Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Änderungskündigung zur Änderung des Tätigkeitsorts. Verhältnismäßigkeit. Ordentliche Änderungskündigung
Orientierungssatz
1. Eine Änderungskündigung ist wegen der mit ihr verbundenen Bestandsgefährdung unverhältnismäßig, wenn die erstrebte Änderung der Beschäftigungsbedingungen durch Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO möglich ist. Der mögliche Wegfall des Beschäftigungsbedarfs zu den bisherigen Bedingungen „bedingt” in diesem Fall nicht iSv. § 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine (Änderungs-)Kündigung. Hat der Arbeitnehmer das mit der Kündigung verbundene Änderungsangebot nicht unter Vorbehalt angenommen, ist auf seinen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist.
2. Der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann sich im Verhältnis zu seinem Vertragspartner nicht auf einen Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) berufen. Die Inhaltskontrolle schafft einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender, sie dient nicht dessen Schutz vor den von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, § 2 S. 1, § 4 S. 1; GewO § 106; BGB § 307 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 22.07.2015; Aktenzeichen 11 Sa 92/15) |
ArbG München (Urteil vom 16.12.2014; Aktenzeichen 43 Ca 561/14) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 22. Juli 2015 – 11 Sa 92/15 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.
Die Klägerin schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten unter dem 29. November/20. Dezember 1999 einen Arbeitsvertrag, in dessen Rubrum die damalige Anschrift der Arbeitgeberin in E aufgeführt war. In dem Vertrag heißt es:
„I. |
Besondere Vereinbarungen |
… |
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3. |
Derzeitiger Dienstsitz: s.o. |
… |
|
II. |
Allgemeine Vereinbarungen |
1. |
Beschäftigungsort, Versetzungsvorbehalt |
1.1. |
Tätigkeitsort sind die jeweiligen Geschäftsräume [der Arbeitgeberin]. |
1.2. |
[Die Arbeitgeberin] behält sich vor, dem Mitarbeiter bei unveränderten Bezügen im Rahmen des Unternehmens auch eine andere seiner Vorbildung und seinen Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit, eventuell auch nur vertretungsweise, an einem anderen Arbeitsplatz zu übertragen.” |
Im Jahre 2013 beabsichtigte die Beklagte, die Anzahl ihrer mittlerweile sechs Betriebsstätten auf zwei zu reduzieren. Die bisherigen Aufgaben sollten an den Standorten A und D fortgeführt werden. Die Beklagte erklärte gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 23. Dezember 2013, sie mache von ihrem Direktionsrecht Gebrauch und versetze sie zum 1. Februar 2014 nach A. Mit einem weiteren Schreiben vom selben Tag erklärte sie „höchst vorsorglich” die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 31. Juli 2014, verbunden mit dem Angebot, es nach Ablauf der Kündigungsfrist in A fortzusetzen. Die Änderung des Tätigkeitsorts in Ausübung des Direktionsrechts hielt die Beklagte später nicht mehr aufrecht.
Die Klägerin hat das mit der Kündigung unterbreitete Änderungsangebot nicht, auch nicht unter Vorbehalt angenommen und sich mit der vorliegenden Klage rechtzeitig gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die Änderungskündigung gewandt. Diese sei unverhältnismäßig. Es habe bereits aufgrund des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts die Möglichkeit ihrer Versetzung nach A bestanden.
Die Klägerin hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, sinngemäß beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23. Dezember 2013 nicht zum 31. Juli 2014 aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Arbeitsort sei vertraglich auf den Standort E festgelegt gewesen. Dies habe auch der übereinstimmenden Auffassung der Parteien im Zeitpunkt der Kündigung entsprochen.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen.
I. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum Zwecke der Änderung des Beschäftigungsorts der Klägerin war unverhältnismäßig und daher sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG.
1. Eine Änderungskündigung ist wegen der mit ihr verbundenen Bestandsgefährdung unverhältnismäßig, wenn die erstrebte Änderung der Beschäftigungsbedingungen durch Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitsgebers gemäß § 106 GewO möglich ist (BAG 6. September 2007 – 2 AZR 368/06 – Rn. 19; 24. Juni 2004 – 8 AZR 22/03 – zu II 1 der Gründe). Der mögliche Wegfall des Beschäftigungsbedarfs zu den bisherigen Bedingungen „bedingt” in diesem Fall nicht iSv. § 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine (Änderungs-)Kündigung. Hat der Arbeitnehmer – wie hier die Klägerin – das mit der Kündigung verbundene Änderungsangebot nicht unter Vorbehalt angenommen, ist auf seinen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Auf die Frage, wie es materiell und prozessual zu bewerten wäre, wenn der Arbeitnehmer ein entsprechendes Änderungsangebot unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG angenommen und Änderungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG erhoben hätte, kommt es im Streitfall nicht an.
2. Die Änderungskündigung der Beklagten vom 23. Dezember 2013 war in diesem Sinne unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG. Für das der Klägerin mit der Kündigung unterbreitete „Änderungsangebot” bedurfte es keiner Änderung der Vertragsbedingungen. Die mit der Änderungskündigung angestrebte Änderung des Beschäftigungsorts konnte die Beklagte durch die Ausübung ihres Direktionsrechts vornehmen.
a) Nach § 106 Satz 1 GewO darf der Arbeitgeber ua. den Ort der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit dieser nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt ist. Der Inhalt der einzelvertraglichen Regelungen ist durch Auslegung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Es ist insbesondere festzustellen, ob ein bestimmter Tätigkeitsort vertraglich festgelegt worden ist und welchen Inhalt ein ggf. vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat. Dabei macht es keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts der Arbeitsleistung verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 GewO vorbehalten bleibt oder ob der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, aber die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts vereinbart wird. In diesem Fall wird lediglich klargestellt, dass § 106 Satz 1 GewO gelten und eine Befugnis zur einseitigen Zuweisung eines anderen Arbeitsorts bestehen soll. Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Auf die Zulässigkeit eines darüber hinaus vereinbarten Versetzungsvorbehalts kommt es dann nicht an. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsort zu, so unterliegt dies der Ausübungskontrolle gemäß § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 BGB (BAG 28. August 2013 – 10 AZR 569/12 – Rn. 18 – 20; 26. September 2012 – 10 AZR 311/11 – Rn. 15 f., 19).
b) Die vertraglichen Regelungen enthalten keine das Direktionsrecht der Beklagten einschränkende Festlegung des Arbeitsorts. Dies ergibt deren Auslegung. Auf Reichweite und Wirksamkeit der im Arbeitsvertrag vereinbarten „Versetzungsklausel” (II. 1.2.) kommt es deshalb nicht an.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, bei den Bestimmungen des Arbeitsvertrags handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Revision erhebt insoweit keine Einwände.
bb) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist der Wortlaut eines Formularvertrags nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss (BAG 24. Februar 2016 – 5 AZR 258/14 – Rn. 28; 20. Juni 2013 – 8 AZR 280/12 – Rn. 18). Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten (BAG 7. Juli 2015 – 10 AZR 260/14 – Rn. 19, BAGE 152, 99; 25. August 2010 – 10 AZR 275/09 – Rn. 19, BAGE 135, 239). Ein übereinstimmender Parteiwille im Sinne einer gemäß § 305b BGB vorrangigen Individualabrede bleibt jedoch maßgeblich (BAG 13. April 2010 – 9 AZR 113/09 – Rn. 35; 19. März 2009 – 6 AZR 557/07 – Rn. 21; BGH 3. Dezember 2014 – VIII ZR 224/13 – Rn. 31; für die Berücksichtigung als Auslegungsgrundsatz hingegen BAG 15. September 2009 – 3 AZR 173/08 – Rn. 27). Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen unterliegt der vollen revisionsrechtlichen Überprüfung (BAG 9. Dezember 2015 – 7 AZR 68/14 – Rn. 14; 25. Juni 2015 – 6 AZR 383/14 – Rn. 23, BAGE 152, 82).
cc) In I. 3. des Arbeitsvertrags ist unter dem Begriff „Derzeitiger Dienstsitz” kein bestimmter Ort bezeichnet, sondern mit „s.o.” auf den vorstehenden Vertragsinhalt verwiesen. In diesem findet sich keine ausdrückliche Regelung eines Dienstsitzes. Aus Sicht eines verständigen, objektiven Vertragspartners kann dies daher nur die im Rubrum in Bezug genommene Adresse in E sein. Mit dem einschränkenden Zusatz „Derzeitiger” hat sich die Beklagte allerdings ausdrücklich die Möglichkeit einer anderweitigen Festlegung des Dienstsitzes vorbehalten. Ein verständiger Vertragspartner kann diese Regelung nicht als eine dauerhafte Fixierung des Beschäftigungsorts verstehen. Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht daraus, dass ihre Rechtsvorgängerin zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nur die eine Betriebsstätte in E unterhielt. Vielmehr kann die Bezugnahme auf die Adresse ihres einzigen Standorts verbunden mit der Beschränkung „Derzeitiger” objektiv nur so verstanden werden, dass eine Veränderung des gegenwärtigen Arbeitsorts möglich sein soll.
dd) Aus den Allgemeinen Vereinbarungen zum Beschäftigungsort in II. 1.1. des Arbeitsvertrags folgt nichts anderes. Die Regelung, Tätigkeitsort seien die „jeweiligen” Geschäftsräume der Arbeitgeberin, verweist ebenfalls darauf, dass diese sich ändern können. Eine Beschränkung auf in der Gemeinde E gelegene Geschäftsräume lässt sich der Bestimmung nicht entnehmen.
ee) Die in II. 1.2. des Arbeitsvertrags geregelte Versetzungsklausel führt zu keinem anderen Verständnis. Selbst wenn diese eine Änderung allein der Tätigkeit und nicht des Tätigkeitsorts „im Rahmen des Unternehmens” vorsehen sollte, ergäbe sich auch daraus nicht, dass der Arbeitsort – trotz der Formulierungen „derzeitig” (I. 3.) und „jeweilig” (II. 1.1.) – vertraglich auf E hätte fixiert sein sollen. Im Gegenteil spricht der Vorbehalt einer unternehmensweiten Übertragung einer anderen Tätigkeit zusätzlich gegen eine Festlegung des Tätigkeitsorts auf die gegenwärtige Betriebsstätte.
c) Für eine Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB ist kein Raum. Es bestehen aus den vorgenannten Gründen keine erheblichen Zweifel an der zutreffenden Auslegung.
d) Eine vertragliche Festlegung des Arbeitsorts der Klägerin ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus einer möglichen Intransparenz der vertraglichen Bestimmungen. Auf einen Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) kann sie sich als Verwenderin der von ihr gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Verhältnis zur Klägerin nicht berufen. Die Inhaltskontrolle schafft lediglich einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender, sie dient aber nicht dessen Schutz vor den von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen (BAG 27. Oktober 2005 – 8 AZR 3/05 – zu II 1 a der Gründe; BGH 2. April 1998 – IX ZR 79/97 – zu II 3 a der Gründe; 4. Dezember 1986 – VII ZR 354/85 – zu 3 b der Gründe, BGHZ 99, 160). Im Übrigen hätte ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nur die Unwirksamkeit der vertraglichen Bestimmungen zur Folge, was wiederum zur Anwendung der Regelung des § 106 Satz 1 GewO führte und der Beklagten damit ebenso die Möglichkeit eröffnet hätte, den Ort der Arbeitsleistung durch Weisung zu bestimmen.
e) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein übereinstimmender abweichender Parteiwille im Sinne einer gemäß § 305b BGB vorrangigen Individualabrede könne nicht festgestellt werden, hält jedenfalls im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Aus dem Sachvortrag der Parteien ergibt sich schon nicht, dass beide Parteien übereinstimmend bei Zugang der Kündigung von einer vertraglichen Festlegung des Arbeitsorts der Klägerin in E ausgegangen sind. Dagegen spricht zudem, dass die Beklagte sich für die beabsichtige Änderung des Beschäftigungsorts der Klägerin zuvörderst auf die Ausübung ihres Weisungsrechts gestützt und die im Streit stehende Änderungskündigung nur „höchst vorsorglich” erklärt hat. Es kann daher dahinstehen, ob bereits ein gemeinsamer Irrtum über den Vertragsinhalt auf eine vorrangige Individualabrede schließen ließe.
f) Auf den vom Landesarbeitsgericht außerdem herangezogenen Umstand, die Beklagte habe bei vergleichbarem Vertragswortlaut bereits in der Vergangenheit örtliche Versetzungen in Ausübung ihres Direktionsrechts vorgenommen, kommt es nicht an. Selbst wenn die Feststellung den Senat nicht bände, änderte dies weder etwas an dem objektiven Verständnis der Vertragsbestimmungen noch daran, dass keine davon abweichende Individualabrede der Parteien vorliegt.
II. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Unterschriften
Koch, Niemann, Rachor, Alex, Niebler
Fundstellen
Haufe-Index 9898390 |
BB 2016, 2867 |
DB 2016, 3053 |