Entscheidungsstichwort (Thema)
Prämie an Nichtstreikende und tarifliches Maßregelungsverbot
Leitsatz (redaktionell)
Die Zusage einer Zulage an Arbeitnehmer nach Beendigung eines Arbeitskampfs allein dafür, daß sie sich an einem Streik nicht beteiligt haben, stellt eine unzulässige Maßregelung der streikenden Arbeitnehmer im Sinne des Maßregelungsverbots der Nr 1 der Vereinbarung vom 28. Februar 1989 zwischen dem Hauptverband der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie eV und der Industriegewerkschaft Medien, Druck und Papier dar.
Ein sachlicher Grund für die Zahlung einer Prämie nur an die Arbeitnehmer, die nicht am Streik teilgenommen haben, liegt vor, wenn alle Begünstigten während des Streiks Belastungen ausgesetzt waren, die erheblich über das normale Maß der mit jeder Streikarbeit verbundenen Erschwerungen hinausgehen.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.12.1991; Aktenzeichen 8 Sa 675/91) |
ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 24.04.1991; Aktenzeichen 5 Ca 180/91) |
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Zahlung einer Zulage, die diese nichtstreikenden Arbeitnehmern ihres Betriebes nach Beendigung des Arbeitskampfes in der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie 1990 gewährt hat.
Die Beklagte stellt in mehreren Werken in der Bundesrepublik Deutschland Papierprodukte her, u.a. auch im Werk Neuss. Während des Arbeitskampfes in der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie im Jahre 1990 wurde auch das Neusser Werk der Beklagten am 18. und 19. Juni 1990 bestreikt. Hieran nahm auch der als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigte Kläger teil.
Am 19. Juni 1990 schlossen die Tarifvertragsparteien den Lohnrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie, der am 1. Februar 1991 in Kraft trat. Gleichzeitig vereinbarten sie, daß das Maßregelungsverbot von 1989 gelten solle, das folgenden Wortlaut hat:
"1. Jede Maßregelung von Beschäftigten aus
Anlaß oder im Zusammenhang mit der Tarifbewe-
gung in der Papierverarbeitung 1989 unter-
bleibt oder wird rückgängig gemacht, falls
sie erfolgt ist.
2. Schadensersatzansprüche aus Anlaß oder im
Zusammenhang mit der Tarifbewegung ent-
fallen."
In der Folgezeit zahlte die Beklagte einem Teil der nichtstreikenden Arbeitnehmer des Betriebes eine Zulage in Höhe von 75,-- DM brutto. Außer den Angestellten hatten ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Liste am 18. Juni 1990 in der Nachtschicht sowie am 19. Juni 1990 in der Früh- und Spätschicht 31 gewerbliche Arbeitnehmer trotz des Streiks gearbeitet. Die in der Produktion beschäftigten 23 Arbeiter erhielten eine Prämie. Bei den von der Zahlung ausgenommenen acht Arbeitern handelt es sich um einen Kraftfahrer, drei Pförtner, eine Raumpflegerin, zwei Kantinenhelferinnen sowie eine Aushilfe. Mit Schreiben vom 25. Juni 1990 teilte die Beklagte den 23 gewerblichen Arbeitnehmern folgendes mit:
"Betr.: Anerkennung besonderer Leistung
Sehr geehrter Herr
Sie haben in anerkennenswerter Weise unter er-
schwerten Bedingungen eine besondere Leistung er-
bracht.
Wir möchten unserer Anerkennung zusätzlich mit
dem beigefügten 50 DM-Schein Ausdruck verleihen.
Zu Ihrer Information fügen wir an:
Da diese Zahlung der Lohnsteuerpflicht unter-
liegt, werden wir Ihnen mit der nächsten Abrech-
nung zusätzlich 75,-- DM brutto zuweisen, und
dann die 50,-- DM netto als bereits erhalten ab-
ziehen."
Im vorliegenden Rechtsstreit beansprucht der Kläger - im Rahmen eines sog. Pilotverfahrens für über 250 auch hiervon betroffene Mitarbeiter der Beklagten - unter Berufung auf das Senatsurteil vom 4. August 1987 (BAGE 56, 6 = AP Nr. 88 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) ebenfalls die Zahlung einer Zulage in Höhe von 75,-- DM brutto. Er meint, die Zahlung der Zulage an die nichtstreikenden Arbeitnehmer beinhalte eine unzulässige Maßregelung der streikenden Betriebsangehörigen mit der Folge, daß auch ihm eine Zulage auf der Grundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zustehe. Die Zahlung sei an alle gewerblichen Arbeitnehmer der Produktion erfolgt, unabhängig davon, ob sie wegen des Streiks unter erschwerten Umständen hätten arbeiten müssen oder nicht. Grund für die Zahlung sei erkennbar die Nichtteilnahme am Streik gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 75,-- DM
brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit
dem 8. März 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie habe die Prämie an die Arbeitnehmer gezahlt, die unter erschwerten Bedingungen eine besondere Leistung erbracht hätten. Die besondere Erschwernis ergebe sich daraus, daß die Schichten, die normalerweise mit 20 Mitarbeitern belegt seien, nur zur Hälfte besetzt gewesen seien. Hinzu komme, daß von den beschäftigten Mitarbeitern 19 normalerweise nicht in der Papierfabrik des Werkes Neuss der Beklagten beschäftigt würden bzw. mit anderen Tätigkeiten befaßt seien. So hätten die Meister der Papierfabrik sowie der verarbeitenden Betriebe des Werkes Neuss gearbeitet, ebenso die Kesselwärter, ein Staplerfahrer, der Fertigungstrainer und Techniker, die mit der Arbeit in der Papierfabrik nichts oder nur peripher etwas zu tun gehabt hätten. Für die anderen auch normalerweise in der Produktion beschäftigten Mitarbeiter ergäben sich die besonderen erschwerten Bedingungen daraus, daß sie mit ungeübten, nicht angelernten Kollegen die Papiermaschine hätten "fahren" und deshalb ständig auf der Hut sein müssen, daß die Papiermaschine lief und nicht beschädigt wurde. Der begünstigte Personenkreis sei im wesentlichen den gleichen zusätzlichen Belastungen und Erschwernissen ausgesetzt gewesen, so daß auch die gezahlte Zulage in gleicher Höhe hätte ausfallen müssen.
Es handele sich also nicht um eine Streikbruchprämie. Der begünstigte Personenkreis sei weder willkürlich noch aus unsachlichen Gründen festgelegt worden. Es liege kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vor, da sie mit der Prämie nicht in den Arbeitskampf eingegriffen habe. Schließlich sei die Prämie eine Woche nach der Arbeitsniederlegung ausgezahlt worden, ohne daß auch nur einem Arbeitnehmer vorher eine diesbezügliche Zusage gemacht worden sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann die Klage nicht abgewiesen werden. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 75,-- DM nebst Zinsen kann sich aus dem tarifvertraglichen Maßregelungsverbot in Verbindung mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben, wenn der Arbeitgeber ohne sachlichen Grund bei der Zahlung der Prämie nach der Streikteilnahme unterschieden hat. Ein sachlicher Grund für die Zahlung der Prämie nur an die Arbeitnehmer, die während des Streiks in der Produktion gearbeitet haben, kann in einer besonderen Belastung und erheblichen Erschwerung der Arbeit während dieser Zeit liegen, wenn diese über das normale Maß an Erschwerungen hinausgeht, die mit jeder Streikarbeit verbunden sind.
I. In der Entscheidung vom 4. August 1987 (BAGE 56, 6 = AP Nr. 88 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) hat der Senat in einem Falle, in dem der Arbeitgeber bei nahezu gleichlautendem tariflichem Maßregelungsverbot eine Zulage von 100,-- DM je Streiktag teils während, teils nach Beendigung des Arbeitskampfes an die Arbeitnehmer gezahlt hatte, die sich nicht am Streikgeschehen beteiligten, angenommen, die Leistungen verstießen gegen das tarifliche Maßregelungsverbot. Aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in Verbindung mit dem tarifvertraglichen Maßregelungsverbot hat der Senat den streikenden Arbeitnehmern in jenem Falle einen Anspruch auf Zahlung der Zulage in gleicher Höhe zuerkannt. Die von der damaligen Beklagten gegen das Senatsurteil eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluß vom 11. April 1988 - 1 BvR 1383/87 - AP Nr. 88 a zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 1988, 473).
Gegen die Senatsentscheidung vom 4. August 1987 (aaO) ist eingewandt worden, in der Zahlung einer echten "Streikbruchprämie" während des Arbeitskampfs sei ein zulässiges Arbeitskampfmittel zu sehen; der Arbeitgeber müsse die Wahl haben, ob er den Streik mit einer Aussperrung beantworte oder ob er versuchen wolle, möglichst viele Arbeitnehmer durch das Versprechen einer Prämie davon abzuhalten, an dem Streik teilzunehmen (so Belling, Anm. zu EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 70; ders., Die Zulässigkeit freiwilliger Sonderzahlungen als Mittel der Streikabwehr, NZA 1990, 214; von Hoyningen-Huene, Streikbedingte Sonderzuwendungen als Arbeitskampfmittel, DB 1989, 1466; Löwisch/Rumler, Anm. zu AR-Blattei (D) Arbeitskampf II Streik, Entsch. 29, 30; Konzen, SAE 1989, 22). Ein anderer Teil der Literatur (Staudinger/Richardi, BGB, 12. Aufl., Vorbem. zu §§ 611 ff. Rz 1279 und § 612 a Rz 9 und 14; MünchKomm-Schaub, BGB, 2. Aufl., § 612 a Rz 9; Däubler, Das Arbeitsrecht I, 11. Aufl. 1990, S. 304 und 336; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl. 1990, § 1 Rz 205; Däubler/Wolter, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 280 wx ff.) hält sog. "Streikbruchprämien" mit der Begründung für unzulässig, sie verstießen gegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG bzw. § 612 a BGB.
Im Urteil vom 17. September 1991 (- 1 AZR 26/91 - AP Nr. 120 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) hat der Senat dahingestellt sein lassen können, welcher Auffassung zu folgen sei, da er zu entscheiden hatte, ob Prämien gegen das (gleiche) tarifvertragliche Maßregelungsverbot verstoßen, wenn diese erst nach Beendigung des Arbeitskampfs zugesagt werden. In einem solchen Falle scheidet die Rechtfertigung der Prämie, die allein nach der Streikteilnahme unterscheidet, unter arbeitskampfrechtlichen Gesichtspunkten aus. Die abweichende Meinung von Rüthers/Heilmann (Anm. zum Urteil des LAG Köln vom 4. Oktober 1990 - 10 Sa 629/90 - LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 39, unter III), die allein mit den Schwierigkeiten der Feststellung des Arbeitskampfendes begründet wird, kann vernachlässigt werden. Ähnliche Schwierigkeiten kann es beispielsweise auch bei der Feststellung des Beginns oder Endes einer Kampfbeteiligung geben, dennoch geht auch Rüthers davon aus, daß die Suspendierung der Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis auf die Dauer der Kampfbeteiligung begrenzt ist.
In der Entscheidung vom 17. September 1991 (aaO) hat der Senat ausgeführt, daß die Unterscheidung nach der Streikbeteiligung bei der Zusage von freiwilligen Leistungen nach Beendigung des Arbeitskampfes dann gegen das tarifvertragliche Maßregelungsverbot verstößt, wenn die Differenzierung nicht durch einen sachlichen Grund, zu denken sei an besondere Belastungen der arbeitenden Arbeitnehmer während des Arbeitskampfs, gerechtfertigt ist.
II.1. An dieser Rechtsprechung wird festgehalten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung der Prämie von 75,-- DM, wenn die Beklagte bei der Gewährung der Zulage allein nach der Streikbeteiligung unterschieden hat, den Arbeitern, die in der Produktion während des Streiks weitergearbeitet haben, allein hierfür eine Zulage gewährt hat. In diesem Falle hat die Beklagte gegen das tarifvertragliche Maßregelungsverbot verstoßen. Die Beseitigung einer Maßregelung kann nur dadurch geschehen, daß den streikenden Arbeitnehmern die gleiche Zahlung gewährt wird (BAGE 56, 6 = AP Nr. 88 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).
2. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe mit der Zahlung der Prämie an den begünstigten Personenkreis nicht nur nach der Teilnahme am Streik unterschieden, so daß dem Kläger aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in Verbindung mit dem tarifvertraglichen Maßregelungsverbot bzw. § 612 a BGB auch kein Anspruch auf Zahlung einer Zulage in gleicher Höhe zustehe. Die Zahlung sei wegen der besonderen Erschwernisse, unter denen die Arbeit an den Streiktagen von den Begünstigten hätte verrichtet werden müssen, gezahlt worden. Die normalerweise mit 20 Mitarbeitern besetzten Schichten seien nur mit 10 Mitarbeitern besetzt gewesen. Einige der Mitarbeiter seien normalerweise nicht in der Papierfabrik beschäftigt, andere hätten während des Streiks Tätigkeiten ausgeübt, die sie sonst nicht auszuführen hätten. Für die Mitarbeiter, die ihrer "normalen" Tätigkeit nachgegangen seien, hätten sich die besonderen erschwerten Bedingungen daraus ergeben, daß sie mit ungeübten Kollegen die Papiermaschine hätten bedienen müssen.
3. Diese Feststellungen des Landesarbeitsgerichts rechtfertigen noch nicht den Schluß, die Prämie sei eine Leistungszulage, so daß mit ihr keine Diskriminierung der Streikenden verbunden sei.
a) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, der Arbeitgeber sei darin frei, den Personenkreis abzugrenzen, dem er freiwillige Leistungen zukommen lassen will, also Gruppen zu bilden, wenn diese Gruppenbildung nicht willkürlich, sondern sachlich gerechtfertigt und rechtlich zulässig ist (BAG Urteil vom 10. März 1982, BAGE 38, 118 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Die sachliche Rechtfertigung dieser Gruppenbildung kann nur am Zweck der freiwilligen Leistung des Arbeitgebers gemessen werden (BAGE 33, 57 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung und von da an in ständiger Rechtsprechung).
b) Der Arbeitgeber muß den Grund für eine unterschiedliche Behandlung seiner Arbeitnehmer offenlegen, wenn er bei Sonderzuwendungen nicht alle gleichmäßig bedenkt. Der benachteiligte Arbeitnehmer wird ohne eine solche Offenbarung der Differenzierungsgründe häufig nicht in der Lage sein, sich darüber ein Bild zu machen, ob er gerecht behandelt wurde (BAGE 33, 57 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 36, 187 = AP Nr. 117 zu Art. 3 GG; zuletzt Urteil des Dritten Senats vom 12. November 1991 - 3 AZR 489/90 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Vielfach wird sich der Grund einer Ungleichbehandlung bereits aus dem erkennbaren Zweck einer Leistung oder aus deren Ausgestaltung ergeben. Wenn der Grund einer Ungleichbehandlung sich nicht schon aus dem erkennbaren Zweck der Leistung ergibt oder der Arbeitgeber mit seiner Leistung nicht ohne weiteres erkennbare Ziele verfolgt, muß dies dargelegt und unter Umständen auch vorher verlautbart werden (BAGE 33, 57, 63 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu II 4 b der Gründe). Ergibt sich aus der Ausgestaltung der Leistung, daß es deren Zweck war, die Nichtteilnahme am Streik durch eine Zulage zu vergüten, trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß die Zulage nicht nur als "Streikbruchprämie", sondern als "Leistungsprämie" gezahlt werden sollte (vgl. Belling, Anm. zu EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 70, unter III 2 a).
4.a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, vorliegend habe die Beklagte bei der Zusage der Prämie nicht nach der Streikbeteiligung unterschieden; die Prämie sei vielmehr allen - und nur diesen - Arbeitnehmern gezahlt worden, die in der Produktion während des Streiks erschwerten Arbeitsbedingungen ausgesetzt gewesen seien. Richtig daran ist, daß die Beklagte acht gewerblichen Arbeitnehmern, die nicht in der Produktion eingesetzt waren (einem Kraftfahrer, drei Pförtnern, einer Raumpflegerin, zwei Kantinenhelferinnen und einer Aushilfe) keine Prämie gezahlt hat, obwohl sie während des Streiks gearbeitet haben. Dies spricht aber nur dann gegen einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot bei der Zusage einer Prämie an die in der Produktion während des Streiks arbeitenden gewerblichen Arbeitnehmer, wenn - wie die Beklagte vorgetragen hat - alle Arbeitnehmer, die während des Streiks in der Produktion arbeiteten, auch tatsächlich besonderen Belastungen ausgesetzt waren. Haben dagegen in der Produktion auch Arbeiter eine Prämie erhalten, die während des Streiks nicht unter erschwerten Bedingungen arbeiten mußten, spricht das dafür, daß die Beklagte bei der Gruppenbildung für die Zulagen von vornherein nur die in der Produktion tätigen Arbeitnehmer berücksichtigen wollte, weil nur diese miteinander vergleichbar waren (vgl. hierzu BAGE 36, 187, 195 = AP Nr. 117 zu Art. 3 GG, zu B II 1 b aa der Gründe). Bei diesen Arbeitnehmern hat sie dann nach der Streikbeteiligung unterschieden. War hier nur ein Teil der während des Streiks arbeitenden Arbeitnehmer besonderen Belastungen ausgesetzt, ist davon auszugehen, daß die Streikteilnehmer diskriminiert werden sollten.
b) Vorliegend kann den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entnommen werden, daß alle Arbeitnehmer, die in der Produktion während des Streiks gearbeitet haben, besonderen Belastungen ausgesetzt waren.
aa) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung von streikenden und arbeitswilligen Arbeitnehmern nicht bereits darin gesehen, daß die arbeitswilligen Arbeitnehmer einen Ausgleich für die psychischen Belastungen erhalten, denen sie durch Kritik der streikenden Arbeitnehmer und durch Streikposten, Streikgassen usw. ausgesetzt waren (so aber Konzen, SAE 1989, 22, 24; von Hoyningen-Huene, DB 1989, 1466, 1470; Rüthers/Heilmann, Anm. zu LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 39, unter III). Übliche und vom Arbeitskampfrecht als zulässig erachtete Einwirkungen müssen nichtstreikende Arbeitnehmer hinnehmen, ohne daraus Vorteile gegenüber zulässigerweise Streikenden ziehen zu können (Löwisch/Krauß, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht, 1989, Rz 567; Däubler/Wolter, aaO, Rz 280 xg).
bb) Es reicht aber auch nicht jede zusätzliche Erschwerung der Arbeit während des Arbeitskampfs aus, um eine Diskriminierung der Streikenden ausschließen zu können. Wäre es anders, würde die Zusage einer freiwilligen Leistung an die Arbeitnehmer, die während des Arbeitskampfs gearbeitet haben, kaum jemals eine Diskriminierung der Streikenden darstellen, denn jede Arbeit während des Streiks ist mit Belastungen verbunden, die normalerweise nicht auftreten, sei es, daß nicht in der eingespielten Arbeitsgruppe gearbeitet werden kann, improvisiert werden muß oder nebenbei Tätigkeiten mitübernommen werden, die vom jeweiligen Arbeitnehmer bei normalem Arbeitsablauf nicht verlangt werden. Ein sachlicher Grund für die Differenzierung nach der Streikbeteiligung liegt nur vor, wenn die während des Streiks arbeitenden Arbeitnehmer Belastungen ausgesetzt sind, die erheblich über das normale Maß hinausgehen, das mit jeder Streikarbeit verbunden ist.
Typisch für Streikarbeit ist, daß weniger Arbeitnehmer als normalerweise tätig sind. Ob dies überhaupt Belastungen zur Folge hat, kann erst beurteilt werden, wenn feststeht, ob damit für den einzelnen Arbeitnehmer auch eine Zunahme der Arbeitsmenge verbunden ist. Der Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die Schichten, in denen normalerweise 20 Mitarbeiter tätig seien, seien während des Streiks nur mit 10 Arbeitnehmern besetzt gewesen, fehlt jede Aussagekraft, da das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt hat, in welchem Maße die Produktion aufrechterhalten worden ist. Es ist denkbar, daß die Arbeitsmenge in etwa gleichgeblieben ist.
Auch die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die Mitarbeiter, die ihrer normalen Arbeit nachgingen, hätten mit ungeübten Kollegen die Papiermaschine "fahren" müssen, rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluß, daß diese Arbeitnehmer unter besonders erschwerten Bedingungen tätig sein mußten. Es kann sich auch hier um eine Belastung handeln, die mehr oder weniger mit jeder Streikarbeit verbunden ist.
Dagegen ist mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, daß die Tätigkeit, die nach dem Arbeitsvertrag nicht geschuldet, während des Streiks aber übernommen wird, sich als eine besondere Belastung bzw. Leistung darstellt, die es sachlich rechtfertigt, auch den davon betroffenen Arbeitnehmern eine freiwillige, übertarifliche Zulage zukommen zu lassen.
c) Vorliegend hat nur ein Teil der Arbeitnehmer, die die Prämie von 75,-- DM brutto erhalten haben, nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts während des Streiks eine Arbeit verrichtet, zu der sie nicht verpflichtet waren. Da das Landesarbeitsgericht von seinem Standpunkt aus konsequent nicht aufgeklärt hat, ob die übrigen Arbeitnehmer anderen Belastungen ausgesetzt waren, die über das mit jeder Streikarbeit verbundene zumutbare Maß hinausgehen, war der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, zurückzuverweisen.
III. Kommt das Landesarbeitsgericht in der erneuten Verhandlung zu dem Ergebnis, daß nicht alle Arbeitnehmer, die die Prämie von 75,-- DM brutto erhalten haben, besonderen Belastungen während des Streiks ausgesetzt waren, ist von ihm zu entscheiden, ob daraus ein Verstoß gegen das tarifvertragliche Diskriminierungsverbot folgt. Wird bei der Zusage einer freiwilligen Leistung im Anschluß an einen Arbeitskampf nach der Streikbeteiligung unterschieden und läßt sich die Differenzierung nur bei einem Teil der begünstigten Arbeitnehmer mit besonderen Belastungen während des Streiks rechtfertigen, fehlt es an einem sachlichen Grund für die Unterscheidung nach der Streikzugehörigkeit, so daß von einem Verstoß gegen das tarifvertragliche Diskriminierungsverbot auszugehen ist.
Dr. Kissel Dr. Weller Dr. Rost
Schneider Dr. Federlin
Fundstellen
Haufe-Index 437433 |
BB 1993, 362 |
BB 1993, 362-363 (LT1) |
DB 1993, 232-234 (LT1) |
DStR 1993, 490-490 (K) |
BuW 1993, 68 (K) |
ARST 1993, 57-60 (LT1) |
NZA 1993, 267-270 (LT1) |
RdA 1992, 404 |
SAE 1993, 48-5- (LT1) |
AP, Arbeitskampf (LT1) |
AR-Blattei, ES 170.5 Nr 4 (LT1) |
EzA, Arbeitskampf Nr 106 (LT1) |