Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte Kündigung - tarifliche Arbeiterkündigungsfrist
Leitsatz (redaktionell)
Wenn das Bedürfnis nach flexibler Personalplanung im produktiven Bereich wegen produkt-, mode- und saisonbedingter Auftragsschwankungen eine kürzere tarifliche Grundkündigungsfrist für überwiegend in der Produktion tätige Arbeiter im Vergleich zu der für Angestellte günstigeren Regelung rechtfertigt, so gilt dies nicht ohne weiteres auch für die verlängerten Kündigungsfristen desselben Tarifvertrages (hier: § 2 Ziffer 6 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der nordrheinischen Textilindustrie vom 10.5.1978).
Die im gleichen Maße erbrachte Betriebstreue der Arbeiter erfordert dann zumindest gleiche Stufen der Wartezeiten aufgrund abgeleisteter Betriebszugehörigkeit wie bei den Angestellten.
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 26.11.1993; Aktenzeichen 15 Sa 986/93) |
ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 26.05.1993; Aktenzeichen 2 Ca 599/93) |
Tatbestand
Die Klägerin (geboren am 15. Dezember 1942) war seit dem 20. September 1976 als Textilarbeiterin im Bereich der Vorspinnerei bei der Beklagten gegen einen Stundenlohn von 12,60 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis sind kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die Tarifverträge für die Textilindustrie Nordrhein-Westfalens anwendbar.
Die Klägerin war arbeitsunfähig erkrankt vom 17. November 1987 bis zum 17. Januar 1988 und vom 18. Dezember 1988 bis zum 11. Februar 1990, schließlich wieder seit dem 4. April 1990. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 11. März 1993 "fristgemäß zum 31. Mai 1993" mit der Begründung, die Klägerin fehle seit dem 4. April 1990 krankheitsbedingt an ihrem Arbeitsplatz und man sehe sich deshalb nunmehr gezwungen, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Der Betriebsrat hatte der Kündigung zugestimmt.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, weil sie nach Ende der Arbeitsunfähigkeit wieder zur Arbeit in der Lage sei und auch keine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vorliege. Sie entbinde die sie behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht und berufe sich auf ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten. Außerdem bestreite sie, selbst erklärt zu haben, sie könne in Zukunft die Arbeit nicht mehr ausüben. Jedenfalls sei eine Kündigung nicht zum 31. Mai 1993 möglich gewesen; soweit die tarifliche Regelung längerbeschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer gegenüber Angestellten benachteilige, geschehe das ohne sachlichen Grund mit der Folge der Unwirksamkeit dieser tariflichen Regelung; funktions-, branchen- und betriebsspezifische Interessen verlören nach 16jähriger Betriebszugehörigkeit an Bedeutung.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen
den Parteien durch die Kündigung der Beklagten
vom 11. März 1993 zum 31. Mai 1993 nicht aufge-
löst werde.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, die von ihr geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen; das hätten die Klägerin und ihr Ehemann selbst gegenüber der Personalleiterin zum Ausdruck gebracht. Im übrigen sei auf die bisherigen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu verweisen. Nachdem die Klägerin praktisch seit 18. Dezember 1988 mit einer Unterbrechung von 2 Monaten Anfang 1990 bis zur Kündigung krankheitsbedingt fehle, sei es ihr nicht zumutbar, den Arbeitsplatz weiter freizuhalten, zumal nicht absehbar sei, ob und gegebenenfalls wann die Klägerin die Arbeit wieder aufnehmen könne. Die Klägerin habe auch keine Anhaltspunkte dazu vorgetragen, ob und gegebenenfalls wann mit einer Genesung zu rechnen sei. Bei einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses werde sie, die Beklagte, finanziell aufgrund der betrieblichen Altersversorgung für die Klägerin weiter belastet.
Die von ihr nach § 2 Nr. 6 MTV Textilindustrie eingehaltene Kündigungsfrist sei verfassungsgemäß, und zwar aufgrund funktions-, branchen- und betriebsspezifischer Interessen, wie das Bundesarbeitsgericht zu dem einschlägigen Tarifvertrag bereits mit Urteil vom 23. Januar 1992 (- 2 AZR 470/91 - AP Nr. 37 zu § 622 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) anerkannt habe. Die Grundsätze dieser Entscheidung verdienten auch für die verlängerte Kündigungsfrist des § 2 Nr. 6 MTV Geltung, zumal als unstreitig davon auszugehen sei, daß ca. 67 % der Arbeiter im Bereich des Verbandes der Niederrheinischen Textilindustrie in der Produktion und nur 33 % Angestellte beschäftigt seien (Stand am 31. Dezember 1992: 8.095 Arbeiter und 2.923 Angestellte).
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen, im übrigen aber festgestellt, das Arbeitsverhältnis werde durch die Kündigung der Beklagten vom 11. März 1993 erst zum 30. September 1993 aufgelöst, weil die Beklagte eine Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Monatsende habe einhalten müssen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht - unter Zurückweisung der Anschlußberufung der Klägerin - die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin eine Entscheidung nach ihrem Klageantrag.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat nur teilweise Erfolg, und zwar insoweit, als die Klägerin auf Einhaltung einer längeren Kündigungsfrist besteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung sei aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), weil von einer negativen Prognose hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Klägerin auszugehen sei. Aufgrund der langanhaltenden Erkrankung der Klägerin und angesichts ihres Alters - bei Ausspruch der Kündigung 50 Jahre - sei fast als sicher anzunehmen, daß mit einer wesentlichen Besserung des Gesundheitszustandes in Zukunft nicht gerechnet werden könne. Zu einer Möglichkeit der Wiederherstellung ihrer Gesundheit habe die Klägerin nichts konkret, nicht einmal die Art ihrer Erkrankung, vorgetragen. Auch die Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht führe ohne Konkretisierung des klägerischen Sachvortrags, vor allem durch Angabe des Grundes für die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht weiter. Angesichts der völligen Ungewissheit, ob und gegebenenfalls wann die Klägerin zur Erbringung der Arbeitsleistung wieder in der Lage sein werde, sei auch von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen; diese Ungewissheit sei dem dauernden Unvermögen des Arbeitnehmers zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung gleichzustellen. Auch die abschließende Interessenabwägung könne nicht zu einer Entscheidung im Sinne der Klägerin führen, weil Alter und Beschäftigungsdauer der Klägerin nicht dazu geeignet seien, die durch die lange krankheitsbedingte Fehlzeit in Verbindung mit der Ungewissheit des Zeitpunkts der Wiederherstellung ausgelöste erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen in den Hintergrund zu drängen.
Die von der Beklagten eingehaltene Kündigungsfrist nach § 2 Nr. 6 des anwendbaren MTV gewerbliche Arbeitnehmer der nordrheinischen Textilindustrie sei nicht zu beanstanden. Insofern sei von einer eigenständigen Kündigungsregelung auszugehen; was das Bundesarbeitsgericht für die Grundfrist dieser Tarifregelung entschieden habe, gelte auch für die verlängerte Kündigungsfrist. Insofern führe der Hinweis auf die Gleichwertigkeit von Betriebstreue sowohl bei Angestellten wie auch bei gewerblichen Arbeitnehmern nicht weiter, da das Gericht davon auszugehen habe, daß die fragliche Tarifvorschrift eine durchdachte Gesamtregelung der Kündigungsfristen, also ein einheitliches Regelungswerk, enthalte.
II. Dem kann angesichts der Revisionsangriffe nur insoweit gefolgt werden, als das Berufungsgericht die der Klägerin ausgesprochene Kündigung als sozial nicht ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG) angesehen hat.
1. Bei der Frage, ob die Kündigung der Klägerin aufgrund krankheitsbedingter, langanhaltender Arbeitsunfähigkeit aus Gründen in der Person bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur dahin überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungsgesetze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (vgl. u.a. Urteil vom 28. Februar 1990 - 2 AZR 401/89 - AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 1 b aa der Gründe m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs läßt das angefochtene Urteil bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen.
a) Das Berufungsgericht hat die Kündigung wegen der auf einer langanhaltenden Krankheit der Klägerin beruhenden Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen für sozial gerechtfertigt angesehen. Hierbei hat es zutreffend die Überprüfung in drei Stufen vorgenommen, und zwar nach Kriterien, die ihrer Struktur nach auch für andere Arten der krankheitsbedingten Kündigung gelten (vgl. für die langanhaltende Krankheit BAGE 40, 361, 367 f. = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B I der Gründe; für häufige Kurzerkrankungen Urteil vom 5. Juli 1990 - 2 AZR 154/90 - AP Nr. 26, aaO, zu II der Gründe und für dauernde Leistungsunfähigkeit Urteil vom 28. Februar 1990 - 2 AZR 401/89 - AP Nr. 25, aaO, zu II 1 b bb der Gründe). Danach ist zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes erforderlich. Die bisherigen und nach der Prognose zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers müssen weiter zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen; sie können durch Störungen im Betriebsablauf oder wirtschaftliche Belastungen hervorgerufen werden. In der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung, ist dann zu prüfen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen; die dauernde Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers führt dabei grundsätzlich zu einer für den Arbeitgeber nicht mehr tragbaren betrieblichen Beeinträchtigung; ähnliches gilt für die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nach langanhaltender Erkrankung.
b) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß im Zeitpunkt der Kündigung im März 1993 mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin in absehbarer Zeit nicht zu rechnen gewesen sei. Hierfür hat es sich auf die unstreitig vorliegende Langzeiterkrankung der Klägerin berufen. Die Revision rügt demgegenüber, aus einer hohen Fehlquote könne nicht zwingend auf eine Wiederholungsgefahr geschlußfolgert werden. Damit wird ein Denkfehler des Berufungsgerichts oder eine Widersprüchlichkeit in dem obigen Sinne nicht dargetan. Es ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht aufgrund der unstreitigen 14monatigen Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 18. Dezember 1988 bis 11. Februar 1990 und der sich hieran anschließenden Arbeitsunfähigkeit seit 4. April 1990 bis zum Ausspruch der Kündigung, also für einen Zeitraum von insgesamt ca. 4 1/2 Jahren, auf eine Ungewißheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und damit eine negative Prognose abgestellt hat. Das Landesarbeitsgericht hat zusätzlich auf das Alter der Klägerin von 50 Jahren hingewiesen und einen konkreten Sachvortrag der Klägerin vermißt, wieso angesichts dieser Umstände mit einer Wiederherstellung ihrer Gesundheit zu rechnen sei, wobei die Klägerin nicht einmal die Art ihrer Krankheit angegeben habe. Hierzu bringt auch die Revision nichts Neues, sie rügt lediglich einen Verstoß gegen § 139 ZPO, denn die Klägerin hätte nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts die gewünschten Informationen über ihre Erkrankung mitgeteilt, soweit sie ihr möglich gewesen seien.
Dieses Vorbringen genügt nicht den an eine Prozeßrüge gemäß § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO zu stellenden Anforderungen (vgl. Senatsurteile vom 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972 und vom 25. Januar 1990 - 2 AZR 398/89 - n.v., zu II 1 b bb der Gründe), weil die Klägerin nicht angegeben hat, was sie konkret auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts hinsichtlich ihrer Erkrankungen mitgeteilt hätte; dies wird nämlich auch mit der Revisionsbegründung nicht nachgeholt, worauf die Beklagte in der Revisionserwiderung zutreffend hinweist. Es braucht deshalb nicht weiter vertieft zu werden, ob vorliegend eine solche Hinweispflicht des Berufungsgerichts überhaupt bestand, nachdem bereits das Arbeitsgericht Mönchengladbach sowohl in der Verhandlung vom 13. April 1993 wie auch in dem nachfolgenden Urteil vom 26. Mai 1993 (S. 4) auf den gleichen Mangel an substantiiertem Sachvortrag der Klägerin hingewiesen hat.
Auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zum Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen (zweite Stufe der Prüfung) wie auch zur Interessenabwägung (dritte Stufe) sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; die Revision enthält hierzu auch keine Rüge.
2. Die Revision beanstandet im übrigen aber zu Recht eine fehlerhafte Beurteilung des Landesarbeitsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der von der Beklagten angewandten Kündigungsfrist nach § 2 Nr. 6 MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer der nordrheinischen Textilindustrie vom 10. Mai 1978 (MTV Arbeiter), der wie folgt lautet:
Die beiderseitige Kündigungsfrist beträgt, sofern
ein Gesetz oder dieser Tarifvertrag nichts ande-
res bestimmt, 2 Wochen zum Schluß der Kalenderwo-
che.
Für Kündigungen durch den Arbeitgeber verlängert
sich die Kündigungsfrist nach Vollendung des
25. Lebensjahres des Arbeitnehmers und anschlie-
ßender 5jähriger ununterbrochener Betriebszugehö-
rigkeit auf 1 Monat zum Monatsende,
nach 10jähriger ununterbrochener Betriebszugehö-
rigkeit auf 2 Monate zum Monatsende,
nach 20jähriger ununterbrochener Betriebszugehö-
rigkeit auf 3 Monate zum Ende eines Kalendervier-
teljahres.
a) Der Senat hat bereits im Urteil vom 23. Januar 1992 (- 2 AZR 470/91 - AP Nr. 37 zu § 622 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) zu dem hier einschlägigen Tarifvertrag entschieden, bei der fraglichen Kündigungsklausel handele es sich um eine eigenständige (konstitutive) Regelung, wovon vorliegend auch die Parteien und ihnen folgend das Berufungsgericht ausgehen. Bei dieser Rechtslage hat das Landesarbeitsgericht zutreffend in eigener Kompetenz geprüft, ob die in Rede stehende Kündigungsregelung im Vergleich zu der im Manteltarifvertrag für Angestellte geltenden Regelung, die auf die früheren gesetzlichen Bestimmungen des Angestelltenkündigungsschutzgesetzes Bezug nimmt, mit dem allgemeinen aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Gleichbehandlungsgrundsatz, an den auch die Tarifpartner gebunden sind, vereinbar sei.
b) Das Berufungsgericht hat, wie eingangs ausgeführt, funktions- und branchenspezifische Interessen für eine unterschiedliche Gestaltung auch der verlängerten Kündigungsfristen von gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten angenommen, und zwar im wesentlichen unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Senats in der Entscheidung vom 23. Januar 1992 (- 2 AZR 470/91 -, aaO) zu der Grundfrist desselben Tarifvertrages. Diese schlichte Übertragung der zur Grundfrist des § 2 Nr. 6 MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer der nordrheinischen Textilindustrie vom Senat erarbeiteten Grundsätze hält der Senat für rechtlich unzutreffend. Das Berufungsgericht berücksichtigt nicht genügend, worauf die Revision mit Recht hinweist, daß zunächst vielleicht gerechtfertigte Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit oder einem betrieblichen Interesse an einer flexiblen Personalplanung und Personalanpassung bei längerer Betriebszugehörigkeit erheblich an Gewicht verlieren. Dabei hat der Senat bereits in der genannten Entscheidung zur Grundfrist des hier einschlägigen Tarifvertrages Bedenken angemeldet (zu II 2 b bb der Gründe), ob die verlängerten Kündigungsfristen älterer Arbeiter etwa wegen Fehlens der bei Angestellten üblichen Zwischenstufen nach 8 und 12 Jahren im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG Bestand hätten. Dies ist zu verneinen, wobei ergänzend auf die Ausführungen des Senats in der neuen Entscheidung vom 10. März 1994 (- 2 AZR 296/87 (C) - n.v.) zu der gleichen Problemlage bei den verlängerten Kündigungsfristen des Bundesrahmentarifvertrages Baugewerbe hingewiesen wird.
Die vorliegende tarifliche Regelung ist insoweit nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren, als auf der vergleichbaren, früher für Angestellte geltenden zweiten und vierten Stufe der Wartefristen nach 8 bzw. 12 Jahren Betriebszugehörigkeit - siehe § 9 Nr. 3 MTV für die Angestellten der Nordrheinischen Textilindustrie vom 27. November 1969, wonach die Übernahme der gesetzlichen Regelung erfolgt - für die Klägerin als Arbeiterin überhaupt keine Verlängerung der Kündigungsfrist vorgesehen ist. Das führt bei der vorliegenden Fallkonstellation zu dem Ergebnis, daß für einen Angestellten der Textilindustrie bei 16 Jahren Betriebszugehörigkeit eine Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Quartal, für die Klägerin jedoch nur eine solche von 2 Monaten zum Monatsende gelten würde. Ein derartig krasser Unterschied ist auch mit vorliegenden branchenspezifischen Interessen nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. So hat auch der Senat bereits im Urteil vom 29. August 1991 (- 2 AZR 220/91 (A) - AP Nr. 32 zu § 622 BGB) eine ähnliche Tarifklausel ebenfalls deshalb als verfassungswidrig angesehen, weil für die zweite Stufe der Wartezeit im Gegensatz zu der für Angestellte geltenden Regelung keine Verlängerung der Kündigungsfrist festzustellen war, so daß über die Grundfrist hinaus ein weiteres Auseinanderklaffen der verlängerten Kündigungsfristen festzustellen war. Hinsichtlich der Anrechnung der Betriebstreue verdienen Arbeiter und Angestellte jedoch grundsätzlich gleichen Schutz (ebenso BVerfGE 62, 256 = AP Nr. 16 zu § 622 BGB). Für eine derartige Verschlechterung der Rechtsstellung der älteren gewerblichen Arbeitnehmer gegenüber den Angestellten sind jedenfalls hinsichtlich der unterschiedlichen Wartezeiten - zumindest auf der für Angestellte geltenden vierten Stufe, wobei die Arbeiter gleichzeitig nur eine zweite Fristverlängerung (nach 5 und 10 Jahren) erreichen - keine sachlichen Differenzierungsgründe ersichtlich. Sie ergeben sich insoweit auch nicht aus dem Vortrag der Parteien. Auch die Revisionsbeklagte hat solche nicht aufgezeigt. Zunächst vielleicht erhebliche Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit oder einem betrieblichen Interesse an einer flexiblen Personalplanung und -anpassung können deshalb jedenfalls eine solche Diskrepanz, wie sie hier vorliegt, nämlich einer mehr als dreifachen Verlängerung - aufgrund des unterschiedlichen Termins zum Monatsende bzw. Quartalsende ergibt sich eine weitere Verlängerung - nicht rechtfertigen.
c) Da für die unterschiedliche Staffelung der Wartezeiten, wenn überhaupt, so doch nur unter besonderen Umständen gegenüber dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz erhebliche, sachliche Gründe denkbar sind, greift zumindest insoweit keine materielle Richtigkeitsgewähr für die Verfassungsmäßigkeit der tariflichen Kündigungsregelungen zugunsten der Beklagten ein (Senatsurteil vom 21. März 1991 - 2 AZR 323/84 (A) - BAGE 67, 342 = AP Nr. 29 zu § 622 BGB). Zwar spricht bei tariflichen Regelungen, die bestimmten Arbeitnehmergruppen vermögenswerte Vorteile gegenüber anderen Arbeitnehmern einräumen, die Vermutung zunächst für einen sachgerechten Interessenausgleich (vgl. BAGE 29, 72 = AP Nr. 24 zu Art. 9 GG; BAGE 33, 185 = AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf); das gilt zunächst zwar auch hinsichtlich des von der Beklagten angeführten Gesamtgefüges, in das wegen der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) nicht eingegriffen werden könne. Demgegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß auch die Tarifpartner an die Verfassung gebunden sind, was ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entspricht (vgl. u.a. BAG Urteil vom 6. Februar 1985 - 4 AZR 370/83 - AP Nr. 16 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung, m.w.N.; BAGE 48, 307 = AP Nr. 4 zu § 3 BAT; Senatsurteil vom 23. Januar 1992 - 2 AZR 470/91 -, aaO, zu II 2 a der Gründe). Danach ist Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstwie einleuchtender Grund für die tarifvertragliche Differenzierung nicht finden läßt, die getroffene Regelung also willkürlich ist (BAGE 35, 43 = AP Nr. 45 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BVerfGE 18, 38, 46 = AP Nr. 90 zu Art. 3 GG, zu C 3 b der Gründe). Ein solcher einleuchtender Grund für unterschiedliche Kündigungsfristen nach langjähriger Betriebszugehörigkeit ist nicht anzuerkennen, wie zu II 2 a und b ausgeführt wurde. Das grundsätzlich anzuerkennende Flexibilitätsbedürfnis mag es - auch unter Berücksichtigung sozialer Auswahlgesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 KSchG - rechtfertigen, sich von in der Produktion beschäftigten Arbeitern mit geringer Betriebszugehörigkeit kurzfristiger als von entsprechenden Angestellten zu trennen; willkürlich ist es jedoch, bei den verlängerten Kündigungsfristen von völlig divergierenden Wartezeiten auszugehen. Dem Bedürfnis an Flexibilität hätten die Tarifpartner möglicherweise auch bei den verlängerten Kündigungsfristen proportional zur Grundfrist Rechnung tragen können; verfehlt ist es jedoch, zusätzlich noch bei den Wartezeiten und den Kündigungsterminen gegenüber den für Angestellten geltenden Regelungen zu Lasten der Arbeiter zu differenzieren.
3. Die Annahme der Verfassungswidrigkeit der vorliegenden Tarifklausel führt zur Anwendung der Neuregelung des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (KündFG) vom 7. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1668). Wie der Senat im Urteil vom 10. März 1994 (- 2 AZR 323/84 (C) - zur Veröffentlichung bestimmt) näher ausgeführt hat und worauf hier Bezug genommen wird, ist dann, wenn die Tarifpartner bei einer Kündigungsfristenregelung in nicht verfassungskonformer Weise von der in § 622 BGB enthaltenen Tariföffnungsklausel Gebrauch gemacht haben, die dadurch entstandene Lücke durch Anwendung der tarifdispositiven Gesetzesnorm zu schließen, d. h. es gelten - solange die Tarifpartner eine verfassungskonforme Regelung nicht getroffen haben - die (neuen) gesetzlichen Kündigungsfristen.
Danach beträgt die Kündigungsfrist der Klägerin nach mehr als 15jähriger Betriebszugehörigkeit 6 Monate zum Ende eines Kalendermonats, § 622 Abs. 2 BGB in der Fassung des KündFG vom 7. Oktober 1993. Bei einem Zugang der Kündigung im März 1993 hat daher das Arbeitsverhältnis zum 30. September 1993 geendet, wie das Arbeitsgericht Mönchengladbach zu Recht entschieden hat. Auf die Revision der Klägerin war daher das Urteil des Landesarbeitsgerichts teilweise aufzuheben und die Entscheidung des Arbeitsgerichts wiederherzustellen.
Bitter Bröhl Dr. Fischermeier
Nielebock Dr. Bartz
Fundstellen
Haufe-Index 438282 |
BB 1994, 2500 |
DB 1995, 1470-1471 (LT1) |
DStR 1995, 697 (K) |
AiB 1995, 192 (L1) |
ARST 1995, 34-36 (LT1) |
NZA 1995, 1051 |
NZA 1995, 1051-1053 (LT1) |
AP § 1 KSchG 1969 Krankheit (LT1), Nr 31 |
AR-Blattei, ES 1010.5 Nr 40 (LT1) |
EzA-SD 1994, Nr 26, 5-7 (LT1) |
EzA § 622 nF BGB, Nr 51 (LT1) |