Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld II bzw Sozialgeld. Erwerbsfähigkeit trotz Arbeitsmarktrente. unrichtige Angaben zum Einkommen. Vertretung der Bedarfsgemeinschaft. Eltern als gesetzliche Vertreter des minderjährigen Kindes. Zurechnung des Vertreterverschuldens
Leitsatz (amtlich)
1. Erwerbsfähigkeit iS des § 8 SGB 2 ist auch dann gegeben, wenn der Hilfebedürftige eine Arbeitsmarktrente und damit eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht. Im Bereich des SGB 2 ist von Erwerbsfähigkeit auszugehen, da das SGB 2 darauf ausgerichtet ist, Erwerbsfähige in den Arbeitsmarkt zu integrieren und nicht unter Verweis auf die Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts auszugrenzen.
2. Ein mit seinem gesetzlichen Vertreter in einer Bedarfsgemeinschaft lebender, nach § 36 SGB 1 handlungsfähiger Minderjähriger muss sich grob fahrlässige oder vorsätzliche Falschangaben des gesetzlichen Vertreters auch bei seinem eigenen Anspruch nach dem SGB 2 zurechnen lassen. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte gegen den gesetzlichen Vertreter auch einen Erstattungsanspruch nach § 34 SGB 2 hat.
3. § 1629a BGB findet bei der Rückforderung nach § 50 SGB 10 gegen den Minderjährigen keine Anwendung, da § 50 SGB 10 eine gebundene Entscheidung ist.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.02.2009 in der Fassung des Beschlusses vom 07.04.2009 betreffend die Klägerin zu 1 wird verworfen.
II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.02.2009 in der Fassung des Beschlusses vom 07.04.2009 betreffend den Kläger zu 2 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 14.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2008 wird abgewiesen.
III. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1 für das Berufungsverfahren hat die Beklagte zu tragen. Außergerichtliche Kosten des Klägers zu 2 sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Kläger zu 2 für die Zeit vom 01.07.2005 bis 31.05.2008 und die Erstattung überzahlter Leistungen i.H.v. 3.874,02 Euro und die Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruch der Beklagten bzgl. der Klägerin zu 1 i.H. von 4/10.
Die Klägerin zu 1 ist die Mutter des 1990 geborenen Klägers zu 2. Am 30.06.2005 beantragte sie bei der Beklagten erstmalig für sich und ihren Sohn die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Als Einkommen gab sie für sich den Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung i.H. von 596,40 Euro und des Kindergeldes i.H.v. 154,00 Euro an. Aufgrund dieses Antrags bewilligte die Beklagte den Klägern als Bedarfsgemeinschaft Leistungen ab 01.07.2005. In den Folgeanträgen vermerkte die Klägerin zu 1 jeweils, dass eine Änderung in der Einkommenssituation nicht eingetreten sei. Im Folgeantrag vom 27.11.2007 bestätigte auch der Kläger zu 2 die Richtigkeit der gemachten Angaben.
Nachdem die Beklagte erfahren hatte, dass die Klägerin zu 1 neben der von ihr angegebenen Rente von der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken (LVA) zumindest seit dem Jahr 2000 auch noch eine Hinterbliebenenrente (Versicherungsnummer 58 151253 P 009) von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) bezog, hob die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 13.02.2008 die Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II) ab 01.02.2008 ganz auf.
Während des hiergegen geführten Widerspruchsverfahrens nahm die Beklagte jeweils mit Bescheid vom 14.05.2008 die Leistungsbewilligung vom 07.07.2005, 27.09.2005, 09.12.2005, 14.06.2006, 11.12.2006, 05.06.2007, 28.11.2007 und 05.12.2007 zurück und forderte von der Klägerin zu 1 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 6.413,34 Euro und überzahlte Beiträge zur Krankenversicherung i.H. von 250,02 Euro und Pflegeversicherung i.H.v. 29,72 Euro zurück. Vom Kläger zu 2 begehrte die Beklagte die Erstattung erbrachter Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 3.874,02 Euro und zur Krankenversicherung i.H.v. 3.374,39 Euro und Pflegeversicherung i.H.v. 424,65 Euro gezahlter Beiträge. Die Klägerin zu 1 habe während des gesamten Zeitraums Witwenrente bezogen, die auf die bewilligte Leistung nach dem SGB II anzurechnen gewesen sei. Damit sei der Kläger zu 2 nicht hilfebedürftig i.S.d. § 9 SGB II gewesen. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil die Klägerin zu 1 in den Leistungsanträgen zumindest grob fahrlässig falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht habe. Das Verhalten der Klägerin zu 1 habe sich der Kläger zu 2 als dessen gesetzliche Vertreterin zurechnen zu lassen. Der Kläger zu 2 selbst habe in dem am 23.11.2007 unterschriebenen Folgeantrag die Witwenrente nicht angegeben, obwohl er hierzu nach § 60 Abs....