Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund einer Schwerbehinderung. unterbliebene Beteiligung der Agentur für Arbeit nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, § 82 Satz 1 SGB IX. Nachfrage des Arbeitgebers zur Behinderung
Orientierungssatz
1. Wird die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Hinblick auf einen in § 1 AGG genannten Grund gerügt, sind nach § 22 Halbs. 1 AGG iVm. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG bei der Frage des Kausalzusammenhangs alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen.
2. Die Beweiskraft der vorgelegten Beweismittel ist nach den Regeln des innerstaatlichen Rechts zu beurteilen. Maßgebend für die Beweiswürdigung ist daher die freie Überzeugung des Tatsachengerichts gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßes des § 22 AGG. Es reicht aus, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lässt.
3. Besteht eine Benachteiligungsvermutung, trägt die andere Partei die Darlegungsund Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Auch dafür gilt § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, allerdings mit dem Beweismaß des sog. Vollbeweises.
4. In der Bewerbungssituation nachzufragen, welche Einschränkungen sich aus einer in den Bewerbungsunterlagen angegebenen Behinderung ergeben, ist nur unter der Voraussetzung unbedenklich, dass damit die Verpflichtung zu „angemessenen Vorkehrungen” (Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen [UN-Behindertenrechtskonvention – UN-BRK]) zum Tragen kommt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 2-3; AGG §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 S. 1, §§ 6-7, 15 Abs. 2, 4 S. 2, § 22; ArbGG § 61b Abs. 1; SGB IX § 81 Abs. 1 Sätze 1-2, § 82 S. 1; ZPO § 286 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 14.03.2013; Aktenzeichen 25 Sa 311/13) |
ArbG Berlin (Urteil vom 30.08.2012; Aktenzeichen 59 Ca 2570/12) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. März 2013 – 25 Sa 2304/12, 25 Sa 311/13 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG.
Der Kläger ist nach erfolgreichem Universitätsstudium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation Diplom-Kommunikationswirt. Zudem hat er an der Universität Island Business Administration studiert. Studienbegleitend war er als universitärer Tutor tätig und beriet Studierende über Studieninhalte. Im Jahr 2006 leitete er das Projekt „B” des B, mit dem ein Studierendenwettbewerb für Sozialmarketing durchgeführt wurde. Seit Januar 2009 ist er als freiberuflicher Kommunikationsberater tätig. Wegen einer Gehbehinderung ist er schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100.
Ende Oktober 2011 schrieb die beklagte Universität, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, für ihre Abteilung Gründungsservice die jeweils für die Dauer von zwei Jahren befristeten Stellen als Communitymanager/in und Gründungsberater/in aus. Voraussetzung war in beiden Fällen ein erfolgreich abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium oder das Vorhandensein gleichwertiger Fähigkeiten und Erfahrungen, betriebswirtschaftliches Verständnis oder Projektmanagementerfahrung, praktische Erfahrungen in den jeweiligen Aufgabenschwerpunkten sowie Begeisterung für die Förderung von Unternehmertum und Technologietransfer in der Universität. Beide Stellenausschreibungen enthielten den Hinweis „Schwerbehinderte werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt”. Es war jeweils eine Vergütung nach der EG 13 des Tarifvertrags zur Übernahme des TV-L für die Hochschulen im Land Berlin angegeben (mit einem Grundentgelt der ersten Stufe von monatlich jeweils 2.882,00 Euro brutto).
Die Beklagte veröffentlichte die Stellenausschreibungen auf ihrer Webseite und im Onlinemarkt der Wochenzeitung „D”. Sie nahm im Zusammenhang der beiden Stellenausschreibungen keine Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf und prüfte nicht die Möglichkeit der Besetzung der Stellen mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen (Prüf- und Meldepflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX). Der frei werdende und neu zu besetzende Arbeitsplatz wurde der Agentur für Arbeit entgegen § 82 Satz 1 SGB IX nicht gemeldet.
Mit Schreiben vom 7. November 2011 bewarb sich der Kläger auf beide Ausschreibungen. In seinem Schreiben hieß es ua.:
„Meine berufspraktischen Erfahrungen sowie der erfolgreiche Abschluss meines Studiums habe ich mit einer Schwerbehinderung erreicht, die weder meine geistige noch meine soziale Kompetenz beeinflusst. Dabei bin ich weder auf fremde Hilfe noch auf andere Hilfsmittel angewiesen.”
Nach einer Vorauswahl anhand der eingegangenen Bewerbungsunterlagen lud die Beklagte den Kläger als einen von acht Kandidat/inn/en für die Stelle als Communitymanager/in und als einen von neun für die Stelle als Gründungsberater/in zu zwei Gesprächsterminen am 25. und 30. November 2011 ein. Im jeweiligen Termin war zunächst ein 25-minütiger schriftlicher Test mit praktischen Fragen zum Aufgabenschwerpunkt zu absolvieren. Zudem fand im Verlauf der ca. 30-minütigen Gespräche je ein kurzes Rollenspiel zur Kommunikationsfähigkeit statt. An den Gesprächen – wie auch an der abschließenden Auswahl – nahmen neben der Leiterin der Abteilung Gründungsservice – Frau M – ua. ein Mitglied der bei der Beklagten gebildeten Schwerbehindertenvertretung teil. Im ersten Termin des Klägers wurde angesprochen, dass der Umzug der Abteilung Gründungsservice in ein Gebäude ohne Fahrstuhl mit Arbeitsräumen im ersten und zweiten Obergeschoss geplant sei.
Der Kläger erfuhr von dem für ihn erfolglosen Ausgang des Bewerbungsverfahrens durch eigene Nachfrage im Dezember 2011 (in der 50. Kalenderwoche). Die Stelle als Communitymanager/in erhielt eine Mitbewerberin; für die Tätigkeit als Gründungsberater/in wurden zwei Mitbewerberinnen in Teilzeitarbeit eingestellt, darunter eine mit einer Behinderung (GdB von 30). Mit Schreiben vom 10. Januar 2012 machte der Kläger gegenüber der Beklagten, die mit Schreiben vom 23. Januar 2012 antwortete, erfolglos Entschädigungsansprüche iHv. insgesamt 17.292,00 Euro (pro Stelle drei Bruttomonatsentgelte) geltend. Am 14. Februar 2012 reichte er seine Klage beim Arbeitsgericht ein.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Vermutung einer Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung ergebe sich bereits aus der Verletzung der Prüf- und Meldepflicht des § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX. Folglich gehe nach § 22 AGG die Beweislast auf die Beklagte über, die die von ihm vorgebrachten Indizien nicht widerlegt habe. Zudem seien durch Ablauf, Wortwahl und die Art und Weise des Gesprächs im Zusammenhang mit dem geplanten Umzug der Abteilung Gründungsservice in Obergeschosse eines Gebäudes ohne Fahrstuhl ausreichend Hilfstatsachen vorhanden, die zur Annahme einer Benachteiligung des Klägers wegen der Behinderung führten. Die Abteilungsleiterin habe ihn am Gesprächsende nach der Art seiner in den Bewerbungsunterlagen angegebenen Schwerbehinderung und der damit verbundenen Einschränkung gefragt. Er habe erwidert, dass es sich um eine Gehbehinderung handele, die ihn nicht einschränke. Nur beim Treppensteigen habe er Schwierigkeiten. Daraufhin sei eine ihn verunsichernde „Totenstille” eingetreten und er habe ergänzt, dass ein Aufzug für ihn hilfreich sei. Die Abteilungsleiterin habe sodann gefragt, wie er die im Haus des Bewerbungsgesprächs befindlichen Stufen „gepackt” habe. Er habe geantwortet, dass er Treppen steigen könne, wenn ein Geländer vorhanden sei. Nachdem daraufhin die Abteilungsleiterin gemeint habe, er brauche dann wohl keinen Aufzug, habe er sich erkundigt, ob seine Gehbehinderung ein Problem darstelle. Erst dann sei der anstehende Umzug der Abteilung einschließlich der zukünftigen Notwendigkeit des Treppensteigens erklärt worden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung zu zahlen, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch einen Betrag iHv. 17.292,00 Euro nicht unterschreiten sollte.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Behinderung des Klägers habe keine Rolle im Bewerbungsverfahren gespielt und der Verstoß gegen § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX sei nicht kausal für die Nichteinstellung des Klägers, der durch die Einladung zum und Teilnahme am Bewerbungsgespräch die gebotene Chance erhalten habe. Auf beide Stellen seien Personen eingestellt worden, die sich durch mehr Erfahrungen, Kompetenzen, konkrete Ideen in der Umsetzung und durch eine sehr gute Kommunikationsfähigkeit ausgewiesen hätten.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung iHv. 5.764,00 Euro verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Im Umfang ihres Unterliegens hat die Beklagte dagegen Berufung eingelegt; der Kläger hat mit seiner Anschlussberufung seine Forderung im Hinblick auf weitere 11.528,00 Euro nebst Zinsen verfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten hin die Klage insgesamt ab- und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Entschädigungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger habe keine ausreichenden Indizien für eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vorgetragen. Weder bei einer Einzel- noch bei einer Gesamtbetrachtung ergebe sich die vom Kläger behauptete Vermutungswirkung iSd. § 22 AGG.
Zwar sei die Verletzung der Prüf- und Meldepflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX grundsätzlich als Vermutungstatsache für einen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Behinderung geeignet. Jedoch liege im Streitfall keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme vor, die Beklagte als Arbeitgeberin sei an einer Bewerbung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert gewesen und habe möglichen Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen wollen. Dies zeige sich daran, dass der Kläger, dessen Schwerbehinderung aus dem Bewerbungsschreiben bekannt gewesen sei, mit den Einladungen zu beiden Vorstellungsgesprächen die Möglichkeit erhalten habe, die Beklagte von seiner persönlichen Eignung und Befähigung zu überzeugen. Die Beklagte habe zudem bei den im Internet der Öffentlichkeit zugänglichen Stellenausschreibungen ausdrücklich den Hinweis auf bei gleicher Eignung bevorzugte Einstellung schwerbehinderter Menschen gegeben und die Schwerbehindertenvertretung in den Prozess der Auswahlentscheidungen einbezogen.
Auch der vom Kläger behauptete Ablauf des ersten Bewerbungsgesprächs – der zu seinen Gunsten als wahr unterstellt werden könne –, insbesondere die von der Beklagten bestrittene Frage nach der Art seiner Schwerbehinderung, begründe keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die Behinderung des Klägers in dem Motivbündel der Auswahlentscheidung eine Rolle gespielt habe. Diese Frage sei vor dem Hintergrund des bevorstehenden Umzugs in ein Gebäude ohne Fahrstuhl offensichtlich auf die Klärung bezogen gewesen, ob und inwieweit seine körperliche Beeinträchtigung einem etwaigen Einsatz als Communitymanager entgegenstehen könne. Die abschließende Feststellung der Abteilungsleiterin, er brauche dann wohl keinen Aufzug, zeige, dass auch aus Sicht der Beklagten die Gehbehinderung des Klägers seinem Einsatz auf den ausgeschriebenen Stellen nicht entgegenstehe.
B. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand, sodass die Revision zurückzuweisen ist.
I. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Der Kläger ist als Bewerber Beschäftigter (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG) und die Beklagte Arbeitgeberin (§ 6 Abs. 2 Satz 1 AGG) iSd. AGG (vgl. ua. BAG 23. Januar 2014 – 8 AZR 118/13 – Rn. 17).
II. Die zweimonatige Geltendmachungs- und die im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch maßgebende dreimonatige Klagefrist (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG) sind eingehalten worden.
1. Dahinstehen kann dabei, ob dem Kläger bereits bei seiner eigenen Nachfrage im Dezember 2011 eine „Ablehnung” iSd. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG zugegangen ist.
a) Seinen Vortrag, er habe auf Nachfrage erfahren, eine für ihn negative Entscheidung sei getroffen worden, müsse jedoch noch „durch den Personalrat gehen”, haben die Vorinstanzen nicht weiter aufgeklärt oder gewürdigt. Es wurden auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob dem Kläger – wie er ausgeführt hat – tatsächlich keine letztliche Absage zugegangen ist.
b) Unterstellt, die Antwort auf seine telefonische Nachfrage in der 50. Kalenderwoche des Jahres 2011 (also von Montag dem 12. Dezember bis vermutlich Freitag dem 16. Dezember 2011), sei als Ablehnung iSd. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG aufzufassen, so wahrt seine per Telefax und einfacher Post erfolgte schriftliche Geltendmachung vom 10. Januar 2012 die Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG. Die am 14. Februar 2012 eingereichte Klage, der Beklagten am 23. Februar 2012 „demnächst” iSd. § 167 ZPO zugegangen, wahrt die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG.
2. Spätestens das Schreiben der Beklagten vom 23. Januar 2012 als Antwort auf seine Geltendmachung vom 10. Januar 2012 ist als Ablehnung iSd. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG zu verstehen. Jedenfalls die am 14. Februar 2012 eingereichte Klage wahrt sowohl die Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG als auch die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG.
III. Das Landesarbeitsgericht hat den geltend gemachten Entschädigungsanspruch ohne Rechtsfehler verneint. Die weniger günstige Behandlung des Klägers ist nicht wegen seiner Behinderung erfolgt.
1. Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG (zur Bezugnahme auf die Voraussetzungen in § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG – ohne die des Verschuldens nach § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG – vgl. BAG 16. Februar 2012 – 8 AZR 697/10 – Rn. 30; 17. August 2010 – 9 AZR 839/08 – Rn. 25; BVerwG 3. März 2011 – 5 C 16.10 – Rn. 14, BVerwGE 139, 135). Nach näherer Maßgabe des AGG sind Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund (hier: wegen einer Behinderung) in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu unselbstständiger Erwerbstätigkeit, einschließlich der Auswahlkriterien und der Einstellungsbedingungen, unabhängig vom Tätigkeitsfeld und von der beruflichen Position unzulässig (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Eine verbotene (§ 7 AGG)unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Bei einer Behinderung iSd. § 1 AGG (zum Begriffsverständnis ausführlich: BAG 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12 – Rn. 57 ff. mwN) kommt es auf einen bestimmten GdB nicht an (BAG 16. Februar 2012 – 8 AZR 697/10 – Rn. 32 mwN). Voraussetzung ist also nicht, wie beim Kläger jedoch gegeben, eine Schwerbehinderung iSv. § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB IX.
2. Der Nachteil des Klägers iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 7 AGG beim Zugang zu einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG) besteht in der Nichteinstellung.
3. Der Kläger hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer „vergleichbaren Situation” (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Diese Voraussetzung – deren Erfüllung das Landesarbeitsgericht letztlich dahinstehen gelassen hatte – liegt vor.
a) Die Feststellung einer unmittelbaren Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG setzt voraus, dass die gegeneinander abzuwägenden Situationen vergleichbar sind. Dabei müssen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Die Prüfung dieser Vergleichbarkeit darf nicht allgemein und abstrakt, sondern muss spezifisch und konkret erfolgen (zur Auslegung der übereinstimmenden Maßgabe in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG ua. EuGH 12. Dezember 2013 – C-267/12 – [Hay] Rn. 32 f. mwN; 10. Mai 2011 – C-147/08 – [Römer] Rn. 41 ff., Slg. 2011, I-3591; 1. April 2008 – C-267/06 – [Maruko] Rn. 67 ff., Slg. 2008, I-1757; ebenfalls BAG 7. Juni 2011 – 1 AZR 34/10 – Rn. 29, BAGE 138, 107). Der Vergleich der jeweiligen Situationen ist fallbezogen im Zusammenhang der jeweils streitgegenständlichen Benachteiligung zu bestimmen: Bezugspunkt kann das Ziel einer eine Ungleichbehandlung festsetzenden Regelung (EuGH 12. September 2013 – C-614/11 – [Kuso] Rn. 45 mwN), einer Leistung (EuGH 12. Dezember2013 – C-267/12 – [Hay] Rn. 33 mwN) oder einer sonstigen Maßnahme (EuGH 30. September 2010 – C-104/09 – [Roca Álvarez] Rn. 24 f., Slg. 2010, I-8661) sein. In jedem Fall darf die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte (hier bezogen auf die Richtlinie 2000/78/EG) nicht durch einen zu eng gefassten Vergleichsmaßstab praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert (Grundsatz der Effektivität) werden (ua. EuGH 16. Januar 2014 – C-429/12 – [Pohl] Rn. 23).
b) Vorliegend ist es nicht erforderlich, die Voraussetzungen der „vergleichbaren Situation” bezogen auf Bewerbungsverfahren und Auswahlentscheidungen im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG näher zu benennen. Nach Wortlaut, Eigenart und Ziel dieses Entschädigungsanspruchs werden auch Personen erfasst, die „bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden” wären. Für den Fall, dass der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, wird nicht der Anspruch ausgeschlossen, sondern lediglich die Entschädigungshöhe begrenzt (BAG 17. August 2010 – 9 AZR 839/08 – Rn. 29). Es muss nicht entschieden werden, wie weit oder eng damit die Anforderung einer vergleichbaren Situation im Zusammenhang des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG zu verstehen ist. Selbst bei einem auf Erfüllung einzelner Anforderungen der Stellenausschreibung bezogenem Verständnis der Maßgabe der „vergleichbaren Situation” iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt diese hier vor. Die Beklagte hat den Kläger in die engere Wahl einbezogen und ihn zu beiden Bewerbungsgesprächsrunden eingeladen. Damit ist sie davon ausgegangen, dass er die in den beiden veröffentlichten Stellenausschreibungen formulierten Anforderungen (jedenfalls iSv. § 82 Satz 3 SGB IX) erfüllt.
4. Der Kläger ist nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt worden.
a) Nach § 22 Halbs. 1 AGG iVm. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien (Richtlinie 2000/78/EG: Tatsachen) vorträgt, die ihre – hier unmittelbare – Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen (ua. BAG 26. September 2013 – 8 AZR 650/12 – Rn. 26; gleichbedeutend ua. EuGH 19. April 2012 – C-415/10 – [Meister] Rn. 37). Im Hinblick auf diesen Kausalzusammenhang (BAG 26. September 2013 – 8 AZR 650/12 – Rn. 25 mwN) sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (vgl. EuGH 25. April 2013 – C-81/12 – [Asociatia ACCEPT] Rn. 50; 19. April 2012 – C-415/10 – [Meister] Rn. 42, 44 f.; BAG 21. Juni 2012 – 8 AZR 364/11 – Rn. 33, BAGE 142, 158; 24. April 2008 – 8 AZR 257/07 – Rn. 44).
b) Innerhalb der damit vorzunehmenden Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts kommt es nach der Rechtsprechung des Senats auf Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts zum „Bestandteil eines Motivbündels” an. Die Beweiswürdigung ist nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Zugrundelegung des Beweismaßes des § 22 AGG vorzunehmen.
aa) Für die Vermutungswirkung des § 22 Halbs. 1 AGG ist es ausreichend, dass ein in § 1 AGG genannter Grund (oder mehrere) ein „Bestandteil eines Motivbündels” ist (sind), das die Entscheidung beeinflusst hat.
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die in Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG genannten „Merkmale” (ua. Geschlecht, Rasse, Behinderung) – bzw. in der Begrifflichkeit von § 1 AGG „Gründe” – nicht als Anknüpfungspunkt für eine (benachteiligende) rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden (BVerfG 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 1 BvL 10/91 – zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 85, 191). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende „Grund” das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Er muss nicht – gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder” des Verhaltens – handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; eine bloße Mitursächlichkeit genügt (BAG 26. September 2013 – 8 AZR 650/12 – Rn. 25).
So darf bei einer Entscheidung über eine Stellenbesetzung kein in § 1 AGG genannter Grund zu Lasten des Bewerbers/der Bewerberin berücksichtigt werden. Eine unzulässige Berücksichtigung wäre bereits dann gegeben, wenn in dem Motivbündel, das die Entscheidung des (potentiellen) Arbeitgebers beeinflusst hat, ein in § 1 AGG genannter Grund als negatives oder (sein Fehlen) als positives Kriterium enthalten ist (vgl. zu Art. 3 Abs. 2, Art. 3 Abs. 3 GG bzw. dem früheren § 611a Abs. 1 BGB: BVerfG 21. September 2006 – 1 BvR 308/03 – zu II 1 a der Gründe, BVerfGK 9, 218; 16. November 1993 – 1 BvR 258/86 – zu C I 2 d der Gründe, BVerfGE 89, 276; BAG 21. Juni 2012 – 8 AZR 364/11 – Rn. 32, BAGE 142, 158; 17. August 2010 – 9 AZR 839/08 – Rn. 31; 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03 – zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 109, 265; BGH 23. April 2012 – II ZR 163/10 – Rn. 37, BGHZ 193, 110).
(2) Der von Verfassungs wegen zu beachtende Maßstab zum „Bestandteil eines Motivbündels” ist auch unionsrechtskonform.
(a) Nach den betroffenen Richtlinien des Unionsrechts (25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/43/EG, 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78/EG, 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/54/EG; vgl. auch Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 2006/54/EG) steht es den Mitgliedstaaten frei, abweichend von den jeweiligen Richtlinienvorgaben für die klagende Partei günstigere (Beweislast-)Vorschriften (wozu auch eine günstigere Auslegung von § 22 AGG gehört) einzuführen oder beizubehalten. Zudem ist teilweise eine Absenkung des in den Mitgliedstaaten bereits bestehenden Schutzniveaus ausdrücklich untersagt (25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/43/EG, 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78/EG). Weiterhin sind die Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten zu bewerten (15. Erwägungsgrund der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG sowie 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/54/EG; EuGH 19. April 2012 – C-415/10 – [Meister] Rn. 37; 21. Juli 2011 – C-104/10 – [Kelly] Rn. 31, Slg. 2011, I-6813).
(b) Die Rechtsprechung zum „Bestandteil eines Motivbündels” ist für die klagende Partei mindestens gleich im Schutzniveau wie die genannten Vorgaben des Unionsrechts. Demgegenüber enthält das Unionsrecht kaum nähere Vorgaben zum „wie” der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. In älterer Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union wurde für den Kausalzusammenhang auf einen „wesentlichen Grund” (EuGH 5. Mai 1994 – C-421/92 – [Habermann-Beltermann] Rn. 14, Slg. 1994, I-1657; 8. November 1990 – C-177/88 – [Dekker] Rn. 10 und 17, Slg. 1990, I-3941) abgestellt. Zudem kommt es auf ein „stichhaltiges Indiz” (EuGH 25. April 2013 – C-81/12 – [Asociatia ACCEPT] – Rn. 51) an.
bb) Nach dem 15. Erwägungsgrund der hier maßgebenden Richtlinie 2000/78/EG sind bei der Beurteilung von Tatbeständen, die ua. auf eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung schließen lassen, die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten maßgebend. Die Beweiskraft der vorgelegten Beweismittel ist nach den Regeln des innerstaatlichen Rechts zu beurteilen (EuGH 21. Juli 2011 – C-159/10 und C-160/10 – [Fuchs und Köhler] Rn. 79, 82, Slg. 2011, I-6919; vgl. auch EuGH 25. April 2013 – C-81/12 – [Asociatia ACCEPT] Rn. 42 mwN). Maßgebend für die Beweiswürdigung ist daher die freie Überzeugung des Tatsachengerichts gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßes des § 22 AGG. Es reicht aus, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lässt (vgl. ua. BAG 15. März 2012 – 8 AZR 160/11 – Rn. 63; 17. Dezember 2009 – 8 AZR 670/08 – Rn. 19). Dabei haben die Gerichte darüber zu wachen, dass im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen, die Verwirklichung des mit der Richtlinie 2000/78/EG verfolgten Ziels nicht beeinträchtigt wird (EuGH 19. April 2012 – C-415/10 – [Meister] Rn. 42).
c) Besteht eine Benachteiligungsvermutung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (ua. EuGH 25. April 2013 – C-81/12 – [Asociatia ACCEPT] Rn. 55 mwN; 10. Juli 2008 – C-54/07 – [Feryn] Rn. 32, Slg. 2008, I-5187; BAG 26. September 2013 – 8 AZR 650/12 – Rn. 27). Auch dafür gilt § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, allerdings mit dem Beweismaß des sog. Vollbeweises.
Die dafür von Verfassungs wegen zu beachtende Rechtsprechung zum „Motivbündel” (vgl. oben Rn. 34 f.) ist für die klagende Partei nicht ungünstiger als die des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den einschlägigen Richtlinien. Nach Letzterer kann der (potentielle) Arbeitgeber im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung den Anschein einer Diskriminierung grundsätzlich mit einem Bündel übereinstimmender Indizien widerlegen (EuGH 25. April 2013 – C-81/12 – [Asociatia ACCEPT] Rn. 58). Gemäß der Rechtsprechung zum „Motivbündel” sind Tatsachen und Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als ua. die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben (grundlegend zu Art. 3 Abs. 2 GG und dem früheren § 611a Abs. 1 BGB bereits: BVerfG 16. November 1993 – 1 BvR 258/86 – zu C I 2 e der Gründe, BVerfGE 89, 276). In dem Motivbündel des (potentiellen) Arbeitgebers darf der betreffende Grund – hier die Behinderung – weder als negatives noch – die fehlende Behinderung – als positives Kriterium enthalten gewesen sein (BAG 24. Januar 2013 – 8 AZR 188/12 – Rn. 41; 16. Februar 2012 – 8 AZR 697/10 – Rn. 58).
d) Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene tatrichterliche Überzeugung ist nur beschränkt revisibel. Sie kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sich das Landesarbeitsgericht entsprechend diesem gesetzlichen Gebot mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (vgl. ua. BAG 27. März 2014 – 6 AZR 989/12 – Rn. 37; 26. September 2013 – 8 AZR 650/12 – Rn. 28).
e) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das Urteil des Landesarbeitsgerichts stand. Die Würdigung, dass der Kläger die ihm obliegende erste Stufe der Darlegungs- und Beweislastverteilung des § 22 AGG nicht erfüllt hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben erfolglos.
aa) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht nicht bereits allein wegen der Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX eine Benachteiligung wegen des in § 1 AGG genannten Grundes der Behinderung vermutet hat.
(1) Grundsätzlich kann aus der Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX die Vermutungswirkung des § 22 Halbs. 1 AGG abgeleitet werden (ua. BAG 26. September 2013 – 8 AZR 650/12 – Rn. 29; 21. Februar 2013 – 8 AZR 180/12 – Rn. 37 ff., BAGE 144, 275; 13. Oktober 2011 – 8 AZR 608/10 – Rn. 45; 17. August 2010 – 9 AZR 839/08 – Rn. 35). Diese Pflichtverletzung ist geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein und sogar möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen (BAG 13. Oktober 2011 – 8 AZR 608/10 – Rn. 47; 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 22, BAGE 119, 262).
(2) Allerdings sind entgegen der Auffassung des Klägers bei der Klärung der Frage, ob (genügend) Indizien vorliegen, um eine Benachteiligung iSd. AGG vermuten zu lassen, alle und nicht nur einzelne Umstände zu berücksichtigen. Für eine Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX gilt diesbezüglich keine Ausnahme im Sinne eines „Automatismus”. Das schließt nicht aus, dass bei anders gelagerten Gesamtumständen deren Würdigung dazu führen kann, dass allein eine solche Verletzung der Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX zu einem Entschädigungsanspruch iSv. § 15 Abs. 2 AGG führen kann.
bb) Unzutreffend ist die Auffassung des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe die Beweislastregelung des § 22 AGG nicht richtig angewandt, weil es eine „Kompensation” bzw. „positive Überlagerung” des Pflichtverstoßes (Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX) angenommen habe. Die erforderliche und vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts darf nicht mit einer – nicht möglichen – nachträglichen „Heilung” oder „Beseitigung” eines Verstoßes beispielsweise gegen § 82 Satz 2 SGB IX (vgl. BAG 22. August 2013 – 8 AZR 563/12 – Rn. 53 zu einer „Nacheinladung” nach bereits zuvor erfolgter Absage) verwechselt werden.
cc) Ebenfalls hält die weitere Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Auch in der Gesamtbetrachtung aller Umstände – der Verletzung der Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX und des zu Gunsten des Klägers als wahr unterstellten Gesprächsverlaufs im Zusammenhang mit dem geplanten Umzug der Abteilung Gründungsservice in Obergeschosse eines Gebäudes ohne Fahrstuhl – konnte es die erste Stufe der Darlegungs- und Beweislastverteilung des § 22 AGG als nicht erfüllt ansehen.
(1) Das trifft für die Würdigung zu, dass aus der erfolgten Verletzung der Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX in diesem Fall unter Einbeziehung aller Umstände nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden könne, die Beklagte wolle Bewerbungen von arbeitssuchenden (schwer)behinderten Menschen aus dem Wege gehen.
(a) Aus dem Text der Stellenanzeigen, der Einladung des nach den selbst eingereichten Bewerbungsunterlagen offensichtlich behinderten Klägers für beide Bewerbungsrunden und der Einbindung der Schwerbehindertenvertretung durfte das Landesarbeitsgericht ohne Weiteres den Schluss ziehen, dass eine Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung nicht ausreichend dargelegt ist.
(b) Soweit der Kläger meint, das Landesarbeitsgericht sei unzutreffend von einer „Einbeziehung” der Schwerbehindertenvertretung in den Prozess der Auswahlentscheidungen ausgegangen, während die Beklagte selbst nur eine Auswahlentscheidung „im Beisein” der Schwerbehindertenvertretung vorgetragen habe, ergibt sich nichts anderes. Das Landesarbeitsgericht hat zur „Einbeziehung” der Schwerbehindertenvertretung in den Prozess der Auswahlentscheidungen zwar verschiedene Begriffe benutzt („im Beisein”, „anwesend war” und „mit einbezogen”), diese jedoch erkennbar gleichbedeutend verstanden und verwendet: Es ging immer um den Gegensatz zu „nicht erst … nachträglich”.
(2) Auch das Gespräch zum Umzug in ein Gebäude ohne Fahrstuhl einschließlich des zu Gunsten des Klägers als wahr unterstellten Gesprächsverlaufs mit Nachfragen zu seiner Gehbehinderung zwang nicht zu einer anderen Bewertung.
(a) In der Bewerbungssituation nachzufragen, welche Einschränkungen sich aus einer in den Bewerbungsunterlagen angegebenen Behinderung ergeben, ist unter der Voraussetzung unbedenklich, dass damit die Verpflichtung zu „angemessenen Vorkehrungen” (Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen [UN-Behindertenrechtskonvention – UN-BRK]; zur mangelnden ausdrücklichen Umsetzung im AGG, zur Einbeziehung in § 8 Abs. 1 AGG und in der unionsrechtskonformen Auslegung von § 241 Abs. 2 BGB vgl. BAG 22. Mai 2014 – 8 AZR 662/13 – Rn. 42; 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12 – Rn. 53) zum Tragen kommt. Eine solche, besonderen Umständen geschuldete Nachfrage im Bewerbungsgespräch bezogen auf eine vom Bewerber selbst angeführte Schwerbehinderung ist nicht zu verwechseln mit der „Frage nach der (Schwer)behinderung” (dazu BAG 16. Februar 2012 – 6 AZR 553/10 – Rn. 11 ff., BAGE 141, 1) oder der Anerkennung als Schwerbehinderte(r) (dazu BAG 7. Juli 2011 – 2 AZR 396/10 – Rn. 17).
(aa) Die Verpflichtung zu „angemessenen Vorkehrungen” ist im Zusammenhang der Richtlinie 2000/78/EG auf die Beseitigung der verschiedenen Barrieren gerichtet, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behindern. Diese Verpflichtung wird dadurch begrenzt, dass keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung des (potentiellen) Arbeitgebers verlangt wird (vgl. EuGH 11. April 2013 – C-335/11 und C-337/11 – [HK Danmark, auch genannt „Ring, Skouboe Werge”] Rn. 49 ff., 66, 68; 11. Juli 2006 – C-13/05 – [Chacón Navas] Rn. 50, Slg. 2006, I-6467; BAG 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12 – Rn. 50 ff.). Dabei können im Rahmen des AGG auch Verpflichtungen aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 SGB IX (zu einer Frage im Bewerbungsgespräch bezogen darauf vgl. BAG 21. Februar 2013 – 8 AZR 180/12 – Rn. 54, BAGE 144, 275) und zur Gleichstellung und Barrierefreiheit nach dem Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) von Bedeutung sein.
(bb) Bei der Beurteilung einer solchen Nachfrage im Zusammenhang mit einer Behinderung ist sicherzustellen, dass die Verwirklichung des mit der Richtlinie 2000/78/EG verfolgten Ziels nicht beeinträchtigt wird (insoweit übertragbar ua. EuGH 19. April 2012 – C-415/10 – [Meister] Rn. 40). Die Frage muss deshalb einen objektiven – und wünschenswerterweise zu Beginn der Nachfrage darzulegenden – Anlass haben. Beispielsweise kann es um die Klärung gehen, ob ergänzende Maßnahmen der Herstellung von Barrierefreiheit dienen können, um die tatsächliche Arbeitsaufnahme zu ermöglichen, etwa der Einbau von weiteren Handläufen im Treppenhaus oder die Bereitstellung eines ebenerdigen Arbeitsraums außerhalb der Abteilung. Dabei ist es von der Würdigung der Umstände im Einzelfall abhängig, ob eine Frage im Hinblick auf einen Bedarf an Hilfsmitteln oder baulichen Maßnahmen ein Indiz für eine Benachteiligung wegen der Behinderung darstellt (vgl. zu einer vergleichbaren Frage im Zusammenhang von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 SGB IX ebenso BAG 21. Februar 2013 – 8 AZR 180/12 – Rn. 54, BAGE 144, 275).
(cc) Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt kein Verschulden oder gar eine Benachteiligungsabsicht voraus (ua. BAG 22. August 2013 – 8 AZR 563/12 – Rn. 37 mwN). Deshalb kann bereits ein lediglich „unglücklicher” Gesprächsverlauf einen Anspruch auf Entschädigung begründen.
(b) Danach ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht in der Nachfrage zu der Gehbehinderung des Klägers – den Vortrag des Klägers als zutreffend unterstellt – kein Indiz für eine Benachteiligung wegen der Behinderung gesehen hat. Dabei hat das Gericht den gesamten Vortrag des Klägers berücksichtigt und umfassend und widerspruchsfrei gewürdigt.
(aa) Zwar entspricht die vom Landesarbeitsgericht der Beklagten unterstellte „Fragerichtung” (ob und inwieweit die körperliche Beeinträchtigung einem etwaigen Einsatz als Communitymanager entgegenstehe) nicht den oben genannten Vorgaben von Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK und auch nicht den ähnlich gelagerten Vorgaben von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 SGB IX. Danach steht „ermöglichen” im Fokus, nicht „entgegenstehen”. Es ist gleichwohl nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht unter Zugrundelegung des gesamten vom Kläger geschilderten Gesprächsverlaufs kein Indiz gesehen hat, das eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vermuten lässt. Es hat dabei besonders bedacht, dass am Schluss des Gesprächs eine abschließende Feststellung der Abteilungsleiterin erfolgt sein soll, dass der Kläger „trotz seiner Gehbehinderung wohl keinen Aufzug benötige”, um in die im Obergeschoss gelegenen Büroräume zu gelangen. Das Landesarbeitsgericht hat dies dahin gehend gewertet, dass „auch aus Sicht der Beklagten die Gehbehinderung des Klägers seinem Einsatz auf den ausgeschriebenen Stellen nicht entgegenstand”. Diese Bewertung ist vertretbar und somit im Rahmen von § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu beanstanden.
(bb) Soweit der Kläger meint, sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sei verletzt (vgl. zu den Anforderungen der Darlegung: BAG 2. Mai 2014 – 2 AZR 490/13 – Rn. 26), weil das Landesarbeitsgericht seinen Sachvortrag zu Nachfragen zu seiner Schwerbehinderung übergangen habe, ist dies unbegründet. Dabei kann zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass sich seine Rügen nicht gegen tatbestandliche Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, sondern gegen den Weg richten, auf dem dieses seine Überzeugung gewonnen hat. Der Kläger übersieht bereits, dass das Landesarbeitsgericht ihm gestellte Fragen des zu seinen Gunsten unterstellten Gesprächsverlaufs nicht übergangen hat. So ist die Frage „was haben Sie genau?” in der Frage „nach der Art seiner Schwerbehinderung” enthalten. Auch die Nachfrage, wie er die Stufen „gepackt” habe, hat das Landesarbeitsgericht ausdrücklich wiedergegeben, nur mit dem Wort „bewältigt”. Tatsächlich setzt der Kläger lediglich seine eigene Würdigung der Situation an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts, ohne Verstöße gegen Erfahrungs- und/oder Denkgesetze oder eine Widersprüchlichkeit der Würdigung darzulegen. Das reicht nicht aus (vgl. auch BAG 2. Mai 2014 – 2 AZR 490/13 – Rn. 31; 13. Februar 2003 – 8 AZR 654/01 – zu II 5 der Gründe, BAGE 104, 358).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Hauck, Winter, Kiel, v. Schuckmann, Volz
Fundstellen