Entscheidungsstichwort (Thema)
Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG und Betriebsübergang. Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG. Betriebsübergang. Kündigung
Leitsatz (amtlich)
- Bei einem Betriebsinhaberwechsel sind die beim Betriebsveräußerer erbrachten Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG für eine vom Betriebsübernehmer ausgesprochene Kündigung zu berücksichtigen.
- Dies gilt auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs das Arbeitsverhältnis kurzfristig unterbrochen war, die Arbeitsverhältnisse aber in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen.
Orientierungssatz
- Ein früheres Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber ist auf die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen, wenn das neue Arbeitsverhältnis in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht.
- Wird das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers auf Grund einer vom Betriebsveräußerer erklärten Kündigung für zwei Tage (Sonnabend und Sonntag) rechtlich unterbrochen und mit dem Betriebserwerber danach in demselben Betrieb ohne Anrechnung der früheren Beschäftigungszeiten fortgesetzt, sind – dem Schutzzweck des § 613a Abs. 1 BGB entsprechend – die vor dem Betriebsinhaberwechsel liegenden Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Wartezeit in der Regel zu berücksichtigen.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1-2; BGB § 613a Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 11. April 2001 – 4 Sa 315/00 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die Weiterbeschäftigung des Klägers und über Annahmeverzugsansprüche.
Der Kläger war seit dem 1. August 1993 bei der K.… GmbH als Brenner beschäftigt. Mit Beschluß vom 30. November 1998 wurde über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet. Der Konkursverwalter kündigte sämtlichen Beschäftigten der Gemeinschuldnerin, dem Kläger zum 28. Februar 1999. Später verlängerte er dessen Kündigungsfrist bis zum 12. März 1999. Der Kläger erhob keine Kündigungsschutzklage.
Ab Januar 1999 wurden mit dem Geschäftsführer der jetzigen Beklagten P…. Kaufverhandlungen geführt. Am Vormittag des 10. März 1999 luden die Abteilungsvorgesetzten diejenigen Arbeitnehmer, die von der Beklagten weiterbeschäftigt werden sollten, zu einem Gespräch mit Herrn P.… am Folgetag ein. Am 12. März 1999 teilte der Konkursverwalter der Belegschaft mit, Herr P.… werde einige Arbeitnehmer übernehmen. Am gleichen Tag schloß der Konkursverwalter mit der Beklagten einen notariellen Kaufvertrag ua. über den Erwerb des Grundstücks der K.… GmbH mit Werksgebäude und Hofraum, über sämtliche Maschinen, das gesamte Anlagevermögen, die gesamte Betriebs- und Geschäftsausstattung inclusive des “showrooms” mit allen Mustern, sämtlichen Formen und Modellen zum Übergangsstichtag 15. März 1999, 0.01 Uhr. Die Beklagte trat ferner in sämtliche Kundenverträge und Bestellungen ein, erhielt das gesamte technische Know-how, sämtliche Unterlagen einschließlich der technischen Unterlagen und Pläne, Angebote und Aufträge, sowie Verträge und Geschäftskorrespondenz. Sie erwarb auch den Firmennamen “K.…”. Unter Buchst. H (Arbeitnehmer) trafen die Vertragsparteien folgende Regelung:
“H)
Arbeitnehmer
Die Erwerberin übernimmt die Arbeitnehmer, die in der Liste gem. Anlage 4 zu diesem Vertrag im einzelnen aufgeführt sind.
Mit diesen Arbeitnehmern wird die Erwerberin jeweils individuell neue Arbeitsverträge schließen.
Eine Gewähr dafür, daß die Arbeitnehmer gemäß Anlage 4 tatsächlich neue Verträge mit der Erwerberin abschließen, wird vom Verkäufer nicht gegeben.
Ansprüche der übernommenen Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis, insbesondere Ansprüche auf Lohn, Gehalt, Jahressonderzahlungen und Urlaubsgeld, werden zum Übertragungsstichtag abgegrenzt und bis zum Stichtag zeitanteilig von der Gemeinschuldnerin getragen.
- Der Käufer übernimmt nicht die in der Anlage 4a zur Urkunde aufgeführten Arbeitnehmer. Er verpflichtet sich jedoch, bei etwaigen Neueinstellungen diese Arbeitnehmer bei gleicher Qualifikation bevorzugt zu berücksichtigen.
Im übrigen verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung über den Übergang der Arbeitsverhältnisse gemäß § 613 BGB.”
In der Anlage 4a sind 40 Beschäftigte namentlich benannt, die nicht übernommen werden sollten. Die Anlage 4 führt weitere 29 Arbeitnehmer auf, die die Beklagte übernehmen wollte, darunter der Kläger (laufende Nr. 18 der Anlage 4).
Die Produktion in den Räumen der Firma K.…, insbesondere der Brennofen, lief während der gesamten Zeit, dh. auch am 12., 13., 14. und 15. März 1999, weiter. Der Kläger arbeitete zuletzt am 12. März (Freitag) und sodann wieder ab 15. März 1999 (Montag). Am 25. März 1999 schlossen die Parteien einen schriftlichen Arbeitsvertrag, in dem ua. in § 1 geregelt ist:
“§1 Beginn und Art der Tätigkeit
Der Arbeitnehmer wird alsBrenner eingestellt.
Das Arbeitsverhältnis beginnt ab 15.03.1999. Die ersten 6 Monate gelten als Probezeit. Während dieser Probezeit können die Vertragsparteien das Arbeitsverhältnis mit einwöchiger Frist kündigen.
Die Einstellung erfolgt auf Basis des Beschäftigungsförderungsgesetzes. Das Arbeitsverhältnis kann von beiden Seiten unter Einhaltung der normalen Kündigungsfristen ordentlich gekündigt werden. Der Arbeitgeber behält sich vor, dem Arbeitnehmer auch eine andere Tätigkeit in der Firma zuzuweisen, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht.”
In § 12 des schriftlichen Arbeitsvertrages ist weiter geregelt, daß
“im übrigen für das Arbeitsverhältnis ergänzend die Vorschriften der Arbeitsordnung vom 01.02.1999 (gelten) …”.
Als Vergütung haben die Parteien einen Bruttostundenlohn von 16,11 DM bei einer 40-stündigen Arbeitswoche vereinbart.
Mit Schreiben vom 23. Juli 1999 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis “in der Probezeit fristgerecht zum 06.08.1999”.
Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und seine Weiterbeschäftigung begehrt. Ferner hat er einen Anspruch aus Annahmeverzug für den Zeitraum 7. August bis 31. Dezember 1999 in Höhe von insgesamt 15.272,73 DM brutto nebst anteiligen Zinsen geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, es lägen keine Kündigungsgründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG vor. Auf Grund seiner Betriebszugehörigkeit seit 1983 sei das Kündigungsschutzgesetz anwendbar. Sein Arbeitsverhältnis sei im Rahmen eines Betriebsübergangs spätestens zum 12. März 1999 auf die Beklagte übergegangen. Die Beklagte habe spätestens zu diesem Zeitpunkt durch ihren Geschäftsführer die Leitungsmacht in dem Betrieb tatsächlich ausgeübt. So sei beispielsweise bereits ab 1. Februar 1999 eine von Herrn P.… verfaßte und mit detaillierten arbeitsvertraglichen Arbeitsanweisungen versehene Arbeitsanordnung angewandt worden.
Der Kläger hat zuletzt – soweit für die Revision noch von Interesse – beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Juli 1999 nicht beendet worden ist,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Brenner bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung weiterzubeschäftigen,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.472,73 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 25. August 1999 zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.400,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 29. Oktober 1999 zu zahlen und
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.400,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 23. November 1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags darauf verwiesen, das Arbeitsverhältnis des Klägers sei auf Grund der Kündigung vom 23. Juli 1999 zum 6. August 1999 wirksam beendet worden. Zum Zeitpunkt der Kündigung habe noch kein Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz bestanden. Das Arbeitsverhältnis zur Gemeinschuldnerin habe am 12. März 1999 geendet. Der Betrieb sei erst am 15. März 1999 übergegangen. Die Grundsätze der Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes bei Unterbrechung von Arbeitsverhältnissen seien hier nicht übertragbar, weil die Vertragsarbeitgeber nicht identisch seien.
Das Arbeitsgericht hat – soweit es für die Revision noch von Interesse ist – nach den Klageanträgen des Klägers erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung insoweit zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihre Klageabweisungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
- Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers sei unwirksam, weil das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung finde und die Kündigung schon auf Grund der fehlenden Mitteilung von Kündigungsgründen sozial ungerechtfertigt sei. Die Beklagte sei deshalb auch zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers als Brenner und zur Zahlung des begehrten Annahmeverzugslohns verpflichtet. Es liege jedenfalls per 15. März 1999 ein (Teil-) Betriebsübergang vor. Im Rahmen des § 1 Abs. 1 KSchG sei deshalb davon auszugehen, daß ein Arbeitsverhältnis zum gleichen Betrieb bzw. Unternehmen vorliege. Aus § 613a Abs. 1 BGB folge, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers beim selben Betrieb bestanden habe. Die rechtliche Unterbrechung von zwei Tagen stehe der Anrechnung nicht entgegen.
Dem folgt der Senat im Ergebnis und in weiten Teilen der Begründung.
Das Kündigungsschutzgesetz ist anwendbar, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers in demselben Betrieb ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat. Die bei der Gemeinschuldnerin zurückgelegte Beschäftigungszeit vom 1. August 1993 bis zum 12. März 1999 ist bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen. Die Beklagte hat keinen Kündigungsgrund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG dargetan. Da die Kündigung das Arbeitsverhältnis des Klägers deshalb nicht wirksam beendet hat, ist die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet und stehen dem Kläger ferner die geltend gemachten Verzugslohnansprüche zu.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Eylert, Claes, Bartz
Fundstellen
Haufe-Index 884267 |
BAGE 2004, 58 |
BB 2003, 583 |
DB 2003, 452 |
NJW 2003, 773 |
NWB 2003, 739 |
ARST 2003, 156 |
FA 2003, 114 |
FA 2003, 158 |
FA 2003, 91 |
NZA 2003, 145 |
SAE 2003, 325 |
StuB 2003, 384 |
ZAP 2003, 280 |
AP, 0 |
AuA 2003, 56 |
EzA-SD 2003, 12 |
EzA |
PERSONAL 2003, 60 |
ZInsO 2003, 193 |
AUR 2003, 37 |
ArbRB 2003, 69 |
RdW 2003, 340 |
BAGReport 2003, 68 |
SPA 2003, 3 |