Leitsatz (redaktionell)
Zu den Urkunden, die eine Restitutionsklage gegen ein eine Kündigungsschutzklage abweisendes Urteil begründen könnten, zählen weder ein Vernehmungsprotokoll über entlastende Zeugenaussagen nach Rechtskraft noch der nachfolgende Beschluß des Strafgerichts, die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen.
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 5. Juni 1997 – 5 (4) Sa 10/97 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der am 19. Januar 1958 geborene Kläger war seit 1994 als Erzieher mit der Hälfte der im BAT vorgesehenen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit zu einem Bruttogehalt von zuletzt 2.276,76 DM bei dem Beklagten beschäftigt. Er betreute zusammen mit seiner ebenfalls beim Beklagten, jedoch in Vollzeit als Sozialpädagogin beschäftigten Ehefrau Kinder in familienanaloger Form, wobei die Kinder im Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau lebten. Nachdem der Kläger in der Zeit vom 24. Juli bis 2. August 1995 wegen des Verdachts des sexuellen Mißbrauchs des Sohnes und der Tochter der Zeugen O. in Untersuchungshaft gesessen hatte, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 10. August 1995 fristlos und hilfsweise fristgerecht. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage wies das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein durch Urteil vom 15. August 1996 - 4 Sa 720/95 - unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung ab. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kündigung sei aufgrund des schwerwiegenden Verdachts des sexuellen Mißbrauchs von A. und P. O. gerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht ließ die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zu.
Am 30. Oktober 1996 wurden die Eheleute O. erstmals richterlich vernommen, und zwar uneidlich durch einen beauftragten Richter der II. kleinen Strafkammer des Landgerichts Kiel. Dabei relativierte die Zeugin U. O. ihre frühere Aussage hinsichtlich sexueller Mißbrauchshandlungen des Klägers. Der Zeuge B. O. gab bei dieser Vernehmung an, er habe keinerlei sexuelle Handlungen des Klägers an den Kindern gesehen. Bei den früheren polizeilichen Vernehmungen habe er das auch so ausgesagt, sei dann aber von Polizeibeamten angeschrien worden und habe nach Vorhalt der Aussagen der Kinder den Kläger belastet, weil er mit den Nerven runter gewesen sei.
Mit Beschluß vom 22. November 1996, mangels sofortiger Beschwerde der Staatsanwaltschaft rechtskräftig geworden am 11. Dezember 1996, lehnte die II. große Strafkammer des Landgerichts Kiel - II KLs 22/96, 568 Js 29221/95 StA Kiel - die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Kläger ab.
Der Kläger legte gegen das ihm am 27. November 1996 zugestellte, die Kündigungsschutzklage abweisende Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 15. August 1996 Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht mit Eingang vom 24. Dezember 1996 ein, die durch Beschluß vom 29. Januar 1997 - 2 AZN 1098/96 -, dem Kläger zugegangen am 12. Februar 1997, als unzulässig verworfen wurde. Die vorliegende Restitutionsklage vom 18. Dezember 1996 ging am 6. Januar 1997 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein ein.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, aus den richterlichen Vernehmungsprotokollen der Eheleute O. ergebe sich, daß die belastenden polizeilichen Aussagen dieser Zeugen vollumfänglich unzutreffend gewesen seien und ein begründeter Verdacht bezüglich seiner Person von vornherein nicht bestanden habe. Das neue Vernehmungsprotokoll sowie der die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnende Beschluß des Landgerichts Kiel vom 22. November 1996 seien die Restitution begründende Urkunden i.S. von § 580 Nr. 7 b ZPO. Ihre nachträgliche Errichtung stehe nicht entgegen, da angesichts der Art der Urkunden eine mißbräuchliche Errichtung ausgeschlossen sei und die Urkunden Rückschlüsse auf den für die Verdachtskündigung erforderlichen Tatverdacht im maßgeblichen Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung zuließen.
Der Kläger hat beantragt zu erkennen:
Das rechtskräftige Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 15. August 1996 - 4 Sa 720/95 - wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 10. August 1995 nicht beendet worden ist.
Der Restitutionsbeklagte wird verurteilt, den Beklagten (so die Restitutionsklage und der Tatbestand des LAG-Urteils; richtig der Revisionsantrag: Kläger) zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Restitutionsklage vom 18. Dezember 1996 als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise, die Restitutionsklage als unbegründet zurückzuweisen, ganz hilfsweise, dem Feststellungsantrag dahingehend, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 10. August 1995 nicht berücksichtigt (gemeint: beendet) worden sei, zurückzuweisen und den Weiterbeschäftigungsantrag zurückzuweisen.
Der Beklagte hat geltend gemacht, auch unter Berücksichtigung der Aussagen der Zeugen O. vom 30. Oktober 1996 bestehe ein dringender Tatverdacht; der Zeuge O. habe zwar seine früheren Aussagen als unrichtig bezeichnet, die Zeugin O. hingegen den Kläger auch bei dieser Vernehmung erheblich belastet; es habe lediglich wegen ihrer psychischen Situation und der entsprechenden Therapie ein entsprechender Verdrängungsprozeß eingesetzt mit der Folge, daß sie nichts beschwören könne. Die Monatsfrist zur Erhebung der Restitutionsklage sei hinsichtlich beider Urkunden versäumt; diese Urkunden stellten im Hinblick auf ihre Errichtung nach Schluß der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses keine Restitutionsurkunden dar, da sie in den Vorprozeß ohnehin nicht mehr hätten eingeführt werden können. Diese Urkunden seien auch nicht ausnahmsweise restitutionsbegründend, da sie keine allgemein bindenden Feststellungen enthielten und der Kläger die Eheleute O. zur Entkräftung der Vorwürfe bereits in den Tatsacheninstanzen des Vorprozesses als Zeugen hätte benennen können.
Das Landesarbeitsgericht hat die Restitutionsklage als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der zugelassenen Revision, mit der er seine Anträge weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Restitutionsklage sei innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist erhoben; maßgeblich für den Fristbeginn sei die erst am 11. Dezember 1996 eingetretene Rechtskraft des Beschlusses über die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch die II. große Strafkammer des Landgerichts Kiel; es könne zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß das früher entstandene Vernehmungsprotokoll vom 30. Oktober 1996 noch als Restitutionsurkunde herangezogen werden könne, da es in engem sachlichen Zusammenhang mit dem Beschluß des Landgerichts Kiel stehe. Jedoch stellten weder das Vernehmungsprotokoll noch der Beschluß des Landgerichts Kiel eine Urkunde im Sinne von § 580 Nr. 7 b ZPO dar. Grundsätzlich müsse die Urkunde, auf die die Restitutionsklage gestützt werde, schon zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozeß existiert haben. Ausnahmsweise könnten auch nachträglich errichtete Urkunden die Restitution begründen; Voraussetzung sei jedoch, daß die Urkunden sich auf Tatsachen bezögen, die bereits vor Schluß der mündlichen Verhandlung vorgelegen hätten. Hieran fehle es vorliegend, weil der Widerruf der belastenden Aussagen am 30. Oktober 1996 und die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens am 22. November 1996 erfolgt sei. Die Zulassung der Urkunden als Restitutionsgründe i.S.v. § 580 Nr. 7 b ZPO widerspräche auch den Grundsätzen der Rechtsprechung über die Verdachtskündigung. Nach Schluß der mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen entstandene Umstände könnten nur im Rahmen einer möglichen neuen Klage auf Weiterbeschäftigung bzw. Wiedereinstellung berücksichtigt werden.
II. Die Revision des Klägers gegen dieses Urteil bleibt ohne Erfolg. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die Restitutionsklage für unzulässig erachtet.
1. Die Klage ist rechtzeitig erhoben worden (§ 79 ArbGG, § 586 ZPO). Auch soweit sie sich auf das Vernehmungsprotokoll vom 30. Oktober 1996 stützt, bestehen insoweit keine Bedenken, weil das Urteil des Vorprozesses erst durch die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluß vom 29. Januar 1997 rechtskräftig geworden ist (vgl. § 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die rechtzeitig eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hatte gem. § 72 a Abs. 4 Satz 1 ArbGG aufschiebende Wirkung.
2. Die Unzulässigkeit der Restitutionsklage folgt aber daraus, daß die fraglichen, erst nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht über die Kündigungsschutzklage errichteten Urkunden keine Restitution begründen können.
a) Zur Zulässigkeit der Restitutionsklage gehört auch die Darlegung eines gesetzlichen Restitutionsgrundes; hingegen ist es eine Frage der Begründetheit der Restitutionsklage, inwieweit der Restitutionskläger mit dem Restitutionsgrund durchdringt (vgl. BAG Urteil vom 15. August 1984 - 7 AZR 558/82 - AP Nr. 13 zu § 12 SchwbG, zu I 5 der Gründe, m.w.N.; BGH in st. Rspr., vgl. Urteil vom 6. Juli 1979 - I ZR 135/77 - NJW 1980, 1000).
b) Zu den die Restitution begründenden Urkunden i.S.v. § 580 Nr. 7 b ZPO gehören nicht nur Urkunden mit formeller Beweiskraft i.S.d. §§ 415 ff. ZPO, sondern auch Urkunden, die für die zu beweisende Tatsache lediglich einen frei zu würdigenden Beweiswert haben (st. Rspr., vgl. BGH Urteil vom 7. November 1990 - IV ZR 218/89 - NJW-RR 1991, 380, 381, m.w.N.). Solche frei zu würdigenden Urkunden sind auch das Vernehmungsprotokoll und der Beschluß des Landgerichts; aus § 14 Abs. 2 Ziff. 1 EGZPO ergibt sich, daß die Zivilgerichte nicht an strafgerichtliche Urteile gebunden sind; sie müssen sich wie auch die Arbeitsgerichte eine eigene Überzeugung bilden, wobei die Verwertung einzelner Beweisergebnisse des Strafverfahrens wie etwa von Protokollen über Zeugeneinvernahmen im Wege des Urkundenbeweises zulässig ist, die Parteien aber das Recht haben, anstelle des Urkundenbeweises unmittelbare Zeugenbeweise anzutreten (BAG Urteil vom 26. März 1992 - 2 AZR 519/91 - AP Nr. 23 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, zu B II 4 a der Gründe).
c) Nach § 580 Nr. 7 b ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn eine Partei eine Urkunde auffindet, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Diese Möglichkeit kann jedoch nur bei Urkunden bestehen, die bei der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz des Vorprozesses überhaupt hätten vorgelegt und vom Gericht berücksichtigt werden können; § 580 Nr. 7 b ZPO findet daher grundsätzlich nur bezüglich solcher Urkunden Anwendung, die zum Zeitpunkt des früheren Verfahrens bereits existiert haben. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung (vgl. BAG Urteil vom 15. August 1984, aaO, zu I 5 b der Gründe; BGHZ 30, 60, 65; BGH Beschluß vom 14. November 1974 - VII ZB 25/74 - VersR 1975, 260; BGH Urteil vom 8. Februar 1984 - IV a ZR 203/81 - VersR 1984, 453, 455; BGH Urteil vom 6. Juli 1979 - I ZR 135/77 - NJW 1980, 1000, 1001; RGZ 123, 304, 305, m.w.N.) und wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Maßgeblich ist dabei der Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz des Vorprozesses (BGHZ 2, 245, 246) bzw. der Ablauf der Berufungsfrist beim nicht angegriffenen erstinstanzlichen Urteil (RGZ 123, 304, 306; BGHZ 2, 245, 246). Danach wären die vom Kläger für die Restitution angezogenen Urkunden keine gesetzlichen Restitutionsgründe, weil sie erst nach der Berufungsverhandlung vom 15. August 1996 entstanden sind; da an diesem Tag zugleich auch die Entscheidung verkündet wurde, hätte der Kläger diese Urkunde auch nicht mit einem Antrag auf Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung gem. § 156 ZPO einführen können (vgl. zur Restitution bei Auffinden einer Urkunde zwischen letzter mündlicher Verhandlung in der Berufungsinstanz und Urteilsverkündung BGHZ 30, 60, 65).
d) Ausnahmsweise ist auch eine nachträglich errichtete Urkunde als gesetzlicher Restitutionsgrund anzuerkennen; dabei ist der Kreis der nach § 580 Nr. 7 b ZPO zuzulassenden nachträglich errichteten Urkunden eng zu ziehen, weil mit der Restitution stets die nur ausnahmsweise zulässige Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils einhergeht (BAG Urteil vom 15. August 1984, aaO, zu I 5 b der Gründe; BGH Urteil vom 6. Juli 1979, aaO) und bei nachträglich errichteten Urkunden die Gefahr des Mißbrauchs besteht (BGHZ 2, 245, 246; BSG Urteil vom 20. Dezember 1962 - 3 RJ 85/55 - AP Nr. 6 zu § 580 ZPO, m.w.N.).
Danach hat die Rechtsprechung als Restitutionsgründe trotz nachträglicher Errichtung solche Urkunden anerkannt, die ihrer Rechtsnatur nach nicht im zeitlichen Zusammenhang mit den durch sie bezeugten Tatsachen errichtet werden und deshalb zwangsläufig Tatsachen beweisen, die einer zurückliegenden Zeit angehören, wie etwa Geburtsurkunden, aus denen sich dann die Empfängniszeit errechnen läßt (BGHZ 2, 245, 249; BGHZ 46, 300, 305). Einen solchen Restitutionsgrund kann auch ein nachträglicher Beischreibungsvermerk zu einer Geburtsurkunde darstellen, in dem die Legitimation eines Kindes als ehelich festgestellt wird (BGHZ 5, 157, 166). Zur Restitution führen kann auch ein nachträglich gem. § 30 Abs. 1 PStG eingetragener Beischreibungsvermerk zu einer Geburtsurkunde, wenn die Staatsanwaltschaft die Ehelichkeit des Kindes angefochten hat und ein die Unehelichkeit des Kindes bezeugendes Statusurteil ergangen ist (BSG Urteil vom 20. Dezember 1962, aaO), nicht jedoch dann, wenn der Restitutionskläger nach Unterliegen im Scheidungsverfahren selbst die Ehelichkeit erfolgreich angefochten und die Eintragung des entsprechenden Randvermerks erreicht hat (BGHZ 34, 77, 79). Als Restitutionsgrund anerkannt ist ferner der nach Rechtskraft eines klagabweisenden Kündigungsschutzurteils ergangene, die Schwerbehinderung zum Kündigungszeitpunkt feststellende Bescheid des Versorgungsamtes; auch hier besteht trotz nachträglicher Errichtung ein hoher Grad an Mißbrauch ausschließender Beweissicherheit, auch diese Urkunde hat Beweiskraft für zurückliegende Tatsachen (BAG Urteil vom 15. August 1984, aaO).
In diesem Zusammenhang rügt die Revision zu Recht die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die vom Kläger vorliegend für maßgeblich erachteten Urkunden bezögen sich nicht auf solche Tatsachen, die bereits vor Schluß der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses vorgelegen hätten. Der erforderliche Vergangenheitsbezug der Urkunden besteht darin, daß sie Auswirkungen auf den kündigungsrelevanten Verdacht haben. Sowohl das Vernehmungsprotokoll als auch der Beschluß des Landgerichts enthalten vergangenheitsbezogene Aussagen hinsichtlich des seinerzeitigen (Tat-)Verhaltens des Klägers. Wenn das Landesarbeitsgericht auf den Zeitpunkt der Zeugenaussagen und der gerichtlichen Beschlußfassung abstellt und die Rückbezüglichkeit verneint, so ist diese Betrachtungsweise unzulässig verkürzt. Auch der Beischreibungsvermerk über die Ehelichkeit des Kindes war später nach Heirat entstanden (BGHZ 5, 157), ebenso der Beischreibungsvermerk über die Nichtehelichkeit eines Kindes nach der Ehelichkeitsanfechtungsklage der Staatsanwaltschaft (BSG Urteil vom 20. Dezember 1962, aaO), wobei beide Vermerke eine vergangenheitsbezogene Aussage über die Abstammung des Kindes machen. Der die Schwerbehinderung rückwirkend feststellende Verwaltungsakt entstand ebenfalls erst nach sozialgerichtlicher Einholung eines Sachverständigengutachtens (BAG Urteil vom 15. August 1984, aaO). Der BGH hat auch ausdrücklich anerkannt, daß ein nachträglich erlassener Strafbefehl rückbezügliche Beweiskraft hat (Urteil vom 6. Juli 1979 - I ZR 135/77 - NJW 1980, 1000, 1001).
e) Die Revision ist jedoch gem. § 563 ZPO deshalb zurückzuweisen, weil sich die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es handele sich bei den vorgelegten Urkunden nicht um Restitutionsgründe i.S.v. § 580 Nr. 7 b ZPO, aus einem anderen Grunde als richtig erweist.
aa) Nach Rechtsprechung des BGH ist nämlich weder ein nachträglich ergangener Strafbefehl (BGH Urteil vom 6. Juli 1979, aaO) noch ein nachträglich ergangener Freispruch (BGH Urteil vom 8. Februar 1984 - IV a ZR 203/81 - VersR 1984, 453) eine die Restitution begründende Tatsache. Der BGH hat dies damit begründet, daß zwar etwa auch der Strafbefehl rückbezügliche Beweiskraft habe und die Gefahr einer mißbräuchlichen Benutzung oder Beschaffung gering sei, ihm jedoch die ausdrückliche formelle Beweiskraft der Personenstandsbücher und -urkunden (§§ 60, 66 PStG) fehle (BGH Urteil vom 6. Juli 1979, aaO; vgl. auch BGH Urteil vom 7. November 1990 - IV ZR 218/89 - NJW-RR 1991, 380). Das Bundesarbeitsgericht hat sich dem Argument der formellen Beweiskraft für den die Schwerbehinderung feststellenden Verwaltungsakt angeschlossen; dieser begründe als öffentliche Urkunde i.S.v. § 418 ZPO gegenüber jedermann den vollen Beweis der Schwerbehinderteneigenschaft (BAG Urteil vom 15. August 1984, aaO, zu I 5 der Gründe). Ein freisprechendes Urteil oder ein Strafbefehl hingegen binden ein anschließend befindendes Zivil- oder Arbeitsgericht gerade nicht; selbst bei rechtzeitiger Einbringung einer strafgerichtlichen Urkunde, etwa eines freisprechenden Urteils, in das noch laufende Kündigungsschutzverfahren hätte das Landesarbeitsgericht alle relevanten Verdachtsumstände selbst würdigen müssen und wäre nicht etwa wie bei der behördlichen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder wie bei einem die Nichtehelichkeit feststellenden Statusurteil gebunden gewesen. Ist somit sogar ein nachträglich ergangenes freisprechendes Urteil nicht mit der Beweiskraft und Bindungswirkung ausgestattet wie die genannten Personenstandsurkunden und der Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft, stellt auch ein nachträglich ergangener Gerichtsbeschluß über die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens keine Restitutionsurkunde i.S.v. § 580 Nr. 7 b ZPO dar.
bb) Gleiches gilt erst recht für das Protokoll über die nachträgliche Vernehmung der Zeugen O. Eine Urkunde, in der die Bekundung eines Zeugen oder Sachverständigen niedergelegt ist, hat in keinem Fall eine höhere, in der Regel eine geringere Beweiskraft als die unmittelbare Zeugenaussage selbst, weshalb die Zulassung derartiger Urkunden als Beweismittel dort nicht in Betracht kommt, wo die unmittelbare Zeugenvernehmung oder der unmittelbare Sachverständigenbeweis nicht zulässig ist, wie etwa bei der Restitutionsklage, die im Falle der Verletzung der Wahrheitspflicht des Zeugen gem. §§ 580 Nr. 3, 581 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nur bei dessen rechtskräftiger Verurteilung stattfindet (BAG Urteil vom 19. Oktober 1967 - 5 AZR 203/67 - AP Nr. 7 zu § 580 ZPO; BAG Urteil vom 9. September 1958 - 3 AZR 11/58 - AP Nr. 5 zu § 580 ZPO, zu I der Gründe; BGHZ 1, 218, 220; BGHZ 5, 157, 163; BGHZ 80, 389, 395; BGH Urteil vom 29. Februar 1984 - IV b ZB 28/83 - NJW 1984, 1543, 1544; BVerwG Beschluß vom 12. Mai 1966 - VIII C 125/64 - JZ 1967, 216; BVerwG Beschluß vom 15. September 1995 - 11 PKH 9/95 -, m.w.N., Juris). Dieses Erfordernis der rechtskräftigen Verurteilung würde umgangen, wenn man das Vernehmungsprotokoll als Restitutionsurkunde i.S.v. § 580 Nr. 7 b ZPO zuließe.
Offen bleiben kann damit, ob ihre Berücksichtigung auch schon gem. § 582 ZPO ausgeschlossen ist, weil der Kläger die Eheleute O. im Vorprozeß nicht als Zeugen benannt, sondern lediglich aus ihren Aussagen zitiert hat und die Beiziehung der Strafakten beantragt hatte. Im Prozeß um die Verdachtskündigung hat die Partei das Recht, anstelle der urkundsbeweislichen Verwertung von Zeugenaussagen Antrag auf unmittelbare Einvernahme zu stellen (BAG Urteil vom 26. März 1992, aaO, zu B II 4 a der Gründe).
3. Hat das Landesarbeitsgericht die Restitutionsklage somit im Ergebnis zutreffend gem. § 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, verbleibt es bei der Rechtskraft des angegriffenen Urteils des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 15. August 1996 - 4 Sa 720/95 - mit der Folge, daß über den Kündigungsschutz- und den Weiterbeschäftigungsantrag nicht mehr zu befinden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 437938 |
BB 1998, 1012 |
BB 1998, 376 |
DB 1998, 1524 |
DB 1998, 268 |
NJW 1999, 82 |
FA 1998, 126 |
FA 1998, 189 |
JR 1999, 131 |
NZA 1998, 726 |
RdA 1998, 253 |
ZTR 1998, 333 |
AP, 0 |
ArbuR 1998, 252 |