Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristeter Arbeitsvertrag wegen vorübergehendem Mehrbedarfs
Orientierungssatz
Eine Befristung wegen vorübergehendem Mehrbedarfs ist nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn bei Vertragsabschluß auf Grund konkreter Tatsachen die Prognose erstellt werden kann, daß für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers über das vorgesehene Vertragsende hinaus kein Bedarf besteht.
Normenkette
BGB § 620; BeschFG § 1 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Januar 2000 – 7 Sa 579/99 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1998.
Die Beklagte betreibt ein Gasversorgungsunternehmen. Der Kläger war seit 1. Juli 1994 bei ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin auf der Grundlage von drei befristeten Arbeitsverträgen als Baubegleiter beschäftigt. Der letzte Arbeitsvertrag vom 30. April/14. Mai 1997 betraf den Zeitraum vom 1. Juli 1997 bis zum 31. Dezember 1998. Die Aufgabe des Baubegleiters besteht in der Betreuung der Baumaßnahmen der Beklagten zur Erweiterung und zur Modernisierung des Gasversorgungsnetzes im ehemaligen Bezirk Leipzig und der Wahrnehmung der Bauherrenverantwortung. Anfang Dezember 1998 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sein Arbeitsverhältnis werde über den 31. Dezember 1998 hinaus nicht fortgesetzt.
Mit seiner am 15. Dezember 1998 eingereichten Klage hat der Kläger die Feststellung beantragt, sein Arbeitsverhältnis bestehe über den 31. Dezember 1998 hinaus zu den bisherigen Konditionen unbefristet fort. Mit Schreiben vom 12. Mai 1999 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Berufung auf betriebsbedingte Gründe vorsorglich zum 30. Juni 1999 gekündigt. Der Kündigungsschutzprozeß ist beim Arbeitsgericht Leipzig anhängig.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien auf Grund der Befristung nicht am 31. Dezember 1998 beendet worden ist,
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 31. Dezember 1998 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens zu den bisherigen Bedingungen in der Abteilung Bau als Baubegleiter weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, der Kläger habe die Frist des § 1 Abs. 5 BeschFG nicht gewahrt, da sein ursprünglicher Klageantrag dieser Vorschrift nicht entspreche und die Klage überdies nicht innerhalb der Dreiwochenfrist, sondern bereits vor Fristbeginn erhoben worden sei. Die Befristung sei auch sachlich begründet. Sie beruhe auf einem vorübergehend erhöhten Personalbedarf wegen eines vorübergehend erhöhten Investitionsvolumens. Für die Jahre 1997 und 1998 habe die Planung noch Investitionen in Höhe von insgesamt 175 Mio. DM vorgesehen. Mit dem Jahr 1998 hätten die Modernisierungs- und Instandhaltungsinvestitionen abgeschlossen sein sollen, so daß ab dem Jahre 1999 die noch anfallenden Arbeiten durch die von der Beklagten unbefristet beschäftigten sieben Baubegleiter hätten erledigt werden können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage insgesamt stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat den Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers abgewiesen und im übrigen die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Abweisung auch des Feststellungsantrags. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Befristung zu Recht für unwirksam gehalten.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Kläger die Unwirksamkeit der Befristung seines Arbeitsverhältnisses in Übereinstimmung mit § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG ordnungsgemäß geltend gemacht hat und die Fiktion der Wirksamkeit der Befristung nach § 1 Abs. 5 Satz 2 iVm. § 7 KSchG nicht eingetreten ist.
Die vom Kläger erhobene Klage hat die Anforderungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG erfüllt. Ein die Fiktionswirkung des § 7 KSchG ausschließender Klageantrag muß nicht den Wortlaut der Norm wiederholen. Es genügt, wenn er erkennen läßt, daß sich der Kläger gegen eine bestimmte Befristungsabrede wehren will. So verhält es sich im vorliegenden Fall. Durch die Formulierung des Antrags „über den 31. Dezember 1998 hinaus” wird deutlich, daß sich der Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch die im letzten Arbeitsvertrag zum 31. Dezember 1998 vereinbarte Befristung wendet.
Die Klage gem. § 1 Abs. 5 BeschFG kann auch schon vor dem Ablauf der vereinbarten Befristung erhoben werden. Dies entspricht ständiger Senatsrechtsprechung seit dem Urteil vom 1. Dezember 1999(– 7 AZR 236/98 – AP HRG § 57 b Nr. 21 = EzA BGB § 620 Hochschulen Nr. 21). Auch die Ausführungen der Revision geben keinen Anlaß, diese Rechtsprechung infrage zu stellen.
II. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß es für die Befristung des letzten, allein der Befristungskontrolle unterliegenden Arbeitsvertrags an einem sachlichen Grund fehlte, weil die Beklagte keine konkreten Tatsachen für eine im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erstellte Prognose vorgetragen hat, nach Ablauf der Befristung werde der Bedarf für die Beschäftigung des Klägers entfallen sein.
1. Das Landesarbeitsgericht ist insoweit von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen. Danach(vgl. insbesondere 12. September 1996 – 7 AZR 790/95 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 182 = EzA BGB § 620 Nr. 142; 22. März 2000 – 7 AZR 758/98 – BAGE 94, 130 ff. = AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 221) kann die bloße Unsicherheit des Arbeitgebers über die künftige Entwicklung seines Arbeitskräftebedarfs eine Befristung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen. Diese Unsicherheit gehört vielmehr zum unternehmerischen Risiko des Arbeitgebers, das er nicht durch den Abschluß befristeter Arbeitsverträge auf seine Arbeitnehmer abwälzen kann. Der Arbeitgeber kann sich auch bei einem nicht bzw. nur schwer vorhersehbaren Bedarf nicht darauf berufen, mit befristeten Arbeitsverträgen könne er leichter und schneller auf Bedarfsschwankungen reagieren. Die sachliche Rechtfertigung einer Befristungsabrede wegen eines nur zeitweiligen (Mehr-)Bedarfs verlangt vielmehr, daß bei Abschluß des befristeten Arbeitsvertrags auf Grund konkreter Tatsachen mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, daß für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers über das vorgesehene Vertragsende hinaus kein Bedarf besteht. Hierzu muß der Arbeitgeber eine Prognose erstellen, deren tatsächliche Grundlagen er im Prozeß darzulegen hat, damit der Arbeitnehmer seinerseits die Möglichkeit erhält, die Richtigkeit der Prognose zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu überprüfen.
2. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Sachvortrag der Beklagten diesen Anforderungen nicht genügt. Es hat entscheidend darauf abgestellt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses habe nach dem eigenen Vortrag der Beklagten die Investitionsplanung für das Jahr 1999 noch nicht festgestanden. Im übrigen hätte die Beklagte bei dem vorgesehenen Investitionsvolumen von 30 Mio. DM und bei einem von einem Baubegleiter zu betreuenden Volumen von 2,5 Mio. DM neben den sieben unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern Bedarf für weitere fünf Arbeitnehmer gehabt.
3. Die Angriffe der Revision gegen diese Würdigung sind unbegründet. Sie meint im Wesentlichen, die Beklagte habe in ihrer Berufungsbegründung vom 30. August 1999 eine hinreichende Prognose zu Umfang und Dauer des voraussichtlichen Mehrbedarfs dargelegt. Dies trifft indessen nicht zu. Gerade in ihrer Berufungsbegründung vom 30. August 1999 hat die Beklagte vielmehr die Anforderungen an die zu erstellende Prognose, auf die bereits das Arbeitsgericht hingewiesen hatte, als überzogen bezeichnet und den Standpunkt vertreten, es liege in der freien Unternehmerentscheidung des Arbeitgebers, die Zahl seiner Arbeitnehmer festzulegen. Hinsichtlich der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vom 30. April 1997 bestehenden Investitionsplanung hat die Beklagte nur für die Jahre 1997 und 1998 konkret vorgetragen, gerade nicht aber für den entscheidenden Zeitraum nach Ablauf der Befristung, also für das Jahr 1999. Insoweit hat die Beklagte in der Berufungsbegründung gerade vorgetragen, sie habe den Zeitraum nach 1998 noch nicht beplanen können, weil nicht sicher gewesen sei, ob ihr Aufsichtsrat höhere Investitionsmittel genehmigen werde. Damit aber beruft sich die Beklagte selbst nur auf eine Unsicherheitssituation, die eine Befristungsvereinbarung gerade nicht sachlich rechtfertigen kann. Soweit die Revisionsbegründung darüber hinaus das bisherige tatsächliche Vorbringen der Beklagten sachlich anders darzustellen versucht, handelt es sich um in der Revisionsinstanz unzulässigen neuen Sachvortrag.
III. Der Senat hat überdies geprüft, ob die Befristungsabrede zum 31. Dezember 1998 durch § 1 BeschFG in der seit 1. Oktober 1996 geltenden Fassung gerechtfertigt sein könnte, obwohl die Parteien dazu nichts geäußert haben. Das kann indessen nicht angenommen werden, weil die Parteien § 1 Abs. 1 BeschFG als Rechtsgrundlage für die vereinbarte Befristung abbedungen haben. Die Beklagte hatte die drei Arbeitsverträge als persönliche Anschreiben an den Kläger gestaltet und ihm darin erklärt, aus welchem Grunde die Verträge befristet sein sollten. Auch im letzten Arbeitsvertrag vom 30. April/14. Mai 1997 ist ein gleichartiger Befristungsgrund wie zuvor genannt worden. Der Kläger hat die Befristung mit diesem Sachgrund akzeptiert. Damit ist die Anwendung der Regelungen über die sachgrundlose Befristung abbedungen. Dem entspricht auch, daß sich die Beklagte zur Rechtfertigung der Befristung zu keiner Zeit auf § 1 BeschFG berufen hat.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner zugleich für den wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung verhinderten Richter Dr. Steckhan, Linsenmaier, Günther, Metzinger, Nottelmann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 15.08.2001 durch Schiege, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 706959 |
FA 2002, 153 |
EzA |
PersR 2002, 313 |
NJOZ 2002, 941 |