Entscheidungsstichwort (Thema)
Irrtümliche Entscheidung über einen anderen Streitgegenstand
Orientierungssatz
Das Landesarbeitsgericht hat gegen § 308 Abs 1 Satz 1 ZPO verstoßen, indem es dem Kläger Urlaubsgeld zugesprochen hat, ohne daß dieser dies beantragt hat. Eine Verletzung des § 308 Abs 1 ZPO ist von Amts wegen zu prüfen und führt grundsätzlich zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des
Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 28. September 1998 - 11
Sa 1067/98 - und das ihm zugrundeliegende Verfahren aufgehoben
und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zur weiteren
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Revision, zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf ein übertarifliches Urlaubsgeld.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1964 als Lagerarbeiter zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt 3.600,00 DM tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der tarifgebundenen Parteien ist der Manteltarifvertrag für die Getränkeindustrie - außer Brauereien - Hessen anzuwenden. Am 9. Mai 1972 teilte die Beklagte den Beschäftigten mit: "Betr.: Urlaubsgeld
Wie Ihnen bekannt ist, zahlt das Unternehmen schon seit einigen
Jahren freiwillig ein zusätzliches Urlaubsgeld, das weit höher
liegt als das in den Tarifverträgen unserer Branche vereinbarte.
Es ist uns nun eine besondere Freude, Ihnen mitteilen zu können,
daß die Geschäftsleitung sich entschlossen hat, noch einen
wesentlichen Schritt weiter nach vorn zu tun. In Verfolgung dieses
Planes gilt ab sofort folgende Regelung:
Alle Mitarbeiter, die am 1. Juni eines Jahres 12 Monate bei uns
tätig waren und sich bis zu diesem Termin in ungekündigter
Stellung in unserem Unternehmen befinden, erhalten 100 % ihres
monatlichen Normaleinkommens, und zwar nach dem Stand vom 31. Mai.
Es ist demnach das Normaleinkommen des Monats Mai einschließlich
Prämien bzw. Provisionen - also ohne Überstunden - zugrunde zu
legen, wobei der Krankheitsausfall mitvergütet wird. Die
Auszahlung erfolgt zusammen mit dem Maigehalt. Bereits im Laufe
dieses Jahres ausgezahlte Urlaubsgelder werden auf die
Urlaubsgeldzahlung im Mai 1972 angerechnet.
Diejenigen Mitarbeiter, die in der Zeit vom 1. Juni eines Jahres
bis 31. Mai des Folgejahres in unser Unternehmen eintreten oder
die sich zum Stichtag 1. Juni nicht in einem ungekündigten
Arbeitsverhältnis befinden, erhalten wie bisher für die Zeit ihres
Urlaubsanspruchs ein tägliches Urlaubsgeld von DM 15,00.
Wir sind sicher, daß diese Regelung von Ihnen freudig begrüßt
wird."
Dementsprechend zahlte die Beklagte ihren Mitarbeitern in den Folgejahren ein volles Monatseinkommen als Urlaubsgeld. Im Mai 1983 wandte sie sich per Aushang am Schwarzen Brett wie folgt an die Mitarbeiter: "Betr. Urlaubsgeld für das Jahr 1983
...
Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, daß auch für das
laufende Geschäftsjahr 1983 eine zusätzliche Urlaubsgratifikation
zur Auszahlung kommt.
...
Soweit gewährtes Urlaubsgeld die tarifliche Regelung übersteigt,
stellt es eine freiwillige soziale Leistung der Firma dar, aus der
für die Zukunft keine Rechtsansprüche hergeleitet werden können.
..."
Entsprechende Hinweise erfolgten auch in den Folgejahren, in denen die Beklagte, jedoch zunächst unverändert ein volles Monatseinkommen als Urlaubsgeld zahlte.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts teilte die Beklagte den Arbeitnehmern erstmals für das Jahr 1997 mit, ein außertarifliches Urlaubsgeld werde nicht gezahlt.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn
2.834,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden
Nettobetrag seit dem 01.09.1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Im Tatbestand des Urteils heißt es, die Beklagte habe die Zahlung des übertariflichen Urlaubsgeldes 1996 eingestellt. Diesen Anspruch habe der Kläger zunächst erfolglos mit Schreiben vom 20. August 1996 und sodann klageweise geltend gemacht. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Es hat angenommen, dem Kläger stehe für das Urlaubs- und Kalenderjahr 1997 aufgrund betrieblicher Übung ein übertarifliches Urlaubsgeld zu. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO).
1. Das Berufungsurteil beruht auf Verfahrensmängeln, die einer Entscheidung des Senats über das Bestehen eines Anspruchs des Klägers auf Urlaubsgeld entgegen stehen.
a) Die Beklagte hat in der Revisionsbegründung darauf hingewiesen, das Landesarbeitsgericht habe dem Kläger Urlaubsgeld 1997 zugesprochen, obwohl der Kläger einen Anspruch auf Urlaubsgeld 1996 anhängig gemacht habe. Auch der Kläger gibt in seiner Revisionserwiderung an, Streitgegenstand des Rechtsstreits sei ein Anspruch auf Urlaubsgeld für 1996 und nicht auf Urlaubsgeld für 1997.
Diese Ausführungen der Parteien treffen zu. Sie ergeben sich aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Berufungsurteil und aus dem Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts, auf den das Berufungsgericht nach § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO Bezug genommen hat. Den Sitzungsniederschriften (§ 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ist nichts anderes zu entnehmen.
b) Das Landesarbeitsgericht hat damit gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen. Es hat dem Kläger Urlaubsgeld für 1997 zugesprochen, ohne daß er dies beantragt hatte. Eine Verletzung des § 308 Abs. 1 ZPO ist von Amts wegen zu prüfen und führt grundsätzlich zur Aufhebung und Zurückverweisung (BAG 4. März 1993 - 2 AZR 507/92 - AP BGB § 613 a Nr. 101 mwN = EzA BGB § 613 a Nr. 107).
c) Für den Streitfall gilt nichts anderes. Entgegen der Annahme des Klägers kann der Senat das Berufungsurteil nicht nach § 319 Abs. 1 ZPO korrigieren.
Zwar können Schreib-, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die im Berufungsurteil vorkommen, auch vom Revisionsgericht berichtigt werden. Eine solche Klarstellung durch den Senat kommt aber nur in Betracht, wenn das Berufungsgericht sich bei seiner Entscheidung offensichtlich "vergriffen" hat. Das ist hier nicht der Fall.
Das Berufungsgericht hat nur über den Anspruch des Klägers auf Urlaubsgeld 1997 entscheiden wollen. Es ist davon ausgegangen, der Anspruch des Klägers auf Urlaubsgeld für 1996 sei erfüllt. So hat es im Tatbestand ausdrücklich als unstreitig festgestellt, die Beklagte habe bis einschließlich 1996 ein volles Monatseinkommen als Urlaubsgeld gezahlt. Dementsprechend fehlen auch Ausführungen zu der noch vom Arbeitsgericht behandelten Einwendung der Beklagten, der Kläger habe einen Anspruch auf Urlaubsgeld 1996 nicht rechtzeitig geltend gemacht und könne schon deshalb keine Zahlung beanspruchen. Schließlich hat das Landesarbeitsgericht den Aushang der Beklagten des Jahres 1997 erwähnt, ohne auf einen Aushang der Beklagten zum Urlaubsgeld 1996 einzugehen.
Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision zu entscheiden. Leinemann
Düwell ReineckeKlosterkemper
R. Trümner
Fundstellen