Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: 80% oder 100%
Leitsatz (redaktionell)
§ 6 Nr 2 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer/innen und Auszubildenden in der Systemgastronomie, Bereich: Neue Bundesländer vom 19. März 1993 stellt eine konstitutive Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dar und begründet einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts in Höhe von 100%.
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 26. Januar 1998 - 17 Sa 144/97 - aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Klägerinnen sind bei der Beklagten als Produktionshelferinnen beschäftigt. Sie sind Mitglieder der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG), die mit der Beklagten in einem Anerkennungstarifvertrag die Anwendung des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer/innen und Auszubildenden in der Systemgastronomie, Bereich: Neue Bundesländer, vom 19. März 1993 vereinbart hat. Der Manteltarifvertrag enthält u.a. folgende Regelung:
"§ 6 Nr. 2 Vergütung im Krankheitsfall
Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall erhalten alle Arbeitnehmer/innen ihre Bezüge für 42 Kalendertage weiter gewährt. Hinsichtlich der Anspruchsgrundlage gelten die gesetzlichen Bestimmungen. Die Lohnfortzahlung je Krankheitstag beträgt mindestens 1/22 der durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung. Als Bezüge gelten die Bruttobezüge der 12 letzten voll gearbeiteten Monate, wobei eine inzwischen eingetretene Vergütungserhöhung zu berücksichtigen ist. Betrieblich kann von der 12-Monate-Frist abgewichen werden, wobei mindestens die drei letzten voll gearbeiteten Monate bei der Berechnung der Bruttobezüge zugrunde gelegt werden. Einmalzahlungen (einschließlich Jahressonderzuwendung und Urlaubsgeld) bleiben unberücksichtigt.
Hat sich binnen der letzten zwölf Monate (bzw. 3 Monate) vor der Arbeitsunfähigkeit die vertragliche Arbeitszeit des/der Arbeitnehmer(s)in durch Vertragsänderung vor Krankheitsbeginn erhöht oder ermäßigt, so ist für die Höhe der Lohnfortzahlung dasjenige Durchschnittsentgelt maßgeblich, das nach der Arbeitszeitänderung gezahlt wurde oder gezahlt werden sollte. Dies gilt nicht, wenn die Vertragsänderung nur vorübergehender Natur ist. In diesem Fall ist der Durchschnittsverdienst der letzten 12 Monate, oder bei kürzerer Betriebszugehörigkeit der Durchschnittsverdienst dieses Zeitraumes, Berechnungsgrundlage für die Lohnfortzahlung (ohne Einmalzahlung).
Im Einzelfall einer Arbeitsunfähigkeit können die Arbeitsvertragsparteien einvernehmlich anstelle des tariflichen Referenzperiodenprinzips das gesetzliche Lohnausfallprinzip bei der Lohnfortzahlung anwenden. Der/Die Arbeitnehmer/in darf dadurch nicht schlechter gestellt werden."
Die Klägerin zu 1) war vom 3. bis zum 7. sowie vom 13. bis zum 18. Februar 1997 arbeitsunfähig krank. Die Klägerin zu 2) war vom 30. Oktober bis zum 22. November 1996 arbeitsunfähig krank. Beiden Klägerinnen leistete die Beklagte eine um 20 % gekürzte Entgeltfortzahlung.
Die Klägerinnen haben die Auffassung vertreten, ihnen stehe aufgrund der tarifvertraglichen Regelung ein Anspruch auf ungekürzte Entgeltfortzahlung zu.
Die Klägerin zu 1) hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) DM 181,26 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 16. Mai 1997 zu zahlen.
Die Klägerin zu 2) hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) DM 313,25 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 2. Juni 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Manteltarifvertrag stelle keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar. Den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch habe sie erfüllt. Hilfsweise hat sie die fehlende Berechnung der erhobenen Entgeltfortzahlungsansprüche gerügt.
Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Rechtsstreite zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Es hat die Berufungen der Beklagten zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Da dem Senat eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist, ist der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Die Vorinstanzen haben zwar zu Recht angenommen, daß § 6 Nr. 2 des Manteltarifvertrages einen tarifvertraglichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in voller Höhe begründet, doch bedarf deren Berechnung im Einzelfall noch konkreter Feststellungen.
I. § 6 Nr. 2 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer/innen und Auszubildenden in der Systemgastronomie enthält eine konstitutive Regelung des Entgeltfortzahlungsanspruchs. Der Tarifvertrag begründet einen Anspruch auf Fortzahlung von 100 % des Arbeitsentgelts. Der Tarifvertrag enthält eine umfassende, rechnerisch lückenlose Regelung für die Bemessung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, er gibt das Ergebnis der Berechnung vor. Die Lohnfortzahlung je Krankheitstag beträgt mindestens 1/22 der durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung (§ 6 Nr. 2 Satz 3). Die Höhe der durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung wird in den Sätzen 4 bis 6 von § 6 Nr. 2 näher bestimmt. Damit regelt der Tarifvertrag selbst die Mindesthöhe der Entgeltfortzahlung.
II. Somit haben die Vorinstanzen zu Recht angenommen, daß die Beklagte den Klägerinnen Entgeltfortzahlung je Krankheitstag in Höhe von 1/22 der durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung schuldet. Allerdings hat es das Berufungsgericht trotz der jeweils in der Berufungsbegründung enthaltenen Rüge der Beklagten unterlassen, die Klägerinnen neu zu entsprechendem Sachvortrag anzuhalten, und keine Feststellungen dazu getroffen, wie hoch für jede Klägerin 1/22 der durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung im hier erheblichen Zeitraum war. Dies wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben, denn aus dem Akteninhalt lassen sich entsprechende Feststellungen nicht treffen. So liegt von der Klägerin zu 2) gar keine Lohnabrechnung vor, während die Lohnabrechnung der Klägerin zu 1) erkennen läßt, daß die Beklagte für Krankheitstage einen (ungekürzten) "Faktor" von 100,70 DM je Krankheitstag zugrundelegt. Welche tatsächliche Bedeutung diesem "Faktor" zukommt, kann der eingereichten Lohnabrechnung nicht entnommen werden.
Griebeling Müller-Glöge Kreft
Hansen Mandrossa
Fundstellen
Haufe-Index 610970 |
BB 1999, 1930 |
DB 1999, 2169 |
NZA 2000, 1359 |
SAE 2000, 84 |
AP, 0 |
NJ 2000, 56 |