Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für die Befristung von Lektorenverträgen
Leitsatz (redaktionell)
Die Befristung des Arbeitsvertrags unter dem Gesichtspunkt eines kulturellen Austausches ist nur dann rechtswirksam, wenn die Lektorenstelle für einen tatsächlich praktizierten Austausch von Hochschulabsolventen vorgesehen und hierfür auch gesondert ausgewiesen ist.
Normenkette
EWGVtr Art. 48 Abs. 2, Art. 177 Abs. 3; HRG § 57b Abs. 3; EGBeitrVtr ESP/PRT Art. 55, 56 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten im wesentlichen über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin ist spanische Staatsangehörige und lebt seit 1983 in Berlin. Sie ist seit dem 1. April 1989 bei der Beklagten als Lehrkraft für besondere Aufgaben beschäftigt. Nach § 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages vom 25. April 1989 ist das Arbeitsverhältnis unter Hinweis auf § 57 b Abs. 3 Hochschulrahmengesetz (HRG) bis 31. März 1994 befristet. Die Parteien haben außerdem in § 2 des Arbeitsvertrages die Geltung der Verordnung über Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LkAVO) vereinbart.
Bei den mit befristeten Arbeitsverträgen bei der Beklagten beschäftigten Fremdsprachenlektoren handelt es sich in der Mehrzahl um ausländische Staatsangehörige. Gestützt auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat die Klägerin im Februar 1994 ohne Erfolg ihre Weiterbeschäftigung in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis verlangt. Sie hält die Befristung ihres Arbeitsvertrages wegen Verstoßes gegen Art. 48 Abs. 2 EWG-Vertrag für unwirksam.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis über
den 31. März 1994 hinaus unbefristet fortbe-
steht,
2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum
rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits
weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, für die Frage einer diskriminierenden Wirkung des § 57 b Abs. 3 HRG sei erheblich, ob ausländische Lektoren in der Regel befristet, deutsche Lektoren dagegen regelmäßig unbefristet eingestellt würden. Zwar habe der Europäische Gerichtshof in einer vergleichbaren Fallgestaltung eine Verletzung des europarechtlichen Diskriminierungsverbotes bejaht. Doch sei diese Entscheidung (20. Oktober 1993 - Rs C 272/92 - Spotti - AP Nr. 17 zu Art. 48 EWG-Vertrag = PersR 1994, 186) zu einer in Verbindung mit § 57 b Abs. 3 HRG stehenden bayerischen Landesnorm ergangen. Daher habe sich das Landesarbeitsgericht nicht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stützen dürfen, sondern sei zu einer erneuten Vorlage verpflichtet gewesen. Außerdem könne sich die Klägerin nicht auf Art. 48 Abs. 2 EWG-Vertrag berufen. Diese Bestimmung gelte für spanische Staatsangehörige in vollem Umfang erst seit 1. Januar 1993. Im übrigen sei Art. 5 Abs. 3 GG verletzt. Die Wissenschaftsfreiheit umfasse auch die Autonomie der Hochschulen, bei der Lehrplanung durch Befristungsabreden in Lektorenverträgen für Fluktuation zu sorgen und damit den Austausch jüngerer Wissenschaftler zu fördern. Im übrigen liege der sachliche Grund für die Befristung von Fremdsprachenlektoren in der Absicherung gegen eine nachlassende Qualität und Aktualität des fremdsprachlichen Unterrichts.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die beklagte Universität die Abweisung der Klage, während die Klägerin die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, daß die Befristung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin unwirksam sei.
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die im Arbeitsvertrag vereinbarte Befristung zum 31. März 1994 beendet worden. Es besteht über diesen Zeitpunkt hinaus fort. Die auf § 57 b Abs. 3 HRG gestützte Befristung ist unwirksam; sie ist mit Art. 48 Abs. 2 EWG-Vertrag nicht vereinbar.
a) Die Klägerin ist Lektorin im Sinne des § 57 b Abs. 3 HRG. Nach der dortigen Legaldefinition handelt es sich bei einem Lektor um eine fremdsprachliche Lehrkraft für besondere Aufgaben, dessen Beschäftigung überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolgt. Lehrkraft für besondere Aufgaben ist nach § 56 HRG, wer in Studiengängen eingesetzt ist, bei denen die Vermittlung praktischer Fähigkeiten und Kenntnisse umfangreicher ist als die wissenschaftliche Ausbildung (Reich, HRG, 4. Aufl., § 57 b Rz 8, m.w.N.). Fremdsprachliche Lehrkraft ist, wer die fremde Sprache, für die sie ausbilden soll, als Muttersprache spricht. Die fremdsprachliche Lehrkraft vermittelt danach praktische Kenntnisse und Fertigkeiten in Fremdsprachen durch selbständige Wahrnehmung von Lehrveranstaltungen oder durch unterstützende Beschäftigung bei Lehrveranstaltungen (BAG Urteil vom 15. März 1995 - 7 AZR 737/94 - AP Nr. 10 zu § 2 BAT SR 2y, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Nach diesen Grundsätzen ist die Klägerin Lektorin. Sie spricht Spanisch als Muttersprache. Die Beschäftigung erfolgt überwiegend in der Fremdsprache Spanisch. Die Klägerin war arbeitsvertraglich verpflichtet, Studenten zwischen 12 und 16 Wochenstunden Fremdsprachenunterricht zu erteilen.
b) Art. 48 Abs. 2 EWG-Vertrag regelt die Freizügigkeit für Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Die Freizügigkeit umfaßt die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer hinsichtlich der Arbeits- und Erwerbsbedingungen, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist.
c) Fremdsprachenlektoren sind - wie auch bei der beklagten Universität - überwiegend ausländische Staatsangehörige. Während die Befristung der sonstigen Lehrkräfte für besondere Aufgaben nur bei Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes zulässig ist, läßt § 57 b Abs. 3 HRG seinem Wortlaut nach bereits die Lektorentätigkeit als Befristungsgrund genügen. Eine solche Auslegung steht nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs dem in Art. 48 Abs. 2 EWG-Vertrag normierten Diskriminierungsverbot entgegen, weil die unterschiedlichen Anforderungen an den Befristungsgrund bei Lektoren gegenüber den sonstigen Lehrkräften mit besonderen Aufgaben zu einer Ungleichbehandlung führen, die geeignet ist, ausländische Staatsangehörige zu diskriminieren. Diese Ungleichbehandlung kann nicht durch das Erfordernis der Sicherung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts gerechtfertigt werden. Denn die Gefahr, daß der Lektor durch einen längeren Auslandsaufenthalt den Kontakt mit seiner Muttersprache verliert, ist angesichts eines intensiven kulturellen Austausches und der zunehmenden Kommunikationserleichterungen gering zu schätzen (EuGH Urteile vom 20. Oktober 1993 - Rs C 272/92 - Spotti - AP Nr. 17 zu Art. 48 EWG-Vertrag = PersR 1994, 186 ff. und 2. August 1993 - Rs C 259/91, 331/91 und 332/91 - Allu II - JZ 1994, 94 ff.).
Dieser Rechtsprechung des EuGH hat sich der Senat in seiner Entscheidung vom 15. März 1995 (aa0) angeschlossen und ergänzend ausgeführt, es gebe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse für die unbewiesene These, daß der Aktualitätsbezug des Unterrichts eines Fremdsprachenlektors bei einem längeren Aufenthalt in Deutschland nicht mehr gewährleistet sei, schon weil der Kontakt mit dem Heimatland und der jeweils originären Sprache durch aktuelle Kommunikationsmittel und Medien aufrecht erhalten werden könne, was auch eine Entfremdung vom Herkunftsland vermeide. An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten fest.
2. Der Klägerin ist auch nicht verwehrt, sich auf das europarechtliche Diskriminierungsverbot zu berufen. Die Klägerin ist spanische Staatsangehörige. Nach dem Vertrag über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - Beitrittsvertrag - (BGBl. II 1985, 1251) ist Spanien seit dem 1. Januar 1986 Mitglied der EG. Die Freizügigkeitsbestimmungen des EWG-Vertrages sind nach der Übergangsbestimmung des Art. 55 in Verbindung mit Art. 56 Abs. 1 des Beitrittsvertrages in vollem Umfang erst ab dem 1. Januar 1993 anwendbar. Während der Übergangszeit können nach Art. 56 Abs. 1 Satz 2 Beitrittsvertrag die innerstaatlichen oder auf bilaterale Abkommen zurückgehenden Bestimmungen beibehalten werden, die die Einreise zum Zweck einer Tätigkeit im Arbeitsverhältnis und/oder den Zugang zu einer solchen Tätigkeit von einer vorherigen Genehmigung abhängig machen. Gestattet ist demnach die Beibehaltung von Zugangsbeschränkungen zu einer Erwerbstätigkeit, nicht hingegen die Beibehaltung solcher Beschränkungen, die bei einer bereits bestehenden Erwerbstätigkeit zu einer mittelbaren Diskriminierung spanischer Staatsangehöriger führen.
3. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist kein Grund ersichtlich, Lektoren zwingend nur befristet zu beschäftigen. Die Vermittlung von Fremdsprachen ist eine Dauertätigkeit der Hochschulen, für die ein ständiger Bedarf an Lehrkräften besteht. Das HRG räumt den Hochschulen aus Gründen der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung und zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Forschung die Möglichkeit ein, Arbeitsverhältnisse zu befristen. Diese Gründe treffen auf Dienstleistungen, wie sie Lektoren erbringen, nicht zu. Das ermöglicht es, Lektoren, obwohl es sich bei ihnen um wissenschaftliches Personal handelt, auch unbefristet zu beschäftigen.
Art. 5 Abs. 3 GG wird dadurch nicht verletzt. Die Wissenschaftsfreiheit gewährt den in den Universitäten tätigen Wissenschaftlern einen grundgesetzlich gesicherten Freiraum zur wissenschaftlichen Betätigung, ohne näher zu regeln, in welcher Weise dies zu geschehen hat. Welche Vertragsformen für die jeweils im Lehrbetrieb einer wissenschaftlichen Hochschule tätigen Personen in Betracht kommen und zulässig sind, beurteilt sich infolgedessen nach den allgemeinen Bestimmungen und den hierzu entwickelten Grundsätzen. Die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist nicht schrankenlos gewährt. Sie steht im Spannungsverhältnis zu den aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Grundrechten der dort Beschäftigten. Denen gegenüber ist ihr nicht schlechterdings der Vorrang einzuräumen (BVerfGE 57, 70, 99); zu beachten sind auch die sich aus arbeitsrechtlichen Vorschriften ergebenden Bindungen (BAGE 38, 372, 382 f. = AP Nr. 67 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu III der Gründe, ständige Rechtsprechung).
4. Die beklagte Universität kann sich zur Rechtfertigung der Befristungsvereinbarung nicht darauf berufen, daß die Befristung einem laufenden kulturellen Austausch gedient hat.
Eine Befristung unter dem Gesichtspunkt des kulturellen Austauschs ist sachlich nur gerechtfertigt, wenn die konkrete Lektorenstelle dem internationalen Austausch von Hochschulabsolventen dient (BAGE 36, 179 = AP Nr. 59 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, ständige Rechtsprechung; zuletzt BAG Urteil vom 15. März 1995, aa0). Dazu bedarf es entsprechender Vereinbarungen mit ausländischen Hochschulen oder jedenfalls der Darlegung einer entsprechenden Verwaltungspraxis, woran es im vorliegenden Fall fehlt. Die Beklagte beruft sich in diesem Zusammenhang lediglich darauf, daß sie regelmäßig Lektorenstellen in der einschlägigen ausländischen Tagespresse ausschreibt. Dieser Vortrag ist jedoch unzureichend, da es darauf ankommt, daß die konkrete Lektorenstelle der Klägerin für einen internationalen Austausch vorgesehen ist und entsprechend bei Vertragsabschluß ausgewiesen war.
5. Das Landesarbeitsgericht hat auch nicht in verfahrensfehlerhafter Weise davon abgesehen, den Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG kann die Nichteinleitung eines Vorlageverfahrens nach Art. 177 EWG-Vertrag in einer auslegungsbedürftigen Frage des Europarechts den Parteien den gesetzlichen Richter - den EuGH - entziehen (BVerfG Beschluß vom 31. Mai 1990, BVerfGE 82, 159, 195). Eine Vorlagepflicht nach § 177 Abs. 3 EWG-Vertrag besteht ungeachtet weiterer Voraussetzungen nur für ein letztinstanzlich entscheidendes Hauptsachegericht (EuGH Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs 283/81 - EuGHE 1982, 3415, 3431 = AP Nr. 11 zu Art. 177 EWG-Vertrag). Schon daran fehlt es nach der Revisionszulassung durch das Berufungsgericht.
Eine Vorlagepflicht bestand auch nicht für den Senat, weil die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war und der Senat das Gemeinschaftsrecht in der vom EuGH gegebenen Auslegung bereits angewendet hat (vgl. zur Vorlagepflicht BAG Beschluß vom 20. Oktober 1993, BAGE 74, 352 = AP Nr. 90 zu § 37 BetrVG 1972).
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Weller Steckhan Schmidt
Kordus Peter Haeusgen
Fundstellen
Haufe-Index 441446 |
DB 1996, 1420-1421 (LT1) |
NZA 1996, 696 |
NZA 1996, 696-697 (LT1) |
RzK, I 9d Nr 35 (LT1) |
ZTR 1996, 376 (L1) |
AP § 57b HRG (LT1), Nr 4 |
AP, (L1) |
AR-Blattei, ES 380 Nr 17 (LT1) |
AfP 1996, 310 |
AfP 1996, 310 (L) |
ArbuR 1996, 194 (T) |
EuZW 1997, 256 |
EuZW 1997, 256 (L) |
EuroAS 1996, 74-75 (K) |
EzA § 620 BGB, Nr 135 (LT1) |
EzBAT, Lektoren Nr 10 (LT1) |
RiA 1996, 209-210 (LT1) |