Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Revisionsbegründung. Revisionsbegründung. mehrere Streitgegenstände und mehrfache Begründung im Berufungsurteil
Orientierungssatz
Ist die Berufungsentscheidung auf zwei oder mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Revisionsbegründung beide bzw. alle Erwägungen angreifen; denn sie muss im Falle ihrer Berechtigung geeignet sein, die Entscheidung in Frage zu stellen. Setzt sich die Revisionsbegründung nur mit einer der Begründungen auseinander, ist die Revision insgesamt unzulässig.
Normenkette
ZPO § 551 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 24.04.2007; Aktenzeichen 3 (5) Sa 92/07) |
ArbG Mainz (Urteil vom 22.11.2006; Aktenzeichen 6 Ca 1040/06) |
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. April 2007 – 3 (5) Sa 92/07 – wird als unzulässig verworfen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger macht restliche Vergütungsansprüche geltend.
Der Kläger war seit 2000 bei der B… GmbH beschäftigt. Über deren Vermögen wurde am 1. April 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte stellte den Kläger ab dem 5. April 2004 von der Arbeitsleistung frei. Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des 30. Juni 2004. Eine Vergütung wurde dem Kläger für den Freistellungszeitraum zunächst nicht gezahlt. Auf Grund eines Bescheids vom 17. Juni 2004 erhielt der Kläger ab dem 5. April 2004 Arbeitslosengeld iHv. 40,47 Euro täglich.
Im Mai 2005 zahlte der Beklagte auf die unstreitigen Vergütungsansprüche des Klägers für April 2004 iHv. 5.543,45 Euro brutto, Mai 2004 iHv. 5.770,90 Euro brutto und Juni 2004 iHv. 5.741,47 Euro brutto Nettobeträge iHv. 1.105,67 Euro, 1.151,64 Euro und 1.198,52 Euro an den Kläger aus. Er ermittelte diese Beträge, indem er aus den Bruttovergütungen Nettovergütungen errechnete, von diesen das geleistete Arbeitslosengeld abzog, sodann die sich ergebenden Beträge auf Bruttobeträge hochrechnete, hieraus wiederum Nettobeträge errechnete und hiervon Beträge für Kfz-Nutzung und abgeführte vermögenswirksame Leistungen abzog.
Der Kläger lässt die Ermittlung der Nettovergütungen aus den Bruttovergütungen sowie den Abzug des Arbeitslosengeldes und der weiteren Beträge gelten, nicht aber die Hochrechnung auf brutto und wiederum netto. Auf dieser Grundlage verlangt er Netto-Restzahlungen. Außerdem fordert er Verzugszinsen auf die Bruttolohnansprüche unter Berücksichtigung des gezahlten Arbeitslosengeldes bis zum Zeitpunkt der Zahlung seitens des Beklagten.
Der Kläger hat, soweit in der Revision noch von Interesse, beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1.418,30 Euro netto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Mai 2005 zu zahlen,
hilfsweise: den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 17.055,83 Euro brutto abzüglich 7.283,53 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Mai 2005 zu zahlen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen:
aus 5.543,46 Euro brutto für die Zeit vom 1. Mai 2004 bis zum 31. Mai 2004,
aus 11.314,36 Euro brutto für die Zeit vom 1. Juni 2004 bis zum 20. Juni 2004,
aus 11.314,36 Euro brutto abzüglich 2.306,79 Euro netto für die Zeit vom 21. Juni 2004 bis zum 29. Juni 2004,
aus 11.314,36 Euro brutto abzüglich 3.520,89 Euro netto für den 30. Juni 2004 und
aus 17.055,83 Euro brutto abzüglich 3.520,89 Euro netto für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 17. Mai 2005.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, seine Abrechnung treffe zu, denn das Arbeitslosengeld sei eine pauschalierte Netto-Entgeltersatzleistung und kein Auszahlbetrag.
Das Arbeitsgericht hat den bezeichneten Hauptanträgen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten insoweit zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Beklagte an seinem Klageabweisungsantrag fest.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist insgesamt unzulässig und deshalb nach § 74 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 552 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.
I. Soweit das Landesarbeitsgericht den Beklagten zur Zahlung von Verzugszinsen auf Bruttolohnansprüche verurteilt hat, ist die Revision unzulässig, weil es an einer Revisionsbegründung fehlt.
1. Nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO muss die Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe enthalten. Hat das Berufungsgericht über mehrere selbständige Teilbegehren entschieden, hinsichtlich derer ein Teilurteil ergehen könnte, muss die Revision für jeden Teil begründet werden. Fehlt es hinsichtlich eines Streitgegenstands an einer Begründung, ist die Revision insoweit unzulässig. Ein einheitlicher Angriff genügt nur dann, wenn die Entscheidung über den nicht eigens behandelten Anspruch denknotwendig von der ordnungsgemäß angegriffenen Entscheidung über den anderen Anspruch abhängt (Senat 16. Juni 2004 – 5 AZR 529/03 – AP ZPO 2002 § 551 Nr. 2 = EzA ZPO 2002 § 520 Nr. 3, zu I der Gründe; BAG 19. April 2005 – 9 AZR 184/04 – AP BErzGG § 15 Nr. 43 = EzA BErzGG § 15 Nr. 14, zu I der Gründe).
2. Bei den Zinsansprüchen auf die Bruttolohnforderungen handelt es sich um Streitgegenstände, die von dem geltend gemachten Nettolohnanspruch nebst Zinsen seit 18. Mai 2005 unabhängig sind. Sie beruhen allein auf der verspäteten Leistung und sind mit der Zahlung des Beklagten im Mai 2005 abgeschlossen. Demgegenüber ist für den Nettolohnanspruch die Art und Weise der Abrechnung durch den Beklagten maßgebend. Das Landesarbeitsgericht hat beide Entscheidungsteile selbständig begründet. Der Beklagte konnte mit der bloßen Verteidigung seiner Abrechnungen den Verzugsschadensersatz bis zum 17. Mai 2005 nicht in Frage stellen. Zu diesem enthält die Revisionsbegründung keine Ausführungen.
II. Soweit das Landesarbeitsgericht den Beklagten zu einer Nettorestzahlung nebst Zinsen verurteilt hat, ist die Revision mangels einer ausreichenden Begründung unzulässig.
1. Die Revisionsbegründung muss gem. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO den angeblichen Rechtsfehler des Berufungsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Sie muss eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils enthalten. Das erfordert eine konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Revisionsklägers das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und mit Blickrichtung auf die Rechtslage genau durchdenkt. Außerdem soll die Revisionsbegründung durch ihre Kritik des angefochtenen Urteils zur richtigen Rechtsfindung durch das Revisionsgericht beitragen (BAG 19. April 2005 – 9 AZR 184/04 – AP BErzGG § 15 Nr. 43 = EzA BErzGG § 15 Nr. 14, zu I 1 der Gründe mwN).
2. Ist die Berufungsentscheidung auf zwei oder mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Revisionsbegründung beide bzw. alle Erwägungen angreifen; denn sie muss im Falle ihrer Berechtigung geeignet sein, die Entscheidung in Frage zu stellen. Setzt sich die Revisionsbegründung nur mit einer der Begründungen auseinander, ist die Revision insgesamt unzulässig (BAG 17. Oktober 2007 – 4 AZR 755/06 – Rn. 10, zu I 1 der Gründe mwN; zur Rechtsbeschwerde schon BAG 16. Mai 2007 – 7 ABR 45/06 – EzA BetrVG 2001 § 40 Nr. 12, zu B I 1 der Gründe). Entsprechendes gilt für selbständige Streitgegenstände: Die Revision ist hinsichtlich des Teils einer Entscheidung unzulässig, dessen Begründung nicht in dem bezeichneten Sinne umfassend angegriffen wird.
3. Das Landesarbeitsgericht hat die Verurteilung zur Nettolohnzahlung zunächst auf § 55 Abs. 1 InsO, § 611 BGB gestützt. Von den durch den Beklagten selbst errechneten Nettovergütungen seien das Arbeitslosengeld, die ausgezahlten Nettobeträge sowie der Wert der Kfz-Nutzung und die vermögenswirksamen Leistungen abzuziehen. Eine arbeitsrechtliche Vorschrift, aus der sich die von dem Beklagten errechnete Kürzung ergeben könnte, bestehe nicht. Es bestünden auch Bedenken dagegen, dass sich die Zahlung von Arbeitslosengeld aus sozialversicherungsrechtlichen und steuerlichen Gründen wie vom Beklagten errechnet auswirke.
Der Beklagte hat sich schon mit dieser Begründung nicht ausreichend auseinandergesetzt. Die Revisionsbegründung wiederholt nur die Auffassung, die Abrechnung des Beklagten sei richtig. Das Arbeitslosengeld stelle eine pauschalierte Netto-Entgeltersatzleistung dar. Ein Zusammenhang von beidem wird aber nicht hergestellt, der Begriff der pauschalierten Netto-Entgeltersatzleistung nicht erläutert. Warum danach von der Nettovergütung auf einen Bruttobetrag hochgerechnet werden muss und dann auf dieser Grundlage ein neuer Nettoauszahlungsbetrag zu errechnen ist, wird nicht begründet. Es fehlt an der Darlegung einer – vom Landesarbeitsgericht ausdrücklich vermissten – arbeitsrechtlichen, steuerrechtlichen oder versicherungsrechtlichen Vorschrift, die eine solche Betrachtung rechtfertigen könnte. Eine nachvollziehbare Argumentation für die gewählte Abrechnungsmethode wird auch nicht ansatzweise geboten.
4. Das Landesarbeitsgericht hat die Verurteilung gleichrangig auf die §§ 280, 286, 249 BGB gestützt. Es hat ausgeführt, sollte sich die Verringerung der Nettovergütung doch aus steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen ergeben, wäre zwar der Vergütungsanspruch des Klägers erfüllt. Daneben würde dann jedoch zumindest ergänzend ein entsprechender Schadensersatzanspruch des Klägers iHv. 1.418,30 Euro netto treten. Der Kläger verlange zu Recht, so gestellt zu werden, als hätte der Beklagte rechtzeitig erfüllt. Bei pünktlicher Vergütungszahlung am jeweiligen Monatsende wäre der Kläger nicht auf den Bezug von Arbeitslosengeld angewiesen gewesen. Vielmehr hätte er seinen Lebensunterhalt dann aus der Vergütung gemäß seinem damals noch bestehenden Arbeitsverhältnis bestreiten können.
Mit dieser vom Landesarbeitsgericht näher ausgeführten, selbständig tragenden Begründung der Verurteilung des Beklagten befasst sich die Revisionsbegründung nicht. Sie geht auf den vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Anspruchsgrund des Schadensersatzes wegen Schuldnerverzugs des Beklagten nicht ein, sondern macht nur geltend, der Beklagte habe die Vergütungsansprüche durch die Restzahlung erfüllt, weil seine Abrechnung zutreffe. Soweit der Beklagte im Schriftsatz vom 31. Dezember 2007 – ebenfalls ohne Begründung – die Rechtsauffassung vertreten hat, bei inhaltlich richtiger Abrechnung komme ein Verzögerungsschaden in Form der geltend gemachten Differenzansprüche überhaupt nicht in Betracht, ist dieser Einwand außerhalb der bis zum 3. September 2007 laufenden Revisionsbegründungsfrist erhoben worden.
III. Der Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Laux, W. Hinrichs, Heyn
Fundstellen
Haufe-Index 1999029 |
DB 2008, 1443 |
NJW 2008, 2206 |
FA 2008, 243 |
JR 2009, 220 |
NZA 2008, 1031 |
AP, 0 |
EzA-SD 2008, 16 |
EzA |
AUR 2008, 231 |
HzA aktuell 2008, 41 |
SPA 2008, 7 |