Entscheidungsstichwort (Thema)
13. Monatseinkommen. Tarifliche Ausschlußfrist
Orientierungssatz
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Ausschlußfristen in Tarifverträgen im allgemeinen so auszulegen, daß eine Ausschlußfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn die betroffene Forderung dem Grunde nach benennbar und wenigstens annähernd bezifferbar ist.
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 20. Mai 1998 - 17 Sa 155/97 - aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 1997 - 53 Ca 3899/97 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.950,56 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 24. Februar 1997 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung eines 13. Monatseinkommens für das Jahr 1996.
Der Kläger war seit 5. November 1984 bei der Beklagten als Baggerfahrer beschäftigt. Auf sein Arbeitsverhältnis fanden kraft beiderseitiger Tarifbindung der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 (BRTV) und der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27. April 1990 (TV 13. Monatseinkommen) Anwendung.
Mit Schreiben vom 14. August 1996 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. Oktober 1996. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Am 29. November 1996 schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich, in welchem sie sich darauf einigten, daß das Arbeitsverhältnis auf Grund fristgemäßer Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen zum 31. Oktober 1996 geendet habe. Dieser Vergleich wurde mangels Widerrufs durch eine der Parteien innerhalb der vereinbarten Widerrufsfrist mit Ablauf des 13. Dezember 1996 wirksam.
Der Kläger forderte mit Schreiben vom 2. Januar 1997, der Beklagten am 6. Januar 1997 zugegangen, diese auf, ihm ein anteiliges 13. Monatseinkommen gemäß dem TV 13. Monatseinkommen in Höhe von 3.950,56 DM brutto zu zahlen. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 9. Januar 1997 ab.
Mit seiner am 31. Januar 1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 24. Februar 1997 zugestellten Klage hat der Kläger von der Beklagten die Zahlung dieses anteiligen 13. Monatseinkommens verlangt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.950,56 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie beruft sich darauf, der geltend gemachte Anspruch sei gemäß § 16 BRTV verfallen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sein Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen für das Jahr 1996 ist nicht verfallen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet. Der Anspruch des Klägers auf das anteilige 13. Monatseinkommen sei gemäß § 6 Abs. 2 TV 13. Monatseinkommen am 31. Oktober 1996 mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig geworden. Gemäß § 16 BRTV hätte der Kläger seinen Anspruch daher bis spätestens 31. Dezember 1996 schriftlich geltend machen müssen. Deshalb sei die erstmalige schriftliche Geltendmachung durch das der Beklagten am 6. Januar 1997 zugegangene Schreiben vom 2. Januar 1997 verspätet. Dagegen könne der Kläger nicht einwenden, erst mit Ablauf der Widerrufsfrist des gerichtlichen Vergleiches am 13. Dezember 1996 habe der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses festgestanden. Nach § 6 Abs. 2 TV 13. Monatseinkommen hänge nämlich die Fälligkeit des Anspruches auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen allein von der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab und nicht davon, wann der Arbeitnehmer sicher wisse, wann das Arbeitsverhältnis beendet sei. Die wegen des geführten Kündigungsschutzprozesses bestehende Ungewißheit über das Ende des Arbeitsverhältnisses habe die Fälligkeit des Anspruches nicht hinausgeschoben.
Dem kann der Senat nicht folgen.
II. Der Anspruch des Klägers auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen für das Jahr 1996 gemäß § 2 Abs. 4 Buchst. a TV 13. Monatseinkommen ist fristgerecht nach § 16 Nr. 1 BRTV schriftlich geltend gemacht worden.
1. Diese Tarifnorm lautet:
"§ 16 Ausschlußfristen
1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
2. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens."
Der TV 13. Monatseinkommen i.d.F. vom 23. Juni 1995 lautet - soweit vorliegend von Interesse -:
"§ 2
13. Monatseinkommen
(1) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres (Stichtag) mindestens 12 Monate ununterbrochen besteht, haben Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen. ...
...
(4) Endet das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag und hat es im Zeitpunkt des Ausscheidens des Arbeitnehmers mindestens drei Monate ununterbrochen bestanden, so hat der Arbeitnehmer Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen, wenn das Arbeitsverhältnis entweder
a) durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers oder
b) durch Fristablauf oder
c) durch Kündigung des Arbeitnehmers, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen oder
d) im gegenseitigen Einvernehmen
beendet wird. ...
§ 6
Fälligkeit
...
2) Das 13. Monatseinkommen gemäß § 2 Abs. 4, gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 sowie § 5 Abs. 2 Buchst. b) ist mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. des Ausbildungsverhältnisses fällig; ...
..."
2. Bei dem Anspruch auf das anteilige 13. Monatseinkommen handelt es sich um einen Anspruch "aus dem Arbeitsverhältnis", der nach § 16 Nr. 1 BRTV innerhalb von zwei Monaten nach seiner Fälligkeit vom Kläger gegenüber der Beklagten schriftlich geltend zu machen war. Diese Frist hat der Kläger durch sein Geltendmachungsschreiben vom 2. Januar 1997, welches der Beklagten am 6. Januar 1997 zugegangen ist, gewahrt.
a) Grundsätzlich ist dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen, daß nach § 6 Abs. 2 TV 13. Monatseinkommen der Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen gemäß § 2 Abs. 4 TV 13. Monatseinkommen mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird (so auch: BAG Urteil vom 30. März 1989 - 6 AZR 769/85 - EzA § 4 TVG Ausschlußfristen Nr. 79 zu den entsprechenden Bestimmungen des TV 13. Monatseinkommen in der für das Jahr 1984 geltenden Fassung und BAG Urteile vom 22. September 1999 - 10 AZR 809/98 - und - 10 AZR 839/98 - n.v.). Demnach beginnt im Regelfalle mit diesem Zeitpunkt die zweimonatige Ausschlußfrist des § 16 Nr. 1 BRTV zu laufen, da diese Tarifnorm die schriftliche Geltendmachung eines Anspruches aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit des Anspruches verlangt.
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind aber Ausschlußfristen in Tarifverträgen im allgemeinen so auszulegen, daß eine Ausschlußfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn die betroffene Forderung dem Grunde nach benennbar und wenigstens annähernd bezifferbar ist (BAG Urteile vom 3. März 1993 - 10 AZR 36/92 - n.v.; vom 24. November 1984 - 3 AZR 596/82 - AP Nr. 89 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAGE 66, 29; 51, 308).
Vorliegend war der Kläger erst mit Ablauf der Widerrufsfrist für den gerichtlichen Vergleich vom 29. November 1996, also mit Ablauf des 13. Dezember 1996, in der Lage, seinen Anspruch auf das anteilige 13. Monatseinkommen dem Grunde und der Höhe nach zu benennen. Erst ab diesem Zeitpunkt stand für ihn der Beendigungszeitpunkt seines Arbeitsverhältnisses fest. Vom Datum der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses hing auch der Anspruch auf sein 13. Monatseinkommen dem Grunde und der Höhe nach ab. Bei einer rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund der von der Beklagten zum 31. Oktober 1996 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung stand dem Kläger ein anteiliger Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen gemäß § 2 Abs. 4 Buchst. a) TV 13. Monatseinkommen zu. Wäre die Kündigung hingegen rechtsunwirksam gewesen, so hätte sie zu keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem 30. November 1996 geführt, so daß der Kläger dann wegen des Bestandes seines Arbeitsverhältnisses an diesem Stichtag Anspruch auf ein volles 13. Monatseinkommen für das Jahr 1996 gemäß § 2 Abs. 1 TV 13. Monatseinkommen erworben hätte.
Der Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen nach § 2 Abs. 4 TV 13. Monatseinkommen unterscheidet sich nicht nur in der Höhe, sondern auch dem Grunde nach von einem Anspruch auf ein volles 13. Monatseinkommen gemäß § 2 Abs. 1 TV 13. Monatseinkommen.
Während jeder Arbeitnehmer, der am 30. November eines Kalenderjahres, dem sog. Stichtag, seit mindestens zwölf Monaten ununterbrochen in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, Anspruch auf das volle 13. Monatseinkommen erwirbt, entsteht beim Ausscheiden des Arbeitnehmers vor dem Stichtag ein anteiliger Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen nach dreimonatigem Bestand des Arbeitsverhältnisses nur beim Vorliegen besonderer weiterer Anspruchsvoraussetzungen. Einen anteiligen Anspruch erwirbt nach § 2 Abs. 4 Buchst. a) bis d) TV 13. Monatseinkommen nämlich nur derjenige Arbeitnehmer, der auf Grund ordentlicher Kündigung durch den Arbeitgeber, wegen Fristablaufs oder im gegenseitigen Einvernehmen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet bzw., der sein Arbeitsverhältnis gekündigt hat, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen.
Damit entstehen Ansprüche auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen und auf ein volles 13. Monatseinkommen auf Grund unterschiedlicher Anspruchsvoraussetzungen. Dies hat zur Folge, daß es sich auch um dem Grunde nach verschiedene Ansprüche handelt.
c) Der Kläger, dessen Arbeitsverhältnis durch die Beklagte zum 31. Oktober 1996 ordentlich gekündigt worden war, hatte demnach erst ab dem Zeitpunkt, in dem feststand, wann und auf welche Weise sein Arbeitsverhältnis beendet worden war, davon Kenntnis, welcher der beiden Ansprüche - anteiliges 13. Monatseinkommen gemäß § 2 Abs. 4 Buchst. a) oder volles 13. Monatseinkommen gemäß § 2 Abs. 1 TV 13. Monatseinkommen - ihm zustand. Erst ab diesem Zeitpunkt war es ihm auch möglich, seinen Anspruch dem Grunde und der Höhe nach zu benennen.
Da der Kläger diese Kenntnis erst mit Ablauf der Widerrufsfrist des gerichtlichen Vergleichs am 13. Dezember 1996 erwerben konnte, begann die zweimonatige Ausschlußfrist des § 16 Nr. 1 BRTV auch erst mit dem 14. Dezember 1996 zu laufen. Die schriftliche Geltendmachung seines Anspruchs auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen mit Schreiben vom 2. Januar 1997, der Beklagten am 6. Januar 1997 zugegangen, erfolgte innerhalb dieser tariflichen Ausschlußfrist.
d) Der Kläger hat auch die zweimonatige Klagefrist des § 16 Nr. 2 Satz 1 BRTV gewahrt, weil er mit seiner am 31. Januar 1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 24. Februar 1997 zugestellten Zahlungsklage innerhalb von zwei Monaten nach Ablehnung seines Anspruchs durch die Beklagte im Schreiben vom 9. Januar 1997 Klage auf Zahlung des anteiligen 13. Monatseinkommens beim Arbeitsgericht erhoben hat.
e) Ob bereits in der Erhebung der Kündigungsschutzklage durch den Kläger gegen die von der Beklagten zum 31. Oktober 1996 ausgesprochene ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses die schriftliche Geltendmachung seines Anspruchs auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen gesehen werden kann, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl.
BAGE 30, 135; BAG Urteil vom 21. Juni 1978 - 5 AZR 144/77 - AP Nr. 65 zu § 4 TVG Ausschlußfristen) können tarifliche Ausschlußklauseln, welche die schriftliche Geltendmachung der Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verlangen, durch Erhebung und Durchführung der Kündigungsschutzklage gewahrt werden, wenn es sich um Ansprüche handelt, die vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhängen. Wollte man diese Abhängigkeit für die streitgegenständliche Forderung bejahen und somit von einer schriftlichen Geltendmachung derselben durch Erhebung der Kündigungsschutzklage ausgehen, so hätte der Kläger seinen Anspruch ebenfalls rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht, da die zweimonatige Klagefrist des § 16 Nr. 2 Satz 1 BRTV dann erst mit rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens, d.h. mit Ablauf der Widerrufsfrist des gerichtlichen Vergleichs am 13. Dezember 1996, zu laufen begonnen hätte, so daß auch in diesem Falle die Klagefrist durch die am 31. Januar 1997 beim Arbeitsgericht eingegangene und am 24. Februar 1997 zugestellte Zahlungsklage gewahrt worden wäre, §§ 253 Abs. 1, 270 Abs. 3 ZPO.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Böck
MarquardMikosch Schaeff
Schwitzer
Fundstellen