Entscheidungsstichwort (Thema)
Baugewerbe. chemische Bodenverfestigung
Orientierungssatz
- Das Einbringen von Zement und Kalk oder anderen Bindemitteln in zuvor ausgehobenes Erdreich mit dem Ziel, Frostbeständigkeit und Tragfähigkeit des Bodens dauerhaft zu erhöhen ist chemische Bodenverfestigung iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 8 VTV.
- Es ist unerheblich, ob der Boden an dem Ort verfestigt wird, an dem er auf Dauer bleiben soll, oder ob er an einem anderen Platz bearbeitet und sodann zur Baustelle verbracht und verbaut wird. Dies gilt jedenfalls so lange, wie nicht baustellenunabhängig auf Lager produziert wird, um anschließend mit dem Erdreich zu handeln.
Normenkette
Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 8
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 14.07.2005; Aktenzeichen 18 Sa 2679/04) |
ArbG Berlin (Urteil vom 04.11.2004; Aktenzeichen 62 Ca 73566/04) |
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 14. Juli 2005 – 18 Sa 2679/04 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 4. November 2004 – 62 Ca 73566/04 – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 69.587,31 Euro zu zahlen.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte im Zeitraum von Februar bis Dezember 2003 einen Baubetrieb im Sinne der Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes unterhalten hat und deshalb Sozialkassenbeiträge an die Klägerin leisten muss.
Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK). Sie ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien, die nach näherer tariflicher Maßgabe Beiträge zu den Sozialkassen von den tarifunterworfenen Arbeitgebern einzieht.
Nach den – im Revisionsverfahren von der Klägerin mit Verfahrensrügen angegriffenen – Feststellungen des Landesarbeitsgerichts werden im Betrieb der Beklagten zu mindestens 80 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit Bindemittel, nämlich Kalk, Zement, Asche sowie das von der Beklagten selbst hergestellte “Festical”, ein Mischprodukt, auf Erdreich ausgestreut und sodann in dieses eingearbeitet. Das zu behandelnde Erdreich wird dabei vom Auftraggeber auf ein der Beklagten zugewiesenes Arbeitsfeld verbracht, das sich bei Großbaustellen im Rand- bzw. Einzugsbereich dieser Baustellen befindet. Es wird auf dem Arbeitsfeld entsprechend der gewünschten Frästiefe aufgebracht und nach Bearbeitung durch die Beklagte vom Auftraggeber wieder zum Verarbeitungsort verbracht und dort verarbeitet. Bei höchstens 20 % ihrer Aufträge übernimmt die Beklagte sogenannte Komplettleistungen, bei denen sie auch das behandelte Erdreich am Verarbeitungsort verdichtet. Das behandelte Erdreich wird zB für Straßenuntergründe, Straßen- und Brückenwälle benötigt.
Für ihre Tätigkeit verwendet die Beklagte jährlich 400.000 bis 500.000 t Bindemittel. Hierbei handelt es sich um 10.000 t von der Beklagten hergestelltes und geliefertes “Festical” und im Übrigen um vom Auftraggeber gestellte Bindemittel, wie Kalk und Zement. Die Beklagte verwendet für ihre Tätigkeit Streuer, Pflüge und Bodenfräsen.
Die Klägerin meint, diese Tätigkeiten der Beklagten unterfielen als chemische Bodenverfestigung, Meliorationsarbeiten und Tiefbauarbeiten dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 8, 10 und 36). Ebenfalls handele es sich um bauliche Tätigkeiten nach Abschn. II des § 1 Abs. 2 VTV.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 69.587,31 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, sie unterhalte keinen Baubetrieb. Sie betreibe keine chemische Bodenverfestigung, da hierunter lediglich die sog. Injektionsverfahren fielen, bei denen eine chemische Reaktionslösung vor Ort in den Boden injiziert werde, um diesen zu stabilisieren, zu verstärken und/oder dessen Tragfähigkeit zu erhöhen. Sie betreibe vielmehr mechanische Bodenverbesserung und stelle hierdurch einen lagerfähigen Baustoff her. Melioration führe sie nicht aus, denn diese bedeute Umwandlung von Ödlandflächen in kulturfähige Böden. Ebenso wenig führe sie Tiefbauarbeiten aus, da sie die Oberfläche des Baugrundes nicht verändere. Ihre Tätigkeiten dienten auch nicht der Erstellung oder Änderung eines Bauwerkes, da sie überwiegend das behandelte Erdreich nicht selbst einbaue; sie seien auch nicht baulich geprägt.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Klägerin war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und auf ihre Berufung das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und der Klage stattzugeben.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, chemische Bodenverfestigungen iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 8 VTV führe die Beklagte nicht aus, da es sich hierbei um einen in der Baubranche feststehenden Begriff handele, mit dem stets eine Maßnahme zur Festigung des Bodengefüges durch Injektionen von chemischen Reaktionslösungen wie Wasserglas, Härter, Bitumen oä., durch elektrochemische Behandlung oder Gefrierverfahren beschrieben werde, um den vorhandenen Boden an Ort und Stelle zu stabilisieren, zu verstärken und/oder dessen Tragfähigkeit zu erhöhen. Nicht erfasst werde jegliche Art von Bodenbehandlung, bei der die gewünschte Verbesserung der Bodenstabilität auch auf chemische Reaktionen zurückführbar sei. Die Tarifvertragsparteien hätten nämlich einen feststehenden Begriff verwendet und nicht formuliert “Bodenverfestigung durch chemische Reaktion”. Die von der Beklagten beigemengten Bindemittel bildeten nicht wie beim Injektionsverfahren eine in sich eigene festigende Struktur, die dem Restboden Halt und damit Verfestigung böten, sondern veränderten vorrangig die vorhandene Kornstruktur des Bodens und dessen Wassergehalt, damit dieser sich anschließend besser verdichten lasse. Zwar basiere die Entziehung von Wasser aus den Böden durch Kalk auch auf einer chemischen Reaktion, dies werde aber vom Begriff der chemischen Bodenverfestigung nicht erfasst.
Um Erdbewegungs-, insbesondere Meliorationsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 10 VTV handele es sich nicht, da die Beklagte jedenfalls die Erdbewegung selbst nicht durchführe und damit keine Arbeiten erbringe, die die vorhandene gewachsene Bodenstruktur bzw. das Bodenniveau veränderten. Auch um Tiefbauarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 36 VTV handele es sich nicht, da die Arbeiten der Beklagten die Oberfläche des gewachsenen Bodens nicht verändere. Dies täten die Auftraggeber der Beklagten. Das Einfräsen der Bindemittel verändere nicht die Erdoberfläche selbst, sondern es werde der auf der Erdoberfläche kurzzeitig lagernde Boden durch Einbringen von Stoffen verändert.
Der Betrieb unterfalle auch nicht § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV, da er nach seiner Einrichtung und Zweckbestimmung nicht baulich geprägt sei. Zwar verwende die Beklagte überwiegend auch im Baugewerbe typische Werkstoffe, wie Zement und Kalk, die verwendeten Arbeitsmittel wie Streuer, Pflug und Fräse und damit auch die Arbeitsmethoden seien jedoch eher solche der Land- und Forstwirtschaft als solche des Baugewerbes.
II. Dem folgt der Senat nicht.
1. Der Beitragsanspruch der Klägerin folgt aus § 18 Abs. 1 VTV.
a) In dem im Klagezeitraum für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 heißt es in § 1 Abs. 2 zum betrieblichen Geltungsbereich:
“Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.
Abschnitt I
Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen.
Abschnitt II
Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfasst, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.
…
Abschnitt V
Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z.B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehenden Art ausgeführt werden:
…
8. Chemische Bodenverfestigungen;
…
10. Erdbewegungsarbeiten (Wegebau-, Meliorations-, Landgewinnungs-, Deichbauarbeiten, Wildbach- und Lawinenverbau, Sportanlagenbau sowie Errichtung von Schallschutzwällen und Seitenbefestigungen an Verkehrswegen);
…
36. Tiefbauarbeiten;
…”
b) Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es darauf an, ob im Anspruchszeitraum im Betrieb der Beklagten arbeitszeitlich überwiegend vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasste Tätigkeiten verrichtet worden sind. Dabei kommt es nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- und gewerberechtliche Kriterien an (st. Rechtsprechung vgl. zB BAG 23. August 1995 – 10 AZR 105/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 193 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 79). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass im Betrieb der Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum überwiegend bauliche Tätigkeiten verrichtet wurden, obliegt der Klägerin (BAG 23. Februar 2005 – 10 AZR 413/04 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 271 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 118). Betriebe, die überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV benannten Tätigkeiten ausführen, fallen unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, ohne dass die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschn. I bis III geprüft werden müssen (st. Rechtsprechung vgl. BAG 18. Januar 1984 – 4 AZR 41/83 – BAGE 45, 11).
Danach hat die Beklagte einen Baubetrieb geführt, weil ihre Arbeitnehmer im Klagezeitraum bezogen auf die betriebliche Gesamtarbeitszeit überwiegend bauliche Leistungen iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 8 VTV erbracht haben.
2. Der Anspruch ist schon nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt begründet, so dass es auf die Verfahrensrügen der Klägerin nicht ankommt. Diese wirft dem Landesarbeitsgericht vor, ihren streitigen Hauptvortrag nicht berücksichtigt zu haben, wonach die Fräsarbeiten überwiegend an der eigentlichen Baustelle erbracht würden. Die Klägerin hat sich den Vortrag der Beklagten zu ihrer betrieblichen Tätigkeit hilfsweise zu eigen gemacht. Wenn der Anspruch schon danach begründet ist, kommt es auf weitergehende Behauptungen der Klägerin nicht an.
3. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 8 VTV erfasst “chemische Bodenverfestigungen”. Dieser Tarifbegriff ist auslegungsbedürftig.
a) Die Auslegung eines Tarifvertrages durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 15. Februar 2006 – 10 AZR 59/05 – AP BGB § 611 Croupier Nr. 26; 13. Juli 2005 – 10 AZR 466/04 – EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 120). Dabei folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (8. März 2006 – 10 AZR 129/05 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Telekom Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
b) Danach erfüllt die Beklagte die Voraussetzungen dieser Tarifnorm.
aa) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht diesen Begriff verengt auf Maßnahmen zur Festigung des Bodengefüges durch Injektionen, mit denen der vorhandene Boden an Ort und Stelle stabilisiert, verstärkt oder dessen Tragfähigkeit erhöht werde. Dies ergebe sich aus denen der Kammer – von dieser nicht zitierten – zugänglichen Lexika. In der dem Senat zugänglichen Fachliteratur wird der Begriff jedoch nicht so verengt verwandt, wie das Landesarbeitsgericht dies angenommen hat. Bodenverfestigung ist die dauerhafte Erhöhung der Frostbeständigkeit und Tragfähigkeit von Boden durch Zumischung von hydraulischen oder bituminösen Bindemitteln (Peter Lexikon der Bautechnik 2001 Stichwort “Bodenverfestigung”). Hierbei wird nicht auf ein bestimmtes Injektionsverfahren abgestellt, sondern es werden hydraulische oder bituminöse Bindemittel erwähnt, die dem Boden zugemischt werden. Die Beklagte selbst spricht von den von ihr verwendeten hydraulischen Bindemitteln. Das sind solche, die auch unter Anwesenheit von Wasser abbindend und wasserunlöslich sind. Hydraulisch ist die Eigenschaft von Bindemitteln, unter Zugabe von Wasser an der Luft und unter Wasser zu erhärten und gleichzeitig wasserunlöslich zu werden (Peter Stichworte “hydraulisch, hydraulische Bindemittel”). Nach einer anderen Definition ist Bodenverfestigung die künstliche Erhöhung der Bodenfestigkeit durch Betoninjektionen, Lösungen (Wasserglaslösungen), Emulsionen (Bitumen), elektrochemische Behandlung und Gefrierverfahren; im Straßenbau durch Beimischung geeigneter Bindemittel (Zement, Teer und Bitumen) (Irsigler Baulexikon Stichwort “Bodenverfestigung”). Hier werden Injektionsverfahren zwar erwähnt, jedoch die Definition des Begriffs nicht darauf beschränkt. Es ist auch von Beimischung geeigneter Bindemittel wie Zement die Rede. Solche Bindemittel verwendet die Beklagte. Bodenverfestigung wird ua. bei sog. bindigen Böden für notwendig gehalten. Das sind Tone, Schluffe und Lehme, deren Korngerüst durch Ton mehr oder weniger verkittet ist. Die Tragfähigkeit bindiger Böden sinkt mit zunehmender Feuchtigkeit. Sie sind, falls sie nicht tief genug liegen, besonders frostgefährdet. Sind in einem Bodengemisch mehr als 15 % Bestandteile unter 0,06 mm enthalten, liegt ein bindiger Boden vor, weil bei etwa dieser Grenze angenommen werden muss, dass der Feinanteil nicht mehr nur die Hohlräume der gröberen Körnung ausfüllt, sondern sich bereits an der Lastübertragung beteiligt. Zu den bindigen Böden zählen iSd. DIN-Norm 1054 auch die gemischtkörnigen Böden (Frick/Knöll/Neumann/Weinbrenner Baukonstruktionslehre Teil 1 S. 39). Dann entsteht Bedarf für Bodenverfestigung. In dem zuletzt genannten Werk wird ausgeführt, dass dies möglich sei durch Injektion von Bindemitteln oder Chemikalien, durch elektrochemische oder thermische Verfahren und auch durch Tiefdränung (Neumann S. 38). Auch hier ist zwar von Injektion die Rede, der Begriff aber auch nicht darauf beschränkt.
bb) Bei der überwiegenden betrieblichen Tätigkeit handelt es sich auch um chemische Bodenverfestigung. Dieser Begriff ist abzugrenzen von der physikalischen Bodenverfestigung, wie sie die Beklagte für sich in Anspruch nimmt. Auch die Beklagte schildert, dass nach Einbringung der von ihr eingefrästen Zuschlagsstoffe – von ihr als hydraulische Bodenstabilisierung bezeichnet – chemische Umwandlungsprozesse stattfinden. Das Landesarbeitsgericht nimmt zu Unrecht an, die Tarifvertragsparteien hätten den Begriff der chemischen Reaktion in die Tarifnorm aufnehmen müssen, wenn sie solche Vorgänge auch hätten erfassen wollen. Dem Begriff “chemisch” ist bereits eigen, dass Reaktionen stattfinden. Eine chemische Reaktion ist die stoffliche Umwandlung eines Stoffgemenges durch einen chemischen Vorgang zu einer chemischen Verbindung (Peter Lexikon der Bautechnik Stichwort “chemische Reaktion”). Dies wird bestätigt durch die in das Verfahren eingeführte Eigenbeschreibung der Beklagten. Danach sei sie vorwiegend im Tiefbau tätig und führe Arbeiten auf dem Gebiet der Bodenbehandlung mit Kalk und Zement durch. Sie arbeite mit moderner Technik, ua. Bodenvermörtelungsmaschine Bitelli, Streumaster, Rauper und Radlader. Sie schildert bezüglich der Bodenverfestigung und Bodenverbesserung mit dem Ziel der Bodenstabilisierung das sog. Zentralmischverfahren, wo bindige Böden auf einem Zentralmischplatz angenommen und auf ihre Eignung zur Bodenverbesserung geprüft würden. Das sog. “In-situ-Verfahren” (Baumischverfahren) sei gekennzeichnet dadurch, dass das Mischgerät auf dem für die Stabilisierung bzw. Verbesserung vorbereiteten Boden auffahre, diesen aufreiße, ihn zerkleinere und gleichzeitig das Bindemittel evtl. andere erforderliche Zuschlagsstoffe gleichmäßig einmische. Auch das Produkt Festical besteht aus Kalk und Magnesium und zeichnet sich – je nach Erforderlichkeit – durch stärkere oder schwächere Bindungsfähigkeit im Boden aus. Die chemischen Reaktionen führen zur Bindung.
cc) Dabei ist es unerheblich, ob der Boden durch das von der Beklagten verwandte Verfahren an dem Ort bearbeitet und verfestigt wird, an dem er zuvor ausgehoben wurde, oder ob der Boden entweder auf einem Zentralmischplatz oder am Rande oder in der Nähe der Baustelle auf einem zugewiesenen Lagerplatz bearbeitet wird. Der VTV weist die Tätigkeit der chemischen Bodenverfestigung als baulich aus und stellt nicht darauf ab, dass vor- und nachgehende Arbeiten in einem Zug mit der Bodenverfestigung oder an einem bestimmten Ort stattfinden müssen. Anders als bei den in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 30 genannten Stahlbiege- und -flechtarbeiten werden die Tätigkeiten der chemischen Bodenverfestigung nicht dadurch eingeschränkt, dass sie zur Erbringung anderer baulicher Leistungen des Betriebes ausgeführt werden müssten. Es fehlt auch eine § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 38 VTV vergleichbare Einschränkung, wonach das Verlegen von Bodenbelägen nur in Verbindung mit anderen baulichen Leistungen erfasst wird. Entscheidend ist, dass der Boden baustellenbezogen bearbeitet wird und nicht auf Vorrat produziert wird, um anschließend damit zu handeln. Die Beklagte bearbeitet den Boden nach den Bedürfnissen des späteren Verbringungsortes. Ob und wie lange das Erdreich zwischengelagert werden kann, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
Es kommt daher auch nicht darauf an, dass die Beklagte ihrer Behauptung gemäß nur zu 20 % sog. Komplettleistungen erbringt, also auf der eigentlichen Baustelle arbeitet und den bearbeiteten Boden anschließend selbst walzt und damit in seinen endgültigen Zustand bringt, wonach das eigentliche Bauwerk, zB die Straße oder die Gebäude und Hallen erst aufgebaut werden können.
c) Ob die Arbeiten der Beklagten auch die Ziff. 10 des Beispielkatalogs in § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV erfüllt, nämlich Erdbewegungs-, insbesondere Meliorationsarbeiten, kann dahinstehen, ebenso wie die Fragen, ob die Tätigkeiten Tiefbauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 36 VTV sind und ob sie § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV unterfallen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen, da sie unterlegen ist (§ 91 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Dr. Freitag, Marquardt, Brühler, Kay Ohl, Frese
Fundstellen
Haufe-Index 1672617 |
IBR 2007, 222 |
NZA-RR 2007, 280 |
NJOZ 2007, 1881 |