Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhegeld und tarifliche Ausschlußfristen
Leitsatz (amtlich)
Ansprüche auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung unterliegen nur dann tariflichen Ausschlußfristen, wenn sich dies eindeutig und unmißverständlich aus dem Tarifvertrag ergibt. Im Zweifel ist davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien Versorgungungsansprüche keinen tariflichen Ausschlußfristen unterwerfen.
Normenkette
TVG § 4 Ausschlußfristen; BetrAVG § 1 Gleichbehandlung; ZPO §§ 268, 565a
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes erwachsene Betriebsrentenansprüche der tariflichen Verfallfrist unterliegen.
Der am 6. Februar 1918 geborene Kläger war vom 20. Juli 1970 bis zum 28. Februar 1981 im Betrieb der Beklagten als Kraftfahrzeughandwerker beschäftigt. Seit dem 1. März 1981 bezieht er vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Der Kläger hat zunächst behauptet, die Beklagte habe ihm auf einem Sommerfest eine Betriebsrente zugesagt. Er hat im Wege der Stufenklage Auskunft über die Höhe der Zusage und Auszahlung verlangt. Das Arbeitsgericht München hat diese Klage abgewiesen, weil eine Zusage nicht erwiesen sei. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht München mit Urteil vom 29. Februar 1984 – 5 Sa 603/83 – die Beklagte zur Auskunftserteilung verurteilt. Es hat einen Anspruch aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes angenommen. Wegen des Zahlungsanspruchs hat es die Sache an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Auf Vollstreckung des Auskunftsanspruchs hat die Beklagte erklärt, sie schulde nichts.
Der Kläger hat behauptet, er habe sich die notwendigen Informationen über die betriebliche Altersversorgung von dritter Seite verschafft. Allen Arbeitnehmern, die zehn Jahre ehrlich und fleißig gearbeitet hätten, habe die Beklagte eine Betriebsrente von monatlich 150, -- DM zugesagt. Für die Zeit vom 1. März 1981 bis zum 31. Dezember 1982 könne er mithin 3.300,-- DM verlangen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 3.300,-- DM nebst 4 % Zinsen aus den seit dem 1. März 1981 fälligen monatlichen Teilrenten in Höhe von je 150,-- DM, fällig jeweils zum Monatsersten seit dem 1. März 1981 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gerügt, der Kläger habe seine Klage durch den Austausch der Anspruchsgrundlagen geändert. Der Kläger könne aber auch nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz keine Betriebsrente verlangen. Zumindest einem Viertel ihrer Belegschaft habe sie kein Ruhegeld zugesagt. Im übrigen seien Ansprüche nach § 21 Nr. 2 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer des Molkerei – und Käsereigewerbes in Bayern vom 29. September 1981 verfallen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe in unzulässiger Weise die Klage geändert. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger kann von der Beklagten für die Zeit vom 1. März 1981 bis zum 31. Dezember 1982 eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 150,-- DM verlangen.
1. Der Anspruch des Klägers folgt aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Das Landesarbeitsgericht hat sowohl im Urteil vom 29. Februar 1984 (5 Sa 603/83) als auch in der angegriffenen Entscheidung festgestellt, daß die Beklagte allen ihren Arbeitnehmern Versorgung zusage, wenn sie zehn Jahre in ihrem Betrieb ehrlich und fleißig arbeiteten. Diese Voraussetzungen habe der Kläger erfüllt. Sachliche Gründe, den Kläger anders zu behandeln als die übrigen Arbeitnehmer, habe die Beklagte nicht. Diese Ausführungen lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen.
Soweit die Beklagte gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Verfahrensrügen erhebt, hat der Senat sie geprüft, aber nicht für begründet erachtet (§ 565a Satz 1 ZPO). Nach § 268 ZPO findet eine Anfechtung der Entscheidung nicht statt, wenn das Berufungsgericht die Klageänderung zugelassen hat. Die Tatsachen, mit denen die Beklagte eine unzureichende Aufklärung des Sachverhaltes und eine zu Unrecht unterbliebene Parteivernehmung des Komplementärs rügen will, lagen nach ihrem eigenen Vorbringen allenfalls vor Erlaß des Urteils vom 29. Februar 1984 vor. Auf den geltend gemachten Verfahrensfehlern kann das angegriffene Urteil nicht beruhen.
2. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß die Versorgungsansprüche des Klägers nicht infolge Ablaufs der tariflichen Verfallfristen erloschen sind.
a) Nach § 21 MTV können Ansprüche aus unrichtiger Einstufung jeweils nur für einen bis zu sechs Monaten zurückliegenden Zeitraum geltend gemacht werden. Alle übrigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen. Von dieser Ausschlußfrist werden die zwischen den tarifgebundenen Parteien bestehenden Versorgungsansprüche nicht erfaßt.
b) Die Ausschlußfrist bezieht sich nicht auf das Stammrecht der betrieblichen Altersversorgung. Das Stammrecht kennt keinen Fälligkeitszeitpunkt, so daß schon nach dem Wortlaut die Ausschlußklausel keine Anwendung finden kann. Der Senat ist auch bisher immer davon ausgegangen, daß Versorgungsstammrechte nicht von tariflichen Ausschlußfristen erfaßt werden (BAG Urteil vom 12. Januar 1974 – 3 AZR 114/73 – AP Nr. 5 zu § 242 BGB Ruhegehalt-VBL, zu III der Gründe; BAGE 43, 188, 197 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu II 1 der Gründe).
c) Dem Landesarbeitsgericht ist darin zuzustimmen, daß § 21 MTV auch nicht die monatlich fällig werdenden Rentenansprüche erfaßt. Ob eine tarifliche Verfallklausel auch die monatlich fällig werdenden Ruhegeldansprüche erfaßt, muß jeweils durch Auslegung ermittelt werden.
Nach dem Wortlaut von § 21 MTV sind Ansprüche wegen unrichtiger Eingruppierung längstens binnen sechs Monaten geltend zu machen und alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten. Der Wortlaut läßt damit nicht erkennen, ob er sich auf solche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bezieht, die erst nach seiner Beendigung fällig werden. Auch aus dem Gesamtzusammenhang des Tarifvertrags sind insoweit keine sicheren Schlußfolgerungen zu ziehen. Soweit der Tarifvertrag Regelungen über die an Hinterbliebene zu zahlenden Übergangsgelder enthält, ist hieraus nichts für die Zahlung von Ruhegeldern zu entnehmen. Ebensowenig ist entgegen der Auffassung der Beklagten etwas daraus abzuleiten, daß die tarifliche Ausschlußklausel Sonderregelungen für die Fälle der fehlenden Abrechnung oder Stundungsvorschriften enthält.
Entscheidend kommt es deshalb auf den Zweck der tariflichen Ausschlußklausel an. Ausschlußklauseln haben den Zweck, im Arbeitsverhältnis fortwährend entstehende und zu erfüllende Ansprüche schnell erlöschen zu lassen. Nach Ablauf längerer Fristen ist im allgemeinen nicht mehr damit zu rechnen, daß eine Arbeitsvertragspartei noch auf abgeschlossene Vorgänge zurückkommt. Hinzu kommt, daß in aller Regel weit zurückliegende Umstände nicht mehr aufgeklärt werden können. Diese Zielsetzung trifft auf Ruhegeldansprüche nicht zu. Die Entstehungsvoraussetzungen des Versorgungsanspruchs werden vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesetzt. Liegen diese einmal vor, so stehen auch die einzelnen Raten fest und unterliegen nur noch in beschränktem Umfang der Änderung. Es besteht daher kein Bedürfnis, diese Ruhegeldraten kurzfristig erlöschen zu lassen. Hinzu kommt, daß der ausgeschiedene Arbeitnehmer vom Informationsfluß im Betrieb abgeschnitten ist. Für ihn ist es ungleich schwieriger als für einen aktiven Arbeitnehmer, sich die erforderlichen Kenntnisse zur Wahrung seiner Rechte zu verschaffen.
Der Senat ist daher in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß eine tarifliche Ausschlußklausel sich nur dann auf Ruhegeldraten bezieht, wenn die Tarifvertragsparteien dies im Tarifvertrag deutlich zum Ausdruck bringen (vgl. dazu BAG Urteil vom 13. Juli 1978 – 3 AZR 278/77 – AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Wartezeit; Urteil vom 29. November 1979 – 3 AZR 289/87 – AP Nr. 3 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Zusatzversorgung, zu II 1 der Gründe; BAGE 39, 166, 173 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Invaliditätsrente, zu 3 der Gründe; Urteil vom 19. April 1983 – 3 AZR 4/81 – AP Nr. 6 zu § 6 BetrAVG, zu II der Gründe; Urteil vom 18. Dezember 1984 – 3 AZR 168/82 – AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu 4 der Gründe; Urteil vom 19. Juli 1983 – 3 AZR 250/81 – BAGE 43, 188, 197 ff. = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu II der Gründe; BAGE 42, 180, 186 ff. = AP Nr. 11 zu § 70 BAT, zu II 2 der Gründe). Er hat Ausschlußklauseln bisher nicht auf Ruhegeldansprüche angewendet. Eine Ausnahme ist nur die Entscheidung vom 19. Juli 1983 betreffend § 16 BRTV-Bau (aaO). Ob hieran überhaupt festzuhalten ist, bleibt offen. Die Entscheidung enthält eine Divergenz zu der vorausgegangenen Entscheidung vom 19. April 1983 (aaO). Aus dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des Molkerei- und Käsereigewerbes in Bayern ergeben sich jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, daß Ruhegeldraten von der Ausschlußklausel erfaßt werden sollten.
Unterschriften
Dr. Heither, Schaub, Griebeling, Zieglwalner, Matthiessen
Fundstellen
Haufe-Index 438430 |
RdA 1990, 254 |