Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle (Rechtsmißbrauch)
Leitsatz (amtlich)
Hat ein Arbeitnehmer auf Befragen bei der Einstellung erklärt, er sei gesund, wird ihm dann aber auf einen zuvor gestellten Antrag nach Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Kur bewilligt, so kann der Arbeitgeber die während der Kur zu gewährende Lohnfortzahlung nicht als entstandenen Schaden geltend machen.
Normenkette
LFZG § 1 Abs. 1 S. 1, § 7; BGB § 394; ZPO § 850; SGB X § 115 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 08.11.1989; Aktenzeichen 1 Sa 438/89) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.12.1988; Aktenzeichen 15 Ca 398/88) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. November 1989 – 1 Sa 438/89 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin aus übergegangenem Recht (§ 115 Abs. 1 SGB X) Lohnfortzahlung schuldet.
Die Beklagte betreibt Arbeitnehmerüberlassung. Bei ihr war seit dem 11. April 1988 der am 12. März 1963 geborene H… A… zum Verleih an Drittfirmen als Lagerarbeiter gegen einen Stundenlohn von 11,-- DM zuzüglich Fahrtkosten- und Verpflegungszuschuß beschäftigt. Die Kündigungsfrist sollte zwei Wochen betragen.
Der Arbeitnehmer A… hatte im Jahre 1987 einen Unfall erlitten, an dessen Folgen er geraume Zeit arbeitsunfähig war. Auf Empfehlung seines Hausarztes beantragte er am 14. Januar 1988 bei der Klägerin eine Erholungskur und unterzog sich am 2. März 1988 einer Untersuchung durch den sozialärztlichen Dienst der Klägerin.
Bei der Einstellung legte die Beklagte dem Arbeiter A… einen Fragebogen vor, der u.a. die Fragen enthielt: “Sind Sie gesund?” Diese Frage beantwortete A… mit “Ja”. Der Inhalt eines zwischen ihm und dem Angestellten P… der Beklagten geführten Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Bescheid vom 14. April 1988 bewilligte die Klägerin A… die beantragte Kur. In dem Bewilligungsbescheid war die zuständige Kureinrichtung genannt. Am 7. Juli 1988 teilte A… der Beklagten mit, er werde am 13. Juli 1988 eine Kur antreten. Diese dauerte anschließend bis zum 24. August 1988. Am 28. Juli 1988 übersandte A… der Beklagten den Bewilligungsbescheid und die Einberufung der Kureinrichtung.
Nach der Kur nahm A… die Arbeit bei der Beklagten wieder auf. Vom 12. September bis zum 2. Oktober 1988 war er infolge Krankheit arbeitsunfähig. Während dieser Zeit kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. September 1988.
Da die Beklagte sich weigerte, an A… für die Zeit der Kur vom 13. Juli bis zum 24. August 1988 Lohnfortzahlung zu leisten, gewährte die Klägerin ihm Übergangsgeld in Höhe von 1.378,44 DM. Wegen dieses Betrages nimmt die Klägerin die Beklagte in Anspruch. Sie hat vorgetragen, die Beklagte hätte dem Arbeiter A… für Dauer der Kur den Lohn weiterzahlen müssen. Da sie wegen der Weigerung der Beklagten Übergangsgeld gewährt habe, sei der Lohnfortzahlungsanspruch A… in Höhe des von ihr gewährten Übergangsgeldes auf sie übergegangen.
Die Klägerin hat daher beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.378,44 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 2. November 1988 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat eine Pflicht, ihrem Arbeiter A… den Lohn weiterzuzahlen, bestritten und vorgetragen: Ihr Angestellter P… habe den Arbeiter A… am 11. April 1988 ausdrücklich noch einmal danach befragt, ob er gesund sei. Das habe A… bejaht. P… habe ferner erklärt, er, A…, müsse während des ersten halben Jahres des Arbeitsvertrages für den Einsatz bei einem bestimmten Drittunternehmen ständig zur Verfügung stehen. Daher könne ihm in dieser Zeit insbesondere kein Urlaub gewährt werden. A… habe erwidert, dem stehe nichts entgegen. Mit dieser Aussage habe A… sie getäuscht, weil er die bei der Klägerin beantragte Kur verschwiegen habe. A… sei zur Auskunft aber verpflichtet gewesen, nachdem man ihm deutlich gemacht habe, daß er während des ersten halben Jahres des Arbeitsverhältnisses sicher zur Verfügung stehen müsse. In diesem Verhalten A… sei ein Verschulden bei der Vertragsanbahnung zu sehen, das ihn zum Schadenersatz verpflichte. Der ihr entstandene Schaden bestehe im Betrag der Lohnfortzahlung für die Dauer der Kur. Weiter hat die Beklagte vorgetragen, sie habe das Arbeitsverhältnis mit A… absichtlich nicht gekündigt, als sie von ihm am 7. Juli 1988 erfahren habe, daß er demnächst eine Kur antreten werde. Hätte A… ihr bei dem Einstellungsgespräch mitgeteilt, daß er eine Kur beantragt habe, hätte sie seine Einstellung bis zu einem Zeitpunkt nach der Kur zurückgestellt.
Die Beklagte hat mit dem von ihr geltend gemachten Schadenersatzanspruch die Aufrechnung erklärt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das Landesarbeitsgericht hat einen auf die Klägerin nach § 115 Abs. 1 SGB X übergegangenen Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers H… A… aus § 7 Abs. 1 LFZG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG zu Recht bejaht. Das wird von der Revision auch nicht angegriffen. Weiter hat das Landesarbeitsgericht aber auch einen Schadenersatzanspruch der Beklagten im Ergebnis zutreffend verneint.
1. Bei dem Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle handelt es sich nicht um einen Lohnersatzanspruch, sondern um den aufrechterhaltenen Lohnanspruch des Arbeiters (BAG Urteil vom 20. August 1980 – 5 AZR 955/78 – AP Nr. 12 zu § 6 LohnFG). Dieser Anspruch unterliegt in gleicher Weise den Regeln, die für den Lohnanspruch maßgebend sind (so zutreffend Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., § 1 Rz 192). So kann auch gegen den Lohnfortzahlungsanspruch aufgerechnet werden. Voraussetzung ist jedoch, daß kein Pfändungsschutz (§ 850 ZPO) besteht (§ 394 Satz 1 BGB). Ob im Streitfall ein solcher Schutz gegeben sein könnte, bedarf jedoch keiner weiteren Prüfung, weil es bei der Beklagten bereits an einem zur Aufrechnung geeigneten Schadenersatzanspruch fehlt.
2. Die Beklagte will aus dem Verhalten des Arbeitnehmers A… bei den Vertragsverhandlungen einen Schadenersatzanspruch wegen Verletzung seiner Mitteilungspflicht herleiten.
Allerdings können bestimmte Mitteilungspflichten des Arbeitnehmers bestehen, und wegen Verletzung derartiger Pflichten kann ein Schadenersatzanspruch des Arbeitgebers entstehen (vgl. die Einzelheiten bei Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 25 III 2). So soll ein Arbeitnehmer verpflichtet sein, auch ohne besondere Frage den Arbeitgeber darüber zu unterrichten, daß er wegen einer bereits vorliegenden Krankheit außerstande ist, die Arbeit zum vereinbarten Arbeitsbeginn aufzunehmen (BAG Urteil vom 7. Februar 1964 – 1 AZR 251/63 – AP Nr. 6 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß). Weiter hat das Landesarbeitsgericht Berlin in einer (nur in Leitsätzen wiedergegebenen) Entscheidung vom 18. April 1978 – 3 Sa 115/77 – (BB 1979, 1145) vom Arbeitnehmer verlangt, daß er zumindest dann bei Einstellungsverhandlungen ungefragt seinen künftigen Arbeitgeber über ein unmittelbar bevorstehendes Heilverfahren unterrichten müsse, wenn es sich um ein zweckgebundenes, befristetes Arbeitsverhältnis handele. Ob den Arbeitnehmer A… im Streitfall eine entsprechende Mitteilungspflicht traf und ob er diese schuldhaft verletzt hat, kann indessen unerörtert bleiben, weil die Beklagte einen ihr dadurch entstandenen Schaden nicht hat darlegen können.
3. Die Beklagte war lediglich gehalten, die vom Gesetz statuierten Arbeitgeberpflichten aus dem unangefochten weiter bestehenden (d. h. weder durch Anfechtung noch durch Kündigung beendeten) Arbeitsverhältnis zu erfüllen. Die reine Erfüllung einer vom Gesetz bestimmten Verpflichtung kann aber keinen Schaden bedeuten. Von einem Schaden könnte bei der Beklagten nur gesprochen werden, wenn sie z. B. die Arbeiten, für die der Kläger eingestellt worden war, durch eine zusätzliche und höher zu bezahlende Ersatzkraft hätte verrichten lassen müssen, oder wenn sie etwa eine Vertragsstrafe hätte zahlen müssen, weil wegen des Ausfalls des Klägers Arbeiten nicht rechtzeitig hätten vollendet werden können. In dieser Richtung hat die Beklagte aber nichts vortragen können. Schon aus diesem Grunde ist die Entstehung eines über den gesetzlichen Tatbestand der Lohnfortzahlung hinausgehenden Vermögensnachteils, welcher rechtlich als Schaden qualifiziert werden könnte, zu verneinen. Ist der Beklagten aber kein Schaden im Rechtssinne entstanden, so kann sie gegenüber dem auf die Klägerin kraft Gesetzes übergeleiteten Lohnanspruch des Arbeitnehmers A… nicht mit einem Schadenersatzanspruch aufrechnen.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Kähler
Dr. Olderog ist dienstunfähig und deshalb an der Unterschrift verhindert.
Dr. Thomas
Prof. Dr. Krems ist an der Unterschrift verhindert, weil seine Amtszeit abgelaufen ist.
Dr. Thomas
Fundstellen
Haufe-Index 839221 |
NJW 1991, 2371 |
RdA 1991, 255 |