Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitdynamische Bezugnahmeklausel. Betriebsübergang
Leitsatz (amtlich)
Die Arbeitsvertragsparteien können grundsätzlich auch unwirksame Tarifverträge in Bezug nehmen. Für eine Annahme, sie hätten den Tarifvertrag nur für den Fall seiner Wirksamkeit in Bezug nehmen wollen, müssen sich aus der Auslegung des Arbeitsvertrags besondere Anhaltspunkte ergeben.
Orientierungssatz
1. Die Arbeitsvertragsparteien können im Arbeitsvertrag grundsätzlich auch unwirksame Tarifverträge in Bezug nehmen. Für die Annahme, sie wollten den Tarifvertrag nur für den Fall seiner Wirksamkeit in Bezug nehmen, bedarf es besonderer Anhaltspunkte. Solche sind beispielsweise gegeben, wenn nur mit einer Bezugnahme auf einen wirksamen Tarifvertrag deren Zweck – wie etwa das Abweichen vom Gebot der Gleichbehandlung nach § 9 Nr. 2 AÜG – erreicht werden kann.
2. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag oder einen Teil davon ist bei Fehlen anderer eindeutiger Hinweise, die für eine statische Bezugnahme sprechen, in der Regel dynamisch zu verstehen. Einer ausdrücklichen „Jeweiligkeits-Klausel” bedarf es nicht.
3. Die Bindung des Erwerbers eines Betriebs an die von dessen Veräußerer mit dem Arbeitnehmer individualrechtlich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag verstößt nicht gegen unionsrechtliche Regelungen, namentlich Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (RL 2001/23/EG) iVm. Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC).
Normenkette
Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) Art. 16; Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (RL 2001/23/EG) Art. 3; DRK-Tarifvertrag für das Land Brandenburg (TV DRK Bbg) i.d.F. vom 30. Mai 2013; BGB § 613a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Juni 2015 – 9 Sa 411/15 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltdifferenzen und in diesem Zusammenhang über die Frage, ob eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel auch nach einem Betriebsübergang dynamisch anwendbar ist.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Rettungsassistent beschäftigt.
Nach dem zwischen ihm und der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der D R K R P gGmbH, am 13. Februar 2007 geschlossenen Arbeitsvertrag wurde sein bisheriges Arbeitsverhältnis unter Anerkennung seiner bisherigen Betriebszugehörigkeit fortgesetzt. Weiter heißt es dort:
Das Arbeitsverhältnis regelt sich nach dem DRK-Tarifvertrag Land Brandenburg, zudem finden die für die RD gGmbH jeweils geltenden Betriebsvereinbarungen Anwendung.
… |
§ 5 Vergütung / Abtretung |
5.1. |
Die Eingruppierung des Arbeitnehmers erfolgt in die Entgeltgruppe I, Stufe 4 des DRK – Tarifvertrages Land Brandenburg. Weitere Steigerungen folgen den Regelungen sowie der Systematik des Tarifvertrages. …” |
Mit Schreiben vom 2. November 2008 teilte die Beklagte dem Kläger unter der Überschrift „Betriebsübergang nach § 613a, hier: Ermittlung des sozialen Besitzstandes” mit, sie benötige im Hinblick auf das Angebot der Übernahme des Arbeitsverhältnisses ua. den Arbeitsvertrag, Gehaltsabrechnungen und sonstige für das Arbeitsverhältnis relevante Vereinbarungen. Es werde dann eine gemeinsame Feststellung erfolgen, über die ein Protokoll erstellt werde, „das nach Gegenzeichnung Bestandteil und Grundlage des Arbeitsverhältnisses” werde.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie habe nach Einsichtnahme in die Personalunterlagen des derzeitigen Arbeitgebers ua. folgende Daten für die Weiterbeschäftigung erfasst:
”Beschäftigt seit dem 06.06.1994 zuletzt als Rettungsassistent |
Tarif: DRK Land Brandenburg |
Befristung: keine |
Vergütungsgruppe: I Stufe 4 |
Zeitzuschläge: ja …” |
Der Kläger unterschrieb am Ende des Schreibens den Zusatz: „Ich bestätige hiermit die Richtigkeit der o.a. Daten”. Zum 1. Januar 2009 ging das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte über.
Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 machte der Kläger weitere Entgeltansprüche aus zwischenzeitlich vereinbarten Tariferhöhungen mit der Begründung geltend, der DRK-Tarifvertrag für das Land Brandenburg (TV DRK Bbg) finde in der jeweils geltenden Fassung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
Mit seiner beim Arbeitsgericht am 24. Juli 2014 eingegangenen Klage hat der Kläger zuletzt monatliche Differenzentgeltansprüche iHv. insgesamt 865,73 Euro brutto sowie Differenzen für Nachtzuschläge iHv. 65,20 Euro brutto für die Zeit von Dezember 2013 bis Juli 2014 basierend auf dem TV DRK Bbg idF vom 30. Mai 2013 verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, § 2 des Arbeitsvertrags verweise – dynamisch – auf den jeweils geltenden TV DRK Bbg. Durch ihre Erklärung mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 im Vorfeld des Betriebsübergangs zum 1. Januar 2009 habe die Beklagte diese Vereinbarung ihrerseits zur Grundlage der Weiterbeschäftigung gemacht.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 865,73 Euro brutto sowie weitere 65,20 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2014 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Arbeitsvertrag verweise nicht dynamisch auf den TV DRK Bbg. Anders als der Verweis auf die Betriebsvereinbarungen enthalte § 2 des Arbeitsvertrags keine sog. Jeweiligkeitsklausel. Die Regelung in § 5.1. Satz 2 des Arbeitsvertrags zu weiteren Steigerungen beziehe sich ersichtlich auf den ersten Satz und bedeute nur, dass sich die Entgeltgruppe I, Stufe 4 durch einen Stufen- bzw. Gruppenaufstieg nach den Regelungen und der Systematik des Tarifvertrags ändern könne. Nähme man gleichwohl eine dynamische Verweisung an, könne sie jedenfalls nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH 18. Juli 2013 – C-426/11 – [Alemo-Herron ua.]) als Betriebsübernehmerin hieran nicht gebunden sein. Im Übrigen beständen Zweifel an der Wirksamkeit des von der Tarifgemeinschaft Landesverband Brandenburg des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und der DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V. (DHV) geschlossenen Tarifvertrags.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen einen Anspruch auf Vergütung nach dem TV DRK Bbg idF vom 30. Mai 2013 und damit auf die geforderten Klagebeträge.
I. Bei dem ersichtlich von der Rechtsvorgängerin der Beklagten vorformulierten Arbeitsvertrag vom 13. Februar 2007 handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Dieser enthält, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, eine dynamische Bezugnahme auf den TV DRK Bbg in seiner jeweils geltenden Fassung. Das ergibt die Auslegung der vertraglichen Regelung (zu den Maßstäben der Auslegung einer Allgemeinen Geschäftsbedingung vgl. BAG 19. Mai 2010 – 4 AZR 796/08 – Rn. 15, BAGE 134, 283).
1. Dem eindeutigen Wortlaut von § 2 des Arbeitsvertrags nach ist Gegenstand der einzelvertraglichen Bezugnahme der „DRK-Tarifvertrag Land Brandenburg”. Dies ist der zwischen der Tarifgemeinschaft Landesverband Brandenburg des DRK und der DHV geschlossene und erstmals zum 1. Januar 2003 in Kraft getretene Tarifvertrag.
2. Mögliche Zweifel an der Wirksamkeit dieses Tarifvertrags stehen einer wirksamen arbeitsvertraglich vereinbarten dynamischen Bezugnahme nicht entgegen.
a) Die Wirksamkeit des betreffenden Tarifvertrags ist nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Inbezugnahme. Vielmehr können Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich auch unwirksame Tarifverträge in Bezug nehmen (BAG 25. September 2013 – 5 AZR 815/12 – Rn. 11; 14. Dezember 2011 – 4 AZR 26/10 – Rn. 43; 22. Januar 2002 – 9 AZR 601/00 – zu A I 2 b der Gründe, BAGE 100, 189). Für die Annahme, die Arbeitsvertragsparteien wollten den Tarifvertrag nur für den Fall seiner Wirksamkeit in Bezug nehmen, bedarf es besonderer Anhaltspunkte. Solche sind beispielsweise gegeben, wenn nur mit einer Bezugnahme auf einen wirksamen Tarifvertrag deren Zweck – wie etwa das Abweichen vom Gebot der Gleichbehandlung nach § 9 Nr. 2 AÜG – erreicht werden kann (BAG 13. März 2013 – 5 AZR 954/11 – Rn. 35, BAGE 144, 306).
b) Derartige Anhaltspunkte sind im Streitfall nicht ersichtlich. Im Übrigen stand eine Unwirksamkeit des in Bezug genommenen Tarifvertrags zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel im Jahr 2007 nicht fest, sondern es bestanden allenfalls Zweifel an dessen Wirksamkeit.
aa) Diese Zweifel bestanden mit Blick auf die Tariffähigkeit der DHV. Sie war mehrfach Gegenstand arbeitsgerichtlicher Verfahren. Mit Beschluss vom 10. Dezember 1956 (– 2 BV 366/56 –) stellte das Arbeitsgericht Hamburg ihre Tariffähigkeit auf der Grundlage der Satzungen vom 1. Juli 1952 bzw. 1. Juli 1954 fest. In einem weiteren Verfahren wies es mit Beschluss vom 9. November 1995 (– 1 BV 8/92 –) einen Antrag auf Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der DHV wegen weiterhin entgegenstehender Rechtskraft des Beschlusses aus dem Jahre 1956 als unzulässig zurück. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landesarbeitsgericht Hamburg mit Beschluss vom 18. Februar 1997 (– 2 TaBV 9/95 –) zurück. Mit einem weiteren, nicht rechtskräftigen Beschluss vom 4. Mai 2016 (– 5 TaBV 8/15 –) bestätigte das Landesarbeitsgericht Hamburg die Tariffähigkeit der DHV.
bb) Trotz dieser Problematik haben die Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich den „DRK-Tarifvertrag Land Brandenburg” und damit einen mit der DHV abgeschlossenen Tarifvertrag in Bezug genommen. Von der Möglichkeit, den – mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) abgeschlossenen – DRK-Tarifvertrag in der zum 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Fassung „DRK-Reformtarifvertrag”), dessen Geltungsbereich anders als der mit der DHV abgeschlossene Tarifvertrag nicht auf das Land Brandenburg beschränkt ist, in Bezug zu nehmen, haben die Arbeitsvertragsparteien trotz der mit Blick auf die Tariffähigkeit der DHV ungeklärten Rechtslage gerade keinen Gebrauch gemacht. Eine Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien, die es nahelegen würde, dass sie aufgrund der zweifelhaften Rechtslage entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Klausel einen anderen Tarifvertrag hätten in Bezug nehmen wollen, ist nicht feststellbar.
3. Bei der Verweisung auf den TV DRK Bbg handelt es sich um eine zeitdynamische Bezugnahme.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei fehlender Angabe einer konkret nach Datum festgelegten Fassung des in Bezug genommenen Tarifvertrags regelmäßig anzunehmen, der Tarifvertrag solle in seiner jeweiligen Fassung Anwendung finden (zB BAG 12. Dezember 2012 – 4 AZR 65/11 – Rn. 25; 17. Januar 2006 – 9 AZR 41/05 – Rn. 30, BAGE 116, 366). Einer ausdrücklichen „Jeweiligkeits-Klausel” bedarf es nicht (BAG 20. April 2012 – 9 AZR 504/10 – Rn. 26 mwN). Die Bezugnahme in einem Arbeitsvertrag auf einen Tarifvertrag oder einen Teil davon ist deshalb bei Fehlen anderer eindeutiger Hinweise, die für eine statische Bezugnahme sprechen, in der Regel dynamisch zu verstehen (BAG 12. Dezember 2012 – 4 AZR 65/11 – Rn. 25 mwN; 25. Februar 2015 – 5 AZR 481/13 – Rn. 15, BAGE 151, 56).
b) Danach ergibt die Auslegung der Bezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrags im Streitfall eine zeitdynamische Anwendbarkeit. Es fehlt an eindeutigen Hinweisen, die Arbeitsvertragsparteien hätten lediglich eine statische Bezugnahme vereinbaren wollen.
aa) Derartige Hinweise ergeben sich nicht aus der Formulierung, dass die „jeweils geltenden” Betriebsvereinbarungen Anwendung finden. Hieraus lässt sich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit der Umkehrschluss ziehen, auch der TV DRK Bbg habe nur in der im Zeitpunkt des Abschlusses der Verweisungsklausel geltenden Fassung in Bezug genommen werden sollen. Die Gestaltung der Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Regelungen einerseits und die Betriebsvereinbarungen andererseits ist nach den arbeitsvertraglichen Formulierungen bereits sprachlich deutlich voneinander abgesetzt. Sie ist in Form zweier, durch ein Komma abgetrennter, selbständiger Hauptsätze geregelt. Eine Wechselbeziehung zwischen der Formulierung beider Regelungsgegenstände liegt deshalb nicht auf der Hand. Das Fehlen einer Jeweiligkeitsklausel bei der Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Regelungen lässt – ohne weitere Anhaltspunkte, beispielsweise die Nennung einer konkreten Fassung des in Bezug genommenen Tarifvertrags – gerade nicht die Annahme zu, die Arbeitsvertragsparteien hätten nur eine statische Bezugnahme gewollt.
bb) Auch aus § 5.1. des Arbeitsvertrags ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien den TV DRK Bbg lediglich statisch hätten in Bezug nehmen wollen. Die Formulierung, nach der weitere Steigerungen den Regelungen sowie der Systematik des Tarifvertrags folgen, bezieht sich ersichtlich auf die im vorangegangenen Satz geregelte Eingruppierung. Argumente für oder gegen eine zeitdynamische Anwendung der in Bezug genommenen Tarifverträge lassen sich dieser Regelung nicht entnehmen.
II. Die Dynamik der arbeitsvertraglichen Verweisung ist nicht infolge des Betriebsübergangs auf die Beklagte entfallen. Zwar hat diese nicht ihrerseits die Bezugnahmeklausel mit dem Kläger – neu – vereinbart. Das von ihm gegengezeichnete Schreiben vom 12. Dezember 2008 enthält keine übereinstimmenden Willenserklärungen, sondern lediglich die Feststellung rechtlicher Tatsachen ohne Rechtsbindungswillen. Gleichwohl wirkt die Bezugnahmeklausel gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten dynamisch weiter.
1. Gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis auf den Erwerber über. Der Erwerber wird so gestellt, als hätte er die dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegenden Willenserklärungen, also auch die, ein bestimmtes Tarifwerk in seiner jeweiligen Fassung zum Inhalt des Arbeitsvertrags zu machen, selbst gegenüber dem übernommenen Arbeitnehmer abgegeben (st. Rspr., vgl. nur BAG 23. September 2009 – 4 AZR 331/08 – Rn. 23, BAGE 132, 169; 7. November 2007 – 5 AZR 1007/06 – Rn. 15, BAGE 124, 345).
2. Damit ist auch die zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und dem Kläger vertraglich vereinbarte dynamische Verweisung auf den TV DRK Bbg Bestandteil des ab dem 1. Januar 2009 zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses geworden. Eine dynamische Bezugnahmeklausel geht als vertragliche Vereinbarung zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer regelmäßig auf das nach dem Betriebsübergang bestehende Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB unter Aufrechterhaltung der Dynamik über (st. Rspr., ausf. BAG 23. September 2009 – 4 AZR 331/08 – Rn. 14 ff., BAGE 132, 169).
3. Diesem Ergebnis steht Unionsrecht nicht entgegen. Die Bindung des Erwerbers eines Betriebs an die von dessen Veräußerer mit dem Arbeitnehmer individualrechtlich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag verstößt nicht gegen unionsrechtliche Regelungen, namentlich Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (RL 2001/23/EG) iVm. Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC).
a) Mit Urteil vom 27. April 2017 (– C-680/15 und C-681/15 – [Asklepios Kliniken Langen-Seligenstadt) hat der EuGH auf Vorlage des erkennenden Senats (BAG 17. Juni 2015 – 4 AZR 61/14 (A) –) entschieden, dass die RL 2001/23/EG iVm. Art. 16 GRC der dynamischen Fortgeltung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel im Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebserwerber nicht entgegensteht, sofern das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht.
b) Solche sowohl einvernehmlichen als auch einseitigen Anpassungsmöglichkeiten sieht die deutsche Rechtsordnung vor.
aa) Eine einvernehmliche Änderung der Arbeitsvertragsbedingungen ist – wie in jedem Arbeitsverhältnis – grundsätzlich auch nach einem Betriebsübergang möglich.
(1) § 613a BGB hindert Arbeitnehmer und Betriebsübernehmer nicht, nach einem Betriebsübergang die vertraglichen Arbeitsbedingungen einvernehmlich abzuändern. So kann auch einzelvertraglich die mit dem Betriebsveräußerer vereinbarte Dynamik der Bezugnahmeklausel abbedungen werden. Insbesondere bedarf eine nach dem Betriebsübergang getroffene Vergütungsvereinbarung nicht wegen möglicher Umgehung des § 613a BGB eines sie rechtfertigenden Sachgrundes (st. Rspr. seit BAG 7. November 2007 – 5 AZR 1007/06 – Rn. 12, BAGE 124, 345). Soweit das Gesetz in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB eine Sperrfrist von einem Jahr für die – auch einvernehmliche – Verschlechterung der Arbeitsbedingungen vorsieht, gilt dies ausschließlich für diejenigen Rechte und Pflichten, die vor dem Betriebsübergang zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer aufgrund eines normativ geltenden Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung verbindlich waren.
(2) Die Möglichkeit einer einvernehmlichen Vertragsänderung hat entgegen der Auffassung der Revision auch nicht nur theoretische Bedeutung. In der Praxis nimmt nicht selten ein Großteil der Arbeitnehmer einen aus deren Sicht nachvollziehbar begründeten – kollektiven – Antrag auf Vertragsänderung an. So haben etwa in dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26. Juni 2008 (– 2 AZR 139/07 –) zugrunde liegenden Fall 439 der 447 betroffenen Arbeitnehmer und damit 97 vH der Belegschaft das vom Arbeitgeber unterbreitete Änderungsangebot mit dem Ziel der Realisierung eines Sanierungskonzepts angenommen (ähnlich bei BAG 1. April 2009 – 10 AZR 353/08 –: 96 vH der Arbeitnehmer mit der Anhebung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden ohne Entgeltausgleich). Auch in dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Juni 2017 (– 1 ABR 32/15 –) zugrunde liegenden Sachverhalt hatten 96 vH der Arbeitnehmer einer Änderungsvereinbarung ua. mit einem Verzicht auf Leistungsentgeltanteile und Sonderzahlungen sowie einer Reduzierung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich gegen einen befristeten Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen zugestimmt.
bb) Auch die vom EuGH weiter geforderte Möglichkeit einer einseitigen Arbeitsvertragsänderung ist gesetzlich vorgesehen. Der Arbeitgeber kann gemäß § 2 KSchG einzelne Arbeitsbedingungen durch die Erklärung einer Änderungskündigung abändern. Dass eine solche im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes sozial gerechtfertigt sein muss (§ 1 Abs. 2 KSchG), ist mit der vom EuGH in den Rechtssachen Asklepios Kliniken Langen-Seligenstadt und Alemo-Herron ua. (EuGH 27. April 2017 – C-680/15 und C-681/15 – und 18. Juli 2013 – C-426/11 –) vorgenommenen Auslegung der RL 2001/23/EG vereinbar.
(1) Der EuGH verlangt, der Erwerber müsse in der Lage sein, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit „erforderlichen” Anpassungen vorzunehmen (EuGH 18. Juli 2013 – C-426/11 – [Alemo-Herron ua.] Rn. 25; 27. April 2017 – C-680/15 und C-681/15 – [Asklepios Kliniken Langen-Seligenstadt] Rn. 22). Damit unterliegen die vom Erwerber angestrebten Änderungen jedenfalls nicht seiner einseitigen freien Entscheidung, sondern müssen dem Kriterium der Erforderlichkeit genügen (so auch Bayreuther NJW 2017, 2158, 2159; Klein jurisPR-ArbR 20/2017 Anm. 1, D II). Hierzu hat der EuGH dem Unionsrecht keine bestimmten materiell-rechtlichen Kriterien entnommen, denen die Anpassungsmöglichkeit nach nationalem Recht genügen müsse. Für den Streitfall hat der Gerichtshof zudem ausdrücklich angenommen, die vom vorlegenden Senat dargestellte einseitige Änderungsmöglichkeit entspreche den durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs gesetzten Anforderungen (EuGH 27. April 2017 – C-680/15 und C-681/15 – [Asklepios Kliniken Langen-Seligenstadt] Rn. 25). Es sei nicht seine Sache, über das Vorliegen oder die Wirksamkeit der betreffenden Anpassungsmöglichkeiten zu entscheiden. Für die Würdigung des Sachverhalts und die Auslegung des nationalen Rechts sei das nationale Gericht allein zuständig (EuGH 27. April 2017 – C-680/15 und C-681/15 – [Asklepios Kliniken Langen-Seligenstadt] Rn. 27 f.).
(2) Die gesetzlichen Vorgaben für die Änderungskündigung genügen diesen Anforderungen.
(a) Die Änderungskündigung iSv. § 2 KSchG ist eine einseitige Anpassungsmöglichkeit. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nur dadurch zustande kommen kann, dass der Arbeitnehmer das Änderungsangebot des Arbeitgebers annimmt (vgl. dazu Sagan ZESAR 2016, 116, 120). Gleichwohl ist das Änderungsangebot stets mit der einseitigen Willenserklärung einer Beendigungskündigung verbunden. Unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ablehnt oder unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung annimmt (BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 576/09 – Rn. 30; 15. Januar 2009 – 2 AZR 641/07 – Rn. 14 mwN), haben die Gerichte für Arbeitssachen lediglich zu prüfen, ob sich die angebotenen Änderungen nicht weiter vom Inhalt des bisherigen Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Ziels „erforderlich” ist (BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 576/09 – aaO; 26. März 2009 – 2 AZR 879/07 – Rn. 51 ff. mwN). Danach kann sich der Arbeitgeber – sofern die angestrebten Änderungen sozial gerechtfertigt sind – auch einseitig von den nicht gewünschten Arbeitsbedingungen lösen. Dass es dem Arbeitnehmer nach dem nationalen Recht unbenommen ist, das Arbeitsverhältnis für den Fall der sozialen Rechtfertigung der vom Arbeitgeber angebotenen Änderung gar nicht fortsetzen zu wollen, ist unerheblich. Ein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer nur unter den von ihm gewünschten geänderten Bedingungen fortzusetzen, besteht nicht. Der Arbeitnehmer könnte für den Fall, dass ihm die geänderten Arbeitsbedingungen nicht (mehr) zusagen, jederzeit seinerseits eine Eigenkündigung erklären.
(b) Der Umstand, dass die Anpassungsmöglichkeit der Änderungskündigung nach dem nationalen Recht – sofern das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist – an die gesetzlich normierte Voraussetzung der sozialen Rechtfertigung geknüpft ist, steht den Vorgaben des EuGH ebenso wenig entgegen.
(aa) § 2 iVm. § 1 Abs. 2 KSchG ermöglicht eine Anpassung von Arbeitsbedingungen durch eine einseitige Willenserklärung des Arbeitgebers. Deren Wirksamkeit ist jedoch an bestimmte tatbestandliche Voraussetzungen geknüpft, insbesondere das Vorliegen von Umständen, die die angestrebte Änderung der Arbeitsbedingungen als „sozial gerechtfertigt” erscheinen lassen. In der hierzu bisher ergangenen Rechtsprechung insbesondere des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts ist insoweit darauf abgestellt worden, ob sich das Änderungsangebot auf die für die Fortsetzung der Tätigkeit des Arbeitgebers „erforderlichen” Anpassungen beschränkt (vgl. BAG 10. September 2009 – 2 AZR 822/07 – BAGE 132, 78).
(bb) Auch der EuGH verlangt für einen Betriebserwerber keine voraussetzungsfreien Änderungsmöglichkeiten, sondern lediglich die Möglichkeit von „erforderlichen” Anpassungen (EuGH 27. April 2017 – C-680/15 und C-681/15 – [Asklepios Kliniken Langen-Seligenstadt] Rn. 22; 18. Juli 2013 – C-426/11 – [Alemo-Herron ua.] Rn. 25; so auch Bayreuther NJW 2017, 2158, 2159). Ob und inwieweit sich diese beiden, zumindest im Wortlaut gleichlautenden Tatbestandsvoraussetzungen decken oder hier ggf. eine unterschiedliche Beurteilung angezeigt ist, muss der Senat nicht entscheiden. Es genügt insoweit die Feststellung, dass für die Berücksichtigung des Merkmals der „Erforderlichkeit” bei der Beurteilung einer Änderungskündigung im Rahmen eines Änderungskündigungsschutzverfahrens ausreichend Raum besteht.
(cc) Soweit teilweise eingewandt wird, eine Änderungskündigung zum Zwecke der Beseitigung der Dynamik sei aussichtslos bzw. nur „theoretisch” möglich, wie sich an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Entgeltabsenkung durch Änderungskündigung zeige (vgl. zB Naber/Krois BB 2015, 1600; dies. ZESAR 2014, 121, 127; Latzel RdA 2014, 110, 116; Willemsen/Grau NJW 2014, 12, 15; Sagan ZESAR 2016, 116, 120; Haußmann ArbRAktuell 2017, 242), greift dieser Einwand schon deshalb nicht durch, weil es bei der Entdynamisierung der Verweisungsklausel nicht um eine Entgeltabsenkung geht, sondern – abgesehen von sonstigen Tarifinhalten – um die Aufrechterhaltung des bisherigen Entgeltniveaus. Die oa. Literaturauffassung übersieht darüber hinaus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts selbst eine Entgeltabsenkung im Wege der Änderungskündigung möglich ist (sh. nur BAG 26. Juni 2008 – 2 AZR 139/07 – Rn. 18 ff.; 29. November 2007 – 2 AZR 789/06 – Rn. 13 ff.), an deren Wirksamkeit lediglich höhere Anforderungen gestellt werden, da sie einen nachhaltigen Eingriff in das arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bedeutet (BAG 26. Januar 1995 – 2 AZR 371/94 – BAGE 79, 159; 1. Juli 1999 – 2 AZR 826/98 –).
(3) Es ist auch ansonsten kein rechtlich begründeter Anlass dafür ersichtlich, einen Betriebsübernehmer hinsichtlich seiner Bindung an Arbeitsverträge im Vergleich zu anderen Arbeitgebern zu privilegieren. Einem Betriebsübernehmer steht es frei, den Inhalt der einzelvertraglichen Abreden der von ihm zu übernehmenden Arbeitnehmer – ebenso wie weitere vertragliche Bindungen des Veräußerers, zB Leasing-Verträge, Kundenverträge, Lieferantenbedingungen usw. – zu prüfen und bei dem Aushandeln seiner Gegenleistung angemessen zu berücksichtigen. Das rechtliche Instrument der Änderungskündigung dient dabei nicht der nachträglichen Korrektur einer unzureichenden Prüfung. Ließe man eine solche Korrektur ohne die Maßgabe der dafür nach § 2 KSchG vorgesehenen materiell-rechtlichen Kriterien zu, wäre es dem Erwerber eines Betriebs möglich, sich von bestimmten, von ihm für nachteilig gehaltenen vertraglichen Vereinbarungen nach anderen Kriterien zu lösen als sonstigen Arbeitgebern in einem laufenden Arbeitsverhältnis. Ob – ungeachtet des Verweises des EuGH auf die alleinige Kompetenz der nationalen Gerichte zur Auslegung des nationalen Rechts – und ggf. welche Kriterien bei der rechtlichen Beurteilung einer Änderungskündigung im Rahmen des Maßstabs der sozialen Rechtfertigung nach § 2 KSchG aus dem Unionsrecht zu berücksichtigen sein könnten (vgl. dazu etwa Jacobs/Frieling EuZW 2013, 737, 740 mwN), war vorliegend nicht zu beurteilen. Die Beklagte hat keine Änderungskündigung erklärt.
III. Die Höhe der in der Revision noch geltend gemachten Beträge steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 247 BGB.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Eylert, Creutzfeldt, Rinck, Gey-Rommel, Krüger
Fundstellen
Haufe-Index 11523212 |
BAGE 2018, 106 |
BB 2018, 499 |
BB 2018, 893 |
DB 2018, 6 |