Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ausschlussfrist. Beschäftigungsklage. gerichtliche Geltendmachung. Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
Eine Auslegung von § 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau, Zahlungsansprüche wegen Annahmeverzugs seien mit einer Beschäftigungsklage „gerichtlich geltend gemacht”, ist weder möglich noch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.
Orientierungssatz
1. Nimmt das Berufungsurteil auf tatsächliche Feststellungen des Arbeitsgerichts Bezug, kann die Unrichtigkeit dieser Feststellungen grundsätzlich nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO geltend gemacht und behoben werden.
2.§ 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau fordert zur Wahrung von Ansprüchen wegen Annahmeverzugs die Erhebung einer Klage, deren Streitgegenstand der Zahlungsanspruch ist. § 15 Ziff. 2 Satz 2 BRTV-Bau regelt nur für den Fall eines Kündigungsschutzprozesses eine Ausnahme von der Obliegenheit der gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche, die vom Ausgang des über die Wirksamkeit der Kündigung geführten Rechtsstreits abhängen.
3. Eine Beschäftigungsklage dient der Verfolgung des Anspruchs auf tatsächliche Beschäftigung. Sie ist nicht geeignet, die Kostenrisiken des Arbeitnehmers bei der Durchsetzung von Vergütungsansprüchen wegen Annahmeverzugs zu begrenzen.
4. Bei Fehlen einer abweichenden Regelung verschiebt sich nach § 193 BGB der Zeitpunkt der Fälligkeit und damit der Beginn einer auf sie abstellenden Ausschlussfrist, wenn der Fälligkeitstag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt, auf den nächsten Werktag.
5. Die Erteilung einer Lohnabrechnung hat nur dann Einfluss auf den Beginn einer auf die Fälligkeit des Anspruchs abstellenden Ausschlussfrist, wenn der Anspruchsberechtigte die Höhe seines Anspruchs ohne sie nicht erkennen kann.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20; Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe § 5 Ziff. 7.2, § 15; BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, §§ 193, 242, 293-294, 297, 611, 615 S. 1; TVG § 5 Abs. 4; ZPO §§ 320, 322, 559 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 30. November 2012 – 6 Sa 513/12 – aufgehoben, soweit es die Beklagte zur Zahlung verurteilt hat.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 29. Februar 2012 – 6 Ca 303/11 – wird insgesamt zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.
Der 1964 geborene Kläger ist bei der Beklagten, einem Bauunternehmen, seit Februar 2001 als Bauwerker angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Allgemeinverbindlichkeit der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Anwendung (im Folgenden: BRTV-Bau). Dieser regelt in der Fassung vom 20. August 2007 ua.:
…
7. |
Lohnabrechnung |
7.1 |
Die Lohnabrechnung erfolgt monatlich. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer nach Ablauf des Lohnabrechnungszeitraumes eine schriftliche Abrechnung über Lohn, vermögenswirksame Leistungen, Altersvorsorgeleistungen, Zulagen, Abzüge und Abschlagszahlungen zu erteilen. Die Abrechnung hat spätestens bis zum 15. des nächsten Monats zu erfolgen. |
… |
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7.2 |
Der Anspruch auf den Lohn wird spätestens am 15. des Monats fällig, der auf den Monat folgt, für den er zu zahlen ist. … |
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1. |
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden; besteht bei Ausscheiden des Arbeitnehmers ein Arbeitszeitguthaben, beträgt die Frist für dieses Arbeitszeitguthaben jedoch sechs Monate. |
2 |
. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.” |
Der Kläger war seit Januar 2008 durchgehend arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom 9. Juli 2008 fragte die AOK bei der Beklagten nach, ob der Arbeitsplatz des Klägers seiner krankheitsbedingt eingeschränkten Belastbarkeit entspreche. Am 28. April 2009 teilte der Kläger der Beklagten mit, seine Arbeitsunfähigkeit ende zum 3. Mai 2009. Er bot schriftlich an, die Arbeitsleistung ab 4. Mai 2009 zu erbringen. Die Beklagte lehnte ab, solange der Kläger nicht durch Bestätigung des arbeitsmedizinischen Dienstes oder amtsärztliches Gutachten nachweise, alle im Straßenbau anfallenden Arbeiten ausführen zu können. Sie nahm die Arbeitsleistung des Klägers auch nicht entgegen, als er am 4. Mai 2009 persönlich im Betrieb erschien.
Mit einer am 15. Juni 2009 beim Arbeitsgericht Osnabrück eingereichten Klage (Az. – 6 Ca 264/09 –) beantragte der Kläger, die Beklagte zu verurteilen, an ihn wegen Annahmeverzugs Vergütung für den Monat Mai 2009 zu zahlen und ihn zu unveränderten vertraglichen Bedingungen als Bauwerker zu beschäftigen. Das Arbeitsgericht Osnabrück wies die Klage ab. Im Berufungsverfahren schlossen die Parteien am 21. November 2011 einen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, den Kläger als Bauwerker im Straßenbau zu beschäftigen und an ihn als Vergütung für Mai 2009 1.500,00 Euro brutto zu zahlen.
Mit der am 27. Juli 2011 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage begehrt der Kläger Vergütung für die Monate Juni 2009 bis Mai 2011 und mit am 28. November 2011 eingereichtem Schriftsatz klageerweiternd für den Zeitraum 1. Juni bis 21. November 2011. Er hat geltend gemacht, die Beklagte sei wegen Annahmeverzugs zur Zahlung verpflichtet. Die tarifliche Ausschlussfrist habe er mit Erhebung der Beschäftigungs- und Zahlungsklage gewahrt. Es widerspreche dem Gebot effektiven Rechtsschutzes sowie Sinn und Zweck der Ausschlussfrist, fortlaufende Klageerweiterungen zu fordern, die monatlich gleich hohe Vergütungsansprüche und stets die Frage einer Beschäftigungspflicht zum Gegenstand hätten. Zudem sei die Berufung auf die Ausschlussfrist treuwidrig. Diese habe im Übrigen nicht zu laufen begonnen, weil er keine Lohnabrechnungen erhalten habe.
Der Kläger hat – soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung – zuletzt sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 38.837,10 Euro brutto sowie 4.370,21 Euro netto abzüglich erhaltener Sozialleistungen in Höhe von 7.071,85 Euro nebst Zinsen in gestaffelter Höhe zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, etwaige Ansprüche des Klägers seien nach § 15 BRTV-Bau verfallen.
Vor dem Arbeitsgericht hat die Beklagte erklärt, sie gestehe zu, dass der Kläger seit 4. Mai 2009 arbeitsfähig sei. Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte (rechtskräftig) zur Zahlung für Mai und September bis November 2011 verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte zu weiteren Zahlungen für die Monate Juni 2009 bis April 2011 und Juni bis August 2011 verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Sie hat die Leistungsfähigkeit des Klägers im Streitzeitraum erneut in Abrede gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klage ist – soweit im Revisionsverfahren zu entscheiden – unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten für den noch streitbefangenen Zeitraum keine Vergütung wegen Annahmeverzugs verlangen. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit das Landesarbeitsgericht der Berufung des Klägers teilweise stattgegeben und die Beklagte zu weiteren Zahlungen nebst Zinsen verurteilt hat. Insoweit verbleibt es bei der klageabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts.
I. Die vom Kläger erhobenen Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs sind gemäß § 611 iVm. § 615 Satz 1 BGB entstanden.
Die Beklagte ist, indem sie die vom Kläger angebotene Arbeitsleistung ablehnte, in Annahmeverzug geraten, §§ 293, 294 BGB. Die Ansprüche sind nicht wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Klägers nach § 297 BGB ausgeschlossen. Der Kläger war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Streitzeitraum leistungsfähig. Soweit die Beklagte die Leistungsfähigkeit des Klägers in der Revision – erneut – in Frage stellt, ist dies unbeachtlich.
1. Nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterliegt der Beurteilung des Revisionsgerichts nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Die in den Entscheidungsgründen wiedergegebenen tatsächlichen Feststellungen werden dem Tatbestand zugerechnet. Eine Unrichtigkeit dieser Feststellungen kann grundsätzlich nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO geltend gemacht und behoben werden (BGH 16. Dezember 2010 – I ZR 161/08 – Rn. 12).
2. Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht erklärt, sie gestehe zu, dass der Kläger seit 4. Mai 2009 arbeitsfähig sei. Das Arbeitsgericht hat dem entsprechend in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils, auf die das Berufungsurteil Bezug nimmt, ausgeführt, es sei unstreitig, dass der Kläger seit 4. Mai 2009 objektiv als Bauwerker im Straßenbau arbeitsfähig sei. Diese Feststellung hat die Beklagte weder mit einem gegen das Urteil des Arbeitsgerichts noch mit einem gegen das Berufungsurteil gerichteten Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffen. Im Übrigen brauchte das Berufungsgericht die pauschale Bezugnahme der Beklagten in der Berufungserwiderung auf ihre erstinstanzlichen Schriftsätze nicht als Bestreiten der von ihr zugestandenen Leistungsfähigkeit des Klägers zu werten.
II. Die noch anhängigen Forderungen für die Monate Juni 2009 bis April 2011 und Juni 2011 bis August 2011 sind gemäß § 15 BRTV-Bau verfallen.
1. Die streitgegenständlichen Forderungen werden als Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis von der tariflichen Ausschlussfristenregelung erfasst. Zur Vermeidung ihres Erlöschens musste der Kläger diese nach § 15 Ziff. 1 BRTV-Bau innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit zunächst schriftlich und sodann nach Maßgabe von § 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau innerhalb einer Frist von weiteren zwei Monaten gerichtlich geltend machen.
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger die erste Stufe der von ihm nach § 5 Abs. 4 TVG zu beachtenden tariflichen Ausschlussfrist eingehalten hat. Auch wenn man dies zu seinen Gunsten unterstellt, hat er jedenfalls die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nach § 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau nicht gewahrt.
a) Der Kläger kann sich nicht auf den in § 15 Ziff. 2 Satz 2 BRTV-Bau geregelten Ausnahmetatbestand berufen. Danach gilt § 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen.
aa) Bedienen sich die Tarifvertragsparteien eines Rechtsbegriffs, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat, ist der Begriff in seiner allgemeinen juristischen Bedeutung auszulegen, sofern sich nicht aus dem Tarifvertrag etwas anderes ergibt (BAG 17. März 2010 – 5 AZR 317/09 – Rn. 13, BAGE 133, 337; 22. Juli 2010 – 6 AZR 78/09 – Rn. 20, BAGE 135, 179; 16. April 2014 – 4 AZR 802/11 – Rn. 24).
bb) Einen Kündigungsschutzprozess haben die Parteien nicht geführt. Gegenstand eines Kündigungsschutzprozesses ist die Wirksamkeit einer Kündigung (BAG 26. April 2006 – 5 AZR 403/05 – Rn. 16, BAGE 118, 60; vgl. einschränkend – zur wortgleichen Fassung von § 16 BRTV-Bau vom 24. April 1996 – hierunter nur eine nach § 4 KSchG anzugreifende arbeitgeberseitige Kündigung verstehend BAG 8. August 2000 – 9 AZR 418/99 – zu I 2 b aa der Gründe). Die Wirksamkeit einer Kündigung war nicht Gegenstand des beim Arbeitsgericht Osnabrück unter dem Az. – 6 Ca 264/09 – geführten Verfahrens.
b) Eine Auslegung, die streitgegenständlichen Ansprüche seien bereits mit der Beschäftigungs- und Zahlungsklage nach § 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau gerichtlich geltend gemacht, ist weder möglich noch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.
aa) Einer Auslegung in diesem Sinne steht die Systematik des Tarifvertrags entgegen.
(1) Ob die Obliegenheit der gerichtlichen Geltendmachung in einer tariflichen Ausschlussfrist eine Klage verlangt, die den Anspruch selbst zum Streitgegenstand hat, ist durch Auslegung des Tarifvertrags zu ermitteln. Die Tarifvertragsparteien haben in § 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau den Begriff „gerichtlich geltend machen” nicht näher bestimmt. Nach dem Wortlaut ist darunter eine vor einem Gericht erhobene Klage zu verstehen. Wie der Zusammenhang der Tarifklausel deutlich macht, betrifft diese Klage den Anspruch, den der Anspruchsteller nach Maßgabe von § 15 Ziff. 1 BRTV-Bau zuvor schriftlich erhoben haben muss (vgl. zur wortgleichen Regelung in § 16 BRTV-Bau in der Fassung vom 24. April 1996 BAG 8. August 2000 – 9 AZR 418/99 – zu I 2 a der Gründe).
(2) Dass § 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau zur Wahrung von Annahmeverzugsansprüchen die Erhebung einer Klage fordert, deren Streitgegenstand das Bestehen des Zahlungsanspruchs ist, ergibt sich im Umkehrschluss aus der – ausdrücklich auf einen Kündigungsschutzprozess beschränkten – Ausnahmeregelung in § 15 Ziff. 2 Satz 2 BRTV-Bau. Indem der Tarifvertrag nur für den besonderen Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses eine Ausnahme zulässt, wird deutlich, dass im Übrigen an der Obliegenheit einer gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs selbst nach Maßgabe von § 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau festgehalten wird (vgl. BAG 14. April 2011 – 6 AZR 726/09 – Rn. 15).
bb) Dem Arbeitnehmer wird mit dieser Auslegung des § 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau keine im Widerspruch zu Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 GG stehende übersteigerte Obliegenheit auferlegt.
(1) Bei der Auslegung und Anwendung tariflicher Ausschlussfristen ist das in zivilrechtlichen Streitigkeiten durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz zu beachten. Danach darf den Prozessparteien der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dem Arbeitnehmer dürfen keine übersteigerten Obliegenheiten zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche auferlegt werden. Die Beschreitung des Rechtswegs und die Ausschöpfung prozessualer Möglichkeiten kann vereitelt werden, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht (BVerfG 1. Dezember 2010 – 1 BvR 1682/07 – Rn. 21 f.).
(2) Für den Kläger werden, indem von ihm nach § 15 BRTV-Bau verlangt wird, Ansprüche wegen Annahmeverzugs in der zweiten Stufe nach Maßgabe von § 15 Ziff. 2 BRTV-Bau gerichtlich geltend zu machen, keine zusätzlichen, den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen erschwerenden Kostenbarrieren aufgestellt. Vielmehr war die vom Kläger gewählte Verfahrensweise nicht geeignet, seine Kostenrisiken zu begrenzen. Die Beschäftigungsklage dient ausschließlich der Verfolgung des Anspruchs auf tatsächliche Beschäftigung.
Zur Durchsetzung von Vergütungsansprüchen wegen Annahmeverzugs im bestehenden Arbeitsverhältnis ist sie weder geeignet noch erforderlich. Sie wahrt keine gesetzliche Frist wie die in §§ 4, 7 KSchG oder § 17 TzBfG geregelten. Es war seine freie Entscheidung, anstelle – bzw. hinsichtlich des Monats Mai 2009 neben – der sachlich angezeigten Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs eine Klage auf tatsächliche Beschäftigung zu erheben. Insbesondere war der Erfolg einer späteren Zahlungsklage nicht vom Ausgang des Rechtsstreits – 6 Ca 264/09 – abhängig. Der Beschäftigungsantrag war auf die tatsächliche Beschäftigung des Klägers in der Zukunft gerichtet. Damit bot der Rechtsstreit keine Grundlage für eine fortlaufende Klärung der Leistungsfähigkeit des Klägers. Diese für § 297 BGB wesentliche Frage konnte und kann ausschließlich in dem auf Leistung von Vergütung wegen Annahmeverzugs geführten Rechtsstreit entschieden werden.
Selbst wenn im Vorprozess über den Streitgegenstand hinaus Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Klägers in anderen als den dort entscheidungserheblichen Zeiträumen getroffen worden wären, hätte dies keine Bindungswirkung für den nachfolgenden Zahlungsprozess gehabt. Präjudizielle Rechtsverhältnisse und Vorfragen werden nur dann iSv. § 322 ZPO rechtskräftig festgestellt, wenn sie selbst Streitgegenstand waren. Es genügt nicht, dass über sie als bloße Vorfragen zu entscheiden war (vgl. BGH 21. April 2010 – VIII ZR 6/09 – Rn. 9; 7. Juli 1993 – VIII ZR 103/92 – zu II 1 der Gründe, BGHZ 123, 137; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. vor § 322 Rn. 34; Musielak/ Musielak ZPO 11. Aufl. § 322 Rn. 17). Einzelne Begründungselemente nehmen grundsätzlich nicht an der materiellen Rechtskraft teil (vgl. BAG 25. August 2010 – 10 AZR 275/09 – Rn. 16, BAGE 135, 239; 20. Dezember 2012 – 2 AZR 867/11 – Rn. 23; BGH 26. Juni 2003 – I ZR 269/00 – zu II 1 a der Gründe). Dies gilt auch für den Zahlungsanspruch betreffend Mai 2009. Der Erfolg des Antrags war – unbeschadet der sonstigen Voraussetzungen des Annahmeverzugs – von der Leistungsfähigkeit des Klägers allein in diesem Zeitraum abhängig. Diese war für die vorliegend streitgegenständlichen Zahlungsansprüche ohne Bedeutung.
c) Der Kläger hat die zweite Stufe der tariflichen Ausschlussfrist nicht durch die vorliegende Klage gewahrt.
aa) Wird zugunsten des Klägers unterstellt, er habe mit der Beschäftigungs- und Zahlungsklage weitere Zahlungsansprüche im Sinne der ersten Stufe der tariflichen Ausschlussfrist geltend gemacht, bedeutete der mit Schriftsatz vom 25. Juni 2009 ankündigte Klageabweisungsantrag die Ablehnung der Erfüllung der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche (vgl. BAG 26. April 2006 – 5 AZR 403/05 – Rn. 18, BAGE 118, 60). Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, wann dem Prozessbevollmächtigten des Klägers der vom Arbeitsgericht formlos übermittelte Schriftsatz zugegangen ist. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, denn die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung hätte nach § 15 Ziff. 2 Satz 1 Alt. 2 BRTV-Bau ohne Ablehnungserklärung der Beklagten spätestens zwei Wochen nach Zustellung der Klage am 18. Juni 2009 für zu diesem Zeitpunkt bereits fällige Ansprüche zu laufen begonnen, für die übrigen Ansprüche mit deren Fälligkeit (vgl. BAG 16. April 2013 – 9 AZR 731/11 – Rn. 27, BAGE 145, 8).
bb) Diese Fristen hat der Kläger nicht eingehalten. Die erhobenen Ansprüche wegen Annahmeverzugs sind deshalb verfallen (§ 15 Ziff. 2 Satz 1 BRTV-Bau).
(1) Der Kläger hat mit der am 27. Juli 2011 bei Gericht eingereichten Klage erstmals Ansprüche für die Monate Juni 2009 bis April 2011 gerichtlich geltend gemacht.
(a) Nach § 5 Ziff. 7.2 BRTV-Bau wird der Anspruch auf den Lohn spätestens am 15. des Monats fällig, der auf den Monat folgt, für den er zu zahlen ist. Fällt der in § 5 Ziff. 7.2 BRTV-Bau geregelte Fälligkeitstag auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, verschiebt sich der Zeitpunkt der Fälligkeit nach § 193 BGB auf den nächsten Werktag (vgl. BAG 15. Mai 2001 – 1 AZR 672/00 – Rn. 37, 38, BAGE 98, 1).
(b) Die jüngsten mit Klageeinreichung am 27. Juli 2011 gerichtlich geltend gemachten – in der Revision noch anhängigen – Ansprüche für den Monat April 2011 sind danach nicht am Sonntag, dem 15. Mai 2011, sondern am Montag, dem 16. Mai 2011, fällig geworden. Die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nach § 15 Ziff. 2 BRTV-Bau lief am Montag, dem 18. Juli 2011, (der 16. Juli 2011 war ein Samstag) ab (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, § 193 BGB). Die Ansprüche für April 2011 und für die davor liegenden Zeiträume waren somit bei Einreichung der Klage bereits verfallen.
(2) Die (soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung) jüngsten mit am 28. November 2011 eingereichter Klageerweiterung gerichtlich geltend gemachten Ansprüche für den Monat August 2011 wurden nach § 5 Ziff. 7.2 BRTV-Bau am Donnerstag, dem 15. September 2011, fällig. Die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nach § 15 Ziff. 2 BRTV-Bau lief am Dienstag, dem 15. November 2011, ab. Die Ansprüche für den Monat August 2011 und die davorliegenden Monate Juni und Juli 2011 waren somit bei Einreichung der Klageerweiterung am 28. November 2011 bereits verfallen.
cc) Der Beginn der Ausschlussfrist wurde nicht verschoben, weil die Beklagte dem Kläger für die streitgegenständlichen Monate keine Abrechnungen erteilte. Die Erteilung einer Lohnabrechnung hat nur dann Einfluss auf den Beginn einer Ausschlussfrist, wenn der Anspruchsberechtigte die Höhe seiner Ansprüche nicht ohne die Abrechnung der Gegenseite erkennen kann (vgl. BAG 14. Dezember 2005 – 10 AZR 70/05 – Rn. 34, BAGE 116, 307). Dies kann vorliegend auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Berechnung der Vergütungsansprüche bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall nicht angenommen werden.
3. Die Berufung der Beklagten auf den Verfall der Ansprüche ist nicht rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB). Ein missbilligtes Verhalten, das mit der Rechtsposition in sachlichem Zusammenhang steht, kann nach § 242 BGB zum Verlust eines Rechts führen (BAG 13. Oktober 2010 – 5 AZR 648/09 – Rn. 19, BAGE 136, 54). Eine unzulässige Rechtsausübung liegt etwa vor, wenn die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit durch ein Verhalten der Gegenpartei veranlasst worden ist (vgl. BAG 13. Dezember 2007 – 6 AZR 222/07 – Rn. 32 mwN, BAGE 125, 216) oder wenn der Schuldner es pflichtwidrig unterlassen hat, dem Gläubiger die Umstände mitzuteilen, die diesen zur Einhaltung der Ausschlussfrist veranlasst hätten (BAG 13. Oktober 2010 – 5 AZR 648/09 – aaO). Die Beklagte hat den Kläger weder von der Geltendmachung seiner Ansprüche abgehalten noch objektiv den Eindruck erweckt, der Kläger könne angesichts der erhobenen Beschäftigungs- und Zahlungsklage darauf vertrauen, die Ansprüche würden auch ohne Wahrung der tariflichen Ausschlussfrist erfüllt werden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Müller-Glöge, Biebl, Weber, R. Rehwald, Dirk Pollert
Fundstellen
Haufe-Index 7682221 |
BAGE 2015, 88 |
DB 2015, 6 |