Leitsatz (redaktionell)
1. Eine wirksame Anhörung nach Maßgabe des BetrVG § 102 Abs 1 setzt mindestens voraus, daß der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Person des Arbeitnehmers, dem gekündigt werden soll, bezeichnet, die Art der Kündigung (zB ordentliche oder außerordentliche), ggf auch den Kündigungstermin, angibt und die Gründe für die Kündigung mitteilt.
2. Zur Entgegennahme dieser Erklärungen ist im Grundsatz nicht jedes beliebige Betriebsratsmitglied berechtigt, sondern nur der Betriebsratsvorsitzende und im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter.
3. Eine ausdrückliche Aufforderung an den Betriebsrat, zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen, ist nicht vorgeschrieben. Sie liegt regelmäßig in der Mitteilung der Kündigungsabsicht.
4. Der Betriebsrat als Gremium muß, bevor die Kündigung erklärt wird, die Möglichkeit der Stellungnahme haben. Ein einzelnes Betriebsratsmitglied, auch der Vorsitzende oder sein Stellvertreter, kann nicht allgemein ermächtigt werden, die Stellungnahme des Betriebsrats zu einer Kündigung abzugeben. Teilt ein einzelnes Betriebsratsmitglied vor Ablauf der Erklärungsfristen des BetrVG § 102 Abs 2 dem Arbeitgeber eine Stellungnahme zu der vorgesehenen Kündigung zu einer Zeit mit, in der der Arbeitgeber weiß oder nach den Umständen annehmen muß, daß der Betriebsrat sich noch nicht mit der Angelegenheit befaßt hat, dann ist die Anhörung noch nicht vollzogen, eine daraufhin gleichwohl ausgesprochene Kündigung gemäß BetrVerfG § 102 Abs 1 unwirksam.
5. Eine wirksame Anhörung kann nicht mehr erfolgen, nachdem die Kündigung erklärt ist. Eine gleichwohl (nachträglich) eingeholte Stellungnahme des Betriebsrats kann die Unwirksamkeit der ohne vorherige Anhörung erklärten Kündigung nicht verhindern.
6. Der Senat neigt zu der Ansicht, daß es beim Anhörungsverfahren zumindest grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob der Arbeitgeber seinen Kündigungswillen erkennbar bereits abschließend gebildet hat.
7. Durch die nachträgliche Zustimmung des Betriebsrats zu einer ausgesprochenen Kündigung wird der Mangel der Anhörung nicht geheilt. Die Kündigung bleibt bei fehlender Anhörung unwirksam.
8. Die Unwirksamkeit gemäß BetrVerfG § 102 Abs 1 ist eine 13. für deren Geltendmachung die Klagefrist des KSchG § 4, § 13 Abs 1 nicht gilt.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 28.08.1973; Aktenzeichen 7 Sa 377/73) |
Fundstellen
Haufe-Index 437936 |
BAGE 26, 27-60 (LT1-8) |
BAGE, 27 |
BB 1974, 836 |
DB 1974, 1294 |
NJW 1974, 1526 |
BetrR 1974, 458 |
ARST 1974, 115 |
SAE 1975, 109-112 (LT1-8) |
WM IV 1974, 793 |
AP § 102 BetrVG 1972 (LT1-8), Nr 2 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung XIVC Entsch 33 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 530.14.3 Nr 33 (LT1-2) |
ArbuR 1975, 123 (LT1-8) |
EzA § 102 BetrVG 1972, Nr 8 |
MDR 1974, 786 |
PraktArbR BetrVG §§ 102-105, Nr 62 |