Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Ausschlussfrist. Treu und Glauben. Anspruch auf kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlages gemäß § 29 MTA. tarifliche Ausschlussfrist des § 67 MTA
Leitsatz (amtlich)
Die Wirkungen einer tariflichen Ausschlussfrist treten grundsätzlich auch dann ein, wenn ein Arbeitnehmer erst später infolge einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Kenntnis von dem Bestehen seines Anspruchs erlangt. Hat der Arbeitgeber einen vertretbaren Rechtsstandpunkt eingenommen, darf er sich ohne Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf die Ausschlussfrist berufen.
Orientierungssatz
1. Angestellte erhalten nach § 29 MTA einen Ortszuschlag, dessen Höhe sich nach der Zahl der Kinder richtet. Anspruch auf den kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlages hat derjenige Angestellte, dem ein Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zusteht. Sind die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes so hoch, dass sie den in § 32 Abs. 4 EStG festgelegten Grenzbetrag übersteigen, entfallen beide Ansprüche.
2. Der Geltendmachung von Ansprüchen auf den kinderbezogenen Ortszuschlag für rückwirkende Zeiträume kann die Ausschlussfrist des § 67 MTA entgegenstehen. Danach verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht binnen sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.
3. Hat der Arbeitgeber den vertretbaren Rechtsstandpunkt eingenommen, bei der Ermittlung des Jahresgrenzbetrages des § 32 Abs. 4 EStG seien die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung des Kindes nicht abzugsfähig, darf er sich trotz einer späteren gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ohne Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf die Ausschlussfrist berufen.
Normenkette
Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bundesanstalt für Arbeit (MTA) vom 21. April 1961 §§ 67, 26; EStG § 32 Abs. 4 S. 2, §§ 64-65; BGB § 310 Abs. 4 S. 1, § 307 Abs. 3 Sätze 1-2, Abs. 1 S. 2, § 242; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; TVG § 4 Abs. 4 S. 3; AGG § 15 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 8. Februar 2007 – 17 Sa 1357/06 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung des kinderbezogenen Anteils im Ortszuschlag gem. § 29 Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bundesanstalt für Arbeit vom 21. April 1961 (im Folgenden: MTA) iHv. monatlich 84,68 Euro brutto für die Zeit von Oktober 1999 bis Juni 2001. Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese Ansprüche gem. § 67 MTA verfallen sind.
Der verheiratete Kläger war bei der Beklagten in deren Agentur in D… zuletzt auf der Grundlage des Altersteilzeitarbeitsvertrages vom 23./27. Dezember 2002 bis zum 30. Juni 2007 als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Regelungen des MTA Anwendung. Diese lauteten für den streitgegenständlichen Zeitraum auszugsweise:
Ҥ 29
Ortszuschlag
A. Grundlage des Ortszuschlages
(1) Die Höhe des Ortszuschlages richtet sich nach der Tarifklasse, der die Vergütungsgruppe des Angestellten zugeteilt ist (Absatz 2), und nach der Stufe, die den Familienverhältnissen des Angestellten entspricht (Abschnitt B).
…
B. Stufen des Ortszuschlages
…
(2) Zur Stufe 2 gehören
1. verheiratete Angestellte,
2. verwitwete Angestellte,
3. geschiedene Angestellte und Angestellte, deren Ehe aufgehoben oder für nichtig erklärt ist, wenn sie aus der Ehe zum Unterhalt verpflichtet sind,
4. andere Angestellte …
(3) Zur Stufe 3 und den folgenden Stufen gehören die Angestellten der Stufe 2, denen Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zusteht oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG zustehen würde. Die Stufe richtet sich nach der Anzahl der berücksichtigungsfähigen Kinder.
…
§ 36
Berechnung und Auszahlung der Bezüge, Vorschüsse
(1) Die Bezüge sind für den Kalendermonat zu berechnen und am 15. eines jeden Monats (Zahltag) für den laufenden Monat auf ein für den Angestellten eingerichtetes Girokonto im Inland zu zahlen. …
…
§ 67
Ausschlussfrist
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten oder von der BA schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist.
Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs aus, um die Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen.”
Der am 30. September 1981 geborene Sohn des Klägers befand sich in der Zeit von Oktober 1999 – Juni 2001 in einer Berufsausbildung und erzielte ein eigenes Einkommen. Die Familienkasse der Beklagten setzte mit Bescheid vom 27. März 2000 das Kindergeld gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit Ablauf des Monats September 1999 auf Null DM fest. Der Bescheid ist bestandskräftig. Die Beklagte zahlte für die Zeit ab Oktober 1999 an den Kläger den kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlages nicht mehr.
Das Bundesverfassungsgericht stellte mit Beschluss vom 11. Januar 2005 (– 2 BvR 167/02 – BVerfGE 112, 164) fest, dass die Einbeziehung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung aus Einkünften des Kindes in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu Lasten der unterhaltsverpflichteten Eltern gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Bei Nichteinbeziehung der Sozialversicherungsbeiträge erreichte das Einkommen des Sohnes des Klägers in der Zeit von Oktober 1999 – Juni 2001 den Jahresgrenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 30. Mai 2005, ihm Kindergeld rückwirkend für die Zeit von Oktober 1999 – Januar 2002 zu bewilligen. Er bat mit Schreiben vom 22. Juni 2005 in Abänderung seines Antrages um eine Entscheidung über den Kindergeldanspruch nur für die Zeit von Januar – Juni 2001 und um Neuberechnung des Ortszuschlages für die gleiche Zeit. Der Kindergeldanspruch wurde dem Kläger für die Zeit von Januar 2001 – Juni 2001 zuerkannt.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 2. September 2005 und vom 28. Oktober 2005 die Zahlung des kinderbezogenen Anteils des Ortszuschlages vollumfänglich ab. Sie berief sich dabei insbesondere auf einen Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 31. März 2006. Demnach war eine rückwirkende Zahlung von kinderbezogenen Leistungen im Ortszuschlag bei Antragstellung bis zum 30. Juni 2006 rückwirkend bis einschließlich Juli 2005 vorzunehmen. Für Anspruchszeiträume vor dem 1. Juli 2005 war der Orts- bzw. Sozialzuschlag nur nachzuzahlen, soweit nachgewiesen werden konnte, dass der Anspruch dem Grunde nach bereits innerhalb der jeweiligen tariflichen Ausschlussfrist geltend gemacht und hierüber noch nicht abschließend entschieden wurde.
Der Kläger ist der Auffassung, die tarifliche Ausschlussfrist stehe seinem Anspruch nicht entgegen. Ausschlussfristen knüpften an das Entstehen bzw. die Fälligkeit eines Anspruchs an und würden erst dann zu laufen beginnen, wenn der Gläubiger seinen Anspruch praktisch geltend machen könne. Dies sei vorliegend frühestens nach Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Januar 2005 der Fall gewesen, so dass er mit seinen Anträgen im Mai 2005 die tarifliche sechsmonatige Ausschlussfrist gewahrt habe. Jedenfalls verstoße die Berufung auf die Ausschlussfrist gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Da die Regelung des § 32 Abs. 4 EStG klar gefasst gewesen und die Verfassungsmäßigkeit der Norm in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht in Frage gestellt worden sei, habe für ihn kein Anlass bestanden, bereits zum damaligen Zeitpunkt seine Forderung geltend zu machen.
Der Kläger hat mit der am 15. Dezember 2005 erhobenen Klage beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.778,28 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus je 84,68 Euro seit dem 1. November 1999, 1. Dezember 1999, 2. Januar 2000, 1. Februar 2000, 1. März 2000, 1. April 2000, 2. Mai 2000, 1. Juni 2000, 1. Juli 2000, 1. August 2000, 1. September 2000, 1. Oktober 2000, 1. November 2000, 1. Dezember 2000, 2. Januar 2001, 1. Februar 2001, 1. März 2001, 1. April 2001, 2. Mai 2001, 1. Juni 2001 sowie 1. Juli 2001 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und beruft sich auf die tarifliche Ausschlussfrist. Die Ansprüche des Klägers auf Zahlung des kinderbezogenen Anteils im Ortszuschlag seien im Zeitraum von Oktober 1999 – Juni 2001 monatlich entstanden und fällig geworden. Die Anwendung der tariflichen Ausschlussfrist verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben. Der Kläger sei nicht gehindert gewesen, die streitgegenständlichen Ansprüche gegenüber der Beklagten jeweils nach Fälligkeit rechtzeitig schriftlich geltend zu machen. Zudem erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen. Die geltend gemachten Ansprüche waren zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits gem. § 67 MTA verfallen.
I. Die Ansprüche des Klägers auf die kinderbezogenen Leistungen im Ortszuschlag für die Monate Oktober 1999 – Juni 2001 sind zum 15. des jeweiligen Monats fällig geworden.
1. Gem. § 36 Abs. 1 MTA in der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung sind die Bezüge für den Kalendermonat zu berechnen und am 15. eines jeden Monats für den laufenden Monat auf ein vom Angestellten eingerichtetes Konto im Inland zu zahlen. Die Bezüge iSd. § 36 MTA setzen sich aus der Grundvergütung und dem Ortszuschlag zusammen (§ 26 MTA). Die Vergütungsansprüche des Klägers für die Monate Oktober 1999 – Juni 2001 einschließlich des Anspruchs auf Zahlung des Ortszuschlages waren dementsprechend jeweils am 15. des betreffenden Monats fällig.
2. Einen anderen Fälligkeitstermin gibt auch § 29 Abschn. B Abs. 3 MTA nicht vor. Für die Anwendung dieser Vorschrift kommt es weder darauf an, ob ein formeller Verwaltungsakt über die Gewährung von Kindergeld vorliegt, noch, ob Kindergeld tatsächlich gezahlt wird (vgl. zu § 29 Abschn. B BAT-O Senat 18. November 2004 – 6 AZR 512/03 – EzBAT BAT § 29 Nr. 39).
a) Das folgt bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung, auf den es für die Tarifauslegung zunächst ankommt (st. Rspr., vgl. Senat 18. November 2004 – 6 AZR 512/03 – EzBAT BAT § 29 Nr. 39; 27. Juni 2002 – 6 AZR 209/01 – AP BAT § 29 Nr. 18). Danach haben die Tarifvertragsparteien den Anspruch des Angestellten auf den kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlages nicht daran geknüpft, ob er Kindergeld erhält oder der Anspruch durch Bescheid festgestellt ist, sondern daran, ob ihm ein Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG oder dem BKGG zusteht. Mit dieser Wortwahl haben sie deutlich gemacht, dass es für den kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlages allein auf die Anspruchsberechtigung nach dem EStG oder dem BKGG ankommt, unabhängig davon, ob ein Antrag auf Gewährung von Kindergeld überhaupt gestellt oder über einen solchen Antrag eine Entscheidung ergangen ist.
b) Dieses Auslegungsergebnis wird gestützt durch den tariflichen Zusammenhang. Nach § 29 Abschn. B Abs. 3 Halbs. 2 MTA besteht ein Anspruch auf die kinderbezogenen Leistungen auch in den Fällen, in denen der Anspruch auf Zahlung von Kindergeld an den in den §§ 64, 65 EStG oder §§ 3, 4 BKGG geregelten Sachverhalten scheitert, jedoch ansonsten bestehen würde. Damit bleibt nach dem Willen der Tarifvertragsparteien der Anspruch auf den kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlages auch dann erhalten, wenn nach den in diesen Vorschriften geregelten Sachverhalten kein Kindergeld bewilligt werden kann (vgl. zu § 29 Abschn. B Abs. 4 BAT-O Senat 18. November 2004 – 6 AZR 512/03 – EzBAT BAT § 29 Nr. 39).
3. Diesem Auslegungsergebnis steht das – zu § 29 BAT ergangene – Urteil des Senats vom 31. Mai 2001 (– 6 AZR 321/00 – AP BAT § 29 Nr. 16) nicht entgegen. Danach ist eine Entscheidung der Kindergeldkasse über die materiellen Voraussetzungen des Kindergeldes ohne weiteres auch für den Vergütungsanspruch maßgebend. Das beruht auf der förmlichen Art der Entscheidung, die einen öffentlichen Arbeitgeber daran hindern soll, sich auf das Fehlen der Anspruchsberechtigung zu berufen, obwohl hierüber ein positiver Verwaltungsakt einer öffentlich-rechtlichen Stelle ergangen ist. Das wirkt sich auf die Fälligkeit des darauf bezogenen Vergütungsanspruchs jedoch nicht aus. Diese richtet sich allein nach den tariflich festgelegten Grundsätzen (vgl. auch hierzu bereits Senat 18. November 2004 – 6 AZR 512/03 – EzBAT BAT § 29 Nr. 39), vorliegend also nach § 36 Abs. 1 MTA.
II. Die klägerischen Ansprüche waren zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits verfallen.
1. Die von § 67 MTA in Bezug genommenen “Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” sind grundsätzlich alle denkbaren Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen (vgl. zu § 70 BAT-O Senat 18. November 2004 – 6 AZR 512/03 – EzBAT BAT § 29 Nr. 39). Insoweit kommt es nur darauf an, ob der betreffende Lebensvorgang eine enge Verknüpfung mit dem Arbeitsverhältnis aufweist. Dies ist vorliegend gegeben. Der gesamte Vergütungsanspruch des Klägers war jeweils am 15. des betreffenden Monats fällig. Auf die Fälligkeit des Anspruchs kommt es für dessen ordnungsgemäße Geltendmachung an. Sinn und Zweck der Tarifbestimmung des § 67 MTA bestätigen dies. Die Ausschlussfrist soll die Parteien des Arbeitsverhältnisses zur alsbaldigen Geltendmachung und Klärung ihrer Ansprüche veranlassen (zu § 70 BAT-O Senat 18. November 2004 – 6 AZR 512/03 – aaO; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Juni 2006 § 70 Erl. 1). Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit (Senat 18. November 2004 – 6 AZR 512/03 – aaO; BAG 19. Januar 1999 – 9 AZR 405/97 – AP BAT-O § 70 Nr. 1). Sie bezwecken, dass sich der Anspruchsgegner auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offenen Forderungen rechtzeitig einstellt. Der öffentliche Arbeitgeber soll zudem in der Lage sein, notwendige Haushaltsmittel so zu veranschlagen, dass Nachforderungen in engen Grenzen gehalten werden können. Ausschlussfristen dienen somit auch dem Schutz des Arbeitgebers.
2. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sein Anspruch sei erst mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 (– 2 BvR 167/02 – BVerfGE 112, 164) im Sinne der Ausschlussfrist entstanden bzw. fällig geworden, weil er erst infolge dieses Beschlusses von dem Bestehen seines Anspruchs Kenntnis erlangt habe. Zum Beispiel wird ein Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Vergütungsbeträge in der Regel bereits im Zeitpunkt der Überzahlung fällig, wenn die Vergütung fehlerhaft berechnet worden ist, obwohl die maßgebenden Umstände bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Die zu viel gezahlte Summe kann sofort zurückverlangt werden. Auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Rückzahlungsanspruch kommt es nicht an (Senat 19. Februar 2004 – 6 AZR 664/02 – AP BAT-O § 70 Nr. 3 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 174). Allenfalls können besondere Umstände dazu führen, dass Entstehens- und Fälligkeitszeitpunkt des Anspruchs nicht übereinstimmen. Solche liegen vor, wenn es dem Gläubiger praktisch unmöglich ist, den Anspruch mit seinem Entstehen geltend zu machen. Das ist insbesondere der Fall, wenn die rechtsbegründenden Tatsachen in der Sphäre des Schuldners liegen und der Gläubiger es nicht durch schuldhaftes Zögern versäumt hat, sich Kenntnis von den Voraussetzungen zu verschaffen, die er für die Geltendmachung benötigt (Senat 16. November 1989 – 6 AZR 114/88 – BAGE 63, 246).
Die in Bezug auf die Rückzahlungsansprüche von Arbeitgebern wegen überzahlten Gehalts aufgestellten Grundsätze zur Fälligkeit des Anspruchs im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist können auf die Gehaltsansprüche des Klägers sinngemäß angewandt werden. Die Tatsachen, die zur Begründung seines Anspruchs auf Kindergeld und damit auch auf den kinderbezogenen Anteil im Ortszuschlag führten, waren dem Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum von Oktober 1999 – Juni 2001 vollumfänglich bekannt. Er hat lediglich die daraus rechtlich zu ziehenden Konsequenzen – ebenso wie seinerzeit die Beklagte – verkannt, weil er die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht erkannt hat. Diese rechtliche Fehleinschätzung vermag Entstehens- und Fälligkeitszeitpunkt der Forderung nicht zu beeinflussen. Es handelt sich hierbei nicht um Umstände, die in der Sphäre der Beklagten liegen. Es war dem Kläger auch nicht praktisch unmöglich, den Anspruch auf Zahlung der kinderbezogenen Leistungen mit seinem Entstehen geltend zu machen. § 67 MTA fordert vom Anspruchsinhaber lediglich eine schriftliche Geltendmachung der Forderung gegenüber seinem Vertragspartner. Eine solche ist nicht erfolgt.
3. Die Ausschlussfristenregelung von § 67 MTA verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht.
Aus der grundgesetzlich gewährleisteten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) ergeben sich weitgehende Rechte der Tarifvertragsparteien zur Gestaltung der arbeitsvertraglichen Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder. § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG sieht ausdrücklich vor, dass in Tarifverträgen Ausschlussfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte vereinbart werden können. Ausschlussfristen dienen seit langem der im Arbeitsleben anerkanntermaßen besonders gebotenen raschen Klärung von Ansprüchen und der Bereinigung offener Streitpunkte (BAG 25. Mai 2005 – 5 AZR 572/04 – BAGE 115, 19 zu arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen). Die Ausschlussfrist des § 67 MTA ist von beiden Arbeitsvertragsparteien bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche einzuhalten, so dass Bedenken im Hinblick auf die Schaffung eines Ungleichgewichts nicht bestehen können.
Bedenken bestehen auch nicht gegen die Länge der Ausschlussfrist von sechs Monaten. Das Gesetz selbst sieht für die Geltendmachung bestimmter Zahlungsansprüche kürzere Fristen vor. So ist in § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG für die schriftliche Geltendmachung von Ansprüchen nach diesem Gesetz eine Frist von zwei Monaten vorgesehen.
4. Die tarifvertragliche Ausschlussfrist des § 67 MTA unterliegt auch nicht der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB.
a) Nach dem Wortlaut des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB finden die §§ 305 – 310 BGB keine Anwendung auf Tarifverträge. Eine Inhaltskontrolle hat in diesem Fall nicht zu erfolgen, weil sie gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfindet (Senat 28. Juni 2007 – 6 AZR 750/06 – EzA BGB 2002 § 310 Nr. 5; 23. September 2004 – 6 AZR 442/03 – BAGE 112, 64). Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob der betreffende Tarifvertrag kraft einzelvertraglicher Vereinbarung oder kraft betrieblicher Übung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Ob dies auch bei einer nur teilweisen Inbezugnahme tariflicher Regelungen oder bei Vereinbarung der Anwendbarkeit eines nicht einschlägigen Tarifvertrags gilt, bedarf vorliegend keiner Erörterung, weil der MTA nach übereinstimmendem Parteivortrag uneingeschränkt auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet.
b) Die in § 67 MTA enthaltene Ausschlussfrist unterliegt nicht der Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB iVm. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
§ 307 Abs. 3 Satz 2 BGB gebietet jedenfalls dann keine Transparenzkontrolle, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist und kraft betrieblicher Übung bzw. mittels arbeitsvertraglicher Verweisung der Tarifvertrag Anwendung findet, der für den Arbeitgeber im Übrigen kraft Tarifbindung gilt. In diesem Fall würde der Tarifvertrag in Arbeitsverhältnissen tarifgebundener Arbeitnehmer des Betriebs gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB keiner Kontrolle nach den §§ 305 – 310 BGB und damit auch keiner Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unterliegen; bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern wäre dagegen zu prüfen, ob die Tarifbestimmung klar und verständlich ist. Dies hätte zur Folge, dass einzelne Vorschriften desselben Tarifvertrags bei demselben tarifgebundenen Arbeitgeber, je nachdem, ob der Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist oder nicht, zur Anwendung kommen oder wegen fehlender Transparenz unwirksam sind (§ 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB). Das ist mit dem Zweck des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht vereinbar. Den Gerichten ist die Prüfung entzogen, ob eine Tarifregelung insgesamt zweckmäßig, billig und im Einzelfall die “gerechteste” Lösung ist. Es verbleibt lediglich die Überprüfung, ob die Regelung mit zwingendem Gesetzes- und Richterrecht sowie Wertentscheidungen des Grundgesetzes, insbesondere dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 138/06 – AP TzBfG § 8 Nr. 18 = EzA TzBfG § 8 Nr. 16). Deshalb sind jedenfalls die bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber einschlägigen Tarifverträge jeglicher Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB entzogen, gleichviel, ob der Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung, kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme oder kraft betrieblicher Übung gilt. Andernfalls bestünde die Gefahr einer mittelbaren Tarifzensur (vgl. zu allem Senat 28. Juni 2007 – 6 AZR 750/06 – EzA BGB 2002 § 310 Nr. 5).
5. Der Kläger kann aus dem Gebot von Treu und Glauben, § 242 BGB, kein anderes, für ihn günstigeres Ergebnis herleiten. Weder ist der Lauf der Ausschlussfrist gehemmt, noch bedeutet die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfrist eine unzulässige Rechtsausübung.
a) Der Lauf der Ausschlussfrist kann nach § 242 BGB gehemmt sein, wenn der Anspruchsberechtigte seine Ansprüche nicht erheben kann. Dies liegt vor, wenn der Anspruchsschuldner keine Abrechnung erteilt oder diese verzögert. Der Lauf der Verfallfrist für die Zahlungsansprüche ist dann solange gehemmt, wie die fehlende Abrechnung noch verlangt werden kann (Senat 16. November 1989 – 6 AZR 168/89 – AP BAT § 11 Nr. 3). Dies gilt jedoch regelmäßig nur in den Fällen, in denen der Gläubiger eine Abrechnung benötigt, um seine Ansprüche berechnen zu können. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Der Kläger war und ist in der Lage, den Anspruch auf Zahlung der kinderbezogenen Leistungen im Ortszuschlag anhand der tariflichen Bestimmungen betragsmäßig genau zu ermitteln und geltend zu machen.
b) Die Beklagte hat den Kläger ferner nicht durch ihr Verhalten zu der begründeten Annahme veranlasst, dass sie seine Ansprüche auch erfüllen werde, wenn er die fristgerechte Geltendmachung unterlässt. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt.
Der Schuldner muss unter Umständen den Anspruch trotz Verstreichens der Ausschlussfrist als bestehend hinnehmen, wenn er selbst durch sein Verhalten die Ursache dafür gesetzt hat, dass der Gläubiger den Anspruch nicht innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht hat. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Arbeitnehmer auf Grund von Zusicherungen des Arbeitgebers darauf vertrauen durfte, dieser werde den Anspruch auch ohne fristgerechte Geltendmachung erfüllen (BAG 27. März 1963 – 4 AZR 72/62 – BAGE 14, 140). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die Beklagte hat weder im Allgemeinen ihren Arbeitnehmern noch im Besonderen dem Kläger eine Zusage erteilt, sie werde aus dem Ausgang eines Musterverfahrens für andere gleichgelagerte Fälle bzw. im Fall des Klägers die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
c) Eine gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßende und damit gem. § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung stellt die Berufung auf eine Ausschlussfrist dar, wenn die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit durch ein Verhalten der Gegenpartei veranlasst worden ist (Senat 18. November 2004 – 6 AZR 651/03 – BAGE 112, 351; 5. Juni 2003 – 6 AZR 249/02 – EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 167; 5. August 1999 – 6 AZR 752/97 – ZTR 2000, 36; BAG 10. Oktober 2002 – 8 AZR 8/02 – BAGE 103, 71; 8. August 2000 – 9 AZR 418/99 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 151 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 133; 22. Januar 1997 – 10 AZR 459/96 – AP BAT § 70 Nr. 27 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 125). Das ist gegeben, wenn diese den Arbeitnehmer von einer fristgerechten Klageerhebung abgehalten hat. Daran fehlt es vorliegend.
Die Beklagte konnte sich zum damaligen Zeitpunkt auf den Rechtsstandpunkt stellen, dass bei der Berechnung des Einkommens des Kindes für die Bemessungsgröße des Jahresgrenzbetrages gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG die Sozialversicherungsbeiträge als Bestandteil des von dem Kind bezogenen Einkommens mit einzubeziehen seien. Sie konnte sich dabei auf den Wortlaut der Norm stützen, die auf den Begriff der “Einkünfte” abstellt. Was unter Einkünften zu verstehen ist, wird in § 2 Abs. 2 EStG definiert. Bei der Ermittlung der Einkünfte sind die Sonderausgaben im Gegensatz zu den Werbungskosten nicht abzugsfähig. Anlass, an der Rechtmäßigkeit der Norm zu zweifeln, bestand zum damaligen Zeitpunkt für die Beklagte nicht. Die Beklagte hat sich nur auf einen von der damaligen überwiegenden Rechtsprechung (Hessisches FG 26. Mai 1999 – 3 K 5941/98 – EFG 2000, 132; FG Berlin 15. Oktober 1999 – 3 K 3488/98 – EFG 2000, 877; inzidenter auch FG Niedersachsen 4. Februar 1999 – V 111/98 Ki – EFG 1999, 713; aA FG Niedersachsen 20. Juli 1999 – VII 471/98 Ki – FR 1999, 1074) gedeckten Rechtsstandpunkt gestellt. Diesen Standpunkt hat später auch der BFH geteilt (21. Juli 2000 – VI R 153/99 – BFHE 192, 316) und seine Auffassung mehrfach bestätigt (zB 11. Dezember 2001 – VI R 16/00 – FPR 2002, 112). Erst infolge des Beschlusses des BVerfG vom 11. Januar 2005 (– 2 BvR 167/02 – BVerfGE 112, 164) zeigte sich die Unrichtigkeit dieser Ansicht. Damit hat die Beklagte den Kläger nicht in einer Weise von der Einhaltung der Ausschlussfrist abgehalten, die sie nunmehr nach Treu und Glauben daran hinderte, das Eingreifen der Ausschlussfrist geltend zu machen.
Unterschriften
Fischermeier, Dr. Armbrüster, Linck, B. Stang, Sieberts
Fundstellen
Haufe-Index 1963507 |
BAGE 2009, 216 |
BB 2008, 956 |
DB 2008, 1104 |