Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuschuß zum Mutterschaftsgeld bei Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Der Anspruch auf den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld entfällt nicht deshalb, weil die Frau während der Schutzfristen arbeitsunfähig krank war (Bestätigung von BAG Urteil vom 7.10.1987, 5 AZR 610/86 = BAGE 56, 191 = AP Nr 7 zu § 14 MuSchG 1968).
Verfahrensgang
Tatbestand
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld.
Die Klägerin war seit dem 1. Juli 1993 als Buchhalterin zu einem Bruttomonatsentgelt von 3.600,00 DM im Metallwarengroßhandel der Beklagten beschäftigt. Seit dem 20. Oktober 1993 war die Klägerin fortlaufend infolge Krankheit arbeitsunfähig. Die Klägerin wurde schwanger. Mit Schreiben vom 7. Januar 1994 sprach die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Am 19. Januar 1994 teilte die Klägerin der Beklagten ihre Schwangerschaft mit. Durch rechtskräftiges Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 29. Juni 1994 (- 3 Ca 289/94 -) wurde festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung nicht beendet worden ist, sondern weiter fortbesteht.
Der behandelnde Arzt gab als mutmaßlichen Tag der Entbindung den 26. September 1994 an. Tatsächlich wurde das Kind der Klägerin bereits am 24. August 1994 geboren. Es handelte sich um eine Frühgeburt.
Die Klägerin erhielt von der Krankenkasse Krankengeld für die Zeit vom 2. Dezember 1993 bis zum 12. Juli 1994 und im Anschluß daran Mutterschaftsgeld für die Zeit vom 13. Juli bis zum 16. November 1994 in Höhe von 3.175,00 DM, d.h. 25,00 DM je Kalendertag. Bei der Berechnung der vorgeburtlichen Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG legte die Krankenkasse den tatsächlichen Geburtstermin (24. August 1994) zugrunde und nicht den vom Arzt ursprünglich angegebenen mutmaßlichen Tag der Entbindung. Die Klägerin war über den 13. Juli 1994 hinaus weiter arbeitsunfähig krank.
Sie begehrt den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld und hat die Auffassung vertreten, ihr stehe dieser nach § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG auch für einen Zeitraum für sechs Wochen vor der tatsächlichen Geburt, für den Tag der Entbindung und - wegen des Vorliegens einer Frühgeburt - für zwölf Wochen nach der Niederkunft zu, insgesamt also für 127 Tage. Sie hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.987,29 DM
netto zuzüglich 4 % Zinsen ab 29. Dezember 1994
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Da die Klägerin während der Schutzfristen weiter arbeitsunfähig krank gewesen sei, gehe das Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG ins Leere. Die Klägerin habe auch für diesen Zeitraum Anspruch auf Krankengeld. Bei einer Frühgeburt müsse der sechswöchige Zeitraum vor der Niederkunft von dem ursprünglich vom Arzt angenommenen Geburtstermin zurückgerechnet werden, nicht aber von dem tatsächlichen Geburtstermin. Daher sei sie, wenn überhaupt, nicht schon für die Zeit ab 13. Juli 1994, sondern erst ab dem 15. August 1994 zur Zahlung verpflichtet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin zu Recht den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld für die Zeit vom 13. Juli bis zum 16. November 1994 zugesprochen.
I. Nach § 200 Abs. 1 RVO erhalten weibliche Mitglieder der Krankenkasse, "die bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld haben oder denen wegen der Schutzfristen nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes kein Arbeitsentgelt gezahlt wird", Mutterschaftsgeld, wenn sie eine bestimmte Zeit vor der Entbindung Mitglieder waren oder in einem Arbeitsverhältnis standen. § 200 Abs. 3 RVO bestimmt, daß "das Mutterschaftsgeld ... für die letzten sechs Wochen vor der Entbindung, den Entbindungstag und für die ersten acht Wochen, bei Mehrlings- und Frühgeburten für die ersten zwölf Wochen nach der Entbindung gezahlt" wird.
Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG erhalten "Frauen, die Anspruch auf Mutterschaftsgeld nach § 200 RVO ... haben, ... für die Zeit der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 sowie für den Entbindungstag von ihrem Arbeitgeber einen Zuschuß in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen 25,00 DM und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt". Nach der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung des § 6 Abs. 1 Satz 2 MuSchG (Gesetz zur Änderung des Mutterschutzrechts vom 20. September 1996, Art. 1 Nr. 3, BGBl. I, S. 2110) endet die Schutzfrist für Mütter nach Früh- und Mehrlingsgeburten 12 Wochen nach der Entbindung.
II. Die Klägerin hatte nach § 200 Abs. 1, 3 RVO für die letzten sechs Wochen vor der Entbindung, den Entbindungstag und - wegen der Frühgeburt - für die ersten zwölf Wochen nach der Entbindung, also für die Zeit vom 13. Juli bis zum 16. November 1994 Anspruch auf Mutterschaftsgeld.
Maßgebend für die Berechnung der vorgeburtlichen Schutzfrist ist der Zeitpunkt der tatsächlichen Entbindung (BAG Urteil vom 7. Oktober 1987 - 5 AZR 610/86 - BAGE 56, 191 = AP Nr. 7 zu § 14 MuSchG 1968; BSG Urteil vom 27. Februar 1984 - 3 RK 17/83 - DOK 1984, 344). Zwar ist nach § 200 Abs. 3 Satz 2 RVO "für die Zahlung des Mutterschaftsgeldes vor der Entbindung ... das Zeugnis eines Arztes oder einer Hebamme maßgebend, in dem der mutmaßliche Tag der Entbindung angegeben ist". Jedoch bestimmt § 200 Abs. 3 Satz 4 RVO, daß sich die Bezugsdauer bei einem Irrtum des Arztes oder der Hebamme über den Zeitpunkt der Entbindung die Bezugsdauer entsprechend verlängert. Daraus ergibt sich, daß es nach dem Willen des Gesetzgebers bei einem Auseinanderfallen von tatsächlichem und ärztlich bescheinigtem mutmaßlichen Geburtstermin nur zu einer Verlängerung, nicht aber zu einer Verkürzung der Anspruchsdauer kommen kann.
Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld entfällt nicht etwa deshalb, weil die Klägerin über den Beginn der Schutzfristen hinaus weiter arbeitsunfähig krank war. Das ergibt sich aus § 49 Abs. 1 SGB V (bis zum 31. Dezember 1996 Nr. 3, ab 1. Januar 1997 Nr. 3a). Danach ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange Versicherte Mutterschaftsgeld beziehen.
III. Für den genannten Zeitraum hat die Klägerin auch Anspruch auf den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld.
Aus Wortlaut, Entwicklungsgeschichte und Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 MuSchG folgt, daß der Zuschuß für den selben Zeitraum zu zahlen ist, für den die Frau Anspruch auf Mutterschaftsgeld hat. Das bedeutet: Auch hier ist der Zeitpunkt der tatsächlichen Entbindung und nicht der ärztlich bescheinigte "mutmaßliche Tag der Entbindung" maßgebend. § 5 Abs. 2 Satz 2 MuSchG, wonach sich die Sechswochenfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG verkürzt oder verlängert, wenn sich Arzt oder Hebamme über den Zeitpunkt der Entbindung irren, findet keine Anwendung.
An dieser im Urteil vom 7. Oktober 1987 (aaO) ausführlich begründeten Auffassung hält der Senat fest. Die Vorschrift verweist nur auf § 3 Abs. 2 MuSchG und nicht auf § 5 Abs. 2 Satz 2 MuSchG. Nach § 200 RVO, § 14 MuSchG soll die Mutter innerhalb der Schutzfristen Mittel in Höhe ihres Nettoverdienstes erhalten. Von daher scheidet eine Auslegung, nach der die Anspruchszeiträume für den Bezug von Mutterschaftsgeld und den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld auseinanderfallen, aus.
IV. Daraus ergibt sich weiter, daß auch der Anspruch auf den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld nicht deshalb entfällt, weil die Klägerin über den Beginn der Schutzfristen hinaus arbeitsunfähig krank war. Eine Arbeitsunfähigkeit mit etwa daran anknüpfenden Leistungspflichten bleibt für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz außer Betracht. Während der Schutzfristen wird die Frau durch Mutterschaftsgeld und Zuschuß und nicht durch Entgeltfortzahlung und Krankengeld gesichert.
An dieser bereits im Urteil vom 7. Oktober 1987 (aaO) vertretenen Auffassung ist auch unter Geltung des Entgeltfortzahlungsgesetzes festzuhalten. § 1 Abs. 3 Nr. 3 LohnFG, gültig bis zum 31. Mai 1994, bestimmte, daß Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum nicht bestehen, für den eine Arbeiterin Anspruch auf Mutterschaftsgeld hat. Auch für die Angestellten war - schon vor Inkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes - in der Rechtsprechung anerkannt, daß für die Dauer der Schutzfristen vor und nach der Geburt kein Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge bei Arbeitsunfähigkeit besteht (BAGE 10, 7 = AP Nr. 20 zu § 63 HGB). Das Entgeltfortzahlungsgesetz enthält keine § 1 Abs. 3 Nr. 3 LohnFG entsprechende Bestimmung. An der Rechtslage hat sich dadurch aber nichts geändert (Kaiser/Dunkl/Hold/ Kleinsorge, EFZG, 3. Aufl. 1996, § 3 EFZG Rz 63; HzA/Vossen, Stand Februar 1997, Gruppe 2, Rz 87; Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung-Krankengeld-Mutterschaftsgeld, Stand Dezember 1996, § 3 EFZG Rz 194, 200; Marienhagen, EFZG, Stand März 1995, § 3 Rz 22). Wenn die Frau während der Schutzfrist erkrankt, fehlt es am Erfordernis der alleinigen Kausalität der Arbeitsunfähigkeit für den Arbeitsausfall. Da im übrigen für Angestellte auch ohne gesetzliche Bestimmung dasselbe galt, war eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung nicht erforderlich.
Schliemann Bröhl Reinecke
Glaubitz Buschmann
Fundstellen
BB 1997, 1590-1591 (Leitsatz 1 und Gründe) |
DB 1997, 1671-1672 (Leitsatz 1 und Gründe) |
NJW 1997, 2620 |
NJW 1997, 2620 (Leitsatz 1) |
EBE/BAG Beilage 1997, Ls 119/97 (Leitsatz 1) |
AiB 1997, 676 (Leitsatz 1 und Gründe) |
WiB 1997, 1306 (Leitsatz) |
ARST 1997, 199-201 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ASP 1997, Nr 9/10, 69 (Kurzwiedergabe) |
DOK 1998, 299 (Leitsatz) |
EEK III/153, (Leitsatz 1 und Gründe, red. Leitsatz 2) |
NZA 1997, 763 |
NZA 1997, 763-764 (Leitsatz 1 und Gründe) |
SAE 1998, 188 |
SAE 1998, 188 (Leitsatz 1) |
USK, 9704 (Leitsatz und Gründe) |
VersorgW 1997, 264 (Kurzwiedergabe) |
WzS 1997, 318-319 (red. Leitsatz) |
AP § 14 MuSchG 1968 (Leitsatz 1 und Gründe), Nr 16 |
AR-Blattei, ES 1220 Nr 113 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ArbuR 1997, 289 (red. Leitsatz 1) |
EzA-SD 1997, Nr 13, 8 (Leitsatz 1) |
EzA § 14 MuSchG, Nr 14 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzBAT § 8 BAT Zuschuß zum Mutterschaftsgeld, Nr 19 (Leitsatz 1 und Gründe) |