Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsrechtlicher Status eines Musikmoderators
Orientierungssatz
1. Das Vorliegen eines Dauerrechtsverhältnisses für sich genommen erlaubt noch nicht den Schluß auf ein Arbeitsverhältnis, sondern es muß auch bei Bestehen eines Dauerrechtsverhältnisses stets gesondert geprüft werden, ob es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt.
2. Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in welcher der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils steht. Danach ist Arbeitnehmer derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen hat.
Normenkette
BGB § 611; ZPO §§ 286, 561; HGB § 84 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 16.07.1986; Aktenzeichen 8 Sa 749/85) |
ArbG München (Entscheidung vom 11.07.1985; Aktenzeichen 12 Ca 12350/85) |
Tatbestand
Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob zwischen ihnen ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Weiter streiten sie - hilfsweise - darüber, ob die von dem Beklagten zum 31. Oktober 1984 erklärte Kündigung des Rechtsverhältnisses des Klägers als arbeitnehmerähnliche Person unwirksam ist; in diesem Zusammenhang ferner auch darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger über den 31. Oktober 1984 hinaus zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Kläger ist seit 1953 für die beklagte Rundfunkanstalt tätig. Zunächst wurde er als Sprecher, ab 1962 als Moderator der Sendung "Musikjournal" beschäftigt. Diese Sendung besteht aus Musikstücken und redaktionellen Beiträgen verschiedener Art. Die Verbindung zwischen den einzelnen Teilen hat der Moderator durch eigene Texte frei zu gestalten. Bis Ende 1982 moderierte der Kläger im Wechsel mit vier anderen Mitarbeitern des Beklagten jede 5. Woche von Montag bis Freitag. Seither wird die Sendung im täglichen Wechsel ausgestrahlt. Der Kläger hatte jeden Donnerstag Dienst, und zwar - wie auch früher - von 6.00 Uhr bis 9.00 Uhr.
Der Kläger erhielt für jede Sendung 590,-- DM. Neben seiner Tätigkeit für den Beklagten erzielte er Einnahmen durch Arbeit für die Rundfunkwerbung und andere ARD-Anstalten. Auf die Rechtsbeziehungen der Parteien wurde der Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen (TV) nebst Durchführungstarifverträgen angewandt, die der Beklagte unter anderem mit der Rundfunk-Fernseh-Film-Union (RFFU) abgeschlossen hat, deren Mitglied der Kläger ist. Mit Schreiben vom 28. Oktober 1983 kündigte der Beklagte das Rechtsverhältnis des Klägers gemäß Nr. 4.2 TV zum 31. Oktober 1984. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:
"Sehr geehrter Herr C ,
in den letzten Wochen und Monaten haben Herr
A K und Herr Dr. R Sie wiederholt
aufgefordert, sich in Art und Länge Ihrer
Moderation einzuschränken und vor allen Dingen,
keine eigenen Ergänzungen den Moderationen
anzufügen.
Leider haben Sie diese Aufforderung nicht beherzigt.
Besonders in der Musik-Journal-Sendung vom
27.10.83 haben Sie eindeutig entgegen den Aufforderungen
des BR gehandelt. Der Bayerische Rundfunk
sieht sich deshalb gezwungen, daß mit Ihnen
bestehende arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis
gemäß Ziffer 4.2 des Tarifvertrages für arbeitnehmerähnliche
Personen fristgemäß zum 31.10.1984
zu beenden.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird Ihnen der Bayerische
Rundfunk die Möglichkeit zu einer anderweitigen
Beschäftigung geben.
Von der Mitwirkung am Musik-Journal sind Sie aber
sofort entbunden."
Mit seiner am 19. Oktober 1984 eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, er sei Arbeitnehmer des Beklagten. Er stehe in einem Teilzeitarbeitsverhältnis. Seine Arbeitszeit entspreche seinem bisherigen Einsatz im "Musikjournal". Die Kündigung sei unter mehreren Gesichtspunkten unwirksam. Der Beklagte habe den Personalrat nicht angehört. Das Arbeitsverhältnis hätte außerdem nur durch den Intendanten und angesichts seines, des Klägers, Lebensalters und seiner Betriebszugehörigkeit nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden können. Ein solcher Grund bestehe nicht. Selbst wenn man ihn, den Kläger, als arbeitnehmerähnliche Person ansehe, hätte der Beklagte nach dem Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen nur noch aus wichtigem Grund kündigen können, da er über 25 Jahre lang für den Beklagten tätig gewesen sei. Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß zwischen den Parteien ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht;
hilfsweise hat er beantragt
festzustellen, daß die vom Beklagten mit
Schreiben vom 28. Oktober 1983 zum 31. Oktober
1984 ausgesprochene Kündigung des zwischen den
Parteien bestehenden arbeitnehmerähnlichen
Rechtsverhältnisses rechtsunwirksam ist.
Weiter hat der Kläger beantragt
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet
ist, ihn über den 31. Oktober 1985 hinaus
zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, zwischen den Parteien habe niemals ein Arbeitsverhältnis bestanden. Der Kläger sei stets freier Mitarbeiter gewesen. Der Kündigungsschutz für arbeitnehmerähnliche Personen komme für ihn nicht in Betracht, weil der Kläger die Voraussetzungen des Tarifvertrages für arbeitnehmerähnliche Personen nicht erfülle. Er habe nämlich nicht über 25 Jahre lang ein Drittel seiner Bezüge vom Bayerischen Rundfunk, der Bayerischen Rundfunkwerbung und den anderen ARD-Anstalten erhalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestehe und der Beklagte verpflichtet sei, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten, der sein Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil muß aufgehoben und der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden. Die Sache bedarf weiterer Aufklärung.
I.1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwischen den Parteien bestehe ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Der Kläger müsse, da er seit 1962 ständiger Moderator der Rundfunksendung "Musikjournal" sei, als Arbeitnehmer qualifiziert werden. Auch wenn die Parteien unter Wahrung der Rundfunkfreiheit des Beklagten eine Befristung des Arbeitsverhältnisses vereinbart hätten, wäre eine solche Befristung deswegen rechtsunwirksam, weil für die Dauer der vereinbarten Frist kein sachlicher Grund bestehe. Das unbefristete Arbeitsverhältnis der Parteien sei nicht durch Kündigung aufgelöst worden. Abgesehen davon, daß die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 1983 sich auf das vermeintliche "arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis" der Parteien bezogen habe, sei diese Kündigung jedenfalls mangels Beteiligung des Personalrats rechtsunwirksam. Daher habe der Kläger auch einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.
Dieser Begründung kann nicht gefolgt werden. Es fehlt an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, die das vom Landesarbeitsgericht angenommene Subsumtionsergebnis rechtfertigen könnten. Diese Feststellungen über Art und Umfang der Tätigkeit des Klägers müssen nachgeholt werden.
2. Der vom Landesarbeitsgericht hervorgehobene Umstand, daß der Kläger bereits seit 1962 als ständiger Moderator einer bestimmten Sendung für den Beklagten tätig ist, reicht jedenfalls nicht aus, die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers zu bejahen. Denn aus der Dauerrechtsbeziehung der Parteien ergibt sich noch kein sicherer Anhaltspunkt für ein Arbeitsverhältnis. Der Senat hat schon früher mehrfach darauf hingewiesen, daß das Vorliegen eines Dauerrechtsverhältnisses für sich genommen noch nicht den Schluß auf ein Arbeitsverhältnis erlaubt, sondern daß auch bei Bestehen eines Dauerrechtsverhältnisses stets gesondert geprüft werden muß, ob es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt (vgl. BAGE 30, 163, 167 f. = AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B I 2 a der Gründe; Urteil vom 23. April 1980 - 5 AZR 426/79 - AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 4 der Gründe; zuletzt Urteil vom 24. Oktober 1984 - 5 AZR 346/83 -, zu B II 1 der Gründe, nicht veröffentlicht). Arbeitsverhältnis wie Dienstverhältnis sind nämlich mit wie auch ohne Dauerverpflichtung möglich (vgl. Senatsurteil vom 13. November 1985 - 5 AZR 435/84 - zu B II 5 der Gründe; nicht veröffentlicht).
II.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterscheidet sich ein Arbeitsverhältnis von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in welcher der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils steht. Danach ist Arbeitnehmer derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen hat. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und daher persönlich abhängig ist der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Allerdings gilt die genannte Regelung unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbständigen Handelsvertreters zum abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten. Über diesen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus enthält die Bestimmung jedoch eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrags vom Arbeitsvertrag zu beachten ist, zumal sie die einzige Norm darstellt, die Kriterien hierfür aufzählt (vgl. BAGE 36, 77, 84 = AP Nr. 38 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3 b der Gründe; sowie aus neuester Zeit BAGE 41, 247, 253 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 1 der Gründe). Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation wird insbesondere dadurch deutlich, daß ein Arbeitnehmer hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Häufig tritt auch eine fachliche Weisungsgebundenheit hinzu, sie ist andererseits für Dienste höherer Art - auch künstlerische Tätigkeit gehört dazu - nicht immer typisch (vgl. BAGE 41, 247, 253 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 1 der Gründe, mit weiteren Nachweisen).
2. Über die danach vorzunehmende Einordnung des Rechtsverhältnisses (Dienstvertrag oder Arbeitsvertrag) entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge (z. B. Dienstvertrag ohne Kündigungsschutz) oder eine Bezeichnung, die dem Geschäftsinhalt in Wahrheit nicht entspricht. Der jeweilige Vertragstyp kann nur aus dem wirklichen Geschäftsinhalt erkannt werden. Dieser Geschäftsinhalt kann sich aus den getroffenen Vereinbarungen wie auch aus der praktischen Durchführung des Vertrags ergeben. Widersprechen Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung des Vertrags einander, ist die letztere maßgebend. Aus der praktischen Handhabung lassen sich nämlich Rückschlüsse darauf ziehen, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien ausgegangen sind (vgl. statt vieler BAGE 41, 247, 258 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 3 der Gründe, mit weiteren Nachweisen).
3. Das Landesarbeitsgericht wird bei Anwendung dieser Grundsätze auf den von ihm noch festzustellenden Sachverhalt entscheiden können, ob eine persönliche Abhängigkeit des Klägers bejaht oder verneint werden muß. Ist sie zu verneinen, wird weiter zu prüfen sein, ob dem Kläger als freier Mitarbeiter ein besonderer Kündigungsschutz zusteht in der Art, daß ihm nach einer mehr als 25-jährigen Tätigkeit nicht mehr gekündigt werden kann.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Prof. Dr. Krems Wengeler
Fundstellen
Haufe-Index 440188 |
RzK, I 4a Nr 11 (ST1) |