Entscheidungsstichwort (Thema)
Überbrückungsbeihilfe. keine Anrechnung einer Abfindung
Leitsatz (amtlich)
Nach § 5 TV SozSich sind andere Leistungen als nach § 4 Ziff. 1 TV SozSich, auf die der Arbeitnehmer für Zeiten des Bezugs der Überbrückungsbeihilfe gegen den bisherigen Arbeitgeber Anspruch hat, auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen. Eine Abfindung, durch die der Verlust des Arbeitsplatzes ausgeglichen werden soll, fällt nicht unter die Anrechnungspflicht.
Normenkette
Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) § 2 Ziff. 1 Buchst. a, b, § 2 Ziff. 2, §§ 3, 4 Ziff. 1 Buchst. b, § 4 Ziff. 5 Buchst. a
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 26. Mai 1997 - 10 Sa 1227/96 - aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 2. Mai 1996 - 2 Ca 82/96 - wird zurückgewiesen.
Der Tenor dieses Urteils wird zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt:
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 1. Februar 1996 bis längstens 30. Juni 2007 zum Arbeitslosengeld oder zur Arbeitslosenhilfe Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TV SozSich) zu zahlen.
3. Die Beklagte hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses die Zahlung einer laufenden monatlichen Überbrückungsbeihilfe.
Der am 26. Juni 1942 geborene Kläger war seit September 1960 bei den US-Stationierungsstreitkräften als Finanz- und Betriebsorganisationsleiter, zuletzt als stellvertretender Direktor der Verwaltung in D in G beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag vom 16. Dezember 1966 für Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV AL II) Anwendung. Die US-Stationierungsstreitkräfte kündigten mit Schreiben vom 13. Dezember 1993 das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1994 betriebsbedingt. Das Hessische Landesarbeitsgericht erklärte durch rechtskräftiges Urteil vom 13. Januar 1995 (- 15 Sa 1238/94 -) diese Kündigung für unwirksam.
Am 29. Juni 1995 schloß der Kläger mit den US-Stationierungsstreitkräften zwei schriftliche Vereinbarungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. In der als „Vertrag” bezeichneten Vereinbarung heißt es:
„Vertrag
…
1. Es besteht Einigkeit zwischen den Arbeitsvertragsparteien, daß das Beschäftigungsverhältnis des Arbeitnehmers betriebsbedingt, wegen Personalabbau, aus dem in Paragraph 2, Ziffer 1, Tarifvertrag zur sozialen Sicherung genannten Gründen mit ordentlicher Kündigungsfrist am 31. Januar 1996 endet.
2. Der Arbeitnehmer erhält die Leistungen aus dem Tarifvertrag über zusätzliche Leistungen bei Entlassungen wegen Truppenreduzierungen vom 6. Dezember 1991, auf die er zum Zeitpunkt seines Ausscheidens einen Anspruch erworben hat (zwei Monatsgehälter).
3. Für die dieser Vereinbarung zugrundeliegende organisatorische Maßnahme (Auflösung der Dienststelle) hat der Bundesminister für Finanzen die Anwendung des Tarifvertrages zur sozialen Sicherung des Arbeitnehmers bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TASS) anerkannt. Der Arbeitnehmer erfüllt hierfür die persönlichen Voraussetzungen. Über die Dauer und Höhe der gegebenenfalls bestehenden Ansprüche auf Leistungen nach TASS entscheidet das Amt für Verteidigungslasten.
4. Der Arbeitnehmer erklärt wegen der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses keinen Kündigungsschutzprozess anzustrengen.
…”
In der anderen als „Aussergerichtliche Vereinbarung” bezeichneten Urkunde heißt es:
„Aussergerichtliche Vereinbarung
…
1. Der Arbeitnehmer erhält eine einmalige Zahlung in Höhe von 186,000.- DM als Abfindung.
2. Diese Summe ist durch das Amt für Verteidigungslasten nicht später als am 15. Dezember 1995 auf das Konto des Arbeitnehmers zu überweisen. Sollte diese Zahlung nicht fristgerecht erfolgen ist die Gesamtvereinbarung als hinfällig anzusehen und der Arbeitnehmer befindet sich in einem ungekündigten Zustand.
3. Der Arbeitnehmer und die Dienststelle sind sich darüber einig, daß durch diese Vereinbarung alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mit Ausnahme noch bestehender sonstiger Ansprüche aus dem TVAL II abgegolten sind. Dies gilt nicht für die noch anhängigen Verfahren mit dem Aktenzeichen 2Ca 290/94 und 2Ca 158/95, Arbeitsgericht Gießen.
…”
Neben der Abfindung in Höhe von 186.000,00 DM hat der Kläger von der Beklagten eine Zahlung in Höhe von zwei Monatsgehältern nach dem Tarifvertrag über zusätzliche Leistungen bei Entlassungen wegen Truppenreduzierungen vom 6. Dezember 1981 erhalten. Mit Schreiben vom 26. September 1995 an den Bundesminister der Finanzen beantragte das Personalbüro – USAREUR – in Heidelberg, auch das Ausscheiden des Klägers als von den Vorschriften des Tarifvertrags vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) erfaßt anzuerkennen. Das Bundesministerium der Finanzen lehnte dies mit Schreiben vom 6. Oktober 1995 ab. In einer vom Personalbüro ausgestellten „Mitteilung über den Stand des Arbeitsverhältnisses” vom 15. Januar 1996 heißt es, daß der Kläger „infolge einer Personalkuerzung gemaeß Aufloesungsvertrag vom 29 Jun 1995 und der außergerichtlichen Zusatzvereinbarung Nr 1” ausscheide. Das Amt für Verteidigungslasten in Kaiserslautern lehnte den Antrag des Klägers vom 15. Januar 1996 auf Zahlung einer Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe gegen die Beklagte einen tariflichen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe. Die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses sei durch Personaleinschränkung infolge Truppenreduzierung veranlaßt worden.
Der Kläger hat beantragt,
- es wird festgestellt, daß die Beklagte für den Fall fortbestehender Arbeitslosigkeit des Klägers verpflichtet ist, ab dem 01. Februar 1996 bis einschließlich 31. Januar 1997 jeweils monatlich am Monatsende für den ablaufenden Monat den Differenzbetrag in Höhe von 100 % zwischen dem dann für den Kläger gültigen Arbeitslosengeld und dem zuletzt bezogenen tariflichen Grundgehalt zuzüglich des auf die Lohnsteuer entfallenden Betrages zu bezahlen;
- es wird festgestellt, daß die Beklagte für den Fall fortbestehender Arbeitslosigkeit des Klägers verpflichtet ist, ab dem 01. Februar 1997 bis einschließlich 31. Januar 1999 jeweils monatlich am Monatsende für den abgelaufenen Monat den Differenzbetrag in Höhe von 90 % zwischen dem dann für den Kläger gültigen Arbeitslosengeld und dem zuletzt bezogenen tariflichen Grundgehalt zuzüglich des auf die Lohnsteuer entfallenden Betrages zu zahlen;
- es wird festgestellt, daß die Beklagte für den Fall fortbestehender Arbeitslosigkeit des Klägers verpflichtet ist, ab dem 01. Februar 1999 bis einschließlich 30. Juni 2007 jeweils monatlich am Monatsende für den abgelaufenen Monat den Differenzbetrag von 90 % zwischen dem zuletzt bezogenen tariflichen Grundgehalt und der dann für den Kläger geltenden Arbeitslosenhilfe zuzüglich des auf die Lohnsteuer entfallenden Betrages zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen tariflichen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe, weil er nicht im Sinne der tariflichen Bestimmungen „entlassen” worden sei. Dies setze eine Kündigung der US-Stationierungsstreitkräfte voraus. Das Ausscheiden sei nicht aufgrund einer Maßnahme erfolgt, für die der Bundesminister der Finanzen die Anwendbarkeit des TV SozSich anerkannt habe, was nach den Erläuterungen und Verfahrensrichtlinien zum TV SozSich Voraussetzung der Anwendbarkeit dieser tariflichen Bestimmungen auf Aufhebungsverträge sei. Da sich der Kläger gegen die auf Personaleinschränkung infolge Truppenreduzierung gestützte Kündigung der US-Stationierungsstreitkräfte erfolgreich gerichtlich zur Wehr gesetzt habe, sei er gerade nicht aus diesen Gründen ausgeschieden. Die Höhe der Abfindung zeige, daß dem Kläger der Arbeitsplatz abgekauft worden sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe gegen die Beklagte keinen tariflichen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe. Der Kläger sei nicht im Sinne von § 2 Ziff. 1 TV SozSich wegen Personaleinschränkung entlassen worden. Zwar könne der TV SozSich auch bei einvernehmlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses Anwendung finden. Dabei müsse der Vertrag sich aber darauf beschränken, die betriebsbedingte Kündigung lediglich rechtstechnisch gegen eine Vereinbarung auszutauschen. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen. Die Vereinbarungen der Parteien präge die vergleichsweise Aufgabe des Arbeitsplatzes gegen eine individuell ausgehandelte hohe Abfindung. Damit fehle die Grundlage für die Anwendung der Tarifregelung. Diese sei nicht auch auf solche Arbeitnehmer zu erstrecken, denen im Wege des Abfindungsvergleichs ein wirtschaftlicher Ausgleich für eben die Nachteile bereits zugesagt und gezahlt worden sei, für die der Tarifvertrag selbst einen Ausgleich gewähren wolle.
Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.
II. Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach § 2 iVm. § 4 Ziff. 1 Buchst. b TV SozSich.
1. Der Kläger ist im Sinne von § 2 Ziff. 1 TV SozSich „entlassen” worden.
a) Entlassung ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die aufgrund einer ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers erfolgte Beendigung des Arbeitsverhältnisses (BAG 3. Oktober 1963 - 2 AZR 160/63 - AP KSchG § 15 Nr. 9, zu 4 a der Gründe; 31. Juli 1986 - 2 AZR 594/85 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 5 = EzA KSchG § 17 Nr. 3; KR-Weigand 5. Aufl. § 17 KSchG Rn. 32). Ein Aufhebungsvertrag ist grundsätzlich keine Entlassung. Wenn aber der Arbeitsvertrag einvernehmlich aufgehoben wurde, weil anderenfalls das Arbeitsverhältnis durch Arbeitgeberkündigung zum selben Zeitpunkt aufgelöst worden wäre, steht dies einer Entlassung gleich. Interessenlage und Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers rechtfertigen es, in diesem Fall die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf das Tarifmerkmal „entlassen” wie eine Arbeitgeberkündigung zu behandeln (vgl. BAG 28. April 1993 - 10 AZR 222/92 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 67 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 68 für den Fall eines Aufhebungsvertrages auf Veranlassung des Arbeitgebers im Hinblick auf Ansprüche aus einem Sozialplan). Hätten die Tarifvertragsparteien Ansprüche auf Überbrückungsbeihilfe vom Vorliegen einer arbeitgeberseitigen Kündigung abhängig machen wollen, hätte es näher gelegen, in § 2 TV SozSich den Begriff „Kündigung” zu verwenden. Daß dies nicht geschehen ist, zeigt, daß Ansprüche auf Überbrückungsbeihilfe nicht von der Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängig, also auf betriebsbedingte Kündigungen beschränkt sein sollen. Der Begriff der „Entlassung” ist weiter als der der „Kündigung”. Er umfaßt auch Aufhebungsverträge, die auf Veranlassung des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Personalreduzierung abgeschlossen wurden. So liegt der Fall hier.
b) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Vereinbarungen der Parteien seien nicht so zu verstehen, daß der Kläger auf Veranlassung der Beklagten in Zusammenhang mit einer Personaleinschränkung ausgeschieden ist.
aa) Zwar ist die Auslegung von nichttypischen Verträgen und Willenserklärungen Sache der Tatsachengerichte und auf Revision grundsätzlich nicht nachprüfbar. Der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt allein, ob bei der Auslegung dieser Verträge und Willenserklärungen die Rechtsvorschriften über die Auslegung (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt worden sind, ob dabei gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und der Tatsachenstoff vollständig verwertet wurde (ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG 26. Mai 1992 - 9 AZR 27/91 - AP HGB § 74 Nr. 63 = EzA HGB § 74 Nr. 54; 22. September 1992 - 1 AZR 235/90 - BAGE 71, 164). Die Auslegung durch das Berufungsgericht hält jedoch auch dieser eingeschränkten Nachprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat den Wortlaut der als „Vertrag” bezeichneten Vereinbarung der Parteien nicht hinreichend beachtet und damit gegen §§ 133, 157 BGB verstoßen.
bb) In Ziff. 1 dieser Vereinbarung haben beide Parteien Einigkeit darüber erzielt, daß das Beschäftigungsverhältnis betriebsbedingt wegen Personalabbaus aus den in § 2 Ziff. 1 TV SozSich genannten Gründen mit ordentlicher Kündigungsfrist am 31. Januar 1996 endet. In Ziff. 3 hat die Beklagte bestätigt, daß „für die dieser Vereinbarung zugrunde liegende organisatorische Maßnahme (Auflösung der Dienststelle) der Bundesminister für Finanzen die Anwendung des Tarifvertrags zur sozialen Sicherung des Arbeitnehmers bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TASS) anerkannt” hat. Weiter heißt es dort: „Der Arbeitnehmer erfüllt hierfür die persönlichen Voraussetzungen”. Damit haben die Parteien vereinbart, daß die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Ziff. 1 TV SozSich dem Grunde nach vorliegen und diese Tarifregelung gelten soll. Dies wird auch durch Ziff. 4 bestätigt, wo der Kläger erklärt, daß er wegen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses keinen Kündigungsschutzprozeß anstrengen werde. Damit ist hinreichend deutlich, daß der Vertrag vom 29. Juni 1995 wegen Personaleinschränkungen iSv. § 2 Ziff. 1 TV SozSich anstelle einer auszusprechenden betriebsbedingten Kündigung geschlossen wurde, da der Arbeitsplatz des Klägers infolge des Personalabbaus wegen der Truppenreduzierung wegfiel. Dem Wortlaut in Ziff. 1 entspricht auch der Hinweis in der Entlassungsbescheinigung vom 15. Januar 1996, in der ausdrücklich bestätigt wird, daß der Auflösungsvertrag „infolge einer Personalkürzung” erfolgt ist. Im Hinblick auf diesen eindeutigen Erklärungswortlaut kann der Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Anwendung des TV SozSich sei durch die Abfindungsregelung in der „Außergerichtlichen Vereinbarung” ausgeschlossen, nicht gefolgt werden.
Diese Auslegung der Parteivereinbarungen vom 24. Juni 1995 kann der erkennende Senat selbst vornehmen. Zwar ist, wenn sich die Auslegung durch das Landesarbeitsgericht als fehlerhaft erweist, der Rechtsstreit grundsätzlich an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Revisionsgericht kann jedoch auch nichttypische Verträge und Willenserklärungen selbst auslegen, wenn der erforderliche Sachverhalt vollständig festgestellt ist und kein weiteres tatsächliches Vorbringen zu erwarten ist (BAG 17. Mai 1984 - 2 AZR 161/83 - AP BAT § 55 Nr. 3; BAG 28. Februar 1991 - 8 AZR 89/90 - BAGE 67, 279). So liegt der Fall hier.
2. Die übrigen Voraussetzungen des Klageanspruchs erfüllt der Kläger. Er ist seit mindestens einem Jahr vollbeschäftigt (§ 2 Ziff. 2 Buchst. a TV SozSich), kann mindestens fünf Beschäftigungsjahre nachweisen und hat das 40. Lebensjahr vollendet (§ 2 Ziff. 2 Buchst. b TV SozSich), hatte seinen ständigen Wohnsitz in den letzten fünf Jahren im Geltungsbereich des TV AL II und erfüllt nicht die Voraussetzungen zum Bezug des Altersruhegeldes oder des vorgezogenen Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 2 Ziff. 2 Buchst. d TV SozSich). Ebensowenig ist dem Kläger eine anderweitige zumutbare Verwendung im Geltungsbereich des TV AL II iSd. § 2 Ziff. 3 TV SozSich angeboten worden. Der Kläger ist derzeit arbeitslos und bezieht Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit iSv. § 4 Ziff. 1 Buchst. b TV SozSich.
3. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Überbrückungsbeihilfe ohne zeitliche Begrenzung (§ 4 Ziff. 5 Buchst. a TV SozSich), da er 25 Beschäftigungsjahre zurückgelegt und das 50. Lebensjahr vollendet hat. Auf die Überbrückungsbeihilfe ist die ebenfalls am 29. Juni 1995 vereinbarte Abfindung in Höhe von 186.000,00 DM, die die Beklagte an den Kläger geleistet hat, nicht anzurechnen.
Nach § 5 Buchst. a TV SozSich sind andere, als die in § 4 Ziff. 1 TV SozSich genannten Anknüpfleistungen, auf die der Arbeitnehmer für Zeiten des Bezugs der Überbrückungsbeihilfe gegen den bisherigen oder einen neuen Arbeitgeber Anspruch hat, auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen. Um eine solche Leistung handelt es sich bei der an den Kläger gezahlten Abfindung nicht.
a) Der Anspruch auf die Abfindung betraf nicht „Zeiten des Bezugs der Überbrückungsbeihilfe”. Nach dem Vertrag vom 29. Juni 1995 endete das Arbeitsverhältnis der Parteien am 31. Januar 1996. Nach der als „Außergerichtliche Vereinbarung” bezeichneten Urkunde war die Abfindung spätestens bis zum 15. Dezember 1995 zu leisten. In der Zusatzvereinbarung Nr. 1 vom 20. Oktober 1995 kamen beide Parteien in Abänderung der außergerichtlichen Vereinbarung überein, die Fälligkeit der Beträge auf Januar 1996 in die Zeit nicht vor dem 1. Januar 1996, spätestens aber am 31. Januar 1996 zu verschieben. Auch nach dieser Zusatzvereinbarung war somit die Abfindung noch während des Arbeitsverhältnisses zu leisten und nicht nach dessen Beendigung. Die Leistung sollte also nicht in einer Zeit erfolgen, für die der Kläger bereits Anspruch auf Bezug der Überbrückungsbeihilfe hatte.
b) Auch Sinn und Zweck und der Gesamtzusammenhang der Tarifbestimmung, welche bei der Tarifauslegung mitzuberücksichtigen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308; 30. Januar 1997 - 6 AZR 784/95 - AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 22 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 6, zu II der Gründe), ergeben, daß die Abfindung nicht von der Anrechnungsbestimmung des § 5 Buchst. a TV SozSich erfaßt wird.
aa) Der TV SozSich bestimmt, daß Arbeitnehmer, die aus den in § 2 Ziff. 1 TV SozSich genannten Gründen entlassen werden, möglichst sofort wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden sollen und sich nach der Kündigung beim Arbeitsamt arbeitssuchend und nach der Entlassung arbeitslos zu melden sowie an zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß erforderlichen Maßnahmen der Arbeitsverwaltung teilzunehmen haben (§ 3 TV SozSich). Dem daraus deutlich werdenden
Bestreben entsprechen die Regelungen über die Begrenzung der Höhe der Leistung auf den zur Überbrückung des Leistungszeitraums erforderlichen Leistungsbedarf. § 4 Ziff. 1 TV SozSich sieht deshalb vor, daß die Überbrückungsbeihilfe nur ergänzend zu bestimmten Anknüpfleistungen gewährt wird. Den Leistungsbedarf haben die Tarifvertragsparteien in der Weise festgelegt, daß die Höhe der Überbrückungsbeihilfe sich aus dem Unterschied zwischen bestimmten Prozentsätzen einer an der tariflichen Grundvergütung orientierten Bemessungsgrundlage (§ 4 Ziff. 4 TV SozSich) und den in § 4 Ziff. 1 TV SozSich genannten Einkünften des entlassenen Arbeitnehmers ergibt. Daraus folgt, daß die finanzielle Absicherung des entlassenen Arbeitnehmers darin bestehen soll, diesem nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses insgesamt laufende Einkünfte in der Höhe zu gewährleisten, wie er sie bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bei den Stationierungsstreitkräften als tarifliche Grundvergütung bezogen hätte. In diesem Umfang soll der Lebensunterhalt des Arbeitnehmers durch die Überbrückungsbeihilfe soweit und solange nötig gesichert werden. Dies kommt auch im Wortlaut des § 5 TV SozSich zum Ausdruck, wo als andere, also anzurechnende Leistungen solche bezeichnet sind, „auf die der Arbeitnehmer für Zeiten des Bezugs der Überbrückungsbeihilfe Anspruch hat”. Auch diese Anrechnungsregelung zeigt aber, daß der Zweck der Überbrückungsbeihilfe darin besteht, das laufende Einkommen des Arbeitnehmers für einen tariflich anerkannten Bedarfszeitraum und in einer tariflich festgelegten Gesamthöhe zu sichern. Durch die Anrechnung soll verhindert werden, daß nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei den Stationierungsstreitkräften infolge von Leistungen der in § 5 Buchst. a bis c TV SozSich genannten, ebenfalls das laufende Einkommen sichernden Art zusammen mit der Überbrückungsbeihilfe höhere laufende Einkünfte erzielt werden als die zuletzt im Arbeitsverhältnis bezogene tarifliche Grundvergütung (vgl. Senatsurteil 16. Juli 1998 - 6 AZR 672/96 - AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 27).
bb) Diesem für eine tariflich bestimmte Übergangszeit das laufende Einkommen sichernden Zweck diente die an den Kläger gezahlte Abfindung nicht. Dies ergibt die Auslegung der als „Aussergerichtliche Vereinbarung” bezeichneten Urkunde vom 29. Juni 1995. Dort haben die Parteien unter Ziff. 3 Einigkeit darüber erzielt, daß durch diese Vereinbarung „alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mit Ausnahme noch bestehender sonstiger Ansprüche aus dem TV AL II abgegolten sind”. Unter Ziff. 4 der Vereinbarung erklärt der Kläger, „aufgrund dieser Vereinbarung keine weiteren rechtlichen Schritte gegen die Dienststelle DeDA oder eine andere Dienststelle der US-Stationierungsstreitkräfte anzustrengen”. In Ziff. 2 Satz 2 der Vereinbarung ist bestimmt, daß der Kläger sich weiter in einem ungekündigten Zustand befinde, sofern die Beklagte die vereinbarte Abfindung nicht spätestens zu dem vereinbarten Fälligkeitstermin auf sein Konto überwiesen habe. Daraus ergibt sich, daß die Abfindung einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes darstellte. Damit dient sie nicht der Sicherung der zuletzt erzielten laufenden Einkünfte.
Auch diese Auslegung durfte der erkennende Senat selbst vornehmen (vgl. oben 1 b bb aE).
4. Ob der Anspruch des Klägers auf Überbrückungsbeihilfe bereits vor der Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers im Juni 2007 entfällt, weil die Überbrückungsbeihilfe nicht gezahlt wird, sobald der Kläger die Voraussetzungen zum Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes oder der Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt (§ 8 Ziff. 1 Buchst. c TV SozSich), hängt davon ab, ob einer dieser Fälle eintritt. Insoweit bedurfte der Tenor des wiederhergestellten arbeitsgerichtlichen Urteils der Klarstellung.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, H. Schmidt, W. Zuchold
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.05.1999 durch Schneider, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436460 |
DB 1999, 1170 |
DB 2000, 523 |
ARST 1999, 190 |
FA 1999, 274 |
NZA 2000, 492 |
ZTR 2000, 183 |
AP, 0 |
AUR 2000, 117 |