Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung;. tarifvertragliche Öffnungsklausel
Leitsatz (amtlich)
1. Beruft sich ein Arbeitnehmer auf eine Betriebsvereinbarung, die der Arbeitgeber mit dem Gesamtbetriebsrat über die Gewährung einer freiwilligen Leistung abgeschlossen hat, so obliegt ihm – mangels substantiierter Einwendungen des Arbeitgebers – nicht die Darlegung der Umstände, aus denen sich die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ergibt.
2. Die Beschränkung einer tariflichen Öffnungsklausel auf Betriebsvereinbarungen, die bereits vor dem Inkrafttreten eines Tarifvertrages bestanden haben, ist im Zweifel nicht gewollt. Die Wiederholung der Öffnungsklausel im Rahmen der Ablösung des Tarifvertrags durch eine gleichartige Neuregelung spricht gegen einen solchen Willen.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3, § 50; TVG § 1; ZPO § 293
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 7. Januar 2000 – 8 Sa 2039/99 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Juli 1999 – 18 Ca 1393/99 – wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Jahresabschlußvergütung für das Jahr 1998 von zuletzt noch 868,95 DM brutto.
Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit Mai 1969 beschäftigt. Ihr Bruttomonatsgehalt belief sich zuletzt auf 5.793,00 DM. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg – Tarifgebiet II – in der jeweils geltenden Fassung Anwendung. Das Arbeitsverhältnis endete durch betriebsbedingte Kündigung zum 31. Oktober 1998.
Der Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen für Arbeiter und Angestellte der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg – Tarifgebiet II – vom 10. März 1991 (TVS 91) regelte seit dem 1. Januar 1991 die Gewährung einer Sonderzahlung. Dazu war in dem Tarifvertrag ua. bestimmt:
„2. Anspruch
2.1
Arbeitnehmer, die jeweils am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate angehört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen.
Ausgenommen sind die Arbeitnehmer, die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis gekündigt haben.
2.2
Die Sonderzahlungen werden nach folgender Staffel gezahlt:
…
Ab 1.1.1994
- Nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit 20 %
- Nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit 30 %
- Nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit 40 %
- Nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit 50 %
eines Monatsverdienstes”
Nach Nr. 3 des TVS 91 konnten in einer Betriebsvereinbarung Regelungen zum Auszahlungszeitpunkt und über Abschlagszahlungen getroffen werden. Darüber hinaus war in Nr. 4 des TVS 91 geregelt.
„4. Anrechenbare betriebliche Regelungen
Leistungen des Arbeitgebers wie Jahresabschlußvergütungen, Gratifikationen, Jahresprämie, Ergebnisbeteiligung, Weihnachtsgeld und ähnliches gelten als betriebliche Sonderzahlungen im Sinne der Ziffer 2 dieses Tarifvertrages und erfüllen den tariflichen Anspruch. Hierfür vorhandene betriebliche Systeme bleiben unberührt.”
Dieser Tarifvertrag wurde mit Wirkung zum 1. Januar 1997 außer Kraft gesetzt und durch den Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen vom 6. Februar 1997 (TVS 97) ersetzt. Darin wird abweichend von Nr. 2.2 TVS 91 die Höhe der Sonderzahlung ab dem Jahre 1998 nach folgender Staffel geregelt:
„…
nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit |
25 % |
nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit |
35 % |
nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit |
45 % |
nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit |
55 % |
eines Monatsverdienstes”
Die Nrn. 2.1, 3 und 4 sind inhaltsgleich mit den entsprechenden Regelungen des TVS 91.
Demgegenüber bestimmt eine als „Protokollnotiz über die Zahlung der Jahresabschlußvergütung 1993/94” bezeichnete Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat vom 27. Mai 1994:
„1. Die Höhe der Jahresabschlußvergütung errechnet sich aus der Betriebszugehörigkeit und dem monatlichen Normalverdienst nach folgender Staffelung:
- Mehr als 1 Jahr bis 10 Jahre 50 %
- Mehr als 10 Jahre bis 15 Jahre 55 %
- Mehr als 15 Jahre bis 20 Jahre 60 %
- Mehr als 20 Jahre bis 30 Jahre 65 %
- Mehr als 30 Jahre bis 40 Jahre 70 %
- Mehr als 40 Jahre 75 %
eines monatlichen Normalverdienstes
ab 1995:
1 Jahr bis 10 Jahre tarifliche Regelung mehr als 10 Jahre 70 % eines monatlichen Normalverdienstes
2. Stichtag für die Betriebszugehörigkeit ist der 30. September 1994.
…
7. Die über die Leistungen aus einem Tarifvertrag hinaus gezahlte Jahresabschlußvergütung unterliegt nicht den tarifvertraglichen Bestimmungen und ist demnach eine einmalige, freiwillige soziale Leistung der Gesellschaft. Dieser Teil der Jahresabschlußvergütung ist zurückzuzahlen, wenn Arbeitnehmer und Auszubildende vor dem 31. März 1995 aus den Diensten der Gesellschaft ausscheiden.
Für die Fälle von Arbeitsvertragsbruch sowie einer Kündigung durch die Gesellschaft, die eine fristlose Entlassung rechtfertigen, besteht ebenfalls die Rückzahlungsverpflichtung.
8. Die Zahlung der Jahresabschlußvergütung erfolgt für die Gehalts- und Lohnempfänger als Abschlagszahlung im Monat Oktober, die Verrechnung erfolgt mit den Bezügen für den Monat November.
9. Die Annahme der Jahresabschlußvergütung beinhaltet die Zustimmung zu dieser Regelung.”
Durch Einigungsstellenspruch vom 22. Februar 1999 wurde ua. ab dem Jahre 1999 der Zeitpunkt für die Auszahlung der Jahresabschlußvergütung von Oktober auf November verlegt.
Die Klägerin hat nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Erfolg die Zahlung einer Jahresabschlußvergütung verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr stehe auf Grund tariflicher Vorschriften ein Anspruch auf eine Sonderzahlung für 1998 in Höhe von 55 % ihres letzten Bruttogehalts zu. Ein Anspruch auf weitere 15 % folge aus der Betriebsvereinbarung vom 27. Mai 1994.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.055,10 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 28. Januar 1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht geäußert, der Klägerin stehe wegen der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses kein Anspruch auf Zahlung der tariflichen Sonderzahlung zu. Ein weitergehender Anspruch nach der Betriebsvereinbarung vom 27. Mai 1994 sei nicht gegeben. Die Betriebsvereinbarung sei gekündigt oder jedenfalls durch den Spruch der Einigungsstelle vom 22. Februar 1999 abgelöst worden. Im übrigen sei die Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG nichtig. Der TVS 91 und der TVS 97 regelten die betriebliche Sonderzuwendung abschließend. Die Tarifverträge enthielten keine Öffnungsklausel für die hier streitigen Bestimmungen der Betriebsvereinbarung.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat der auf einen Teilbetrag von 868,95 DM brutto (15 % der Jahresabschlußvergütung) beschränkten Berufung der Beklagten stattgegeben. Es hat insoweit die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die Klägerin kann von der Beklagten nach Nr. 1 der Betriebsvereinbarung über die Zahlung einer Jahresabschlußvergütung vom 27. Mai 1994 (PKN) die Zahlung von weiteren 868,95 DM brutto verlangen. Die Betriebsvereinbarung ist wirksam. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts verstößt sie nicht gegen den Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 BetrVG.
I. Die PKN ist eine Betriebsvereinbarung. Es handelt sich um eine kündigungsbedürftige Dauerregelung. Zu Zweifeln an der Regelungszuständigkeit des Gesamtbetriebsrats besteht kein Anlaß.
1. Mit der PKN vom 27. Mai 1994 haben der Gesamtbetriebsrat und die Arbeitgeberin eine Betriebsvereinbarung geschlossen. Die Vereinbarung wahrt die Form des § 77 Abs. 2 BetrVG. Sie enthält Regelungen über die Gewährung einer Jahresabschlußvergütung, die als Entgeltregelung unter den Voraussetzungen des § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG auch Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können. Die Bezeichnung als Protokollnotiz steht der Einordnung als Betriebsvereinbarung nicht entgegen. Entscheidend ist der Normsetzungswille der Betriebsparteien. Ein solcher Regelungswille kommt in der PKN zum Ausdruck. Mit ihr sollten individuelle Rechte der Arbeitnehmer auf Zahlung einer Jahresabschlußvergütung und eine entsprechende übertarifliche Verpflichtung des Arbeitgebers unmittelbar begründet werden. Diese verpflichtende Wirkung hebt die Nr. 9 der Betriebsvereinbarung nicht auf. Sie regelt lediglich eine zusätzliche Unterwerfung der einzelnen Arbeitnehmer unter die in der Betriebsvereinbarung geregelten Auszahlungs- und Rückzahlungsmodalitäten.
2. Bei der PKN handelt es sich um eine Dauerregelung. Sie war nicht auf die Verpflichtung zur Zahlung einer Jahresabschlußvergütung für die Jahre 1994 und 1995 beschränkt. Das haben die Betriebsparteien durch die Formulierung „ab 1995” hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht. Dementsprechend hat die Beklagte auch nach 1995 Zahlungen entsprechend der Betriebsvereinbarung erbracht(vgl. BAG 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94 – AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 54, zu II B 1 der Gründe).
3. Von der Regelungszuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist auszugehen. Beruft sich eine Prozeßpartei im Urteilsverfahren auf eine Rechtsnorm, muß sie deren wirksames Zustandekommen nicht darlegen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Umstände vorliegen oder von der Gegenpartei behauptet werden, die Zweifel an der wirksamen Entstehung begründen(vgl. § 293 ZPO; Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 3. Aufl. § 58 Rn. 14). Betriebsvereinbarungen sind Rechtsnormen (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Im Rahmen seines gesetzlichen Zuständigkeitsbereichs stehen sie als Regelungsinstrumentarium auch dem Gesamtbetriebsrat zur Verfügung. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, daß hier der Gesamtbetriebsrat für den Abschluß der Betriebsvereinbarung zuständig war. Umstände, die hieran Zweifel aufkommen ließen, sind weder vorgetragen noch erkennbar. Eines gesonderten Vortrags der Klägerin zur Regelungsbefugnis des Gesamtbetriebsrats bedurfte es daher nicht.
II. Die Betriebsvereinbarung ist wirksam. Ihr steht die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht entgegen.
1. Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Diese Vorschrift gewährleistet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Dazu räumt sie den Tarifvertragsparteien den Vorrang zur Regelung von Arbeitsbedingungen ein. Diese Befugnis soll nicht durch ergänzende oder abweichende Regelungen der Betriebsparteien ausgehöhlt werden können(BAG 20. April 1999 – 1 ABR 72/98 – BAGE 91, 210, zu B II 2 der Gründe; 24. Januar 1996 – 1 AZR 597/95 – BAGE 82, 89, zu I 1 der Gründe). Das schließt eine Normsetzung durch die Betriebsparteien aus, die ihrem Zweck nach mit entsprechenden Tarifregelungen konkurrieren würde.
Der TVS 97 regelt eine betriebliche Sonderzahlung, deren Höhe abhängig ist von der Dauer der Betriebszugehörigkeit und einem bestimmten Vomhundertsatz des Bruttomonatseinkommens des Arbeitnehmers. Die Zahlung hat zur Voraussetzung das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu einem im Tarifvertrag geregelten Stichtag. Nach ihrem Regelungssystem bezweckt die tarifliche Sonderzahlung in erster Linie die Belohnung der Betriebstreue. Sie soll außerdem einen Anreiz für künftige Betriebstreue schaffen. Solche Zwecke kommen regelmäßig in Bestimmungen zum Ausdruck, nach denen der Arbeitnehmer innerhalb des Bezugszeitraums eine Mindestzeit dem Betrieb angehört haben oder am Ende des Bezugszeitraums noch in einem Arbeitsverhältnis stehen muß(BAG 24. Oktober 1990 – 6 AZR 156/89 – BAGE 66, 169, zu II 2 d der Gründe). Diese Zwecke verfolgt auch die Betriebsvereinbarung vom 27. Mai 1994, die den Anspruch auf Zahlung der leistungsunabhängigen Jahresabschlußvergütung an den Bestand des Arbeitsverhältnisses sowie die Dauer der Betriebszugehörigkeit und die Höhe der Vergütung knüpft.
2. Im Geltungsbereich tariflicher Bestimmungen sind konkurrierende betriebliche Regelungen jedoch zulässig, soweit die Tarifparteien die Normenkonkurrenz ausdrücklich gestatten, § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Der TVS 97 enthält eine solche Öffnungsklausel.
a) Wie das Landesarbeitsgericht allerdings zutreffend angenommen hat, gestattet Nr. 2.2 TVS 97 eine solche Abweichung nicht. Diese Tarifnorm regelt die Höhe der betrieblichen Sonderzahlung. Dazu ordnet sie der darin bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit einen konkret benannten Vomhundertsatz eines Monatsverdienstes zu. Der Höchstsatz von 55 vH wird zuletzt nach einer 36monatigen Betriebszugehörigkeit erreicht. Eine weitergehende Staffelung sieht die Tarifnorm nicht vor. Sie ist insoweit abschließend.
b) Das Landesarbeitsgericht hat jedoch verkannt, daß Nr. 4 TVS 97 eine Öffnungsklausel enthält. Der für die Tarifauslegung maßgebliche Wortlaut mag zwar Zweifel zulassen. Doch sprechen die Systematik der Tarifnorm sowie ihr Sinn und Zweck dafür, daß die Tarifvertragsparteien die Gewährung darüber hinausgehender freiwilliger Leistungen des Arbeitgebers durch Betriebsvereinbarung nicht generell sperren wollten.
aa) Nach Nr. 4 Satz 1 TVS 97 gelten Leistungen des Arbeitgebers wie Jahresabschlußvergütungen, Gratifikationen, Jahresprämien, Ergebnisbeteiligungen, Weihnachtsgeld uä. als Sonderzahlungen im Sinne des TVS 97, die den tariflichen Anspruch erfüllen. Dazu bestimmt Satz 2, daß hierfür vorhandene betriebliche Systeme unberührt bleiben. Sie können demnach fortgeführt werden. Bezugspunkt der Öffnungsklausel ist dabei nicht eine betriebliche Regelung, die regelmäßig an eine bestimmte Laufzeit gebunden oder zumindest kündbar ist und damit zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt endet. Vielmehr bezieht sich die Tarifnorm auf betriebliche Systeme. Das deutet auf das im Betrieb praktizierte abstrakt-generelle Verfahren hin, dessen sich der Arbeitgeber zur Erbringung der freiwilligen Leistung bedient. Dazu stehen ihm die Gestaltungsmöglichkeiten des Vertragsrechts oder des Betriebsverfassungsrechts zur Verfügung. Im Falle kollektivrechtlicher Regelungen kann das betriebliche System darin bestehen, Sonderzahlungen nach jährlich, ggf. mit zeitlichen Unterbrechungen, abzuschließenden Betriebsvereinbarungen zu erbringen. Das ließe den Abschluß entsprechender Betriebsvereinbarungen während der Laufzeit des Tarifvertrags zu. Nr. 4 Satz 2 TVS 97 schließt nach ihrem Wortlaut allerdings auch ein Verständnis nicht aus, wonach nur auf Dauer angelegte Betriebsvereinbarungen über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tarifvertrags hinaus bis zum vereinbarten Ende oder ihrer Kündigung fortgelten sollen. In diesem Falle stünde erst einer Anschlußvereinbarung die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG entgegen.
bb) Der tarifliche Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Tarifnorm machen aber deutlich, daß der Tarifvertrag in Nr. 4 Satz 2 eine Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarungen enthält, die den Arbeitnehmern auch künftig weitergehende Ansprüche ermöglichen will. Nr. 4 TVS 97 hat zwei Regelungsziele. Zum einen zielt sie darauf ab, eine Mehrfachbelastung des Arbeitgebers zu vermeiden. Dazu ordnet Satz 1 an, daß die darin aufgeführten Leistungen des Arbeitgebers den tariflichen Anspruch erfüllen. Darüber hinaus bezweckt die Tarifnorm auch den Erhalt freiwilliger Leistungen des Arbeitgebers, die über die tariflich abgesicherte Sonderzahlung hinausgehen. Denn ohne eine Regelung wie in Nr. 4 Satz 2 blieben nur einzelvertragliche Zusagen und solche Vereinbarungen wirksam, die auf eine Regelungsabrede zurückgehen. Dieses Ergebnis vermeidet Nr. 4 Satz 2, indem alle betrieblichen Systeme über günstigere Leistungen, auch wenn sie auf einer Betriebsvereinbarung beruhen, unberührt bleiben. Dieser Zweck läßt eine Differenzierung zwischen Betriebsvereinbarungen, die schon vor Inkrafttreten des Tarifvertrags bestanden, und solchen, die erst während seiner Laufzeit abgeschlossen werden, nicht zu. Eine derart begrenzte Bestandsschutzregelung stünde vielmehr im Widerspruch zum Anliegen der Tarifvertragsparteien, dem Arbeitnehmer günstigere Leistungen ungeachtet ihrer Rechtsgrundlage zu erhalten.
c) Noch weniger trägt die Tarifnorm das Auslegungsergebnis des Landesarbeitsgerichts, wonach Nr. 4 TVS 97 nur eine Öffnungsklausel für die vor dem 1. Januar 1991 vereinbarten Betriebsvereinbarungen enthält. Soll eine tarifliche Öffnungsklausel die Tarifsperre nur für solche Betriebsvereinbarungen beseitigen, die vor dem Inkrafttreten des Tarifvertrags entstanden sind, so muß das im Tarifvertrag ausdrücklich geregelt werden. Die wortgleiche Wiederholung einer Regelung aus einem abgelösten Tarifvertrag spricht gegen einen solchen Regelungswillen der Tarifparteien.
Zu Unrecht hat sich das Landesarbeitsgericht zur Begründung seiner Auffassung auf die Entscheidung des Fünften Senats vom 5. Dezember 1984(– 5 AZR 531/83 –) berufen. In diesem Urteil hat sich der Fünfte Senat zwar mit einer Nr. 4 TVS 97 entsprechenden Tarifvorschrift des „Tarifvertrags über die tarifliche Absicherung eines Teils eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976 Metall NRW” befaßt. Der Fünfte Senat hat es aber gerade offengelassen, ob auch noch nach Inkrafttreten des Tarifvertrags betriebliche Sonderzahlungen durch jährlich abzuschließende Betriebsvereinbarungen festgelegt werden können oder nur eine Fortgeltung für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tarifvertrags vorhandenen, auf Dauer angelegten Regelungen ermöglicht werden sollte.
3. Die Betriebsvereinbarung vom 27. Mai 1994 galt auch noch zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte die PKN nicht gekündigt. Sie ist auch nicht durch den Spruch der Einigungsstelle vom 22. September 1999 abgelöst worden. Diese Betriebsvereinbarung trifft Regelungen erst für das Jahr 1999.
III. Die Klägerin erfüllt auch die in der Betriebsvereinbarung geregelten Zahlungsvoraussetzungen. Ihr Zahlungsverlangen ist keine unzulässige Rechtsausübung. Die Klägerin ist nicht infolge der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses am 31. Oktober 1998 zur Rückzahlung der Jahresabschlußvergütung verpflichtet. Eine Rückzahlungspflicht nach Nr. 7 der PKN gilt jedenfalls nicht bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers.
Unterschriften
Wißmann, Hauck, Schmidt, Wohlgemuth, Münzer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.02.2001 durch Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 614674 |
BAGE, 44 |
BB 2001, 1532 |
DB 2001, 2100 |
ARST 2001, 258 |
EWiR 2001, 895 |
FA 2001, 281 |
NZA 2001, 903 |
RdA 2002, 173 |
SAE 2001, 334 |
ZIP 2001, 1253 |
AP, 0 |
EzA |
MDR 2001, 946 |
PERSONAL 2001, 710 |