von der Bundesanstalt zu erbringenden Konkursausfallgeldes muß dagegen jeweils erst ermittelt werden. Die vom Kläger befürwortete Auslegung würde also dazu führen, daß die Höhe der übergegangenen Ansprüche - zunächst - unklar bliebe. Die Auffassung des Klägers würde weiter dazu führen, daß es hinsichtlich des Bruttolohnanspruchs des Arbeitnehmers nach dem Antrag auf Konkursausfallgeld drei Anspruchsinhaber gäbe, die Bundesanstalt in Höhe des Nettoarbeitsentgelts, die Einzugsstelle in Höhe des Sozialversicherungsbeitrags (§ 141n AFG) und der Arbeitnehmer in Höhe der Lohnsteuer. Für einen dahingehenden Willen des Gesetzgebers fehlt jeder Anhaltspunkt.
Gegen eine Beschränkung des Forderungsübergangs auf den Nettolohnanspruch spricht auch die Gesetzessystematik. Nach § 141m Abs. 1 AFG gehen die "Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die den Anspruch auf Konkursausfallgeld begründen", auf die Bundesanstalt über. Anspruchsbegründend für das Konkursausfallgeld ist aber der Bruttolohn. Nach § 141b Abs. 1 Satz 1 AFG hat Anspruch auf Konkursausfallgeld ein Arbeitnehmer, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Arbeitsentgelt im Sinne dieser Vorschrift ist der Bruttolohn. Das ergibt sich aus § 141d Abs. 1 AFG, der die Höhe des Konkursausfallgeldes auf den "Teil des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts" festsetzt.
b) Entscheidend gegen die Auslegung des Klägers sprechen Sinn und Zweck der §§ 141a ff. AFG. Nach § 141d Abs. 1 AFG erhält der Arbeitnehmer als Konkursausfallgeld den vollen Nettolohn. Der Gesetzgeber wollte die Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die letzten drei Monate "voll sichern" (so die Begründung des Regierungsentwurfes § 141d AFG, BT-Drucks. 7/1750, Seite 12).
Läßt man die steuerrechtliche Situation einzelner Arbeitnehmer außer Betracht, so wird der Arbeitnehmer durch das Konkursausfallgeld so gestellt, als habe der Arbeitgeber den Vergütungsanspruch in vollem Umfang befriedigt. Der ihm zur Verfügung stehende Geldbetrag entspricht dem Betrag, der ihm regelmäßig ausgezahlt wird. Führt die steuerrechtliche Situation einzelner Arbeitnehmer zu wirtschaftlichen Nachteilen infolge entgangener Lohnsteuererstattungen, so ist dies hinzunehmen. Es ist nicht anzunehmen, daß der überwiegende Teil der Arbeitnehmer in der Lage ist, die Steuerschuld durch negative Einkünfte aus anderen Einkunftsarten, außergewöhnliche Belastungen etc. zu mindern. Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, im Rahmen gesetzlicher Regelungen, die eine Vielzahl von unterschiedlichen Einzelfällen erfassen, jede Besonderheit zu berücksichtigen; er darf typisierende Regelungen treffen. Härten, die damit im Einzelfall unvermeidlich verbunden sind, sind hinzunehmen (BVerfGE 63, 119, 128).
Das Begehren des Klägers läuft überdies darauf hinaus, daß er mehr erhielte, als ihm ohne dem Konkurs zustünde: Das Konkursausfallgeld in Höhe seines Nettoverdienstes und darüber hinaus den auf den Bruttolohn entfallenden Steueranteil (vgl. BAG Urteil vom 17. April 1985, aaO, zu II 3 c der Gründe).
Die Revision stützt ihre Auslegung weiter auf das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG und § 2 Abs. 2 2. Halbsatz SGB I, wonach "sicherzustellen (ist), daß die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden". Damit verkennt die Revision Sinn und Reichweite der hier einschlägigen Bestimmungen. Diese können keine Auslegung rechtfertigen, die zu einer generellen Übersicherung der Empfänger von Sozialleistungen führen würde.
c) Allerdings geht die auf Abschnitt 4 Abs. 2 der Lohnsteuerrichtlinien 1996 beruhende Praxis der Finanz- und Arbeitsämter dahin, daß der Differenzbetrag zwischen steuerlichem Brutto- und Nettoentgelt nicht gegen den Konkursverwalter geltend gemacht wird. Diese Praxis ist gesetzwidrig. Es kommt dadurch entgegen dem klaren Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks. 7/1750, Seite 14) zu einer Bereicherung der Konkursmasse, für die es keinen Rechtsgrund gibt. Daraus läßt sich aber nicht herleiten, daß der Anspruch auf den Steueranteil dem Arbeitnehmer zustünde.
Fundstellen
Haufe-Index 439804 |
BB 1998, 1012 |
DB 1998, 1136 |
HFR 1999, 1021 |
FA 1998, 194 |
NZA 1998, 710 |
RdA 1998, 254 |
ZAP 1998, 648 |
ZIP 1998, 868 |
AuA 1998, 255 |